6. Februar 2019 Otto König/Richard Detje: Venezuela – der geplante Regime-Change

Der Machtkampf

Joka Madruga/flickr.com (CC BY 2.0)

Anfang Februar, am 20. Jahrestag der sogenannten »Bolivarischen Revolution«, ist der US-orchestrierte Putsch in Venezuela im vollen Gang.

Die Selbsternennung des rechts-konservativen Parlamentspräsidenten Juan Guaidó zum »Interimspräsidenten« ist der vorläufige Höhepunkt eines Machtkampfes zwischen der bolivarischen Regierung und der Opposition.[1] All dies geschieht, während das Land die tiefste Krise seiner Geschichte durchlebt.[2]

Nicht nur die USA, auch Mitgliedstaaten der EU sind in dieser Auseinandersetzung präsent. Dass es dabei um die Durchsetzung der Demokratie gehe, wie Bundeskanzlerin Merkel und der französischen Präsident Macron versichern, ist wenig glaubhaft.[3] »Regime Change« ist die Absicht. »Alle Optionen sind auf dem Tisch«, erklärte der US-Präsident forsch; er werde das volle Gewicht »der wirtschaftlichen und diplomatischen Macht der Vereinigten Staaten« nutzen, wobei ein hochrangiger US-Regierungsvertreter eine militärische Option nicht ausschließen wollte. Dieses Vorgehen ist den Menschen in Lateinamerika nur allzu bekannt.[4] Zu Recht forderte deshalb der demokratische Senator Bernie Sanders die Trump-Regierung auf, die USA sollten nicht im »Regime-Change-Geschäft mitmischen oder Staatsstreiche unterstützen.«

Der angestrebte Regime-Change in Venezuela zielt auf die Wiederherstellung der US-Hegemonie in Lateinamerika und die Zurückdrängung des Einflusses Russlands und Chinas in der Region. So erklärte Trumps Sicherheitsberater John Bolton in einem Interview mit Fox Business Network: »Wir sind gerade im Gespräch mit großen amerikanischen Unternehmen, denn es würde für die Vereinigten Staaten wirtschaftlich einen großen Unterschied machen, wenn amerikanische Unternehmen in Venezuela die Ölkapazitäten erschließen würden.«

Gleichzeitig soll die Restauration des neoliberalen Wirtschaftsmodells auf dem Kontinent weiter vorangetrieben werden. Dafür spricht auch die Ernennung von Elliot Abrams zum US-Sonderbeauftragten für die »Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela«, der in den 1980er Jahren zu den prominentesten Befürwortern der Todesschwadronen gehörte, die ganze Länder verwüsteten.[5]

Es sind die Machtverschiebungen in Argentinien, Chile und Brasilien, die die rechte Opposition zu der neuen Kraftprobe mit den Chavisten ermutigt haben. Zur Vorbereitung war US-Außenminister Mike Pompeo nach der Zeremonie zur Amtsübernahme des rechtsextremen Präsidenten von Brasilien, Jair Bolsonaro, auf Werbetour in Südamerika unterwegs. Schließlich hat Vizepräsident Mike Pence per Video den Startschuss zum Putschversuch gegeben. »Dies ist keine Zeit für einen Dialog«, so Pence, sondern die »Zeit zu handeln.«[6] Es müsse »ein für alle Mal mit der Maduro-Diktatur Schluss« gemacht werden. Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton hatte für Maduro gleich eine »Rechtsstaatliche Lösung« parat, in dem er diesen warnte, er könne »im US-Folterlager Guantánamo auf Kuba enden«, wenn er nicht in absehbarer Zeit auf die Regierungsmacht verzichte.

Um den Putsch erfogreich zu Ende zu führen, benötigt Juan Guaidó die Unterstützung der Streitkräfte. Doch seine Rechnung ist bisher nicht aufgegangen. Die Fuerza Armada Nacional Bolivariana (Nationale Bolivarische Streitkräfte) haben sich bislang hinter die Regierung Maduro gestellt. Die Soldaten würden keinen »gesetzeswidrig selbstproklamierten Präsidenten« akzeptieren, sondern die »Verfassung verteidigen«, verlautbarte Verteidigungsminister Vladimir Padrino López.

Auch politisch scheint der Chavismus bisher weiterhin mobilisierungsfähig zu sein, vor allem auf der kommunalen Ebene, in den Milizien und der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV). Die Bevölkerung in den Armenvierteln kann trotz großer Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Bedingungen im Land mit Guaidó nicht viel anfangen. Denn jenseits der radikalen Ablehnung des Chavismus und einer Rückkehr der alten Eliten an die Erdöltöpfe verfügt die rechte Opposition über kein überzeugendes Programm. Die enge Zusammenarbeit mit der US-Regierung sorgt zusätzlich dafür, dass die Anhänger*innen der Regierung die Reihen schließen.

Der momentan wichtigste Hebel zum Sturz Maduros ist die Finanzblockade. So zielen die von der US-Regierung verhängten Sanktionen gegen den staatlichen venezolanischen Erdölkonzern Petróleos de Venezuela, S.A. (PDVSA) darauf ab, die Vermögenswerte des Unternehmens einzufrieren und Zahlungen an die Maduro-Regierung in Venezuela zu sperren. Diese für den venezolanischen Staat unverzichtbaren Einnahmen sollen den Putschisten übergeben werden. Die Wirtschaftsblockade hat zum Ziel, den endgültigen Zusammenbruch der Ökonomie in Venezuela zu provozieren.

Das vierte Jahr in Folge hat Venezuela die höchste Inflation der Welt. Laut Econométrica lag sie im gesamten vergangenen Jahr bei 4.520 und sogar 5.605% bei den Nahrungsmittelpreisen. Darüber hinaus weist das Land ein zweistelliges Haushaltsdefizit, die geringsten internationalen Währungsreserven seit 20 Jahren (weniger als 9,3 Mrd. US-Dollar) und einen schrecklichen Mangel an Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmittel und Medizinpräparate auf. Der Wert des parallelen Wechselkurses, auf dessen Grundlage fast alle Preise der Wirtschaft festgelegt werden, hat sich im Jahr 2017 um 2.500% erhöht, was der Kaufkraft der Bevölkerung enorm zugesetzt hat. Diese führte u.a. zu einer großen Migrationswelle in die Nachbarländer. Weder Chávez noch sein Nachfolger Maduro schafften es, Venezuela mit dem Ölgeld zu einer modernen Produktiv- und Bildungsgesellschaft umzuformen, und damit von der totalen Abhängigkeit von der Monokultur Rohstoffverkauf wegzukommen.

Zum Drehbuch des »Regime Change« gehört das Narrativ von der internationalen Isolation der bolivarischen Regierung, die nur noch von China, Russland, Kuba und Bolivien unterstützt werde. Dabei musste Mike Pompeo selbst im Ständigen Rat der US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine herbe Niederlage einstecken, denn die notwendigen 18 Stimmen für die OAS-Anerkennung Guaidós hat er nicht zusammen bekommen. Selbst die LIMA-Gruppe, ein Verband meist rechtsgerichteter Regierungen der Region, möchte sich offenbar nicht aktiv am Niederwalzen des venezolanischen Systems beteiligen. Zuvor hatten sich die 15 Karibikstaaten der Caricom den US-gestützten geschlossen gegen den Putschversuch gestellt. China und Russland machten als Mitglieder des UN-Sicherheitsrats umgehend deutlich, dass sie einen von außen gefördertem Umsturz nicht dulden werden.  

UN-Generalsekretär António Guterres ließ über seinen Sprecher mitteilen, dass die Mehrheit der Staaten der Generalversammlung und des Sicherheitsrates Präsident Nicolás Maduro als den verfassungsmäßigen und legitimen Staatschef Venezuelas anerkennen. Die Vereinten Nationen seien bereit, »ihre humanitären und entwicklungspolitischen Aktivitäten in Venezuela zu verstärken«, aber dafür brauche die UNO »die Zustimmung und Zusammenarbeit der Regierung Maduro«.

Dagegen unterstützt eine Mehrheit der EU-Staaten die Anerkennung des oppositionellen Parlamentschefs als Gegenpräsident. Deutschland, Frankreich, Spanien und andere widerlegen damit ihre Bekundungen, sie würden im Gegensatz zu Washington eine Außenpolitik verfolgen, die »dem Multilateralismus, der Demokratie und dem Frieden verpflichtet ist«. Heiko Maas Erklärung, Deutschland werde sich »als UN-Sicherheitsratsmitglied zum Garanten für die Bewältigung von Krisen und Konflikten machen«, hat sich im »Fall« Venezuela bereits desavouiert.

Der einzige Weg, die in Venezuela entstandene Pattsituation aufzulösen, ist der Versuch, in Verhandlungen eine Lösung zu finden. In diesem Sinne sieht beispielsweise Schweden Klärungsbedarf. Klugerweise haben sich Mexiko und Uruguay in dem Konflikt bisher neutral verhalten und rufen zu einer internationalen Konferenz zur Lage in Venezuela auf, mit dem Ziel, die Grundlagen für die Schaffung eines neuen Dialogmechanismus zu schaffen, der unter Einbeziehung aller venezolanischen Kräfte zur Wiederherstellung von Stabilität und Frieden in diesem Land beitragen soll. Ein interventionistischer »Regime-Change« nach Art der USA unter Beteiligung von Venezuelas großen Nachbarn Brasilien und Kolumbien hätte nicht nur schwerwiegende Folgewirkungen für Lateinamerika, sondern auch nicht abschätzbare Auswirkungen auf den politischen und wirtschaftlichen Konflikt mit China und Russland.

Während Nicolas Maduro sich für Gespräche offen zeigte, erteilte Guaidó den Vermittlungs-bemühungen der beiden Regierung eine barsche Absage: »Wir sind nur an einer Verhandlung interessiert, bei der es um die Termini für das Ende der Usurpation (Maduros) geht«. Diese Haltung wird der rechte Oppositionelle voraussichtlich nur revidieren, wenn die USA und ihre »Koalition der Willigen« in Lateinamerika und Europa ihre Einmischungen einstellen. Andererseits können Verhandlungen, die sich allein mit den Themen Neuwahlen, Neubesetzung der staatlichen Gewalten und Amnestiefragen beschäftigen, die Probleme Venezuelas über eine kurzfristige Befriedung hinaus auch nicht lösen. »Nötig wäre es«, so der Journalist Tobias Lambert, »weitere Themen wie die Überwindung der Wirtschaftskrise, die zukünftige Sozialpolitik oder die Anerkennung eines demokratischen Rahmens für ein friedliches Zusammenleben mit einzubeziehen.«[8] Die Venezolaner*innen müssen selbst über ihre Zukunft entscheiden.

[1] Bei seiner Selbstinthronisierung hatte sich Guaidó auf Artikel 233 der Verfassung bezogen, der die dauerhafte Abwesenheit des Staatspräsidenten in Fällen wie Tod, Krankheit oder Abberufung durch ein Referendum behandelt. Doch diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
[2] Vgl. Redaktion Sozialismus: Verfall und Niedergang eines »sozialistischen« Rentier-Staates. SozialismusAktuell.de 30.1.2019.
[3] Jan Korte (LINKE) bezweifelte in der Aktuellen Stunde im Bundestag zum Thema »Entwicklungen in Venezuela – schnellstmögliche Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit«, dass es der GroKo tatsächlich um die Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaat gehe. Denn dann müsse sie auch »gegen die Machthaber in Saudi-Arabien, Ägypten und der Türkei vorgehen«.
[4] Die USA betrachten Lateinamerika als ihren »Hinterhof«, seit US-Präsident James Monroe 1823 den Anspruch auf die Vorherrschaft auf dem amerikanischen Kontinent verkündete – damals in offener Konkurrenz zu den europäischen Kolonialmächten. Seither greift die US-Administration offen oder verdeckt mit Hilfe der CIA in die inneren Angelegenheiten der lateinamerikanischen Nachbarländer ein, mit Finanzmitteln oder militärischen Aktionen in Ländern wie Guatemala, Kuba, Chile bis Nicaragua.
[5] Im Laufe des Iran-Contra-Skandals, bei dem es um die heimliche Finanzierung von Todesschwadronen in Nicaragua ging, wurde Abrams wegen Meineids verurteilt.
[6] Laut New York Times »rief Herr Pence Herrn Guaidó an und sagte ihm, dass die Vereinigten Staaten ihn unterstützen würden, wenn er die Präsidentschaft übernehmen würde« (26.1.2019).
[7] Die russische Erdölindustrie, allen voran Rosneft, ist eng mit dem staatlichen venezolanischen Erdölkonzern PdVSA verbunden. China hat über die letzten Jahre hinweg Kredite von bis zu 60 Milliarden US-Dollar nach Caracas überwiesen. Für diese Investitionen sind beide Großmächte bereit zu kämpfen.
[8] Tobias Lambert: Zwei Präsidenten, keine Lösungen, Rosa Luxemburg Stiftung, 29.1.2019.

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