15. Januar 2024 Björn Radke: Aktionswoche der Landwirte

»Der Mittelstand steht hier!«

Bis zum Mittag waren bei der heutigen Demonstration in Berlin laut Polizei mehr als 6.000 Fahrzeugen vor Ort. Zu Beginn der Kundgebung sprach der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied: »Wir stehen zu einer stabilen Demokratie. Dazu gehört die sichere Versorgung mit Lebensmitteln.«

Rukwied begrüßte die über 30.000 Teilnehmer*innen und kündigte weitere Proteste an, wenn man nicht auf die Forderungen der Landwirt*innen eingeht: »Ziehen sie die Streichungspläne zurück, dann ziehen wir uns zurück. […] Gleichwohl nehmen wir das Angebot zum Bürokratieabbau gerne an.«

Für die Zukunft Deutschlands bräuchte es stabile ländliche Räume. »Die jungen Landwirte verstehen ihr Handwerk!« Ohne Landwirtschaft hätte Deutschland keine Zukunft. »Wir wollen eine faire Lösung!« Er forderte zugleich, die deutsche Landwirtschaft endlich vor anderen Ausgaben zu priorisieren, und kritisierte scharf, dass die Regierung die Verabredungen der ZKL (Zukunftskommission Landwirtschaft) nicht umgesetzt habe.

Es folgen noch Solidaritätsnoten etwa der Dehoga, des Deutschen Landfrauenverbandes, der Arbeitsgemeinschaft der Waldeigentümer und des Deutschen Jagdverbandes sowie ein Vertreter des Bäckerei-Handwerks. Für den DBV-Vorsitzenden stand damit zweifelsfrei fest: »Der Mittelstand steht hier!«

Als letzter Redner zollte Finanzminister Christian Lindner (FDP) unter Buhrufen den Landwirten Respekt »der ganzen Gesellschaft. Wir brauchen eine Agrarpolitik, die den Landwirten vertraut«. Aber leider könne er nicht mehr staatliche Hilfen aus dem Bundeshaushalt versprechen.

Bereits seit Sonnabend hatten sich tausende Landwirte mit ihren Traktoren in Berlin versammelt, der Aufmarsch und die Kundgebung heute sind der Höhepunkt der vergangenen Aktionswoche. Die Bundesregierung hatte Mitte Dezember angekündigt, die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen und die Subventionierung von Agrardiesel zu streichen. Angesichts massiver Proteste nahm sie das Ende der Kfz-Steuerbefreiung Anfang des Jahres wieder zurück und streckte die Streichung der Agrardiesel-Vergünstigungen in mehreren Schritten bis 2026.

Dies reicht den Landwirten nicht: Seit dem 8. Januar kam es in allen Teilen der Republik zu Demonstrationen mit Traktorkorsos, Blockaden und Kundgebungen. Anders als bei den großen Protestaktionen im Herbst des Jahres 2019 haben sich aktuell auch Spediteure und Handwerker dem Protest angeschlossen. Schon im Vorfeld wurde deutlich, dass die Kritik an der Streichung der Subventionen für Agrardiesel und Kfz-Steuer zunehmend übertönt wurde von der pauschalen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung.

Zugenommen hat in den Demonstrationen das Erscheinungsbild von rechtsradikalen Symbolen: Von an Galgen aufgehängten Ampeln bis hin zu den Symbolen der völkischen Landvolkbewegung aus den 1920er-Jahren. DBV-Verbandspräsident Rukwied grenzt sich zwar von Rechtsextremen und Umsturzfantasien ab, doch heizt er zugleich die Stimmung weiter an. Gerade wurde er in der »Bild«-Zeitung mit dem Spruch zitiert, die Regierung werde von Menschen beraten, die »noch nie gearbeitet, noch nie geschwitzt« hätten. Die AfD heuchelt sich derweil an die Landwirte heran, weil sie sich gegen die Regierung stellen – verschweigt zugleich, ihr Grundsatzprogramm den Abbau von Subventionen vorsieht.

Allein in Schleswig-Holstein nahmen die Aktionen an Teilnehmer*innen und Traktoren zu. Schon am Freitag waren mehr als 3.000 Fahrzeuge für eine Großkundgebung in die Landeshauptstadt Kiel gefahren. Einen Tag später war der Andrang Protestierender in Hohenlockstedt fast doppelt so groß. Die Veranstalter vom Verein »Land schafft Verbindung« sprechen von »weit über 6.000 Fahrzeugen«, die auf dem Flugplatz Hungriger Wolf zusammenkamen – die Polizei zählte und 5.000.

Unter ihnen sind nicht nur Landwirte, auch bei Spediteuren, Handwerkern, Gastronomen oder Fischern sitzt der Frust über die Ampel-Sparpläne mittlerweile tief. Man brauche Planbarkeit und Verlässlichkeit, so der durchgängige Tenor. Der Neumünsteraner Unternehmensverband Logistik, Sprachrohr von rund 500 Speditionen mit 10.000 Mitarbeitern im Transitland Schleswig-Holstein, kämpft gegen die steigende Lkw-Maut und die zum Jahreswechsel erhöhte CO2-Bepreisung der Kraftstoffe. Das schleswig-holsteinische Hotel- und Gaststättengewerbe mit seinen zuletzt 5.200 Betrieben und 80.000 Beschäftigten wehrt sich gegen die gerade gestrichene Umsatzsteuervergünstigung von 19 auf 7% aus der Corona-Zeit.


Die Probleme sind seit Jahren bekannt

Bereits vor wenigen Jahren war es in Europa zu massiven Protesten der Landwirte gekommen. In der Bundesrepublik bildeten sich Bündnisse und Initiativen, die auf dem Höhepunkt der Protestaktionen am 26. November 2019 in Berlin mit bis zu 40.000 Teilnehmern, 8.600 Treckern hatten das Zentrum der Hauptstadt lahmgelegt. Ihr Protest richtete sich u.a. gegen verschärfte Regeln zum Umweltschutz. Die Landwirte sahen sich in ihrer Existenz gefährdet.

Diese bis dahin nicht gekannte Breite der Proteste war die Reaktion auf eine sich krisenhaft entwickelnde Landwirtschaft, der die Gro-Ko-Regierung von Kanzlerin Angela Merkel nach Wahrnehmung der Protestierenden nicht genügend entgegentrat. Dabei stand auch die Förderpolitik der EU in der Kritik: Die Exportorientierung der Wirtschaft setzte darauf, dass sie immer mehr zu immer kleineren Preisen produzieren.

Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Die zusätzlichen Krisen Pandemie, Inflation, der Krieg in der Ukraine, aber auch die immer deutlicher werdenden Folgen des Klimawandels haben die Unsicherheit nicht nur der Beschäftigten in der Landwirtschaft verstärkt, sondern weitere Teile der Gesellschaft.

Die von der Bundesregierung 2023 beschlossene Abschaffung der Steuererleichterung für Agrardiesel trifft die Bauern direkt. Denn es gibt keine Alternativen, da Fahrzeuge und Maschinen mit Biokraftstoff oder gar-E-Maschinen nicht zur Verfügung stehen oder keinen Ausgleich darstellen. Wie groß die Einbußen durch die beschlossenen Kürzungen sind, hängt stark von Betriebsart und Betriebsgröße ab.

Laut Bundesregierung erhielten die deutschen Bauern zuletzt im Schnitt Agrardieselbeihilfe von 2.900 Euro im Jahr pro Unternehmen. Laut EU-Kommission erhielten 2019 deutsche Höfe im Schnitt 22.845 Euro, polnische aber nur 3.264 Euro. In Dänemark hingegen erhielten die Bauern durchschnittlich 28.120 Euro pro Hof. Die geplanten Kürzungen treffen die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen überproportional. Allerdings treibt nicht die wirtschaftliche Not die Bauern auf die Straße, sondern das Empfinden, dass es ungerecht ist, wenn bei einer Branche richtig zugepackt wird, und andere verschont werden.

Tatsächlich geht die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland seit Jahrzehnten zurück. Waren es 1991 noch mehr als 640.000, wurden bei der letzten Erhebung 2020 nur noch gut 263.000 gezählt. Aufgegeben haben vor allem kleine Betriebe, andere wachsen dafür. Die Subventionspolitik der EU unterstützt diesen Prozess zusätzlich. Bauern erhalten Flächenprämien, wer mehr Hektar hat, erhält auch mehr Zahlungen.

Vor der Kundgebung in Berlin waren die Fronten klar: Die Bauernverbände halten an ihrer Forderung nach einer kompletten Rücknahme der Subventionskürzungen fest. »Faule Kompromisse beim Agrardiesel werden wir nicht akzeptieren«, sagte Bauernpräsident Rukwied der »Rheinischen Post«. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte mit Blick auf die teilweise Rücknahme von Kürzungen erklärt, die Regierung habe sich die Argumente der Landwirte »zu Herzen« genommen: »Außerdem geht es darum, was wir noch tun können, damit die Landwirtschaft eine gute Zukunft hat. Auch darüber sprechen wir miteinander. Auch dazu suchen wir gemeinsam Lösungen. Es geht ja auch um faire Preise, um die Macht des Lebensmittelhandels, um Bodenspekulationen und um die Folgen des Klimawandels.«

Hinzu fügte der Kanzler. »Wenn jede Subvention auf ewig bestehen bleibt, wenn wir alle zu 100% auf unserem Standpunkt beharren, wenn wir alles so machen wie immer – dann kommen wir auch nicht voran. […] Geht es bei all den aktuellen Protesten wirklich allein um den Agrar-Diesel oder den Abbau von Subventionen? Ich denke, Krisen und Konflikte sorgen insgesamt für Verunsicherung. Viele treibt die Sorge um: Was kommt als Nächstes – was bringt die Zukunft für mich? All das sorgt dafür, dass einige das auch laut zum Ausdruck bringen.«

Die Oppositionsparteien CDU/CSU stellen sich vollständig hinter die Forderungen der Landwirte. Sowohl Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn forderten eine vollständige Rücknahme der Subventionskürzungen. Söder nannte diese im Deutschlandfunk einen »einseitigen, dauerhaften Angriff auf die Landwirtschaft«. Spahn pochte auf eine Rücknahme noch vor dem Gespräch mit den Fraktionsspitzen der Ampel und forderte einen »parteiübergreifend vereinbarten Landwirtschaftsfrieden«. Wenn allerdings eine Partei in Deutschland für den aktuellen Zustand der Landwirtschaft verantwortlich gemacht werden kann, dann ist es die Union – und insbesondere die CSU, die 31 Jahre lang den Landwirtschaftsminister stellte.


Die Ampel macht keine gute Figur

Finanzminister Lindner hatte noch am Vortag der heutigen Kundgebung, auf der er sich den Demonstranten stellte, erklärt, zur Sanierung der Staatsfinanzen müssten »alle ihren Beitrag leisten«. Der Agrarsektor erhalte »jährlich Subventionen von gut neun Milliarden Euro aus Brüssel und Berlin. Es fallen 2025 jetzt weniger als dreihundert Millionen weg. Wir reden also von rund 3%.« In Aussicht stellte er den Landwirten einen verstärkten Abbau von bürokratischen Lasten, damit »der wirtschaftliche Erfolg durch weniger Regulierung insgesamt verbessert werden kann.«

Ob diese Ansagen angesichts der verhärteten Position der Landwirtschaftsverbände zur Beruhigung der Lage beitragen kann, ist zweifelhaft. Zumal die bisherige Kommunikationsstrategie der Ampel wieder einmal als desaströs zu bezeichnen ist. Das nötigte selbst den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu der Aussage: »Ich finde es in der augenblicklichen Situation dringend notwendig, dass persönliche Gespräche stattfinden«, Proteste seien legitim. »Aber Sprachlosigkeit zwischen der Bundesregierung und den Bauern schadet allen Beteiligten.«

Selbstkritisch stellt auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) fest: »Wir haben in der Ampelregierung viel Gutes bewirkt. Wenn die Leute das so nicht wahrnehmen, liegt das zu 90% an uns. […] Es wäre besser gewesen, die Sparbeschlüsse noch vor Weihnachten zurückzunehmen.« Er selbst habe »vor dieser Situation [...] immer gewarnt, […] Wenn man solche Korrekturen zu spät vornimmt, ist es immer zu wenig.« Ihm komme es darauf an, »dass wir den Landwirten eine positive Perspektive und Planungssicherheit geben« und forderte: »Wir alle wollen Umwelt und Artenvielfalt schützen und dass es den Tieren bessergeht […] Aber das muss sich eben auch für den Landwirt rechnen.«

Zur Debatte um klimaschädliche Subventionen sagte Özdemir, die Landwirtschaft habe ihre Klimaschutzziele erreicht, anders als der Verkehrs- oder Gebäudesektor. Die schweren Fahrzeuge seien dabei allerdings am schwierigsten zu dekarbonisieren.

Nach Abschluss der Kundgebung haben die Vorsitzenden der Bundestags-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP die Spitzen der Landwirtschaftsverbände zu einem Gespräch eingeladen. Bauernpräsident Rukwied betonte gegenüber dpa: »Wir gehen davon aus, dass sie sich der Brisanz des Themas bewusst sind und wir ernsthafte Vorschläge dazu erhalten werden.« Es könne zunächst nur um den Agrardiesel gehen, und man setze darauf, dass die Fraktionsvorsitzenden dazu eine Lösung vorlegen.


Unterschiedliche Akzente der Bauernvorganisationen

Eine ökologische Transformation gegen den Widerstand von mittelständischen Branchen wird nicht erfolgreich sein können. Es wird sich zeigen, ob es bei der Meinungsführerschaft des Deutschen Bauernverbands bleibt. Denn auch wenn das Bündnis »Wir haben es satt!« die geplante Streichung der Agrardieselbeihilfe, der Kfz-Steuerbefreiung und eine jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik ebenfalls kritisiert, weist dieses Bündnis zugleich auf grundsätzliche gesellschaftliche Probleme hin.

In seinem Aufruf zu einer Demonstration am 20. Januar während der »Grünen Woche« in Berlin betont das Bündnis, ein weiter so in der Landwirtschaft sei keine Option. »Die Ampelregierung muss den agrarpolitischen Stillstand der letzten Jahrzehnte beenden und die Agrarwende endlich konkret angehen. Wir erwarten von der Politik konsequente Antworten auf das Höfe- und Artensterben, die Klimakrise und den Hunger in der Welt. Die Regierung muss die Bäuer*innen endlich unterstützen, im Sinne der Gesellschaft zu wirtschaften, und in den gesellschaftlichen Zusammenhalt investieren!«

Eine weitergehende Zusammenarbeit beider Strömungen innerhalb der der gegenwärtigen Protestbewegung ist trotz des mächtigen Widerstands gegen die Agrarpolitik nicht in Sicht. Und ein größerer Handlungsspielraum für die Regierung zur Veränderung der agrarischen Strukturen ist auch mit Blick auf die EU-Strukturen nicht erkennbar. Dennoch ist die Vertagung eines Reformansatzes auf den Sankt Nimmerleinstag keine Alternative.

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