30. März 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Das Sondergutachten des Sachverständigenrats

Der Optimismus der Wirtschaftsweisen

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Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat jetzt in einem Sondergutachten der These zugestimmt, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2020 deutlich schrumpfen wird. Wie schlimm es genau kommt, sei allerdings derzeit wegen großer Unsicherheiten noch unklar.

»Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung dürfte sein, ob es gelingt, die Ausbreitung des Corona-Virus effektiv zu bekämpfen, sodass die verschiedenen Einschränkungen sozialer und wirtschaftlicher Aktivitäten schnell aufgehoben werden können«, schreiben die Ökonomen in ihrem Gutachten.

Der Sachverständigenrat geht von drei möglichen Szenarien aus. »In allen drei Szenarien beendet die Ausbreitung des Corona-Virus die sich abzeichnende konjunkturelle Erholung abrupt, sodass eine Rezession im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland nicht zu vermeiden sein wird.« Als derzeit wahrscheinlichste Entwicklung sehen die Ökonomen des SVR eine Normalisierung der wirtschaftlichen Lage über den Sommer, so dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) unter dem Strich in diesem Jahr um 2,8% schrumpft. Zum Vergleich: 2009 war die größte europäische Volkswirtschaft infolge der globalen Finanzkrise um 5,7% eingebrochen.

Bei großflächigen Produktionsstilllegungen oder länger andauernden gesundheitspolitischen Maßnahmen könnte der gesellschaftliche »lock down« auch zu einem stärkeren Rückgang führen, so dass für 2020 mit einem BIP-Wachstum von –5,4% gerechnet werden müsse. Dass der Sachverständigenrat auch von einer deutlichen Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Leistung ausgeht, ist ein sicherlich Beitrag zur Klärung der gesellschaftlichen Diskussion, auch wenn dessen Mitglied Volker einräumt: »Seit März ist damit zu rechnen, dass es nach unten geht. Es gibt aber noch kaum Daten dafür. Wir haben Hochrechnungen gemacht und angesichts der unsicheren Datenlage drei Szenarien entwickelt.«

Demgegenüber hat wohl das Münchener Ifo-Institut die überzeugendste Anbindung an die empirischen Daten. Es hat Unternehmen zu ihren Erwartungen befragt. Dessen Präsident Clemens Fuest erwartet, das Virus könnte mehr als eine halbe Bio. Euro und mehr als eine Mio. Jobs kosten. Die Kosten würden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt sei. Je nach Szenario werde die Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte schrumpfen. Aber auch für Fuest ist wegen der unklaren Lage eine genaue Prognose schwierig.

Das Basisszenario des Sachverständigenrats basiert auf der Annahme eines Shutdown von fünf Wochen, danach würden drei Wochen Exit und Erholung folgen. Im Gegensatz zur Finanzkrise wäre also keine große Umstrukturierung nötig, sondern Produktion und Konsum würden rasch wieder aufgenommen, was zum prognostizierten Rückgang des BIP um nur 2,8% führe. Der Jahreswert fiele damit weniger negativ aus als bei der großen Rezession 2009.

Vor dem Hintergrund eines zeitlich begrenzten lock down von fünf Wochen und drei Wochen Erholung erklärt sich die Betonung des SVR auf einer frühzeitigen Planung der Ausstiegstrategie. Wieland argumentiert: »Man kann die Wirtschaft und das Leben der Bürger nicht unbegrenzt auf Stopp setzen. Man muss Wege finden, damit die Menschen wieder zur Arbeit gehen können, wenn auch zunächst noch mit Restriktionen. Das ist vielleicht nicht im Hauruckverfahren möglich, aber man kann beobachten, wie das andere Länder machen und welche Strategien erfolgreich sind. Hat man die Ausstiegsstrategie, muss man sie auch kommunizieren, damit sich die Unternehmen darauf einstellen können. Sonst überlegen sie sich irgendwann, ob sie nicht doch lieber in die Insolvenz gehen sollen, statt immer mehr Kredite aufzunehmen.«

Noch ist die Forderung nach einer Ausstiegsstrategie ohne empirisches Fundament. Es ist nicht absehbar, dass Deutschland die Pandemie in fünf Wochen unter Kontrolle bekommt, was deutlich kürzer wäre, als der entsprechende Verlauf der Epidemie in der VR China.

Der Vorsitzende der »Wirtschaftsweisen«, Lars Feld, hatte bereits vor der Veröffentlichung des Sondergutachtens nach Beratungen mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gesagt, der Rat rechne damit, dass es in diesem Jahr nicht ganz so schlimm kommen werde wie von Instituten – insbesondere der -7,2 bis 20,6% vom Ifo-Instituts – prognostiziert. Altmaier hatte klar gemacht, es müsse das Ziel sein, eine dauerhafte Krise zu verhindern. Die Bundesregierung habe mit den Hilfspaketen den ersten Schritt getan, um die wirtschaftlichen Folgen abzufedern. Es müssten aber weitere Schritte ergriffen werden, die Deutschland aus der Krise führten.

Es gehe darum, die Perspektive eines neuen Aufschwungs nach der Corona-Krise nicht aus den Augen zu verlieren und Wachstumskräfte zu entfalten – wenn die Zahl der Infektionen zurückgehe, Einschränkungen im öffentlichen Leben zurückgefahren werden könnten und Unternehmen wieder normal produzieren könnten.

Keine Frage: Um die Konjunktur wieder anzukurbeln, sind verschiedene Programme unverzichtbar. In der Debatte sind neben einer Reform der Unternehmenssteuern ein Vorziehen der Soli-Teilabschaffung, eine Senkung der Mehrwertsteuer und mehr öffentliche Investitionen – aber auch unkonventionelle Maßnahmen wie Konsumschecks für die Verbraucher*innen.

Auch wenn Lars Feld mit der Einschätzung sicherlich Recht hat, dass »eine klar kommunizierte Normalisierungsstrategie die Erwartungen der Unternehmen und Haushalte stabilisieren und die Unsicherheit verringern« und damit die Politik »die Rückführung der einschränkenden, gesundheitspolitischen Maßnahmen offenlegen« könnte, wird man den Eindruck nicht los, dass der Sachverständigenrat ohne genauere Auswertung der Krisenverläufe in der VR China oder Südkorea ungeduldig auf eine Ausstiegsstrategie drängt.

Übersehen wird allerdings, dass es im alltäglichen Kampf um die Kontrolle der Pandemie reichlich ungelöste Problemfelder gibt – angefangen von der Versorgung mit medizinischem Material über den Einsatz des Pflegepersonals bis hin zur Bereitstellung der Versorgung mit Intensivmedizin. Die Betonung der Ausstiegsstrategie basiert eher auf einer Wunschvorstellung und nicht auf einer Auseinandersetzung mit den realexistierenden Krisenbedingungen.

Richtig bleibt: Entscheidend für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in diesem und im nächsten Jahr wird sein, ob es gelingt, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen, »sodass die verschiedenen Einschränkungen sozialer und wirtschaftlicher Aktivitäten schnell aufgehoben werden können«.

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