25. Dezember 2019 Joachim Bischoff: Trumps Kampfansage gegen den »Sozialismus«

Der rechte Nationalkonservatismus

Das Repräsentantenhaus hat am vergangenen Mittwoch die Eröffnung des Amtsenthebungsverfahrens (Impeachment) gegen den US-Präsidenten mit der Mehrheit der Demokraten beschlossen. Donald Trump wird angeklagt, dass er sein mächtiges Amt für persönliche Zwecke missbraucht und den amerikanischen Kongress zudem bei seiner Arbeit behindert habe.

Das eigentliche Verfahren findet im Senat statt, der anderen Kammer des US-Parlaments. Trump kann wegen der Mehrheit der Republikaner im Senat darauf bauen, dass eine Amtsenthebung scheitern wird. Noch ist unklar, wann das Verfahren in den Senat eingebracht wird. Für Aufsehen sorgt, dass die Sprecherin des Repräsentatenhauses Nancy Pelosi die »articles of impeachment« nicht gleich an den Senat übermitteln will, sondern zunächst abwarten wird, wie das Prozedere in der von den Republikanern dominierten Kammer ausgestaltet werde. Derzeit sehe dieses nicht fair aus, begründete sie dies.


Impeachment-Erfolg sehr unwahrscheinlich

Der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hatte zuvor erklärt, sich eng mit dem Rechtsberater des Weißen Hauses abstimmen zu wollen. Er lehnt es zudem ab, von den Demokraten gewünschte Zeugen vorzuladen. Er ließ sogar offen, ob es überhaupt zu Anhörungen kommen werde. Die Überlegungen könnten den für Januar vorgesehenen Prozess im Senat verzögern. So gerechtfertigt die Impeachment-Anklage gegen Donald Trump für zahlreiche US-Medien scheint, so einig sind sich die Zeitungen in Amerika und Europa auch darüber, dass das Verfahren sehr wahrscheinlich scheitern wird.

Donald Trump ist erst der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, der sich einem Amtsenthebungsverfahren im Senat stellen muss. Die 100 Senatoren müssen in einer Art Gerichtsverfahren entscheiden, ob er von den Vorwürfen freigesprochen oder des Amtes enthoben wird. Da die Republikaner mit 53 Senatoren die Mehrheit in der Kammer stellen, gilt letzteres als unwahrscheinlich, zumal für eine Amtsenthebung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich wäre.

Die Vorwürfe gegen Trump lauten auf Machtmissbrauch und Behinderung der Ermittlungen des Kongresses in der Ukraine-Affäre. Der Präsident soll – so der Vorwurf der Demokraten – den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Ermittlungen gegen seinen Rivalen Joe Biden gedrängt zu haben, um die US-Wahl 2020 zu beeinflussen. Sie sehen es als erwiesen an, dass Trump von der Ankündigung solcher Ermittlungen ein Treffen mit Selenskyj im Weißen Haus und die Freigabe von Militärhilfe für die Ukraine abhängig gemacht habe. Das werten sie als Amtsmissbrauch. Sie werfen ihm außerdem vor, die Ermittlungen des Repräsentantenhauses dazu behindert zu haben.

US-Präsident Donald Trump weist die Vorwürfe zurück, kritisiert das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn scharf und wirft im gleichen Atemzug den oppositionellen Demokraten vor, den Sozialismus in Amerika einführen zu wollen. Das Verfahren sei ohne jegliche Grundlage, sagte er vor einer ultrakonservativen Studentenvereinigung in West Palm Beach in Florida, und würde in letzter Konsequenz das Land zerstören: »Wir sind in einem Überlebenskampf dieser Nation … Zusammen werden wir uns gegen Sozialisten erheben, wir werden unsere Nation verteidigen, die großartigste und wunderbarste Republik in der Geschichte der Welt... Amerika wird niemals ein sozialistisches Land sein … Die Demokratische Partei versucht, unsere Verfassung zu schreddern, unsere Geschichte zu zerstören und die Grenzen unserer Nation auszuradieren.« Trump warnte die Amerikaner davor, sich einem »wütenden Mob des linken Flügels« hinzugeben.


Was steckt hinter der Warnung vor dem »Sozialismus«

Dass Trump seit Monaten immer wieder vor dem »Sozialismus« warnt, hat damit zu tun, dass mit dem Reizwort eine ältere und konservativere Bevölkerung mobilisiert werden kann, und aus dieser Wählerschicht rekrutiert er die meisten Unterstützer. Konservative Kreise in den USA vertreten die Position, ein Land wie Dänemark sei eine sozialistische Hochburg – auch wenn es laut einer Untersuchung dort inzwischen eher möglich ist, den amerikanischen Traum vom Aufstieg aus eigener Kraft zu verwirklichen, als im eigenen Land.

Was so die Konservativen in den USA als Sozialismus etikettieren, die als politische Konzeption vermeintlich beim linken Flügel der Demokraten verankert ist, entspricht in Europa einer links ausgerichteten Sozialdemokratie. Insofern ist erklärbar, dass laut Meinungsforschern von Gallup unter den jüngeren Amerikanern die Zustimmung zum Sozialismus gegenwärtig größer ist als jene zum Kapitalismus.

Der Kapitalismus hat in dieser Altersgruppe seinen Glanz verloren, die Zustimmungsrate brach von 68 auf 45% ein. Die Älteren sind skeptischer oder kritischer gegenüber dem Sozialismus, weil sie eine stärkere Erinnerung an die Systemkonfrontation und die Defekte des Staatssozialismus haben. Aber selbst unter ihnen wird die Zustimmung zum Kapitalismus brüchig. Das beunruhigt vor allem jene, die den Kapitalismus als unverzichtbare Grundlage für eine freiheitliche Gesellschaft ansehen.

Nicht nur junge Amerikaner fühlen sich in einer Sackgasse, aus der ihnen das gegenwärtige System keinen Ausweg eröffnet. Die Globalisierung – so der »Economist« – habe zwar die Welt als Ganzes reicher gemacht, aber einen wesentlichen Teil der Bevölkerung in den Industriestaaten ihrer Perspektiven beraubt. Und diese Entwicklung hat die Polarisierung in den entwickelten kapitalistischen Ländern zwischen der reichen Eilte und der große Masse der Eigentumslosen befördert, deshalb die gesellschaftspolitische Sehnsucht nach einer gerechten Alternative.

Sozialismus verstanden als massive Einschränkung der Macht der Unternehmen und Wohlhabenden, ergänzt durch einen großen Sektor einer öffentlichen, gemeinnützigen öffentlichen Infrastruktur oder gar die Renaissance einer Version von Planwirtschaft ist aber nicht die politische Programmatik des linken Flügels der Demokraten (Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez oder Elizabeth Warren). Eine so radikale Systemkorrektur ist in Amerika nicht mehrheitsfähig.


Provokation und Fake News als Konzept

Aber wie bei allen politischen Erzählungen mit »Untoten« geht es auch bei der angeblichen Renaissance des Sozialismus nicht darum, für was die Angegriffenen wirklich stehen. Provokante Thesen wollen nicht erklärt werden, sie sollen Koalitionen schmieden, mit denen Wahlen gewonnen werden. Und gerade Donald Trump zeichnet sich dadurch aus, in der Kommunikation Überspitzung und polemische Abgrenzung zu praktizieren, wofür die Schimäre »Sozialismus« für gute Dienste leistet. Seit seinem Eintritt in die Politik hat er sehr erfolgreich real existierende Probleme (etwa die illegale Einwanderung) zu einer mächtigen Drohkulisse aufgebauscht.

Der US-Präsident inszeniert alles als Drama, also auch die Kampagne für seine Wiederwahl. Er demonstrierte in der Rede zur Lage der Nation, die er zur Halbzeit seiner Präsidentschaft als Startschuss für die Wahlkampagne nutzte, dass er an seinem Leitmotiv festhalten will: der Bedrohung durch seine eigenen »White Walkers« aus dem Süden. Darum hat er den Kampf um die Mauer, den Schutzwall vor dem Untergang, eskalieren lassen: Das baut Spannung auf und dominiert die Nachrichten.

Trump hat mit beispielloser Konsequenz praktiziert, dass selbst schlechte Werbung immer noch Werbung ist. Früher versorgte er hinter der Maske eines anonymen Mitarbeiters aus seinem eigenen Stab die Boulevardmedien mit tatsächlichen oder erfundenen Skandalen und Skandälchen. Die Absicht der steten Provokation, der unablässige Versuch, die Tagesordnung zu beherrschen, sorgen dafür, dass über jene Themen geredet, spekuliert oder gejammert wird, die Trump in die Debatten wirft. Er weiß aus seiner Fernsehvergangenheit, dass nichts so sehr animiert wie ein schöner Streit. Dann darf man ungestraft übertreiben, lügen und provozieren – in der Hitze des Gefechts kann man schließlich nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Mit seinen Mitarbeitern hat Trump ein feines Sensorium für Themen, die Aufmerksamkeit erregen. Deshalb zögerte er nicht, als die Demokraten in ihrer Suche nach ordnungspolitischen Korrekturen am Kapitalismus programmatische Ansätze bei der europäischen Sozialdemokratie in die politische Kommunikation einspeisten, Bernie Sanders als vermeintlichen Vertreter des sozialistischen Gespensts anzugreifen.

Der demokratische Politiker, der seit 2007 den Bundesstaat Vermont im US-Senat vertritt und 2016 nach einem lange offenen Rennen schließlich Hillary Clinton als demokratischer Präsidentschaftskandidat unterlag, ist erneut im Ausscheidungsrennen bei den Demokraten. Zudem löste im Herbst 2018 die erst 29-jährige New Yorkerin Alexandria Ocasio-Cortez mit Bezug auf linke Positionen eine Popularitätswelle aus, die sie bis ins Repräsentantenhaus trug. Sanders und die Latina aus der Bronx könnten zwar unterschiedlicher nicht sein, aber sie haben eines gemeinsam: Sie haben es geschafft, eine Programmatik wiederzubeleben und mit dem Begriff »Sozialismus« in Verbindung zu bringen, die zuletzt in Amerika nie eine wesentliche Rolle spielte.

Übrigens gilt dies auch anderswo: In Großbritannien ist mit der Erneuerung der Labour Party ist die sozialistische Konzeption wieder als Alternative zum entfesselten, neoliberalen Kapitalismus in die politische Arena zurückgekehrt. Allerdings sind weder Jeremy Corbyn noch Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez gemäßigte moderne Sozialdemokraten, weshalb das bereits erwähnte britische neoliberale Magazin »Economist« unlängst unter dem Titel »Millennial socialism« von einer neuen ordnungspolitischen Herausforderung für die Anhänger des Kapitalismus sprach.

In der Konzeption eines erneuerten demokratischen Sozialismus steckt die Vision oder konkrete Utopie einer fundamentalen Alternative zur kapitalistischen Eigentumslogik, die sich durch die neoliberale Entfesselung (Abbau der sozialstaatlichen Regulierungen und der Entwertung des öffentlichen, gemeinnützigen Wirtschaftens) selbst zunehmend diskreditiert hat. Donald Trump und seine britische Kopie Boris Johnson praktizieren besser als andere, dass Wahlen nicht mit Überzeugungen, konkreten Reformprojekten, Zahlen und Fakten gewonnen werden, sondern in erster Linie mit Emotionen. Sie unterlegen ihre Botschaften vorsätzlich mit Nationalismus, denn Hoffnungslosigkeit macht anfällig für Ausgrenzung, Neid und Rassismus.

Auch eine Politik, die den Kapitalismus erhalten und weiterentwickeln will, müsste sich um jene kümmern, die im System abgehängt wurden und verarmt sind, ansonsten werden die Systeme durch rechtspopulistische, nationalistische Führungsfiguren wie Trump und Johnson repräsentiert. Aber angesichts der unübersehbaren sozialen und ökologischen Widersprüche und Fehlentwicklungen sehen wir eben auch und vor allem verbreitet ein Comeback gesellschaftspolitischer Alternativen, die unter dem Begriff »Sozialismus« realpolitische Inhalte entwickeln und weniger als »realer Sozialismus« negative Assoziationen hervorrufen.

Auf Letztere setzt US-Präsident Trump und benutzt die Unsicherheiten und Ängste vor der weiteren Entwicklung des kapitalistischen Systems für seinen Wahlkampf unter dem Banner, es gelte das Überleben der Nation und die Errungenschaften der Geschichte zu verteidigen. Wähler*innen hören wieder hin, als würde ihnen das Blaue vom nationalistischen Himmel versprochen.


Erfolgreicher Konservatismus = rechter Nationalkonservatismus?

Trump ist keine singuläre Erscheinung im globalisierten Kapitalismus des 21. Jahrhundert: Wir sehen auch anderswo das Ansteigen eines rechtsnationalistischen Sozialkonservatismus gegenüber liberalen Strömungen der gesellschaftlichen Mitte und der verschiedenen Versuche der sozialistischen Transformation der Sozialdemokratie, sowie der linken Flügel der Demokraten. Auch der Sieg der Tories in Großbritannien signalisiert einen Formwandel in der Politik bürgerlicher Parteien. Johnson und Trump rücken die »Nation« wieder in das Zentrum der Politik. Die Formel vom Überlebenskampf der Nation ist bitterer Ernst.

Johnsons Sieg trägt das Etikett »One Nation Toryism« (Eine geeinte Nation unter den Tories) und zielt auf nationalen Zusammenhalt und soziale Sicherheit. Zwar ist sowohl in Britannien wie den USA die Ansage, es gehe um den Überlebenskampf von One Nation verlogen, denn zur Nation gehören weder die Schotten noch die Nordiren oder in den USA die lange Jahre diskriminierten Black People oder andere eingewanderte Minderheiten.

Johnsons Versprechungen, Geld, Geld und nochmals Geld auszugeben – vom Nationalen Gesundheitsdienst über die Infrastruktur im Norden bis hin zu Mindestlöhnen –, haben noch eine andere Seite: Die zuvor gepriesene Austeritätspolitik ist angesichts der realen Problemdimensionen passe – zumindest zunächst. Ob dieser rechtsgestrickte Nationalismus auf Dauer seine soziale Seite behaupten kann, muss sich erst noch in der Realisierung der gleichfalls angekündigten Prosperitätsentwicklung beweisen.

Der Aufstieg des rechten, nationalistischen Konservatismus richtet sich nicht nur gegen die aktuellen Einwanderungsbewegungen, sondern nimmt auch die Marginalisierung der früheren Minoritäten anderer Nationalitäten in Kauf. Es ist faktisch das Ende der »offenen Gesellschaft« und soll neben der Privilegierung der Weißen auch die Konfrontation mit dem erwachten Sozialismus in aller Welt einleiten.

Im Überschwang der Erfolge verkünden die ideologischen Begleiter dieser politischen Umwälzung zugleich eine historische Perspektive des rechten Nationalkonservatismus. Beispielsweise argumentiert Andrew Sullivan im »New York Magazine«: »Boris Johnson hat getan, was kein anderer konservativer Führer im Westen getan hat: Er hat die radikale Rechte eingebunden und damit neutralisiert. Der gegen Einwanderung gerichtete Eifer hat sich beruhigt. Seit Boris das Steuer übernommen hat, ist die reaktionäre Brexit-Partei praktisch kollabiert. Unter Johnsons Führung sind die Tories auch wirtschaftlich und sozial in die Mitte zurückgekehrt. Und das folgt einer Strategie. Was Boris als Alternative anbietet, ist eine Sozialdemokratie der Tories, die in nationalem Stolz wurzelt und mit einer Prise Humor und Unterhaltung dargeboten wird. In mancher Hinsicht ist seine Persönlichkeit Teil dieser Formel. Seine pflaumenweiche Stimme, seine schräge Frisur und seine ständigen Witze sind zutiefst und sogar beruhigend britisch, auch wenn der demografische Wandel das ›Britisch-Sein‹ anscheinend geschwächt hat. Und für den, der immer noch an den Nationalstaat in einer liberalen Demokratie glaubt und Bedenken wegen der unbeabsichtigten Folgen einer neoliberalen Wirtschaft hat, ist er eine so anständige, konservative politische Mischung, wie sie im Westen überhaupt im Angebot sein kann.«

Proklamiert wird ein neuer Konservatismus, der allerdings sich Illusionen über die »geeinte Nation« als auch über die wirtschaftliche Zukunft macht. Gleichwohl liefert Yoram Hazony, ein israelischer Philosoph, Bibelgelehrter und politischer Theoretiker, in seinem 2018 erschienenen Buch »The Virtue of Nationalism« die weltgeschichtliche Perspektive: »Der Nationalismus ist keine unerforschliche politische Krankheit, die ohne gute Gründe und ohne gutes Ende periodisch Länder befällt, wie viele in Amerika und Britannien heutzutage zu glauben scheinen. [Er] ist ein prinzipientreuer Standpunkt, der die Welt am besten regiert sieht, wenn Nationen imstande sind, ihren eigenen unabhängigen Kurs zu bestimmen, ihre eigenen Traditionen zu pflegen und ihre eigenen Interessen ohne Einmischung zu verfolgen. Das steht im Gegensatz zum Imperialismus, der danach strebt, der Welt Frieden und Wohlstand zu bringen, indem er die Menschheit so weit wie möglich unter einer politischen Herrschaft vereint.«

Das impliziert letztlich einen Sieg der Nationalkonservativen auf dem Kontinent, angefangen bei Robert Kurz in Österreich oder bei Matteo Salvini in Italien, dessen Abschied von der Macht voraussichtlich nur vorübergehend sein wird. Am Ende wird man sogar in Frankreich keine Möglichkeiten mehr finden, die Familie Le Pen fernzuhalten. Und hierzulande sind die Unionsparteien krampfhaft bemüht, nationalkonservative Kräfte außen vor zu halten bzw. Debatten über mögliche Koalitionen mit der AfD zu unterbinden.


»Wir müssen etwas tun«

Der Traum von der weltweiten Verteidigung und Stabilisierung der Herrschaft des weißen Mannes mit seinem angeschlagenen kapitalistischen System wird an der Wirklichkeit zerschellen. Weder die Abschottung gegenüber der aus der Ungleichzeitigkeit immer wieder entstehenden Migration noch die konfrontative Abgrenzung gegenüber der Verschiebung von Wertschöpfungsketten in der globalen Ökonomie wird durchgehalten werden können.

Zu Recht argumentierte der US-amerikanische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung bereits im Dezember 2018:[1] Trump »ist genau der Richtige – und in fataler Weise natürlich genau der Falsche. Dieses Improvisieren, dieses Rücksichtslose, die Unverfrorenheit, die totale Ignoranz gegenüber herkömmlichen Standards, das Antielitäre. Das ist unsere Zeit. Trump ist Ausdruck eines historischen Moments. Selbst in den allerblödesten Dingen. Ich meine, er macht in Stahlprotektionismus. Das ist die dümmste Möglichkeit eines Handelskriegs. Aber zumindest registriert er, dass China seit 2000 die Stahlkapazität der Welt verdoppelt hat. Wofür die Welt 200 Jahre gebraucht hat, das machen die in 15 Jahren. Dasselbe beim Aluminium. Das bedeutet natürlich auch einen ungeheuren CO2-Ausstoss. Die Einzigen, die das registrieren, sind die Ökologen. Sie sagen: Genau deshalb haben wir als Menschheit keine Zukunft. Trump ist radikal, eine Radikalität, die den Zentristen abhandengekommen ist. Bloß, Trump antwortet auf unsere radikalen Umstände mit einer radikalen Dummheit. Wir brauchen angesichts der Umstände Radikalität. Aber die entscheidende Frage ist: Wie koppeln wir Radikalität mit Vernunft?

Unter den gegebenen Umständen ist nichts anderes vernünftig. Schauen Sie sich die Demografie Afrikas an. Fast das gesamte Bevölkerungswachstum der Welt der nächsten 50 Jahre wird sich in der Subsahara ereignen. Das sind Gesellschaften ohne funktionierendes Wachstumsmodell, und das in Europas Nachbarschaft. Hunderte Millionen werden in die absolute Armut geboren werden. Die einzige Antwort darauf wird radikal sein. Wir müssen etwas tun. Es ist zutiefst verantwortungslos, wenn demokratische Politiker ihre Wähler nicht auf so etwas vorbereiten. Denn sonst kommt ein Schock nach dem andern, alles nur exogen.«

Anmerkung

[1] »Wer in Milliarden denkt, denkt immer eine Nummer zu klein«, in NZZ vom 13.12.2018; siehe hierzu auch Adam Tooze: Mythen über die Finanzmarktkrise 2008. Über eine vergessene Geschichte und was daraus hätte gelernt werden können, in: Sozialismus.de, Heft 10-2018, S. 2-8; sowie Joachim Bischoff: Zehn Jahre Große Krise. Eine Zwischenbilanz über Narrative und Folgen, in: Ebd., S. 9-13.

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