26. März 2025 Redaktion Sozialismus.de: Die Abgabe ist eine politische Entscheidung

Der Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß

Das Bundesverfassungsgericht hat den Solidaritätszuschlag für weiter verfassungsgemäß erklärt. Sechs FDP-Politiker hatten sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Abgabe an Karlsruhe gewandt. Ein anderes Urteil hätte schwere Folgen für den Bundeshaushalt gehabt und den staatlichen Handlungsspielraum eingeschränkt.

Im lang andauernden Streit um die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags wies das höchste deutsche Gericht die Verfassungsbeschwerde der FDPler als unbegründet zurück. Bis Ende des Jahres 2020 mussten fast alle Bürger*innen und Betriebe in Ost und West den Solidaritätszuschlag zahlen.

Seit 2021 zahlen ihn nur noch Besserverdienende, Unternehmen und Kapitalanleger. Für 90% der Steuerpflichtigen wurde er abgeschafft, für weitere 6,5% zumindest zum Teil. Der volle Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer ist ab einem zu versteuernden Einkommen von rund 114.300 Euro zu zahlen, dies hielten die Klagenden für verfassungswidrig.

Die Verfassungsrichterin Christine Langenfeld sagte bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe, der Bund verzeichne weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten, zusätzlichen Finanzierungsbedarf. Die Erhebung des Solidaritätszuschlages sei auch seit 2020 und in veränderter Form ab 2021 verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber sei deshalb nicht dazu verpflichtet, den Soli abzuschaffen. Das Auslaufen des Solidarpakts Ost sei nicht entscheidend. Eine solche Abgabe dürfe auch sozial gestaffelt werden, führte das Gericht aus. Dass nur noch etwa 10% der Steuerpflichtigen – die am besten Verdienenden – den Zuschlag zahlen müssen, sei damit erlaubt. Ob der Zuschlag weiter erhoben werde, sei eine politische Entscheidung.

Langenfeld verwies darauf, dass eine Ergänzungsabgabe einen finanziellen Mehrbedarf des Bundes zur Erfüllung bestimmter Aufgaben voraussetze. Diese dürfe jedoch nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden. Den Gesetzgeber treffe eine »Beobachtungsobliegenheit«. Eine solche Abgabe könnte verfassungswidrig werden, sobald der zuvor festgestellte Mehrbedarf wegfalle. Das heißt, der Gesetzgeber müsse regelmäßig überprüfen, sollten sich maßgebliche Verhältnisse ändern.


Konsequenzen des Urteils

Das Urteil dürfte auch die Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD zur Bildung einer neuen Bundesregierung beeinflussen. Ein neues Milliardenloch im Etat ist damit vorerst abgewendet. Hätte das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag für rechtswidrig erklärt, hätte der Bund für die Zeit ab 2020 rund 65 Mrd. Euro zurückzahlen müssen. Zudem wären Einnahmen von 12,75 Mrd. Euro im Haushalt 2025 und in Zukunft weggefallen, womit sich für die neue Bundesregierung gleich zum Start und noch in diesem Jahr ein ungeplantes Haushaltsloch von fast 78 Mrd. Euro eröffnet hätte.

Die Unionsparteien hatten im Wahlkampf die Abschaffung des Solidaritätszuschlags als Teil einer Steuersenkung gefordert. Die SPD will für Spitzeneinkommen und die Wirtschaft daran festhalten. Außerdem möchte die SPD auch in den Koalitionsverhandlungen eine Ausweitung der Reichensteuer durchsetzen. Die SPD sperrt sich bislang gegen Steuersenkungen für Unternehmen. Durch das Urteil sieht sie sich nun darin bestätigt, dass der Staat auf die Einnahmen aus dem Steuerzuschlag angewiesen ist. Zudem sehen die Sozialdemokraten diesen für Gutverdiener als einen wichtigen Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit an. »Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass es weiterhin einen Mehrbedarf des Bundes gibt und es auch angemessen ist, den Soli nur noch von den oberen zehn Prozent zu verlangen. Diese zwei Punkte sind wegweisend für die Zukunft«, sagte SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi.

Der inzwischen nurmehr geschäftsführende Bundesfinanzminister Jörg Kukies sagte, das höchste deutsche Gericht bestätige die Rechtsauffassung der Bundesregierung, dass die Erhebung des Soli verfassungsgemäß sei. Damit schaffe es »Klarheit für die Aufstellung des Bundeshaushalts«.


FDP und Wirtschaftsverbände fordern Entlastung für Betriebe und Reiche

Der FDP-Politiker Christian Dürr, der zu den sechs Klägern gehörte, hat nach der Entscheidung milliardenschwere Entlastungen gefordert, Friedrich Merz müsse jetzt handeln. Wer sich ein Schuldenpaket genehmige, müsse auch in der Lage sein, 13 Mrd. Euro jährliche Entlastung umzusetzen. Eine politische Entscheidung sei nun umso notwendiger geworden. Der Soli schwäche den Wirtschaftsstandort.

Auch Wirtschaftsverbände fordern nach dem Urteil Union und SPD in den laufenden Koalitionsverhandlungen zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf. Das Urteil sei ein herber Rückschlag für die Unternehmen, sagte Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Jetzt sei die Politik am Zug. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags gehöre in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung.

Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian, sagte, die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre für Unternehmen ein wichtiges Signal für spürbare Entlastungen. Mit dessen kompletter Abschaffung könnte die neue Bundesregierung ein wichtiges Signal für den Einstieg in eine umfassende Unternehmenssteuerreform setzen. Ähnlich äußerte sich der Maschinenbauverband VDMA.

Der Solidaritätszuschlag ist schon öfter auch vor Gericht beklagt worden. Bereits vor 20 Jahren wurde er mit Hilfe vom Bund der Steuerzahler bis nach Karlsruhe gebracht. Westdeutsche Eheleute sahen darin spätestens seit 2002 eine verfassungswidrige Sondersteuer. Das lehnte der Bundesfinanzhof ab und die Verfassungsbeschwerde dagegen kam nicht zur Entscheidung. Zuletzt bestätigte der Bundesfinanzhof im Januar 2023 den Soli für 2020 und 2021, der Gesetzgeber habe viel Spielraum und könne ihn durchaus auf hohe Einkünfte beschränken. Zwar könne eine Ergänzungsabgabe verfassungswidrig werden, wenn sich für ihre Einführung maßgebliche Verhältnisse änderten. Ein Mehrbedarf des Bundes bei der Bewältigung einer »Generationenaufgabe« könne aber auch für sehr lange Zeit bestehen.


Erster Zweck war nicht der Aufbau Ost

Die als »Soli« bekannte Ergänzungsabgabe wurde 1991 für ein Jahr befristet eingeführt, um einen Teil der Kosten des Golfkriegs zu tragen. Begründet wurde er aber auch mit Mehrbedarf »für die Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südeuropa« und erst an dritter Stelle mit »zusätzlichen Aufgaben in den neuen Bundesländern«. 1995 wurde der Solidaritätszuschlag erneut eingeführt, diesmal unbefristet.

Er wurde von Mitte 1991 bis Ende Juni 1992 erhoben, dann ab 1995 neu mit der Begründung: »Zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands ist ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen unausweichlich.« Bis 1997 lag der Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftssteuer bei 7,5% und seit 1998 bei 5,5% für alle Steuerzahler*innen, auch im Osten. Im Koalitionsvertrag 2018 vereinbarten Union und SPD dann eine Streichung für rund 90%, die 2021 umgesetzt wurde. Aktuell zahlen ihn Kapitalanleger und Gutverdienende, etwa sechs Millionen Menschen und gut 600.000 Unternehmen. Den vollen Satz 2024 zahlte ein Single ab einem Jahreseinkommen von über 100.000 Euro.

Nachdem der Solidarpakt II ausgelaufen und der Länderfinanzausgleich neu geregelt worden war, wurde der Soli aber weiter erhoben – im Jahr 2020 noch von allen Einkommensteuerzahler*innen, anschließend nur noch von einem kleinen Teil zwischen 5% und 10%. Außerdem wird die Abgabe weiterhin auf alle Zahlungen von Kapitalertrag- und von Körperschaftsteuer fällig. Ihr Volumen ist aber weiterhin enorm: Allein im Jahr 2021 flossen daraus insgesamt gut elf Mrd. Euro an den Fiskus.

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, bezeichnete die Annahme des Gerichts, dass der Soli-Zweck fortbestehe, als »Großzügigkeit«, was nicht »unproblematisch« sei, denn der ursprüngliche Mittelbedarf speziell des Bundes wäre »sehr zweifelhaft geworden«.

Gerade die Reduzierung der Ergänzungsabgabe hin zu einer Belastung ausschließlich höherer Einkommen mache deutlich, »dass es dem Gesetzgeber gar nicht mehr um die Erfüllung oder Teilerfüllung des ursprünglich legitimierenden Erhebungszwecks ging«, sagte Papier. Vielmehr sei eine »sozialpolitische Korrektur des allgemeinen Einkommensteuerrechts« zu erkennen, wobei im Grunde eine »spezifische Tarifänderung bei der Einkommensteuer zulasten besserverdienender Personengruppen« eingeführt worden sei.

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