3. August 2023 Jide Osuntokun: Nigeria im Blickpunkt der Konfliktlösung
Der Staatsstreich in Niger
Die Republik Niger ist erneut in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Nicht aus gutem Grund, sondern wegen der politischen Instabilität des Landes, das trotz seiner Gold-, Uran- und Erdölvorkommen nach wie vor sehr arm ist.
Das Land ist traditionell eng mit Nigeria verbunden. Während des nigerianischen Bürgerkriegs war die Republik Niger mit ihrem ersten Präsidenten Hamani Diori das einzige frankophone afrikanische Land, das sich nicht der offenen Feindschaft von General Charles de Gaulle gegenüber der nigerianischen Bundesregierung anschloss.
Das Land folgte eher den gemeinsamen ethnisch-kulturellen Überlieferungen als den kolonialen historischen und wirtschaftlichen Bindungen zu Frankreich. Die ethnischen Gruppen der Hausa, Kanuri und Fulani machen etwa 54 % der nigrischen Bevölkerung aus, wobei die Hausa-Sprache von der einfachen Bevölkerung des Landes wahrscheinlich am häufigsten gesprochen wird.
Es gibt historische Verbindungen zwischen der Bevölkerung Nigers und den großen ethnischen Gruppen Nordnigerias, die in ganz Nigeria politischen Einfluss haben. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die nigerianische Regierung die Eisenbahnlinie nach Niger ausbaut, wenn auch mit Krediten aus China.
Niger ist zusammen mit Nigeria und Kamerun mit den dschihadistischen Aufständen von Boko Haram und ISIS-WA (Islamischer Staat Westafrika) konfrontiert. Neben Boko Haram und ISIS-WA ist Niger in der Wüste im Norden Landes mit einem weiteren Aufstand der Tuareg konfrontiert, die etwa 10% der Bevölkerung ausmachen. Die Gruppe der Songhai ist mit etwa 20% der Bevölkerung eine weitere bedeutende Volksgruppe. Wie in allen afrikanischen Ländern gibt es auch in Niger ethnische Rivalitäten und Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppen, wenngleich der Islam dort der verbindende Kitt ist, der die gesamte Bevölkerung zusammenhält.
Bevor ich auf den Staatsstreich und die damit verbundenen Probleme eingehe, möchte ich kurz die Situation in Niger aus historischer und aktueller Sicht beleuchten.
Der Präsident des Landes, Mohamed Bazoum, wurde in der Nacht des 26. Juli von der Präsidentengarde gestürzt. Seitdem hat eine Regierung unter dem Chef der Präsidentengarde, Generalmajor Omar Tchiani (Tijani), einem Hausa, die Führung des Staates übernommen, während der gewählte Präsident, ein Fulbe, mit seiner Familie im Präsidentenpalast festgehalten wird.
Bazoum gelang es, dem Hausa-Dienst der BBC ein ausführliches Interview zu geben. Darin beschuldigt er die französische Regierung, den Staatsstreich inszeniert zu haben, weil er unter anderem aus dem CFA-Franc, der alle frankophonen Länder Afrikas verbindet, aussteigen wollte, da er darin eine Fortsetzung der kolonialen Beziehungen zu Frankreich sah.
Außerdem wirft Bazoum den Franzosen vor, nicht den Marktpreis für das in Niger geförderte Uran zu zahlen, das für die französische Kernenergie, von der die französische Stromversorgung abhängt, von grundlegender Bedeutung ist. Zum von Frankreich dominierten Erdöl- und Goldbergbau äußert er sich nicht, aber auch darüber ist die Bevölkerung offensichtlich nicht glücklich.
Bazoum deutete auch an, dass die Franzosen wahrscheinlich auch mit den zunehmend engeren Beziehungen zu Nigeria, insbesondere während der Präsidentschaft (2015-2023) von Muhammadu Buhari, unzufrieden waren und warteten, bis dieser aus dem Amt schied, bevor sie den gewählten Präsidenten Bazoum aus dem Amt jagten.
Wenn all diese Anschuldigungen zutreffen, warum nimmt dann das Militärregime eine nationalistische Haltung ein, beschuldigt Frankreich, dem Land seine Bodenschätze zu rauben, verbündet sich mit den antifranzösischen Regierungen in Mali, Burkina Faso und Guinea und fordert den Abzug der 1.500 französischen Truppen im Land, die vermutlich durch die russische Wagner-Gruppe ersetzt werden sollen?
Was die Situation noch mehr zu verwirrt: Die neue Regierung wirft der Regierung von Präsident Bazoum vor, sich nicht ausreichend für den Kampf gegen den Terrorismus engagiert zu haben.
In der Hauptstadt Niamey kam es zu antifranzösischen Demonstrationen und einem Brandanschlag auf die französische Botschaft. Das Gesamtbild ist wirklich unübersichtlich und verwirrend. Die französische Regierung hat eine harte Erklärung abgegeben, dass sie die französischen Interessen im Land schützen wird. Dies könnte bedeuten, dass sie ihre Botschaft und ihre bedeutenden wirtschaftlichen Interessen im Mineraliensektor schützen will.
Zudem soll das US-Oberkommando für Afrika (U.S. Africa Command – AFRICOM) eine von US-Truppen betriebene »Abhörstation« in Niger unterhalten, um offenbar dschihadistische Bewegungen in der Region zu beobachten.
Die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten, der erst vor zwei Jahren an die Macht gekommen war, wurde weltweit scharf verurteilt. Die Vereinten Nationen verurteilten das neue Regime umgehend, und auch die ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft), die Afrikanische Union, die Europäische Union, Frankreich, Deutschland und die USA schlossen sich dieser Verurteilung an.
Die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen sowie die Hilfszahlungen an das neue Regime wurden eingestellt. Die ECOWAS, die sich am 30. Juli zu einem Sondergipfel in Abuja traf, stellte dem Regime ein Ultimatum, innerhalb einer Woche die Macht an Präsident Bazoum zurückzugeben, andernfalls werde man es mit allen Mitteln dazu zwingen.
Nigeria hat derzeit den rotierenden Vorsitz der ECOWAS inne. Es scheint einen unterschwelligen Druck auf Nigeria zu geben, diese Position zu nutzen, um ohne oder mit wenig Vorbereitung militärisch in Niger zu intervenieren. Eine solche Intervention wird mehr oder weniger zu einem innernigerianischen Konflikt führen, mit Folgen für die Sicherheit unserer nördlichen Bundesstaaten, die bereits von Boko Haram und den Aufständen der ISWAP erschüttert werden.
Wir müssen – erstens – alles tun, um nicht in einen Landkrieg in Niger hineingezogen zu werden, der mit Sicherheit auf den Norden Nigerias übergreifen wird. Eine mögliche Beteiligung der Wagner-Gruppe an der Seite des neuen Militärregimes in Niamey könnte große Machtrivalitäten an unsere Nordgrenze bringen. Wir haben genug Sicherheitsprobleme innerhalb unserer Grenzen, die uns dazu zwingen, ausländische Verwicklungen zu vermeiden.
Zweitens könnte jede so genannte militärische Intervention der ECOWAS zu einer Last werden, die Nigeria überlassen wird, wie es während der Babangida/Abacha-Jahre der Fall war, als Liberia und Sierra Leone in den 1980er und 1990er Jahren befriedet wurden. Woher sollen die Soldaten für diesen Sprung ins Ungewisse kommen?
Die einzigen Länder, die in der Vergangenheit Kampftruppen in schwere Konflikte entsandt haben, sind Senegal, Benin, Mali und Nigeria. In einem militärischen Szenario in Niger würde nur Nigeria Truppen und auch Geld zur Verfügung stellen, und das zu einer Zeit, in der das Land fast bankrott ist.
Die beste Option für Nigeria ist es, die Grenzen zu Niger zu schließen. Wir können den Verkauf von Nigers überschüssigem raffiniertem Erdöl, für das das Land nicht genügend Marktkapazitäten hat, nach Nigeria stoppen. Wir können auch den Export von Strom, der in den nigerianischen Wasserkraftwerken an Niger generiert wird, nach Niger unterbrechen. Dieses Wirtschaftsembargo ist, wenn es vollständig durchgesetzt wird, wahrscheinlich wirksamer als jedes andere Mittel. Einflussreiche traditionelle Regenten in Nordnigeria könnten mit dem Regime in Niger in Verbindung treten.
Wenn Ex-Präsident Buhari einverstanden wäre, könnte er als ECOWAS-Gesandter berufen werden, anstatt den tschadischen oder andere afrikanische Staatschefs zu bitten, zwischen ECOWAS und dem nigrischen Regime zu vermitteln. Bei all dem dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass die Republik Niger ein unabhängiges Land ist und wir ihre Souveränität über ihr eigenes Territorium respektieren müssen.
Gute Regierungsführung ist das politische Gegengift zu militärischen Interventionen. Daher müssen wir auch afrikanische Machthaber verurteilen, die ihre Amtszeit über das verfassungsmäßige Ende hinaus verlängern. Wenn wir das nicht tun, werden unseren hohen Anforderungen an moralische Integrität konterkariert.
Im Fall von Niger sollten wir den diplomatischen und wirtschaftlichen Druck maximal ausschöpfen und unsere Bemühungen mit denen befreundeter Länder koordinieren. Wir können es uns nicht leisten, dass ein fremdes Land oder eine fremde Organisation afrikanische Truppen als Kanonenfutter missbraucht.
Es ist wohl auch an der Zeit, dass sich die afrikanischen Staaten von den ausländischen Stützpunkten und Truppen befreien und dass die Menschen in Afrika einen angemessenen Preis für die Bodenschätze, die ihnen gehören, erzielen.
Dem Rest der Welt muss deutlich gemacht werden, dass die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas im Interesse der ganzen Welt liegt und dass dies nur möglich ist, wenn die afrikanischen Länder – anders als heute – von dem global betriebenen Abbau ihrer Bodenschätze maximal profitieren. Staatsstreiche müssen als Ausdruck von Korruption und Unterentwicklung gesehen werden, für die die Länder des entwickelten Nordens in historischer Perspektive die Verantwortung tragen.
Akinjide Idowu Oladepo (Jide) Osuntokun ist Professor (em.) für Geschichte und internationale Beziehungen am College for Humanities der Redeemer’s University in Ede, Bundesstaat Osun, Nigeria. Von 1991 bis 1995 war er Botschafter in Deutschland. Der hier dokumentierte Beitrag erschien zuerst am 3.8.2023 unter dem Titel The coup d’état in Niger: The role of Nigeria in seiner Kolumne in der in Lagos herausgegebenen Tageszeitung The Nation. (Übersetzung: Hinrich Kuhls)