6. März 2017 Otto König / Richard Detje: Von der Willkommenskultur zum Rückkehrmanagement

Die »Abschiebe«-Kanzlerin

»Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt. Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein«, ist auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes zu lesen. Diese Warnung gilt jedoch nicht für afghanische Flüchtlinge, die wegen dieser Gefahren aus ihrem Heimatland geflohen sind.

So begannen Mitte Dezember 2016 die ersten Sammelabschiebungen[1] in das Einsatzgebiet der Bundeswehr, wo deutsche Soldaten die »Freiheit am Hindukusch verteidigen«. Diese inhumanen Sammel-Abschiebungen gehören zu jenen Momenten, in denen das Asylrecht in Deutschland ad absurdum geführt wird. Denn in Afghanistan ist die Lage alles andere als sicher: Laut übereinstimmender Beurteilung der Menschenrechtsorganisationen UNHCR und Amnesty International (AI) hat sich die Situation seit Anfang 2015 deutlich verschlechtert.

Die Flüchtlingspolitik hat sich rapide gewandelt. Statt einer »Willkommenskultur« steht nun die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Fokus des regierungsamtlichen Handelns. Angela Merkel entwickelte sich zur »Abschiebe«-Kanzlerin, die getrieben von den Rechtspopulisten der AfD und dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer Tatkraft demonstrieren will: vom Aufnahmeland zum Abschiebeland.

Im Wahlkampfjahr steht nicht mehr die Empathie für Menschen, die aufgrund von Unterdrückung, Hunger und Todesgefahr aus ihren Heimatländern flüchten mussten, sondern ein funktionierendes »Rückkehrmanagement« im Vordergrund. Das Credo lautet: abschotten und rückführen. Davon, legale Einreisemöglichkeiten zu schaffen, ist keine Rede mehr. Und aus der Bekämpfung von Fluchtursachen ist die Errichtung von Auffanglagern an den südlichen Küsten des Mare Mediterraneum geworden.

Seit Anfang 2015 sind 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland geflüchtet. Davon sind rund 150.000 sogenannte Geduldete, die ausreisepflichtig sind. 2015 wurden 20.888 Flüchtlinge abgeschoben, 2016 waren es schon 25.375 Flüchtlinge. 2017 soll deren Zahl deutlich steigen.

Flüchtlinge werden unter Generalverdacht gestellt, potenzielle »Terroristen«, »Wohlfahrtsflüchtlinge« und »Sozialschmarotzer« zu sein. Dagegen erregt die Tatsache, dass es 2016 in Deutschland mehr als 3.500 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte gegeben hat, davon 2.545 Angriffe auf Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkünfte und 988 Angriffe auf Flüchtlingsheime (im Vorjahr mit 1031) mit 560 verletzten Menschen, unter ihnen 43 Kinder, kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit.[2]

Mit dem im Bundeskabinett beschlossenen »Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« sollen abgelehnte AsylbewerberInnen schneller und leichter abgeschoben werden können. Dazu gehört unter anderem, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) künftig in bestimmten Fällen die Daten von Handys von Asylbewerbern durchsuchen darf, um deren Identität zu klären.[3] Während die Bundesregierung betont, dies geschehe »unter strengen rechtsstaatlichen Voraussetzungen«, erklärte die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) gegenüber netzpolitik.org, ein systematisches Auswerten von Handydaten ohne richterliche Anordnung sei nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Durch das Auslesen von Adressbüchern und Anruflisten wären zudem zahlreiche unbeteiligte Dritte ebenfalls von der Maßnahme betroffen.

Darüber hinaus wird eine »Rechtsgrundlage für überfallartige Abschiebungen« geschaffen. Für Geflüchtete, die über ihre Identität getäuscht oder nicht ausreichend bei der Beschaffung von Ausweispapieren mitgewirkt haben, soll nicht mehr gelten, dass der Widerruf einer Duldung einen Monat vor der Abschiebung angekündigt werden muss. Und Flüchtlinge, von denen eine erhebliche Gefahr ausgeht, sollen leichter in Abschiebehaft genommen oder mittels Fußfessel überwacht werden. Der Abschiebegewahrsam soll von vier auf zehn Tage Dauer verlängert werden.[4]

Die Bundesländer können künftig mit eigenen Gesetzen den Verbleib von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen über die bisher möglichen sechs Monate hinaus verlängern. Dies soll für Asylbewerber »ohne Bleibeperspektive« geschehen, damit man bei einer anstehenden Abschiebung einen besseren Zugriff habe. UNICEF und der »Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge« kritisieren, dass diese Maßnahme insbesondere für Kinder negative Folgen habe, denn Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen sei der reguläre Schulbesuch oft nur schwer oder gar nicht möglich.

Mit finanziellen Anreizen soll eine »freiwillige« Rückkehr gefördert werden. Betroffene sollen umso mehr Geld bekommen, je früher sie sich dafür entscheiden. Bisher wurden den Ausreisewilligen die Reisekosten und eine Unterstützung von 300 bis 500 Euro pro Person gewährt. Auf diesem Wege kehrten im Jahr 2015 rund 37.000 und 2016 etwa 55.000 Menschen in ihre Heimatländer zurück. Seit dem 1. Februar 2017 werden 800 Euro an Personen, die auf Rechtsmittel gegen einen negativen Asylbescheid verzichten, und 1.200 Euro an jene, die ihren Antrag im laufenden Verfahren zurückziehen, im Rahmen des neuen Programms »StarthilfePlus« gezahlt. (GFP, 23.2.2017)

Dass die Zahl abgelehnter Asylanträge steigt, hat jedoch nichts damit zu tun, dass es weniger Kriege, weniger Verfolgung, weniger Elend geben würde. Vielmehr hat es damit etwas zu tun, dass Abschiebungen in Länder wie das Bürgerkriegsland Afghanistan[5] angeordnet und durchgeführt werden, obwohl die Sicherheitslage dies nicht zulässt.

Der Jahresbericht der »United Nations Assistance Mission« (UNAMA) weist darauf hin, dass die Lage in der islamischen Republik immer blutiger wird. Die dortige UN-Mission stellte in ihrem Bericht für 2016 dar, dass 11.418 Zivilisten durch Kriegshandlungen verletzt oder getötet wurden. 61% davon gehen laut UN auf das Konto der Taliban und mit ihnen verbundenen Milizen, 23% wurden von den Regierungskräften bzw. ihnen nahestehenden Milizen verursacht, weitere von westlichen Luftangriffen. Dennoch bescheinigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière den Taliban schon in der Vergangenheit, sie hätten »glaubhaft versichert«, zivile Opfer vermeiden zu wollen.

Auf Stimmungen setzend forciert insbesondere das CSU-regierte Bayern im Wahlkampfjahr die Abschiebungen. Scharfmacher Markus Söder bezeichnete in der Welt am Sonntag in bester AfD-Rhetorik die bisherigen Sammelabschiebungen nach Afghanistan als Witz, denn »es müssten Tausende sein, die abgeschoben werden«, schließlich würden die BürgerInnen nicht verstehen, »warum junge Deutsche Militärdienst in Afghanistan leisteten, afghanische Männer jedoch in Deutschland bleiben.«

Auch das grün-schwarz-geführte Baden-Württemberg sieht keinen Anlass, die Abschiebungen auszusetzen. So musste das Bundesverfassungsgericht in einem aktuellen Fall in letzter Minute eingreifen, um zu verhindern, dass ein Flüchtling »exlex«, also rechtlos wurde.[6] Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz versuchen sich an einem Kompromiss und schieben nur Straftäter oder sogenannte Gefährder ab.

Dagegen hat die Landesregierung in Schleswig-Holstein, wo SPD mit Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband regieren, mit Verweis auf die Berichte von UNHCR einen dreimonatigen Abschiebestopp nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes beschlossen. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) warf Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine »technokratisch-zynische Sicht auf Afghanistan vor«. (SZ 22.2.2017)

»Wir sind nicht bereit, Wahlkampfmanöver der großen Koalition mitzumachen«, begründete Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE), warum Thüringen die Regelungen zur schnelleren Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern ablehnt. Stattdessen forderte er zu Recht mehr Aufmerksamkeit für Altfälle und mehr Integrationsanstrengungen zugunsten jener Menschen, die zwar ohne Bleibeperspektive sind, aber dennoch nicht abgeschoben werden können. (FAZ 10.2.2107)

Statt geflüchtete Menschen wieder in Unterdrückung, Hunger, Armut und Todesgefahr abzuschieben, ist eine Politik notwendig, die auch auf die Behebung der Fluchtursachen setzt. Dazu gehört ein Waffenexportverbot in Krisenländer insbesondere in den Nahen und Mittleren Osten. Gleichzeitig bedarf es einer stärkeren finanziellen Unterstützung der Menschen in Flüchtlingslagern in der geografischen Nähe der Fluchtursachen wie beispielsweise im Libanon und Jordanien.

Europa braucht, wenn wirklich gegen »illegale« Einwanderung angegangen werden soll, alternative legale Zugänge, die rechtsstaatlich organisiert sind, bei denen Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und Einwanderungswillige ihre Anträge stellen können. Dazu gehört auch ein Einwanderungsgesetz in Deutschland, was die Konservativen bisher verhindert haben. Nur so wird Schleppern wirklich das Handwerk gelegt und nur so wird der massenhafte Tod im Mittelmeer gestoppt.

[1] Laut Welt am Sonntag haben 2016 rund 127.000 Afghanen in Deutschland Asyl beantragt. Die Anerkennungsquote liegt bei 60,5%.
[2] Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
[3] In der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion heißt es: Von fast 500.000 Papieren, die 2016 durchs BaMF überprüft wurden, wiesen lediglich 2,6% Fälschungen auf. Diese ließen allerdings keinen Rückschluss darauf zu, in wie vielen Fällen auch eine Täuschung in Bezug auf die Herkunft der Antragsteller vorliegt. Tatsächlich benötigen Flüchtlinge häufig gefälschte Dokumente, um überhaupt aus ihren Herkunftsstaaten herauszukommen.
[4] Bayerns CSU-Staatsregierung plant die zeitliche Begrenzung von Präventivhaft generell aufzuheben. Sogenannte Gefährder sollen künftig für unbegrenzte Zeit in Unterbindungsgewahrsam genommen werden können, wenn ein Richter auf Antrag der Polizei entscheidet, dass dies »unerlässlich« sei, um eine schwere Gefahr für die Allgemeinheit abzuwenden. (TAZ, 1.3.2017)
[5] Selbst das vom Bürgerkrieg zerrüttete Libyen soll künftig Partner für den Rücktransport von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen sein. Für Kanzlerin Merkel und ihren Innenminister de Maizière ist es kein Hindernis, Flüchtlinge dorthin abzuschieben, obwohl es in einem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes heißt: In dem Land kommt es zu »allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen« wie »Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste«.
[6] Das Bundesverfassungsgericht hat im Dezember 2016 eine Abschiebung aus formalen Gründen vorläufig untersagt, da das BaMF sich in dem Verfahren nicht hinreichend mit den neuen Entwicklungen in Afghanistan beschäftigt habe. In der endgültigen Entscheidung muss das Bundesverfassungsgericht nun selbst prüfen, ob Abschiebungen nach Afghanistan gegen die Grundrechte verstoßen, d.h. ob das Leben bei einer Rückkehr bedroht oder ein menschenwürdiges Leben gewährleistet ist. (Der Freitag, 23.2.2017)

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