19. Februar 2024 Bernhard Sander: Eine weitere Parteigründung und der Weg der CDU nach rechts

Die Aussichten der Werteunion

Am Wochenende hat der seit neuestem vom Verfassungsschutz als »rechtsextrem« beobachtete Hans-Georg Maaßen sich zum Vorsitzenden einer neuen Partei mit Namen Werteunion wählen lassen. Die Erfolgsaussichten sind ebenso schwankend wie das Schiff, auf dem der Gründungsparteitag stattfand.

Der gleichnamige Verein hat etwa 4.500 Mitglieder, Tendenz steigend. Rechte CDUler wie Wolfgang Bosbach empfanden nach der Gründung des Vereins im Jahr 2017, dass die Werteunion Positionen vertrete, »die noch vor zehn, 15 Jahren ganz selbstverständlich zum Meinungsspektrum der Union gehört haben«.

Die CDU scheint stabil als mitgliederstärkste Partei mit Umfragewerten konstant um die 30%. Der Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms richtet den Kurs nach rechts aus, während die NRW-Granden Hendrik Wüst und Armin Laschet offenbar den Parteivorsitzenden Friedrich Merz zumindest aktuell von einer Koalitionsoption mit den Grünen überzeugt haben. Die innere Labilität der CDU ist also keineswegs überwunden.

Am 28. Januar 2023 sagte das ehemalige Werteunion-Mitglied Werner J. Patzelt in einem Fernseh-Interview bei »Die Welt« zum Verhältnis zwischen der CDU und der Werteunion: »In Wirklichkeit ist das Anliegen der Werteunion immer nur das gewesen, die CDU von jenem Kurs wieder wegzubringen, der zum Verfall der Attraktivität der Union an den Wahlurnen geführt hat. […] Aber nachdem in der CDU ja ein Richtungsstreit darüber [vorhanden] ist, ob der Kurs, den die langjährige Vorsitzende Angela Merkel energiepolitisch, sicherheitspolitisch, migrationspolitisch gefahren hat, wirklich der Kurs ist, der der Union guttut, da hat sich die Wertunion […] auf der anderen Seite positioniert und nachdem weiterhin die Anhänger der ehemaligen Vorsitzenden Merkel im Grunde die innerparteiliche Stimmung prägen, ist die Werteunion weiterhin ohne Einfluss«. Offenbar hat man im Verein daraus den Schluss gezogen, zur Parteigründung überzugehen.

Das mag mit dem massenhaften Zulauf aus der Mitte der Gesellschaft zu den Anti-AfD-Demonstrationen zu tun haben, die seit Bekanntwerden einer informellen Gesprächsrunde zum Umgang mit der Migration im ganzen Land stattfinden. Sie machen es der CDU schwer, ihr bisheriges Narrativ der Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus durchzuhalten, da sich auch Teile des bürgerlichen Spektrums an diesen Demonstrationen beteiligen, was wiederum den Konservativen gegen den Strich geht.

Wichtiger aber ist, dass die CDU bei ihrer geplanten Rechtswende zu einem Schrittmacher für die extreme Rechte wird. Zwar ist das neue Grundsatzprogramm noch nicht verabschiedet, wohl aber die Heidelberger Erklärung, die rechte Forderungen übernimmt und damit Spielraum für weitergehende Forderungen und bisherig Unsägliches eröffnet, wenn sich die politische Lage und die Debatten im bürgerlich-konservativen Lager zuspitzen. In Frankreich sind Konservative der Republikaner (früher die Partei von Sarkozy, Chirac, de Gaulle) vor allem in Migrations- und Kulturfragen kaum noch von der sozial-nationalistischen Sammlungsbewegung Marine Le Pens zu unterscheiden.

Die CDU formuliert in dieser Erklärung: »Es braucht jetzt einen Kurswechsel: Wir wollen die unkontrollierte irreguläre Migration beenden und eine Begrenzung der humanitären Migration auf ein Maß, das die Integrationsfähigkeit Deutschlands und der EU nicht überfordert. Über die Einreise in die EU dürfen nur staatliche Behörden und nicht kriminelle Netzwerke von Schleusern entscheiden. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex muss daher zu einer echten Grenzschutzpolizei ausgebaut werden, die Migranten an den EU-Außengrenzen aufhalten kann. Solange dies nicht der Fall ist, müssen Grenzkontrollen an den Binnengrenzen möglich bleiben. Die aktuellen Verhandlungen zur Reform des europäischen Asylrechts sind wichtige Schritte in die richtige Richtung und müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Wir wollen das Konzept der Durchführung von Asylverfahren und Schutzgewährung in sicheren Drittstaaten realisieren und humanitäre Kontingente für Schutzbedürftige einführen.«

Die CDU macht gleichzeitig ernst mit der personellen Abgrenzung zur Werteunion. So läuft gegen die NRW-Vorsitzende des Vereins, Simone Baum, ein Ausschlussverfahrens wegen der Teilnahme am Potsdamer Deportationstreffen. Ob daraus ein formeller Unvereinbarkeitsbeschluss zur Partei der Werteunion werden wird, hängt auch von der Stimmung in der Mitte der Gesellschaft ab.

Die Bevölkerung hegt große Sympathien mit den laufenden Demonstrationen. Dazu stellte das Rheingold-Institut fest: »Mit der Teilnahme an den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ist das befreiende Gefühl wiedererlangter Handlungsmacht und Zusammengehörigkeit verbunden. Die meisten Demonstrierenden und ihre Sympathisanten hoffen, dass die Bewegung nun weitergeht. Eine Art große und konstante ›Bürgerwelle‹ soll entstehen, die nicht nur gegen rechtsradikale Umtriebe aufsteht, sondern gegen alles, was in der Politik schiefläuft. […] Aus dem persönlichen Engagement erwächst aber auch eine Erwartung an die Politik. In der quantitativen Befragung stimmen 67% der Aussage zu: ›Die Demonstrationen sind ein Weckruf für die Politik.‹«

Wenn die Bürgerbewegung mit den Protesten gegen den Masterplan in den nächsten Wochen versanden sollte, wird sich das Gefühl, wirkungslos zu sein und festzustecken, wieder verstärken. Dann besteht die Gefahr, dass die Bewegungs-Energie eine andere Entwicklung nimmt und sich zunehmend gegen die Ampel richtet: »Wir haben der Regierung durch die Demos das Leben leichter gemacht, jetzt sind sie dran und müssen auch liefern.« Nicht wenige treibt eine zunehmend konkrete Kriegsangst um. Zudem erleben sie, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet und der Zusammenhalt verloren geht.

Die Umfragewerte der AfD haben vorübergehend etwas nachgegeben, was den quantitativen Spielraum der Wertunion indiziert; vielleicht kann sie auch Stimmen vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) abziehen, denn ein Teil der Demonstranten fühlt sich in Begleitung von allzu linken Parolen eher verschreckt. Aus der AfD könnte die Werteunion vor allem jene Teile, die gegenüber allzu radikaler Rhetorik sowie mit dem rüpelhaften Stil eines Teils des gewöhnlichen Parteivolks fremdeln und auf ihrer übergeordneten Stellung in der tradierten »natürlichen« Ordnung beharren. Das programmatische Angebot weist in diese Richtung, das offenbar auch auf jene zielt, die bei früheren Machtkämpfen in der AfD den Kürzeren gezogen haben, neoliberale Professoren etwa.

Die neue Partei bezeichnet sich selbst als »freiheitlich-konservativ«. Ein auf der Werteunion-Website veröffentlichtes Gründungsprogramm trägt den Titel »Wir wählen die Freiheit«. CDU und CSU wird darin vorgeworfen, heute Positionen zu vertreten, »die von einem freiheitlichen und christlichen Menschenbild abweichen«.

Als Ziele werden der »„Rückbau des Parteienstaates« und der »Ausbau der Herrschaft des Volkes« auch durch Volksabstimmungen genannt. In der Migrationsfrage fordert die Werteunion konsequente Abschiebungen und die direkte Zurückweisung von Menschen an den Grenzen, die versuchen ohne Berechtigung nach Deutschland zu kommen. In der Verteidigungspolitik bekennt sich die Werteunion zur NATO und fordert eine Rückkehr zur Wehrpflicht. Auf EU-Ebene lehnt die Partei eine Vergemeinschaftung von Schulden ab.

Im Wirtschaftsbereich verlangt die Werteunion, Inflationsbekämpfung zur Priorität zu machen und eine strenge Beschränkung der Staatsverschuldung. Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit will die Partei unter anderem die Gewerbesteuer abschaffen. In der Energie- und Klimapolitik setzt die Werteunion auf die Rückkehr zur Kernkraft, bezeichnet das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 als »völlig unverhältnismäßig« und lehnt ein Verbot von Autos mit Verbrennermotoren ab. (taz vom 18.2.2024)

Die Konzentration auf ein Verbot der AfD ist mit der Ausweitung des wahlpolitischen Angebots um ein potenzielles Auffangbecken also eigentlich hinfällig. Der mediale Spielraum für die Ausbreitung des Gedankengutes bleibt erhalten. Markus Lanz bietet dem AfD-Vorsitzenden –»netter sympathischer Handwerker« – eine Bühne. Öffentlich-rechtliche Sender arbeiten weiter an der Normalisierung des Gedankengutes, gegen das Millionen von Menschen auf die Straße gehen: »Man muss auch mit physischer Gewalt an den Grenzen in die Migrationsbewegung eingreifen.« (O-Ton Jens Spahn [CDU] in der ZDF-Talkshow von Maybret Illner) und die AfD-Frau Beatrix von Storch sitzt daneben, lauscht und lacht sich ins Fäustchen.

Zurück