27. Januar 2024 Redaktion Sozialismus.de: Der Krisenausweg des BSW – oder: die träumerische Erneuerung des Kapitalismus

Die »dümmste Regierung Europas« im Visier

Das »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) nimmt mit ihrem ersten Parteitag die Hürden für einen Antritt zu den Europawahlen. Auf der eintägigen Veranstaltung der 450 Gründungsmitglieder wurde zunächst der Parteivorstand gewählt.

Den Vorsitz der Partei übernehmen die Namensgeberin und die frühere Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali.  Die handverlesenen Mitglieder werden von der dominierenden Führungsfigur aufgefordert, Toleranz und Respekt nicht nur in der Gesellschaft einzufordern, sondern auch »in unserer Partei« zu leben. »Das muss unser Auftrag, und das muss unser Ziel sein.«

Die Parteichefin stellt zu Beginn in bekannter Manier aus dem Bundestag bei einem politischen Rundumschlag ihre Sicht auf die Krisen der Berliner Republik dar: Der Erfolg der Rechtsaußen-Partei sei »nicht das Ergebnis genialer Arbeit der AfD«, sondern das Versagen der Ampel-Koalition. Dass die Politiker*innen der Bundesregierung nun selbst auf die Straße gegen Rechts gehen, sei »Heuchelei«.

Der eigentliche Grund für die Proteste sei das Unvermögen der Ampel-Politik, die einmal mehr als »dümmste Regierung Europas« gekennzeichnet wurde: »Da ist etwas am Kippen in unserer Gesellschaft.« Es gebe viel Unmut und auch Wut. Von einer Analyse der kapitaldominierten Gesellschaft und einer Definition der historischen Situation kann allerdings bei Wagenknecht und des BSW insgesamt keine Rede sein.

Stattdessen einfache Antworten: Die mit der Remigration (also Deportation) kokettierende AfD könne allein durch soziale Verbesserungen und Neuwahlen überwunden werden. Die offizielle Opposition – CDU/CSU – sei keine Alternative, denn CDU-Chef Friedrich Merz sei wegen seiner Rentenpolitik und der Bereitschaft, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, noch nicht einmal das »kleinere Übel«.

Damit ist der Sound des Links- Konservatismus angestimmt: »Wir sind keine Linke 2.0.« Diese Selbsterkenntnis ist zumindest ein Fortschritt des ersten Bundesparteitags. Schon früher hatte sich die einstige Kaderfrau der kommunistischen Plattform an die Kapitalismusanalyse der Ordo-Liberalen angelehnt.

Wagenknecht greift bei ihrer Rede die Lage der von ihr sogenannten hart arbeitenden Bevölkerung auf. Es werde nicht mehr darüber geredet, dass Menschen, die wegen Krankheit ihren Beruf nicht mehr ausüben können, verarmen würden. Auch die Überforderung durch die Einwanderung sei kein Handlungsfeld.

Und im Gesundheitswesen müsse sich ebenfalls etwas ändern. »Wir haben das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt. Und trotzdem wartet ein Kassenpatient Monate auf einen Facharzttermin.« Den Krankenhäusern sei eingetrimmt worden, nicht zuerst zu fragen, was der Kranke brauche, sondern was das meiste Geld bringe. Parallelgesellschaften würden von den normalen Bürger*innen immer häufiger angesprochen. Die »Enteignung der Fleißigen« steht im Mittelpunkt.

Deutschland drohe ein Wohlstandsverlust und die »Enteignung der Fleißigen« – das Grundübel der Ampel-Politik. Es gebe immer mehr Berufe, die früher einen bescheidenen Wohlstand ermöglicht hätten. Und in denen die Einkommen heute so seien, dass man mit ihnen nie die Chance auf ein halbwegs gutes Leben habe, auf ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit, auf eine solide Familienplanung oder gar auf ein eigenes Häuschen. »Das muss sich doch wieder ändern in unserem Land« ist dann der verkündete Krisenausweg.

Und: Der vielfach ungeregelte Kapitalismus werde sich ohne Verbote und staatliche Interventionen in die gefährdete Mittelstandsidylle transformieren lassen. Dafür müsse man freilich auf die Fehlsteuerung durch CO2-Preise und den Dekarbonisierungswahn verzichten.

Oberstes Ziel sei, eine neue Wirtschaftspolitik der Vernunft zu etablieren. BSW setze sich für eine »innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten, sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand« ein. Statt auf »ausufernde Sanktionen« wolle das Bündnis wieder stabile Außenhandels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Russland und China installieren.

Das BSW fordert

  • Russland durch einen sofortigen »Stopp aller Rüstungsexporte in die Ukraine« zur Aufnahme von Verhandlungen zu »motivieren«;
  • Öl- und Gaslieferung aus Russland wieder aufzunehmen;
  • Technologie-Offenheit anstelle von Verboten oder eine zeitlich begrenzte Lebensdauer etwa für Verbrenner-Autos;
  • Ende der Privatisierung und Kommerzialisierung existentieller Dienstleistungen wie Wohnen, Wasser- und Energieversorgung;
  • Mindeststeuersatz auf Unternehmensgewinne von 25%;
  • Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und in Drittstaaten.

Dieser Ansatz zur Verteidigung oder gar Wiederstellung einer mittelständischen Idylle, wie sie aus den vermeintlich liberalen Programmen der sozialen Marktwirtschaft ausgemalt wird, soll ergänzt werden durch eine entschiedene Regulierung der Verteilung. Gefordert werden ein höherer Mindestlohn, die Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus und die Absenkung der staatlichen Abgaben. Wer die AfD schwächen wolle, müsse den Mindestlohn auf 14 Euro oder mehr anheben, sich für höhere Renten einsetzen, außerdem bezahlbare Energie und Krankenhäuser ohne Renditedruck. Das Versagen der Ampel-Politik führe dazu, dass die AfD in Umfragen auf über 20% komme und teilweise stärkste Kraft in einigen ostdeutschen Ländern sei.

Der Programmentwurf zu den EU-Wahlen ist geprägt von scharfer Kritik an der Europäischen Union (EU) in ihrer aktuellen Form und durchtränkt vom einem angemoosten Ideal des Nationalstaates. Das BSW will unter anderem wieder mehr Entscheidungsgewalt für diese. Weitere Forderungen sind ein Ende der Waffenhilfe für die Ukraine, der Bezug von Öl und Gas aus Russland sowie Asylverfahren an Außengrenzen und in Drittstaaten. »Statt Spielball im Konflikt der Großmächte und Vasall der USA zu sein«, müsse Europa »eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden«.

Vermutlich soll diese Aufwertung des europäischen Staatenbündnisses auch durch Gesundbeten erreicht werden, denn von einer nüchternen Bestandsaufnahme des neuerdings veränderten globalen Kräfteverhältnisses kann keine Rede sein. Die Partei will ein »Moratorium für die EU-Erweiterung«. Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sowie Moldau und Georgien werden explizit abgelehnt.

Zudem dürfe Europa »nicht länger eine digitale Kolonie der Vereinigten Staaten sein, sondern muss eine eigenständige digitale Infrastruktur aufbauen«. In der Verkehrspolitik fordert das BSW, die Entwicklung verbrauchsärmerer Modelle zu fördern, statt Autos mit Verbrennermotoren zu verbieten. Generell müsse es eine »Re-Industrialisierung Europas« geben. Ein wenig Butter bei die Fische wäre angesichts der internationalen Konkurrenz um die industrielle Wertschöpfung nicht schlecht gewesen.

Die Migrations- und Asylpolitik müsse sich »grundlegend« ändern, heißt es im Programm, in dem es von Schlagworten wie »islamistisch geprägte Parallelgesellschaften« und »fehlgeschlagene Integration« nur so wimmelt. Einwanderung müsse begrenzt, Asylverfahren an den EU-Außengrenze eingeführt werden.

Das BSW tritt ein »für die Nichtumsetzung von EU-Vorgaben auf nationaler Ebene ein, wenn sie wirtschaftlicher Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen«. Als Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Europäischen Parlament sind der Finanzpolitiker Fabio De Masi und der frühere SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, vorgesehen.

Auch der ehemalige Europa-- und Bundestagsabgeordnete für die Linkspartei De Masi folgt der Analyse von Wagenknecht: »Wir stecken in der Rezession. Die Ampelkoalition kürzt bei der Forschung. Es fehlt an Wohnungsbau, die Mieten fressen die Reallöhne auf, zugleich werden die Verbrauchersteuern erhöht. Bei der Rüstung spielt Geld aber plötzlich keine Rolle. Kein Wunder, dass die AfD so stark ist.« Die Ex-Goldman-Sachs-Bankerin Weidel wolle Billiglöhne, private Renten und Niedrigsteuern für Konzerne, statt »unseren Mittelstand vor der Marktmacht der US-Big-Tech-Konzerne zu schützen«. Das sei nicht »patriotisch«, sondern Diebstahl an jenen, die den Wohlstand schaffen.

Die anwesenden Parteimitglieder feierten beim Parteitag im ehemaligen Kosmos-Kino in der Berliner Karl-Marx-Allee immer wieder sich selbst und vor allem ihr Spitzenpersonal mit regelmäßigen Standing Ovations, und diverse Redner und wenig Rednerinnen beschworen regelmäßig das BSW-Projekt als die »einzige Friedenspartei« in Deutschland.

Die verbleibende LINKE hätte angesichts der Fiktionen von der Enteignung und dem Diebstahl an den Fleißigen reichlich Spielraum, um für eine gesellschaftliche Transformation zu werben. Freilich bleibt es leider immer noch häufig bei der Trauer und der Wut über den unmoralischen Beginn des BSW, weil diese nach eigenem Bekunden ausdrücklich nicht-linke Formation zehn Bundestagsmandate und wohl auch Mandate in Kommunalparlamenten »gestohlen« habe.

Zurück