11. September 2020 Joachim Bischoff: EZB hält an lockerer Geldpolitik fest

Die europäische Wirtschaft und das Schwächeln des Dollars

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Die Wirtschaft im Euroraum erlebte einen beispiellosen Schock, die Preissteigerungen sind daher im Keller. Europas Währungshüter stemmen sich mit milliardengroßen Kreditprogrammen gegen die Verwerfungen der Corona-Pandemie und betonen die positiven Effekte. Bei den Niedrigzinsen wird es erstmal bleiben, die Europäische Zentralbank (EZB) belässt den Leitzins bei 0%.

In der anhaltenden folgenreichen Corona-Krise legen Europas Währungshüter vorerst eine Handlungspause ein. Trotz bedenklich niedriger Inflation und des tiefen Konjunktureinbruchs hält die EZB an ihrem lockeren Kurs fest. Diese Politik basiert auf der Einschätzung, dass der Einbruch in der europäischen Wirtschaft etwas geringer ausfallen dürfte als bisher angenommen. Ausgegangen wird für dieses Jahr zwar von einem drastischen Rückgang der Wirtschaftsleistung der 19 Euroländer um 8,0%t schrumpfen.

Aber der Einbruch wird etwas weniger stark vorhergesagt als noch vor drei Monaten. Da war die EZB von einer Schrumpfung um 8,7% ausgegangen. Für 2021 wurde die erwartete Erholung der Konjunktur leicht von 5,2 auf 5,0% gesenkt, für 2022 erwartet die EZB ein Wachstum von 3,2% (bisher 3,3%).

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte zuvor vor einer zu optimistischen Einschätzung der konjunkturellen Erholung nach dem Corona-Einbruch gewarnt. Der jüngste weltweite Anstieg der Neuinfektionen werde die Konsumlaune und die Stimmung in den Unternehmen noch für einige Zeit belasten. Es werde noch einige Zeit dauern, bis sich die Wirtschaft vollständig erholt haben werde, deshalb seien auch weiterhin staatliche Hilfsmaßnahmen und eine aktive Geldpolitik notwendig.

Im zweiten Quartal war die Konjunktur im Euro-Raum aufgrund des Stillstandes des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in vielen Mitgliedsländern um 11,8% eingebrochen. Seitdem sehen wir eine fragile, aber kontinuierliche Aufwärtsbewegung, vor allem das Geschäft im verarbeitenden Gewerbe habe sich im Unterschied zum Dienstleistungssektor weiter verbessert, berichten die Ökonomen der Notenbank. Sie sehen aber immer noch mehr Risiken als Chancen bei der künftigen Entwicklung, die stark vom Erfolg bei der Eindämmung des Virus abhänge. Unterstützt werde die Erholung in Europa von den günstigen Refinanzierungskonditionen, der expansiven Geldpolitik und einer Erstarkung der globalen Nachfrage und Wirtschaftsaktivität.

In der Corona-Krise hat sich der Trend zu schwachen Teuerungsraten verstärkt. Im August sanken die Verbraucherpreise in der Eurozone zum ersten Mal seit 2016 wieder. Die Inflationsrate fiel nach einer ersten Schätzung des Statistikamtes Eurostat auf minus 0,2%, im Juli hatte die Rate noch bei plus 0,4% gelegen. Damit liegt sie weit entfernt von der Zielmarke von knapp 2%, die die EZB mittelfristig anstrebt.

Sinkende Verbraucherpreise sind ein potenzielles Risiko für die Konjunktur. Sie können eine Abwärtsspirale auslösen, wenn Verbraucher und Unternehmen auf weiter fallende Preise setzen und Investitionen sowie Käufe der Konsumenten weiter nach hinten schieben. Die europäische Notenbank sowie die nationalen Regierungen sind deshalb bestrebt eine deflationäre Abwärtsspirale zu bekämpfen.

Größere neue Stützungsschritte beschlossen die Währungshüter um Notenbank-Chefin Christine Lagarde auf ihrer Zinssitzung dennoch nicht. Die Notenbanker beließen es bei der Ankündigung, notfalls alle ihre geldpolitischen Instrumente anzupassen. Lagarde hat die Möglichkeit einer Leitzinssenkung nicht ausgeschlossen: »Es kann Umstände geben, unter denen Asset-Kaufprogramme effizienter sind, um unsere Ziele zu erreichen, und es gibt Umstände, unter denen Zinssätze effizienter sind«. In den vergangenen Monaten habe der EZB-Rat befunden, dass Kaufprogramme das richtige Instrument seien, sie schließe aber keines der anderen verfügbaren Instrumente aus.

Die EZB-Präsidentin lobte die fiskalischen Maßnahmen in der EU und in den einzelnen Mitgliedsländern. Der EZB-Rat begrüße den in Brüssel beschlossenen Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Mrd. €. Für diesen Fonds fehle allerdings noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und seine Auswirkungen seien noch nicht in die wirtschaftlichen Projektionen der Notenbank eingeflossen. Lagarde hob zudem die von der EU-Kommission beschlossenen drei Sicherheitsnetze für Arbeiter, Unternehmen und Staaten über insgesamt 540 Mrd. € positiv hervor.

Die Euro-Notenbank hatte im Zuge des beispiellosen Konjunktureinbruchs in Folge der Corona-Krise umfangreiche Hilfsmaßnahmen aufgelegt. Im Juni stockte sie ihr großes Pandemie-Anleihenkaufprogramm PEPP um 600 Mrd. € auf 1,35 Bio. € auf und verlängerte die Käufe bis Ende Juni 2021. Die Nettokäufe im Rahmen des Asset-Purchase-Programms (APP) werden mit einem monatlichen Tempo von 20 Mrd. Euro fortgesetzt, zusammen mit den Käufen im Rahmen des zusätzlichen temporären Umschlags von 120 Mrd. Euro bis zum Jahresende. Diese Wertpapierkäufe helfen Staaten wie Unternehmen, diese müssen nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt.

Zu ihrer Sitzung lagen den EZB-Währungshütern neue Projektionen ihrer Ökonomen vor, mit denen sich ein etwas klareres Bild über das Ausmaß der Krise abzeichnete. Sorgen bereitet der EZB vor allem die schwache Inflation. Den Leitzins beließen die Euro-Notenbanker auf dem Rekordtief von 0%, auf dem er inzwischen seit März 2016 liegt. Ökonomen gehen davon aus, dass er auch im vierten Quartal 2021 noch dort liegen wird.

Auch bei den Strafzinsen für Banken gab es keine Änderungen: Der Einlagensatz bleibt weiterhin bei minus 0,5%. Ein negativer Satz bedeutet, dass Geldhäuser Zinsen zahlen müssen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Liquidität parken. Seit vergangenem Herbst allerdings gewährt die EZB Freibeträge von den Strafzinsen, um die Banken zu entlasten. Die EZB hatte den Einlagesatz erstmals 2014 auf unter 0% gesenkt.

Die Erholung der Wirtschaft in Deutschland und der Eurozone hat im August an Dynamik verloren. Der Einkaufsmanagerindex, der Dienstleister und Industrie zusammenfasst, sank in Deutschland um 0,9 auf 54,4 Punkte. Das gab das IHS-Markit-Institut auf Basis der monatlichen Umfrageergebnisse bekannt. Während die Industrie ihren Aufwärtstrend zuletzt beschleunigte, nahm das Tempo bei den Dienstleistern ab. »In den verbrauchernahen Branchen hat der erste Aufwärtsschub nach dem Ende des Lockdowns bereits etwas nachgelassen», sagte Markit-Ökonom Phil Smith dazu.

Verglichen mit anderen großen Euroländern steht Deutschland aber noch gut da: In Italien fiel der vergleichbare Index bereits wieder unter die 50er-Marke auf 49,5 Zähler und signalisiert damit nachlassende Geschäfte, in Frankreich liegt er bei 51,6 Punkten. In der Eurozone insgesamt fiel er um 3,0 auf 51,9 Zähler. »Das Wirtschaftswachstum der Währungsunion hat im August deutlich an Dynamik verloren«, so das Fazit von Markit. Chefvolkswirt Chris Williamson erklärt sich das so: »Die Verschlechterung wurde größtenteils mit der Besorgnis über die wieder steigenden Infektionszahlen in Verbindung gebracht. Besonders die verbrauchernahen Unternehmen waren davon betroffen, und zwar vor allem in Spanien und Italien, wo besonders strikte Eindämmungsmaßnahmen in Kraft geblieben sind.«

Für das laufende Sommerquartal sagen Experten eine deutliche Erholung voraus. Ohne mindestens gleichlaufende Erholungsprozesse des europäischen Binnenmarktes oder der globalisierten Weltwirtschaft kann es allerdings keine Rückkehr zur gewohnten Dynamik der exportlastigen Wirtschaft der »Berliner Republik« geben.

Es kommt als Problem hinzu, dass der Euro gegenüber dem Dollar in den letzten vier Monaten rund 10% an Wert gewonnen hat. Dies spiegelt vor allem eine eher überrasche Schwäche des Dollars wider. Denn die US-Währung ist üblicherweise gerade in Krisenzeiten gefragt, weil er an den internationalen Finanzmärkten eine Sonderstellung hat und weil die Amerikaner üblicherweise extrem aktivistisch auf wirtschaftliche Schwächen der nationalen Ökonomie reagieren. Nach einem zwei Jahre währenden Abwärtstrend ist die europäische Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar seit März von $ 1.07 auf vorübergehend über $ 1.19 geklettert.

Ein wichtiger Treiber der Wechselkurse ist stets die Geldpolitik der Notenbanken, denn durch sie wird das Zinsniveau in einer Volkswirtschaft bestimmt. Ein schwacher Dollar ist vordergründig positiv für die Konsumenten, denn sie haben einen Vorteil von sinkenden Preisen der importierten Waren; außerdem werden sich etliche Unternehmen über preiswertere Vor- und Zwischenprodukte für die eigenen Waren freuen.

Zudem zieht eine harte Währung Kapital an, so dass die Refinanzierungskosten in einer nationalen oder europäischen Wirtschaft tendenziell sinken. Dies begünstigt eine Expansion der Investitionen, was in der angeschlagenen Ökonomie sicher positive Effekte sind. Somit dürfte ein schwacher Dollar dazu beitragen, dass Gelder von amerikanischen Investoren tendenziell in anderen Währungsräumen angelegt werden – typischerweise in Asien, aber auch in Europa.

Während die EZB In den vergangenen Jahren extrem expansiv agierte, hat die US-Notenbank Fed mehrfach ihren Willen untermauert, aus der seit der Finanzkrise sehr expansiven Geldpolitik auszusteigen. Sie erhöhte das Zinsniveau früher und auch etwas aggressiver als die EZB und etliche andere Notenbanken. So erreichten die Zinsen in den USA fast wieder 2%, wogegen sie im Euro-Raum bis heute bei –0,5% verharren.

Diese Zinsdifferenz hat sich allerdings in den vergangenen Monaten verringert. Aufgrund der Coronavirus-Krise und des darauffolgenden massiven Konjunkturabschwungs in den Vereinigten Staaten hat auch das Fed die Zinsen auf beinahe 0% gesenkt. Relativ gesehen hat sich dadurch die Attraktivität des Euro erhöht. Für die EZB kommt der Anstieg ungelegen, da sich die Euro-Wirtschaft bestenfalls zögerlich von der schweren Krise erholt, in die sie durch die Corona-Pandemie geraten war. Denn mit dem Kursanstieg verteuern sich tendenziell Produkte aus der Euro-Zone auf dem Weltmarkt. Das verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen.

Eine harte Währung zieht Kapital an, so dass die Refinanzierungskosten in einer Volkswirtschaft tendenziell sinken. Und vor allem lohn sich das Sparen in Ökonomien mit starker Währung, was vereinfacht gesagt zu höheren Investitionen, mehr Arbeitsplätzen und damit zu steigenden Einkommen von Arbeitern und Angestellten führen könnte, also auch zu einer Stärkung der konsumtiven Nachfrage.

Die EZB wird der jüngsten Aufwertung des Euro – so Präsidentin Lagarde – die nötige Aufmerksamkeit schenken. Der Euro-Kurs sei aber kein Ziel der Geldpolitik. In der geldpolitischen Erklärung des Rats, die Lagarde verlas, heißt es zu diesem Thema: »Im aktuellen Umfeld erhöhter Unsicherheit wird der Rat die hereinkommenden Informationen, darunter die Entwicklung des Wechselkurses und seine Implikationen für den mittelfristigen Inflationsausblick, genau prüfen.«

Die EZB ziele mit ihrer Geldpolitik jedoch nicht auf den Wechselkurs, sagte Lagarde mit Blick auf die US-Politik und die Auseinandersetzungen über Strafzölle. In der Welt der Notenbanker ist es – zumindest nach außen hin – gegenwärtig höchst risikoreich, die eigene Währung zu schwächen. Die expansive Geldpolitik der vergangenen Jahre läuft allerdings auf eine solche Schwächung der eigenen Währung hinaus. Kritische Beobachter spekulieren seit längerem einen globalen Abwertungswettlauf der verschiedenen Notenbanken untereinander.

Allerdings gibt es Anzeichen für eine verschärfte Wettbewerbskonstellation unter den gewichtigsten Nationalstaaten, etliche Unruhe über die Aushebelung der WTO-Schlichtungen und wachsenden Unmut über den Rückgriff auf »Strafzölle«. Vor allem die amerikanische Wirtschaft verliert vergleichsweise tendenziell wegen des enormen Staatsdefizits sowie von den hohen Unternehmensschulden an Wettbewerbsvorteilen, die sich eben nicht durch eine aggressive Zollpolitik oder Diskrimierungspraktiken gegenüber anderen nationalstaatlichen (vor allem chinesischen) Unternehmen kompensieren lassen.

Gegenwärtig macht der Dollar etwa die Hälfte aller Devisenreserven der internationalen Zentralbanken und die Hälfte aller Auslandaktiva von Ländern außerhalb der USA aus. Das verdeutlicht die Ausnahmestellung der amerikanischen Währung und ist nach wie vor ein wichtiger Grund dafür, dass sie in Krisenzeiten gefragt und ihre Liquidität unübertroffen ist. Wie eine Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt, ist der Dollar bei 88% aller internationalen Devisenhandelsgeschäfte in irgendeiner Form beteiligt.

Selbst in Großbritannien werden laut der Bank of England rund ein Drittel aller Rechnungen für internationale Handelsgeschäfte in Dollar ausgestellt, obwohl das Pfund selbst einmal eine Reservewährung war. Nur ein geringer Teil davon bezieht sich auf Geschäfte mit den USA. In den Schwellenländern ist der Anteil der in Dollar fakturierten Transaktionen wahrscheinlich noch viel höher, da die Kurse vieler ihrer Währungen entweder stark schwanken, die Märkte illiquide sind oder Währungen aufgrund fehlgeleiteter Notenbanken immer schwächer werden – wie etwa in der Türkei.

Auch der Handel mit Rohstoffen wird weltweit weitgehend in Dollar abgewickelt. So hat die Dollar-Nachfrage in den vergangenen Jahren allein schon aufgrund des beachtlichen Wirtschaftswachstums in China oder Indien zugenommen, da sie für ihren Boom immer mehr Rohwaren und Energieträger wie Erdöl und Erdgas benötigten. Gleichzeitig mussten die dort ansässigen Unternehmen ihre Aktivitäten finanzieren und nutzten die Gunst des »billigen Geldes«. Insofern hat auch die Emission von Dollaranleihen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen.

Schließlich hat die wirtschaftliche Dynamik in verschiedenen rasch wachsenden Staaten zu erheblichen Überschüssen in der Leistungsbilanz geführt. Die Fed ist zwar geldpolitisch etwas lockerer geworden als noch vor wenigen Monaten, aber das hat dem Dollar wenig geschadet, da im vergangenen Jahr viele der anderen Notenbanken die Zinsen ebenfalls gesenkt haben.

Die Zinsunterschiede und die Zinserwartungen belasten den Kurs der amerikanischen Währung nicht – im Gegenteil: Die Zinsen und Renditen in den USA sind im Vergleich mit vielen anderen Staaten und ihren Unternehmen immer noch relativ attraktiv. Letztlich spricht derzeit also auch das eher für als gegen den Dollar. Daran würde sich wohl nur etwas ändern, wenn sich die Konjunktur in den USA deutlicher eintrüben oder in Europa überraschend dynamisch entwickeln würde.

Gegenwärtig stecken die US-Firmen allerdings noch immer tief im Abwehrkampf mit der Corona-Pandemie und die staatlichen Interventionen sind weder in Sachen Kontrolle der Pandemie noch mit Blick auf die nationalen Stützungsprogramme überzeugend. In dieser Situation ist wie schon in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 der Beitrag der chinesischen Ökonomie für die Erholung des internationalen Handels nicht zu unterschätzen, wohingegen die USA mit ihrer Handels- und Innovationspolitik kaum Punkte machen.

Ein schwächerer Dollar wie aktuell hilft vielen Schwellen- sowie Entwicklungsländern. Denn erstens lassen sich ihre Dollarverbindlichkeiten besser verarbeiten und zweitens steigen bei Dollarschwäche üblicherweise die Energie- und Rohstoffpreise – und das würde die Wirtschaft in rohstoffreichen Staaten sowie den internationalen Handel beflügeln.

Von einem möglichen Wechsel der Administration in den USA zu den Demokraten ist in engen Grenzen eine Rückkehr zu multilateralen Vereinbarungen zu erwarten, die die zögerliche, fragile Rekonstruktion des Welthandels und der internationalen Wirtschaftsbeziehungen befördern könnte. Ein Abwertungsablauf der nationalen Währungen und eine weitere Verschärfung im internationalen Handel würden dagegen mit Sicherheit die Rekonstruktion der nationalen Reproduktionsprozesse aus den Beschädigungen der Corona-Pandemie erheblich beeinträchtigen.

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