31. Mai 2024 Joachim Bischoff: IWF-Experten votieren für Lockerung der Schuldenbremse

Die Freien Demokraten als unfähige Systempartei

Die Umfragewerte für die Freie Demokratische Partei (FDP) bewegen sich aktuell zwischen 4-6%. Dies signalisiert gegenüber den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl 2021 einen deutlichen Absturz.

Die Freien Demokraten kämpfen für den Systemerhalt, d.h. sie fordern eine Wirtschaftswende. Parteichef Christian Lindner hat das Patenrezept für dieses Projekt: »Egal ob Bürgergeld oder Rente, wir sollten nicht bezahlen, wenn Menschen nicht arbeiten, sondern wir sollten belohnen, wenn Menschen im Arbeitsleben bleiben wollen.« Es gebe Menschen, die zusätzlichen Ehrgeiz hätten und dieses Engagement müsse unterstützt werden. »Sozial ist nicht dafür zu sorgen, dass sich Menschen Arbeitslosigkeit leisten können. Sozial ist dafür zu sorgen, dass mehr Menschen Freude daran haben, sich einzubringen in unserer Gesellschaft.«

Auch Europa brauche mehr Wachstum, weniger Bürokratie, daher nicht mehr Ursula von der Leyen (CDU) und nicht mehr Schulden. Dieses systemkonforme Programm wird in die Formel gekleidet: »Für ein starkes und wehrhaftes Europa. Ein wehrhaftes Europa, das Freiheit, Sicherheit und Demokratie verteidigt. Das Wachstum stärkt und Spitze ist bei Innovationen. Europa. Einfach. Machen. Mit Selbstbewusstsein und klaren Worten.«

Die Spitzenkandidatin der FDP bei den Europawahlen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, verkörpert als selbsternannte Eurofighterin zwar eher die Ausweitung des Kriegsrisikos von NATO und Russland, aber die umfassende Zerstörung der ukrainischen Wirtschaft und ihrer Bevölkerung kann auch als Vorstufe zu einer Wirtschaftswende gesehen werden. Gemeinsam mit ihr streitet die gesamte FDP eben vor allem für ein »wehrhaftes Europa«.

In ihrer Mobilisierung stellt die FDP insbesondere nach vorn:

  • Kein Ausbau des Sozialstaates, etwa durch Abbau der Armutsgefährdung oder die Sicherung der Altersrente;
  • Ausweitung der Arbeitsamkeit, vor allem bei den eigentumslosen Bürger*innen; sparsame öffentliche Haushaltsführung
  • und daher rigorose Verteidigung der im Grundgesetz verankerten derzeitigeb Schuldenbremse. Diese erlaubte eine jährliche Neuverschuldung von nur 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wobei ein Konjunkturfaktor diese Grenze im wirtschaftlichen Abschwung etwas ausweitet und im Aufschwung verengt.

Mitten in den regierungsinternen Streit über das Rentenpaket und den Bundeshaushalt 2025 platzt der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Empfehlungen zur Lockerung der Schuldenbremse und zu Steuererhöhungen herein. Beides lehnt die FDP vehement ab, stattdessen fordert sie von den anderen Ampel-Koalitionären Vorschläge zur Begrenzung der Ausgaben.

Eine IWF-Delegation hatte in der zweiten Maihälfte in Deutschland die »regelhafte Begutachtung« durchgeführt, und dabei in einem »Concluding Statement« einen mittelfristigen steigenden Ausgabendruck infolge der Alterung der Gesellschaft und für die Verteidigung infolge der »Zeitenwende« und der Orientierung auf »Kriegsfähigkeit« festgestellt. Wegen der strukturellen  Wachstumsschwäche seien weitere substanzielle Steigerungen der Investitionen nötig, um die Infrastruktur in kritischen Bereichen wie Verkehr, Energie und Kommunikation zu verbessern – auch wenn die öffentlichen Investitionen in den letzten Jahren bereits erhöht worden seien.

Um diesem steigenden Ausgabenbedarf zu begegnen, sollten die Behörden eine »moderate Lockerung der Schuldenbremse« in Erwägung ziehen, schreiben die IWF-Experten. Zwar trage eine gut gestaltete Fiskalregel dazu bei, die Staatsverschuldung auf einem nachhaltigen Niveau zu halten. In Deutschland könne jedoch die jährliche Obergrenze für die Nettoverschuldung um rund einen Prozentpunkt des BIP erhöht werden. Auch damit werde die Schuldenquote (Staatsschuld in Prozent des BIP) noch auf einem rückläufigen Pfad gehalten.

Die IWF-Delegation wollte sich vor den Medien nicht auf Details festlegen. Sie verwies auf spezifische andere Vorschläge zur Schuldenbremse, darunter jene der Bundesbank und des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (»Wirtschaftsweise«). Man begrüße diese Debatte und all diese Vorschläge seien wertvolle Beiträge.

Zugleich betont der IWF, dass eine Anpassung der Schuldenbremse allein nicht ausreichen werde. Der Bericht regt deshalb weitere Maßnahmen an. Als mögliche Optionen nennt er die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und Steuererleichterungen (was in Deutschland seit langem diskutiert wird, aber kaum vorankommt), die Erhöhung der Effizienz der Gesundheitsausgaben, die Erhöhung von Steuern auf Immobilien, Gütern und Dienstleistungen sowie die Schließung von Schlupflöchern bei den Erbschaftssteuern.

Auch im Steuerbereich gehen die Autoren des Berichts nicht in Details. Er verweist nur darauf, dass die Einnahmen aus der Besteuerung von Immobilien, Gütern und Dienstleistungen in Deutschland geringer seien als im Durchschnitt der fortgeschrittenen Volkswirtschaften.

Die Analyse des IWF und die Vorschläge zur Sicherung eines höheren Wirtschaftswachstums sind weder neu noch revolutionär. Schon im Jahresgutachten der »Wirtschaftsweisen« (siehe hierzu auch den Beitrag »Argumente gegen die Schuldenbremse« auf Sozialismus.deAktuell vom 1. Februar 2024) hieß es vor Monaten: »Die Corona-Pandemie und die Energiekrise haben in Europa und insbesondere in Deutschland deutliche Spuren hinterlassen. Die deutsche Wirtschaftsleistung liegt derzeit nahezu auf demselben Niveau wie zu Beginn der Corona-Pandemie vor knapp vier Jahren. Deutschland verzeichnet damit seit Beginn der Corona-Pandemie das geringste Wachstum aller Volkswirtschaften des Euro-Raums.

Zwar kam Deutschland zunächst noch vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie. Während der Energiekrise entwickelte sich die deutsche Wirtschaft jedoch sehr schwach. […]  [I]m kommenden Jahr [2024 wird sie – JB] deutlich langsamer wachsen als in den 2010er-Jahren.[…] Allerdings deutet die im Jahresgutachten präsentierte Mittel- und Langfristprojektion des deutschen Produktionspotenzials, unabhängig von der aktuellen konjunkturellen Schwäche, auf deutliche Wachstumshemmnisse für die kommenden Jahrzehnte hin.

Diese Hemmnisse zeichnen sich bereits seit vielen Jahren ab und wurden bisher nicht ausreichend adressiert. Erstens ist absehbar, dass durch die demografische Alterung der Anteil der 20- bis 64-Jährigen an der Gesamtbevölkerung sinken wird und das inländische Arbeitsvolumen zurückgeht. Zweitens sind das Produktivitätswachstum und das Wachstum des Kapitalstocks, aber auch der Modernitätsgrad des Kapitalstocks, seit Jahrzehnten rückläufig. […] Deutschland droht somit eine Alterung nicht nur seiner Bevölkerung, sondern auch seiner industriellen Basis.«

Für die von den »Wirtschaftsweisen« und dem Internationalen Währungsfonds angeregte Reform der Schuldenbremse ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat (Gremium der Bundesländer) erforderlich. Hierzu wären Kompromisse nötig.

Was also ist die politische Schlussfolgerung aus diesen Beratungshinweisen? Die FDP ist wohl brauchbar für eine gefährliche Ausweitung der Kriegs- und Wehrtüchigkeit der Berliner Republik, aber keine bürgerliche Reformpartei mehr. Sie ist unfähig, systemimmanente Anpassungen im Steuersystem zu fordern und durchzusetzen. Es ist also durchaus verständlich, dass sie Mühe hat, in aktuellen Umfargen und bei den anstehenden Landtagswahlen über die Hürde von 5% zu kommen, die es allerdings bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht gibt.

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