4. März 2022 Owen Jones

Die Friedensbewegung nach Putins Aggression

Lernen wir jemals dazu? Wladimir Putin reiht sich ein in eine Reihe von Monstern, die wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi einst durch die Patronage des Westens abgesichert waren.

Putins Regime wurde in den Ruinen von Grosny geschmiedet und durch die Immobilienportfolios von Highgate und Chelsea in London legitimiert. Vor 23 Jahren surfte der damals noch weitgehend unbekannte Putin auf einer nationalen Welle des Hurrapatriotismus, um Nachfolger von Boris Jelzin zu werden, nachdem eine Reihe vermeintlich terroristischer Bombenanschläge in russischen Wohnhäusern einen Vorwand für den zweiten Tschetschenienkrieg des Landes geliefert hatte.

Dabei spielt es keine Rolle, dass es stichhaltige Beweise dafür gibt, dass russische Sicherheitsdienste diese Bombenanschläge verübt haben, um einen casus belli für die Invasion zu liefern, und dass Zehntausende von Tschetschen*innen inmitten grausamer Kriegsverbrechen abgeschlachtet wurden: Putin wurde gelobt und umarmt.

Der ehemalige Chef des britischen Nachrichtendienstes MI6, Sir Richard Dearlove, bedauerte 2018 die Rolle der britischen Sicherheitsdienste bei Putins Aufstieg zur Macht, wozu auch gehörte, dass die Dienste im Jahr 2000 dem damaligen Labour-Premierminister Tony Blair einen Fototermin mit Putin organisiert hatten. Im Jahr darauf zog Blair Parallelen zwischen Tschetschenien und dem »Krieg gegen den Terror« des Westens. Putins Abstieg in einen unverhohlenen Autoritarismus veranlasste Blair nicht dazu, seine Ansichten zu revidieren – stattdessen drängte er den Westen, den Unmut über die Annexion der Krim im Jahr 2014 beiseite zu schieben, und sich mit Putin gegen den »radikalen Islam« zu verbünden, ein Appell, den er 2018, nur drei Monate nach den Giftanschlägen in Salisbury, wiederholte.[1]

Heute wird die Mitschuld am Versagen des Westens weitgehend in den Reihen der Konservativen gesehen. Die Kassen der Tory-Regierungspartei sind voll mit Geld, das mit Putin verbunden ist. In einem von David Lammy und Rachel Reeves, außenpolitischer Sprecher bzw. finanzpolitische Sprecherin der Labour-Fraktion, unterzeichneten Brief heißt es: »Seit Boris Johnsons Amtsantritt im Juli 2019 haben Spendengeber, die Geld aus Russland bezogen oder wahrscheinlich Verbindungen zum Putin-Regime haben, 1,93 Millionen Pfund an die Konservative Partei oder einzelne Wahlkreisorganisationen der Tories gespendet.«

Putins Russland war einer jener Empfänger britischer Waffen, die trotz der Verletzung der Menschenrechte dorthin verkauft wurden. Als Nigel Farage – wie so viele seiner rechtspopulistischen Brüder in der westlichen Welt – seine Bewunderung für Putin erklärte, lag er da wirklich so weit außerhalb des Mainstreams?

Ein vom Thatcherismus geprägtes Wirtschaftsmodell hat London zu einem der weltweit wichtigsten Steuerparadiese und zu einer Drehscheibe für »schmutziges Geld« aus Russland und aus anderen Ländern gemacht, die für ihre Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. Kein Wunder, dass sich so viele Oligarchen Immobilien in und um London herum gesichert haben. Von Fußballvereinen über Zeitungen bis hin zu Tennismatches mit Premierminister Johnson: Es ist keine Übertreibung, die russischen und britischen Eliten als zutiefst verflochten zu bezeichnen.

Deshalb brauchen wir eine Anti-Kriegs-Bewegung, die ohne Umschweife für eine Welt kämpft, die kein Manöverplatz für brutale Großmächte ist. Im Hier und Heute bedeutet das, sich auf die russische Aggression zu konzentrieren. Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Es gibt in der Linken keine nennenswerte Sympathie für Putin,[2] und wir sehen auch keine Wiederholung jener Rechtfertigungen, wie etwa jene einen Bankrott ausdrückenden  Entschuldigungen für die sowjetische Invasion in Ungarn 1956, die den Korrespondenten des Daily Worker, Peter Fryer, damals dazu bewog, die Kommunistische Partei zu verlassen und den Stalinismus als »Marxismus mit herausgeschnittenem Herzen, entmenschlicht, ausgetrocknet, gefroren, versteinert, starr, unfruchtbar« anzuprangern.

Es trifft sicherlich zu, dass Kriegsgegner*innen – ob in Großbritannien oder Russland – mit ihren Demonstrationen am ehesten Einfluss auf die Handlungen der Regierungen ihrer jeweiligen Länder ausüben können. Sie sollten aber auch international alle friedlichen Alternativen zur militärischen Eskalation unterstützen, einschließlich Wirtschaftssanktionen und dem Einfrieren »schmutzigen Geldes« aus Aggressorstaaten wie Russland oder Saudi-Arabien.

Anti-Kriegs-Aktivist:*innen sollten keine Ausflüchte machen: Putins Krieg ist unprovoziert, und es gibt keine mildernden Umstände. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir nicht verstehen sollten, wie wir in diese Situation geraten sind. Wir sollten verstehen, warum so viele Osteuropäer*innen die Nato als notwendiges Bollwerk sehen gegen ein Russland, das sie verständlicherweise mehr fürchten als den Westen.

Wir sollten auch verstehen, wie Putin das vermeidbare Gefühl der Demütigung der Menschen in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ausnutzte, und wir sollten in der Lage sein, die Menschenrechtsbilanz einer Nato anzufechten, zu deren Mitgliedern auch die autoritäre Türkei gehört, die einen Krieg gegen die Kurden führt.

Im Atomzeitalter ist es die Aufgabe der Antikriegsbewegung, Alternativen zu einer militärischen Eskalation aufzuzeigen, die nur allzu schnell zur Vernichtung der menschlichen Zivilisation führen kann. Das wichtigste dabei ist eine internationale Ordnung, die auf gemeinsamen Regeln, Diplomatie und Kooperation beruht. Das setzt konsistentes und konsequentes Handeln der Friedensbewegung voraus.

David Miliband hat Recht, wenn er eine Invasion, die gegen die UN-Charta verstößt und bei der Zivilpersonen unter Verletzung des Völkerrechts getötet werden, als »Rückkehr ins finstere Mittelalter« verurteilt, aber er sollte sich daran erinnern, dass er selbst für einen Irak-Krieg gestimmt hat, bei dem Hunderttausende von Zivilpersonen ums Leben kamen, und der vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan als Verstoß genau gegen diese UN-Charta verurteilt wurde. Die Missachtung internationaler Regeln durch Großmächte legitimiert gewaltsame Anarchie.

Die Antikriegsbewegung kämpft um ein Herz in einer herzlosen Welt. Dabei tritt sie dem rassistischen Narrativ entgegen, das einem kritischen Bericht von Nesrine Malik zufolge[3] gerade ein US-amerikanischer Nachrichtenkorrespondent in der Ukraine so zugespitzt hat: »Das hier ist nicht Irak oder Afghanistan. Hier ist eine relativ zivilisierte, relativ europäische Stadt.« Demgegenüber betont die Antikriegsbewegung, dass die Invasion in der Ukraine von Bedeutung ist, nicht weil hier Europäer*innen betroffen sind, sondern weil es sich generell um den Angriff auf die Bevölkerung einer Nation handelt. Sie betont, dass ihre Empathie universell ist.

Sie fordert auch eine universelle Anwendung von Regeln: Wenn wir uns gegen einen Aggressor stellen, sollten wir uns gegen alle Aggressoren stellen. Das Eintreten für Kohärenz in internationalen Fragen wird oft als »Dummheit« verurteilt, »weil gegeneinander aufgerechnet werde«. Aber im Kern geht es um die Überzeugung, dass alle Opfer von Ungerechtigkeit gleich viel wert sind.

Wenn wir das Recht der Ukrainer*innen anerkennen, sich gegen die Besatzung zu wehren, sollten wir diesen Respekt auch auf die Palästinenser*innen ausdehnen; wenn uns das Abschlachten von Kindern in der Ukraine abstößt, sollten wir ebenso entsetzt sein über den saudischen Bombenteppich, mit dem Kinder mit westlichen Bomben bombardiert werden; und wir sollten gleichermaßen die Gräueltaten anderer antiwestlicher Regime verurteilen, von den Fassbomben im Syrien des Assad bis zur Unterdrückung der muslimischen Uiguren in China.

Während Putin seinen Angriffskrieg führt, ist die Notwendigkeit einer ebenso konsequenten wie mutigen Antikriegsbewegung dringender denn je. Sie verurteilt den verbrecherischen Angriffskrieg, setzt sich für das Recht der Ukraine auf Widerstand ein und fordert, dass dieselben Prinzipien universell angewandt werden. Von jenen, die versuchen, politisch oder finanziell vom Krieg zu profitieren, wird sie keine freundliche Zustimmung erfahren. Stattdessen sollte sie Bündnisse an der Basis eines jeden Landes suchen. Das mag nicht populär sein, zumindest im Moment, aber es wird sich als richtig erweisen.

Owen Jones ist Publizist und schreibt für den Guardian. Der hier in einer Übersetzung dokumentierte Kommentar erschien unter dem Titel »Putin’s aggression makes clear the case for an anti-war movement« zuerst online am 2.3.2022. Übersetzung: Hinrich Kuhls.

Anmerkungen

[1] Vgl. hierzu: Jeremy Corbyn: Nach dem Attentat von Salisbury: Das Abdriften in eine konflikthafte Kollision verhindern. Sozialismus.de, 16.3.2018. (Anm.d.Ü.)
[2] Owen Jones, Putin is a human rights abusing oligarch. The British left must speak out. The Guardian, 26.1.2016.
[3] Nesrine Malik, Let the horror in Ukraine open our eyes to the suffering of war around the world. The Guardian, 1.3.2022.

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