10. August 2023 Rahmane Idrissa
Die Junta in Niger als Paradigma im Sahel
Es ist typisch für den Westen, dass er die Probleme anderer zu seinen eigenen macht. Auch im Sahel hat er dafür nur scheinbar eine Entschuldigung.
Diese Region in äußerster Randlage, die bis vor einem Jahrzehnt nur für humanitäre Organisationen und kleine Abteilungen von Hilfsorganisationen von Interesse war, ist schnell in den Mittelpunkt westlicher Besorgnis gerückt. Zuerst war es die Migration, dann der Terrorismus, dann Russland – und jetzt sind es alle drei Probleme gleichzeitig.
Ich erinnere mich, dass ich 1999 nach einem Putsch in Niger den Brief eines deutschen Entwicklungshelfers erhielt, dem ein winziger Zeitungsausschnitt mit einem einzigen Absatz über einen »Staatsstreich in der Wüste« (die Unterscheidung zwischen Sahelzone und Sahara war damals kaum bekannt) beigefügt war.
Im Gegensatz dazu hat der Staatsstreich in Niger vom 26. Juli – der jüngste in einer Reihe von Umstürzen in Westafrika, die im August 2020 in Mali begannen, im September 2021 in Guinea fortgesetzt wurden und 2022 Burkina Faso gleich zweimal erreichten – ein weltweites Medienecho ausgelöst. Diesmal musste ich unzählige Medienanfragen aus Zeitgründen ablehnen.
Der Staatsstreich fand in einem angespannten internationalen Kontext statt und löste Befürchtungen aus, dass er den Beginn eines »Khaki-Winters« – d.h. einer Serie von Nachahmungstaten – in einer Region einläuten könnte, die in der Vergangenheit die meisten Staatsstreiche auf dem putschanfälligsten Kontinent der Welt erlebt hat. Doch selbst wenn man all dies beiseite lässt, weist der Putsch in Niger einige besonders dramatische Merkmale auf.
Die Putschisten gingen rücksichtsloser vor als in den drei anderen Ländern, und werden nun sowohl vom Westen als auch von den regionalen Staatengruppen, der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) und der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA), aggressiver angegangen.
Es ist noch zu früh, um genau zu sagen, wie und warum der Putsch begann. Westliche Beobachter waren fast einhellig fassungslos. Da er nicht dem Muster von Mali und Burkina Faso entsprach, wo die Machtübernahme durch das Militär auf große Proteste gegen die Regierung folgte, erschien er ihnen wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Doch abgesehen davon, dass ein Putsch zwangsläufig überraschend kommt, weil er im Geheimen vorbereitet wird, kam dieser Staatsstreich für die nigrische Bevölkerung nicht überraschend. Er folgt auf mindestens zwei andere Putschversuche seit 2021, von denen einer nur zwei Tage vor der Amtseinführung von Präsident Mohammed Bazoum stattfand.
Wenn die Nigrer*innen ihre Unzufriedenheit zuvor nicht auf die gleiche Weise zum Ausdruck gebracht hatten wie die Menschen in Mali und Burkina Faso, bedeutete dies nicht, dass sie mit ihrer Regierung zufriedener waren; sie waren einfach weniger organisiert.
Eine im August 2022 gegründete Protestkoalition namens M62 – der Name wurde in Anlehnung an die 62 Jahre Unabhängigkeit von Frankreich seit 1960 gewählt – versuchte, die Unzufriedenheit zu mobilisieren, was jedoch von der Regierung vereitelt wurde. Dies geschah in einem politischen Kontext, in dem der Aktivismus der Zivilgesellschaft erschöpft und die Unabhängigkeit der Medien stark eingeschränkt war. Im Laufe der Jahre waren sowohl Protestbewegungen als auch kritische Journalist*innen durch den großzügigen Einsatz von Bestechungsgeldern und Drohungen seitens des nigrischen Staates, einschließlich Steuerprüfungen und anderer administrativer Schikanen, in die Knie gezwungen worden.
Die bisherigen Putschversuche sind nur die Spitze des Eisbergs. Im Februar sagte mir ein Offizier, der Präsident Bazoum nahesteht, dass Putschversuche in hohen Militärkreisen zur Routine, ja zur Alltäglichkeit geworden seien. Er fügte hinzu, dass die Generäle und Obersten bei Treffen zwischen dem Präsidenten und der Militärführung eisig und mürrisch seien, während Bazoum nicht wisse, wie er zu ihnen durchdringen solle. Bazoum wusste nicht, wie er sie erreichen sollte. Er musste sich auf ständige Überwachung und ein Spiel von Wiederernennungen und verdeckten Entlassungen verlassen, was sich letztlich als vergeblicher Versuch erwies, den potenziellen Putschisten zuvorzukommen.
Angesichts des Ausmaßes der staatlichen Überwachung konnte ein Putsch aber nur gelingen, wenn er von dem Sicherheitsorgan durchgeführt wurde, dem Bazoum am meisten vertraute: der Präsidentengarde. Diese hatte nicht nur unter Bazoum, sondern auch unter seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou Putsche vereitelt.
Der Kommandeur der Garde, General Abdourahamane Tchiani, der unter beiden Regierungen gedient hatte, genoss das feste Vertrauen von Bazoum. In einem Interview, das der inhaftierte Präsident aus seinem Gewahrsam heraus Jeune Afrique geben konnte, dementierte er das Gerücht, er wolle Tchiani entlassen.
Stein des Anstoßes zwischen den beiden Staatsteilen war die Sicherheitspolitik. Unter Issoufous Führung lehnte Niger die NATO-Intervention von 2011 zum Sturz des libyschen Präsidenten Muammar al-Gaddafi ab, da sie Libyen zerstören und eine Sicherheits- und Migrationskrise in der Region auslösen würde.
Als sich die Prophezeiung bewahrheitete, beschloss Issoufou, den Westen um Hilfe zu bitten, um die Folgen einzudämmen. Dafür gab es einen rationalen Grund. Die Partei von Issoufou und Bazoum, die PNDS (Nigrische Partei für Demokratie und Sozialismus), plante nach ihrer Machtübernahme massive Sozialausgaben im Gesundheits- und Bildungswesen. Außerdem sollte der öffentliche Dienst, in dem seit Jahren keine neuen Mitarbeiter eingestellt worden waren, aufgestockt werden. Um dieses Programm umsetzen zu können, mussten die Sicherheitsausgaben auf ein Minimum reduziert werden, was nur möglich war, wenn jemand anderes die Kosten trug.
Die Beziehungen zwischen der neu gewählten Regierung und dem Militär waren von Anfang an schlecht. Im Juli 2011, nach nur vier Monaten im Amt, vereitelte Issoufou einen Putschversuch. Einer der mutmaßlichen Verschwörer, Oberleutnant Ousmane Awal Hambaly, Mitglied der Präsidentengarde, wurde 2012 aus dem Gefängnis entlassen, war aber 2015 an einem weiteren Putschversuch beteiligt. In seinem zweiten Prozess behauptete er, von Tchiani »geködert« worden zu sein, der ihn überredete, den Putsch mit anderen Militäroffizieren zu planen.
Tchiani war zu dieser Zeit bereits dafür bekannt, Putschpläne auszuhecken, die er dann entschärfte, um sich bei seinen präsidialen Gönnern unentbehrlich zu machen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt trugen solche Putschversuche dazu bei, dass Issoufou gegenüber dem Militär paranoid wurde. Schwer nachprüfbaren Anekdoten zufolge – da es keinen investigativen Journalismus gibt und die nigrische Öffentlichkeit hauptsächlich auf Klatsch und Gerüchten basiert – behinderte diese Paranoia die Stärkung der Armee im Kampf gegen die Dschihadisten.
Die Regierungszeit der PNDS begann mit guten Absichten, wies aber bald gravierende Mängel auf, die eine tragfähige Sicherheitspolitik in der Folgezeit erschwerten. Vor allem zwei Faktoren führten dazu, dass sich die öffentliche Meinung gegen die Regierungspartei wandte. Der erste Faktor war die endemische Korruption, die der Demokratie in Niger einen schlechten Ruf eingebracht hatte und die die PNDS auszumerzen versprach.
Im Jahr 2011 richtete die Regierung eine gebührenfreie Telefonnummer zur Meldung von Korruptionsfällen sowie ein ständiges Gremium zur Korruptionsbekämpfung ein, was Hoffnungen auf Reformen weckte, die jedoch enttäuscht wurden. Der zweite Schwachpunkt war die Neuordnung des politischen Systems. Während der gesamten 2000er Jahre funktionierte die nigrische Politik auf der Grundlage gegensätzlicher Koalitionsblöcke, die um Positionen kämpften und jede Partei zu Kompromissen zwangen. Dies schuf ein politisches Gleichgewicht, das den oppositionellen Kräften Hoffnung gab und der Bevölkerung die Angst nahm, von der politischen Partizipation ausgeschlossen zu werden.
Dieses Gleichgewicht versuchte die PNDS zu zerstören, um ihre Macht dauerhaft zu festigen. Die Oppositionsparteien wurden zersplittert (die Nigrer*innen verwenden den dynamischen französischen Begriff »concassage« – Zertrümmerung) und dann durch die Vergabe von großzügigen Geschenken absorbiert: Traumjobs, Verträge, Duldung von Unterschlagungen und andere Unregelmäßigkeiten.
Die von der PNDS geführten Regierungen schufen Platz für Dutzende von Ministern – stets mehr als vierzig – sowie Hunderte von Beratern und »hohen Vertretern«. Parteien, die sich dieser Form der »Integration« widersetzten, wurden verfolgt, insbesondere durch die bereits erwähnte Antikorruptionsbehörde (die gebührenfreie Telefonnummer wurde schon früh abgeschaltet). Die einzige Organisation, die sich während der gesamten Amtszeit der PNDS der Assimilation widersetzte, war MODEN (Mouvement Démocratique Niger), besser bekannt unter dem Namen Lumana, die den Westen des Landes einschließlich der Hauptstadt Niamey fest im Griff hatte. Ihr Kandidat Hama Amadou verbrachte den Präsidentschaftswahlkampf 2016 im Gefängnis.
Die Dominanz der PNDS hatte negative Folgen für die nigrische Demokratie. Sie führte zu einer Entpolitisierung des öffentlichen Raums, was wiederum die Politisierung anderer Bereiche des nationalen Lebens verstärkte, einschließlich des öffentlichen Dienstes, wo die Beförderung von der Zugehörigkeit zur Partei und ihrer Koalition abhing, und der Armee. De facto wurde eine Einparteienherrschaft etabliert.
Der Preis dafür war die große Unpopularität des Regimes, die Schwächung der demokratischen Institutionen und der Justiz, die in den Dienst parteipolitischer Ziele gestellt wurden, und ein schwindendes Gefühl der nationalen Einheit, da sich die Bewohner des Westens und des Südens im Vergleich zu denen der Region Tahoua (Hochburg der PNDS) und des Nordens als Bürger zweiter Klasse fühlten. Das Vertrauen in die Wahlen war erschüttert. Wenn das System des politischen Gleichgewichts korrumpierend war, so war es das de facto Einparteiensystem nicht weniger, das zudem repressiv und nicht inklusiv war. Die Nigrer*innen nannten es das »Gouri-System«, abgeleitet vom Hausa-Wort für »Wunsch«, einem Slogan des Präsidenten Issoufou.
Ende der 2010er Jahre hatte Niger also zwei drängende Probleme: die anhaltende dschihadistische Gewalt und eine kranke Demokratie, die nicht in der Lage war, den Gewählten eine wirkliche Legitimität zu verleihen. In diesem Kontext wirkte die Präsenz des Westens wie ein zusätzliches Problem. Sie war begrenzter als in Mali, wo die französische Antiterrortruppe Barkhane und die UN-Friedensmission MINUSMA operierten.
Bevor sich die Franzosen mit der malischen Junta zerstritten und die Reste von Barkhane Ende 2022 nach Niger verlegten, waren sie vor allem im Norden des Landes aktiv, wo sie Uranabbaugebiete schützten. Die USA verfügen über zwei Stützpunkte zur Überwachung der riesigen Wüsten in der Zentralsahara, während die europäischen Streitkräfte Ausbildung und technische Hilfe leisten.
Diese ausländische Präsenz wurde als aufdringlich empfunden und konnte von der PNDS aufgrund ihres spaltenden Regierungsstils der Öffentlichkeit nicht verkauft werden. In der Ära der Kompromisspolitik hätte die PNDS ihre Argumente den Oppositionsparteien und wirklich unabhängigen zivilgesellschaftlichen Gruppen vortragen und auf eine vertrauenswürdige und unabhängige Presse zurückgreifen können. Die Öffentlichkeit hätte durch Debatten beeinflusst werden können. Doch die PNDS stellte jegliche Kritik als Bedrohung einer radikalisierten Opposition dar (PNDS-Aktivist*innen diffamierten Lumana-Mitglieder als »Kriminelle«) und nicht als legitimen Missstand.
Jedenfalls schien die Regierung in der Lage zu sein, die Unzufriedenheit der Bevölkerung einfach zu ignorieren, da ihre Polizeikräfte sie mit Leichtigkeit unterdrücken konnten. Der einzige Ort, an dem sie ausbrach, war Niamey, eine Stadt, die zur Hälfte von Einheimischen und Migrant*innen bewohnt wird, und in der es im Gegensatz zu den Hauptstädten von Burkina Faso und Mali, Ouagadougou und Bamako, keine einheitliche Identitätsgrundlage gibt.
Schlimmer noch, die PNDS hat ihre Wette verloren, dass der Westen helfen würde, die dschihadistische Präsenz zu beseitigen. Hätte sie diese Wette gewonnen, wäre sie heute noch an der Macht. Aber der Westen hat nicht nur an dieser Front versagt, er wurde auch zu einem Hindernis für die kollektive Sicherheit, als die Putsche in Mali und Burkina Faso Militärregierungen an die Macht brachten, die sich nicht auf den Westen verlassen wollten.
Zuvor hatten die drei Länder zusammen mit dem Tschad und Mauretanien die Regionalorganisation G5 Sahel (G5S) ins Leben gerufen: ein kollektives Sicherheitsbündnis, das die gesamte Sahelzone umfassen sollte. Die Junta-geführten Länder Mali und Burkina Faso schieden 2022 aus und machten deutlich, dass sie in Fragen der kollektiven Sicherheit nicht mit Niger kooperieren würden, solange dieser mit Frankreich zusammenarbeitet. Von da an befand sich der Niger in einem Dilemma, zumal die Eliten im Sahel und im weiteren frankophonen Westafrika traditionell dazu neigen, die Franzosen zum Sündenbock für das eigene Versagen zu machen und sich dabei auf das vertraute, aber schwer fassbare Konzept der Françafrique berufen.
In jüngster Zeit hat sich zudem über die sozialen Medien ein ideologisches Gebräu aus dekolonialem Radikalismus, marginalen Ideologien wie dem Kemetismus (religiöser Glaube, dass Schwarzafrika das Erbe Ägyptens aus der Pharaonenzeit sei) und einem gereizten Souveränismus der Schwachen verbreitet. Hinzu kommt die für Mali typische Russophilie, die auf den Unabhängigkeitskämpfer und ersten malischen Staatspräsidenten Modibo Keita zurückgeht. Und Frankreichs eigene Fehler, die sich aus seinen sehr unausgewogenen Beziehungen zu seinen afrikanischen Partnern ergaben, gossen Öl ins Feuer.
Der von der PNDS geführte Niger sah keinen Grund, seine Abkommen mit dem Westen zu brechen. Aber die Militärs, die von den gleichen ideologischen Botschaften beeinflusst waren, hielten die kollektive Sicherheit mit Mali und Burkina Faso für wichtiger als die Partnerschaft mit diesen ausländischen Mächten. Deshalb brachten sie bei den Treffen mit der Regierung ihren Missmut zum Ausdruck.
Bazoum scheint versucht zu haben, ihnen entgegenzukommen. Anfang des Jahres wurde sein Verteidigungsminister Salifou Mody nach Bamako entsandt, um über kollektive Sicherheitsmaßnahmen zu verhandeln. Möglicherweise hat Bazoum gehört, dass er mehr als das getan hatte, denn er setzte ihn im April ab und ernannte ihn zum Botschafter in den Vereinigten Arabischen Emiraten, eine potenzielle Quelle reicher Beute. Doch auch dieses Manöver konnte den Amtsinhaber nicht retten. Mody, der durch den Putsch als zweiter Mann an die Macht kam, ist nun damit beschäftigt, Beziehungen zu Bamako und Ouagadougou aufzubauen, während die Junta in Niamey die Partnerschaft mit Frankreich »aufgekündigt« hat.
Theoretisch könnte der Putsch die beiden Hauptprobleme Nigers lösen. Er könnte für die durch das Gouri-System eingefrorene Demokratie einen »Neustart« bedeuten und zu einer besseren Sicherheitspolitik führen. Wenn die Entwicklung der PNDS ein Indiz dafür ist, dann hängen beide Ergebnisse zusammen. Aber ist die Junta an Demokratie interessiert? Und was ist mit dem Westen und Nigeria, die beide hart auf den Putsch reagierten, indem der Westen die Hilfe einstellte und Nigeria mit Krieg drohte?
Der Prozess eines demokratischen Neubeginns durch einen Staatsstreich ist in Niger nichts Außergewöhnliches. Er hat sich in der Vergangenheit bereits dreimal ereignet: 1996 (umstritten), 1999 und 2010, aber das nationale und internationale Klima ist heute ein anderes. Die Putschisten in Niamey orientieren sich an den Beispielen von Bamako und Ouagadougou, wo die Militärregierungen die Sanktionen überlebt, und sich gegen die »internationale Gemeinschaft« und die ECOWAS durchgesetzt haben, ohne sich zu einer Rückkehr zur Demokratie zu verpflichten. Wie in diesen Ländern genießt die nigrische Junta derzeit die Bewunderung der Öffentlichkeit, die sich über den Sturz des Gouri-Systems freut. Sie könnte dies als eine Form der Legitimierung interpretieren, die sie von der Notwendigkeit entbindet, zum demokratischen Prozess zurückzukehren.
In der Zwischenzeit wird das ideologische Klima, das den Bruch mit Frankreich und dem Westen vorwärtstreibt, ebenfalls dazu beitragen, die Voraussetzungen für Autoritarismus zu schaffen – auch wenn man dem Westen vorwerfen kann, dass er die Augen vor den autoritären Tendenzen der PNDS verschlossen hat und sich so Beihilfe durch Unterlassung zurechnen lassen muss.
Die Ereignisse in Burkina Faso und Mali zeigen, dass sich die Unterstützung für die Militärregierungen nach etwa einem Jahr auf engagierte Ideologen und diejenigen beschränkt, die ihre Zukunft auf ihr Regime gesetzt haben. Andere tendieren dazu, sie zu akzeptieren, weil die materiellen Veränderungen in ihrem Leben minimal sind. Es gibt immer noch einen Mangel an politischer Partizipation, aber auch eine traditionelle sahelische Akzeptanz der Militärherrschaft. Das Ergebnis ist eine Art politischer Rückschritt – obwohl die Demokratie, wie sie unter Ibrahim Boubakar Keita in Mali oder dem Gouri-System in Niger praktiziert wurde, auch kein Fortschritt war.
In allen drei Ländern kann die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse daher nur durch Druck von außen, insbesondere durch die ECOWAS, erfolgen. In Niger hat dieser Druck jedoch einen schlechten Anfang genommen. Vor allem das Nachbarland Nigeria reagierte heftig. Dessen politische Führung wurde von dem Staatsstreich überrascht und zeigte sich verärgert über diesen »Putsch, der einer zu viel ist«, wie es der kurz zuvor gewählte Staatspräsident Bola Tinubu formulierte, der entschlossen ist, der ECOWAS einen genuin nigerianischen Stempel aufzudrücken (auch wenn nicht alle in Nigeria ausreichend über ihr frankophones Nachbarland informiert sind).
Die Reaktion bestand in der Androhung einer militärischen Intervention und in der sofortigen Umsetzung von Sanktionen wie der Unterbrechung der Stromversorgung Nigers, die zu mehr als 70% aus Nigeria kommt. Die Putschisten in Niamey, die in ihrer Naivität nicht mit dieser Reaktion gerechnet hatten, reagierten empört: Sie riefen Botschafter zurück, kündigten Abkommen und verweigerten den Empfang von Gesandten.
Sollte es den Putschisten gelingen, ihre Herrschaft zu konsolidieren und ihre Unnachgiebigkeit aufrechtzuerhalten, indem sie jeden Kompromiss mit Nigeria und dem Westen ablehnen, der unweigerlich einen Bruch mit den Methoden der malischen und burkinischen Junta bedeuten würde, wird das wahrscheinliche Ergebnis der Rückzug der europäischen Sicherheits- und Entwicklungshilfe (wenn nicht sogar der humanitären Hilfe) und die Fortsetzung der ECOWAS-Sanktionen sein, die für Niger wahrscheinlich noch schädlicher sein werden als für Mali.
Die nigrische Bevölkerung wird darunter leiden, aber sie wird es als ein weiteres Unglück unter vielen hinnehmen, vor allem angesichts ihrer sprichwörtlichen Angst vor »dem Soldaten«. Dann gibt es noch zwei Unbekannte: die Haltung der USA, die an ihren Wüstenbasen festhalten wollen, und die Haltung Russlands, falls die Junta beschließen sollte, sie in Gestalt der Wagner-Truppe nach Niger einzuladen. Was angesichts ihrer jüngsten Rhetorik nicht unmöglich ist.
Abdourahmane (Rahmane) Idrissa ist als Politikwissenschaftlicher am African Studies Centre an der Universität Leiden (ASCL) in den Niederlanden tätig. Zahlreiche Publikationen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Fragen zu Staaten, Institutionen und Demokratisierung in Afrika, den salafistischen Radikalismus in der Sahelzone und aktuelle Projekte zur Geschichte der Staatsbildung in Afrika, wobei er sich sowohl auf die moderne (Niger) als auch auf die vormoderne Epoche (Songhai) konzentriert. Zuvor hatte er in Niger den von ihm mitgegründeten Think Tank EPGA (Économie Politique et Gouvernance Autonome) mit den Schwerpunkten Migration, Jugendbeschäftigung und Demografie geleitet. Außerdem arbeitet er mit dem in Niamey ansässigen sozialwissenschaftlichen Exzellenzzentrum LASDEL zusammen und ist Mitglied des Redaktionsausschusses der Zeitschrift African Studies Quarterly an der University of Florida.
Seine hier dokumentierte Analyse ist zuerst am 7.8.2023 unter dem Titel Rule by Junta auf Sidecar publiziert worden, dem Blog von New Left Review. (Übersetzung: Hinrich Kuhls) In NLR 132 (November 2021) war von ihm der Beitrag Mapping the Sahel erschienen.