22. Oktober 2018 Thomas Nord/Peter Frigger: Bewegte Zeiten und Kontinuitäten

Die Konservative Revolution

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Die Ergebnisse der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober 2018 zeigen starke Bewegungen in der Parteienlandschaft. Die CSU hat das schlechteste Ergebnis seit 1950 erzielt und ihre absolute Mehrheit verloren. Die Alternative für Deutschland (AfD) zieht in den 15. Landtag ein. Nach der Wahl in Hessen am 28. Oktober dürfte sich in der CSU das Personalkarussell drehen.

Anfang des Jahres hat Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag eine »Konservative Revolution« in Deutschland gegen die dominierende »linke Meinungsvorherrschaft« gefordert.[1] Der Begriff der Konservativen Revolution wird zumeist nur von der extremen Rechten benutzt, Dobrindt hat aus taktischen Motiven eine Grenze übertreten, um in braunen Gewässern nach Stimmen zu fischen.

Die heutigen Versuche, diesen Begriff und seine Inhalte wieder salonfähig zu machen, werden in einer Zeit durchgeführt, in denen die Europäische Union auf wackeligen Füßen steht. Sie steht vor hart umkämpften Parlamentswahlen und der Neubesetzung der Gremien für den Zeitraum von 2019 bis 2024.

In den Ergebnissen der nationalen Wahlen der vergangenen Jahre sind teils sehr starke Veränderungen der politischen Kräfte in den Mitgliedsstaaten nach rechts zu erkennen. Polen, Ungarn, Frankreich, Italien, Schweden, Slowakei und andere. Dieser Prozess hat unübersehbar auch in Deutschland eingesetzt. Grund genug, einmal auf die Hintergründe der Konservativen Revolution zu schauen.


Das Handbuch

Ein Handbuch über die Konservative Revolution wurde in der mittlerweile 6. völlig überarbeiteten und erweiterten Auflage im Jahr 2005 veröffentlicht. Die Neuherausgabe ist von Karl-Heinz Weißmann überarbeitet, der an den 2003 verstorbenen Autor Armin Mohler erinnert. Armin Mohler wurde 1920 geboren und hat die erste Konzeption der Konservativen Revolution als Dissertation an der Universität Zürich eingereicht. Sie wurde in der ersten Auflage 1950 veröffentlicht, Mohler hatte gerade eine Tätigkeit als Privatsekretär bei Ernst Jünger angetreten, dessen Roman »In Stahlgewittern« über seine romantisch verklärten Kriegserlebnisse auch heute noch zu den Standardwerken der Rechten gehört.


Der Herausgeber

Im Jahr 1940 wurde Mohler in der Schweiz zum Waffendienst einberufen, er flüchtete jedoch über die Grenze, um sich der Waffen-SS anzuschließen. Bei seiner Rückkehr in die Schweiz wurde er zu einem Jahr Festungshaft verurteilt. In einem 1973 veröffentlichten Essay fasste Mohler den Begriff der Konservativen Revolution als einen Sammelbegriff »für eine große Menge von Weltanschauungen (…), die seit den 1890er Jahren entstanden sind und auf den Zerfall des klassischen Links-Mitte-Rechts-Schemas reagierten, indem sie neue ideologische Konzepte schufen, die gekennzeichnet waren durch die Aufnahme von Vorstellungen, die traditionell nur der Linken oder der Rechten zugewiesen wurden, durch die Lösung von der Rückwärtsgewandtheit des alten Konservatismus und die Bejahung der Moderne (…) zu dem Zweck, Verhältnisse zu schaffen, deren Erhaltung sich lohnt.«[2] Es handelt sich hier um den Versuch einer Sammelfront, darin liegt die Gefahr und Versuchung für Teile der Linken zugleich, die eher von einer Querfront spricht.


Der Mitherausgeber

Karl-Heinz Weißmann, Alter Herr in einer Göttinger Burschenschaft, Autor der Wochenzeitung »Junge Freiheit« und Lehrer in Northeim (Niedersachsen), war nach eigenen Angaben schon seit der dritten Auflage von 1989 an der Überarbeitung und Aktualisierung beteiligt. Mohler hat ihm den Staffelstab für die Weiterführung des Projekts übergeben.

Weißmann und der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, kommen aus der Deutschen Gildenschaft. Sie kann bedenkenlos als völkisch-nationalistisch eingestuft werden. Auch Götz Kubitschek, der gerade auf der Frankfurter Buchmesse wieder für Schlagzeilen gesorgt hat, kommt aus dieser Verbindung. Im Jahr 2000 haben Kubitschek und Weißmann das Institut für Staatspolitik (IfS) als eine Art Denkfabrik der Neuen Rechten gegründet.

Nicht zuletzt wegen der Übergabe der Herausgeberschaft der Konservativen Revolution von Armin Mohler verdankt Weißmann die Berufung als stellvertretender Vorsitzender in das Kuratorium der AfD-nahen Desiderius Erasmus Stiftung. Stiftungsvorsitzende ist die ehemalige CDU-Abgeordnete aus Hessen, Erika Steinbach. Steinbach ist eine politische Ziehtochter von Alfred Dregger (1920-2002).

Dregger war einer der prominentesten Vertreter der Stahlhelmer in der CDU. Steinbach war von 1998 bis 2014 Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen. Sie kennt Alexander Gauland aus seiner Zeit in der Hessen CDU, wo er 1989 Leiter der Staatskanzlei war. Hier werden Konturen eines Netzwerkes sichtbar, dass an historische Wurzeln seit 1890 anknüpfen will und der Meinung ist, revolutionären Konservatismus und die nationalsozialistische Bewegung, die sich in deren gedanklichen und zeitlichen Fahrwasser herausgebildet hat, trennen zu können.


Die »saubere« Zwischenkriegszeit

Mohler hat stets darauf hingewiesen, dass er keine wissenschaftliche, sondern eine politische Arbeit verfasst hat, die »eine Hilfe für die rechte Intelligenz in Deutschland sein« sollte.[3] Interessant ist die Differenz in der zeitlichen Rückbetrachtung. Während Mohler in dem Essay von 1973 einen zeitlichen Ursprung in den Jahren seit 1890 sieht, wird im Untertitel der 6. Auflage der Zeitraum der Betrachtung von 1918 bis 1932 eingegrenzt.

Diese zeitliche Eingrenzung ist ein durchschaubarer Versuch, die Zeit vom Ende des Ersten Weltkriegs und der Ernennung Adolf Hitlers zum letzten Kanzler der Weimarer Republik abzugrenzen. Der Eindruck soll erzeugt werden, als wenn es eine intellektuell und politisch klare Abgrenzung der Ideen einer Konservativen Revolution und der entstehenden nationalsozialistischen Bewegung gäbe. Aber eine klare Abgrenzung ist nicht haltbar. Die Konservative Revolution ist Vorbereiterin faschistischer Gesinnungen und des Dritten Reichs, wie ein Blick auf einige der Autoren zeigt.


Ernst Jünger

Namentlich wird auf Ernst Jünger und sein 1932 veröffentlichtes Buch »Der Arbeiter« als Ideengeber für Mohler verwiesen. Jünger sieht den Arbeiter als »Gestalt«, »die bereits mächtig in die Geschichte eingegriffen hat und die Formen einer veränderten Welt gebieterisch bestimmt«.[4] Jünger beschreibt die Dialektik als nicht geeignetes Instrument, seine Gestalt des Arbeiters ist der Dialektik übergeordnet und mythisch aufgeladen. Der Arbeiter führt aus Sicht von Jünger einen Angriff gegen die historischen Systeme, in dem er sich »der ihm allein zugeordneten Mittel nicht im liberalen, sondern im Sinne einer überlegenen Rasse bedient«.[5] Ein Exemplar des 1926 veröffentlichten Buchs »Feuer und Schwert« hat Jünger mit persönlicher Widmung »dem nationalen Führer Adolf Hitler«[6] zugesendet.


Arthur Moeller van den Bruck

Ein weiterer Autor des Handbuchs über »Die Konservative Revolution« ist Arthur Moeller van den Bruck, sein Haupttext von 1923 trägt den Titel »Das Dritte Reich«. Sein Ziel: »Wir wollen nicht die Revolution weitertreiben, sondern die Ideen der Revolution, die in ihr lagen und die sie nicht verstand. Wir wollen diese revolutionären mit den konservativen verbinden, die sich immer wieder herstellen, und wollen sie konservativ-revolutionär dahintreiben, wo wir Zustände erreichen, in denen wir wieder leben können.«[7] Moeller van den Bruck hat das Schlagwort vom »Dritten Reich« populär gemacht, aber er stammt von Dietrich Eckart (1868-1923). Eckart trat Mitte August 1919 der Deutschen Arbeiter Partei bei und traf dort einen Monat später auf Adolf Hitler und wurde dessen intensiver politischer und finanzieller Förderer, er finanzierte z.B. auch den »Völkischen Beobachter«.[8]


Oswald Spengler und Carl Schmitt

Mohler und Weißmann zählen auch Oswald Spengler und sein 1923 veröffentlichtes Buch vom »Untergang des christlichen Abendlandes« zur Konservativen Revolution, dessen Titel bis heute ein geflügeltes Wort ist. Aber auch den Reichsfachgruppenleiter und Staatsrat Professor Doktor Carl Schmitt, der 1933 in die NSDAP eingetreten ist. Am 1. August 1934 hat er in der Deutschen Juristen-Zeitung den Artikel »Der Führer schützt das Recht«[9] veröffentlicht: »Alle sittliche Empörung über die Schande eines solchen Zusammenbruchs [die Niederlage im Ersten Weltkrieg ist gemeint] hat sich in Adolf Hitler angesammelt und ist in ihm zur treibenden Kraft einer politischen Tat geworden. (…) Das gibt ihm das Recht und die Kraft, einen neuen Staat und eine neue Ordnung zu begründen.«[10]

Mit dem Artikel legitimiert Schmitt die so genannte »Nacht der langen Messer« am 1. Juni 1934. Hitler hat für diese Nacht die Ermordung des SA-Führers Ernst Röhm und weiterer ihm politisch unliebsamen Personen angeordnet, die Schätzungen liegen zwischen 90 und 200. Nach den Morden verlor die SA ihre politische Bedeutung und die SS wurde aufgewertet. Schmitt schrieb wenige Tage später im Aufsatz »Der Führer schützt das Recht«, dass »der heutige deutsche Staat [im Unterschied zu dem von 1917] die Kraft und den Willen hat, Freund und Feind zu unterscheiden. (…) Wer den gewaltigen Hintergrund unserer politischen Gesamtlage sieht, wird die Mahnungen und Warnungen des Führers verstehen und sich zu dem großen geistigen Kampfe rüsten, in dem wir unser gutes Recht zu wahren haben«.[11]


Versuch der Wiederbelebung

Im Jahr 2016 haben sich einige nationalreaktionäre Parteien wie die Freiheitliche Partei Österreichs unter Leitung von Hans-Christian Strache, der Front National (heute (Ressemblement National) unter Führung von Marine le Pen, die Partij voor de Vrijheid unter Führung von Geert Wilders und die Alternative für Deutschland unter Leitung von Frauke Petry werbewirksam getroffen und als Kampagnenmotto einen »Patriotischen Frühling« ausgerufen.

Seit dem Ende der Kampagne Patriotischer Frühling ist ein verstärkter Rückgriff auf den Begriff der Konservativen Revolution zu verzeichnen. Am 11. November 2018 jährt sich das Ende des Ersten Weltkriegs für die Europäischen Zentralmächte zum 100. Mal. Damals haben die Altkonservativen die Bilder von der »Dolchstoßlegende« und dem »Versailler Verdikt« geprägt, um von ihrer Verantwortung abzulenken. Auf beide Elemente hat Hitler die Behauptung gesetzt, dass der Erste Weltkrieg vom Deutschen Reich noch hätte gewonnen werden können.

Die »sittliche Empörung«, die Carl Schmitt beschrieb, resultierte aus diesen Mythen und wurden Hitlers motivatorische Quellen für den Kampf um die Wiedererrichtung einer Reichsordnung. Mohler nannte die Zielstellung einer Konservativen Revolution »Verhältnisse zu schaffen, deren Erhaltung sich lohnt.« Bei Moeller van den Bruck waren es die anzustrebenden Zustände, in denen er und seine »Wir-Gruppe« wieder leben können.

Die heutigen Akteure einer Konservativen Revolution rechnen sich gute Chancen für ihren weiteren Aufstieg aus, weil das politische Berlin in der vierten Amtsperiode von Angela Merkel einen lähmenden Auszehrungsprozess durchlebt. Der Blick in das Handbuch, aber auch die Entwicklung in der AfD von Lucke über Petry zu Höcke zeigt, dass man selbst ungewollt Dynamiken in Gang setzen kann, die man am Ende nicht mehr unter Kontrolle hat.

Thomas Nord ist Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, dort ordentliches Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der EU, und Mitglied im Parteivorstand der Linkspartei. Peter Frigger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei MdB Thomas Nord.

[1] https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus172133774/Warum-wir-nach-den-68ern-eine-buergerlich-konservative-Wende-brauchen.html
[2] Mohler, Armin/Weißmann, Karl-Heinz: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Graz, 2005, S. 8.
[3] Ebd., S. 4.
[4] Ernst Jünger, Der Arbeiter, Hamburg, 1932, Vorwort.
[5] Jünger, Arbeiter, S. 299.
[6] https://www.welt.de/wams_print/article2333149/Wie-Hitler-und-Hess-um-Ernst-Juenger-warben.html
[7] Moeller van den Bruck, Artur: Das Dritte Reich. Hamburg, S. 25.
[8] https://www.welt.de/geschichte/article159331952/Wer-noch-immer-das-Grab-des-Hitler-Erfinders-pflegt.html
[9] Deutsche Juristen-Zeitung, Organ der Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, 39. Jahrgang, Heft 15.
[10] Ebd.
[11] Ebd.

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