12. August 2023 Franco Ferrari
Die Krise der Partei DIE LINKE und die Linke in Europa
In Deutschland ist erneut von einer Spaltung der LINKEN die Rede, mit einer Abspaltung der Strömung um Sahra Wagenknecht, die in der Presse als »souveränistisch« bezeichnet wird. Die Europawahlen 2024 zwingen die rivalisierenden Kräfte zu zunehmend widersprüchlichen Strategien.
Die Parteiführung der LINKEN hat angekündigt, dass auf den Listen für die Europawahlen mehrere Persönlichkeiten vertreten sein werden, die sich auf unterschiedliche Weise für die Unterstützung von Migrant*innen einsetzen, darunter Carola Rackete, die in Italien für ihre Rettungsaktionen im Mittelmeer und ihre Auseinandersetzung mit dem damaligen Innenminister Salvini bekannt ist.
Diese Entscheidungen werden von einem Teil der Partei als eine weitere Verstärkung der Tendenz angesehen, DIE LINKE als Ausdruck einer »humanitären« Linken zu konfigurieren, die in den neuen Mittelschichten der Großstädte angesiedelt ist, die hauptsächlich aus Intellektuellen und Beschäftigten im Dienstleistungssektor besteht, die eher von moralischen Impulsen als von einer Logik sozioökonomischer Interessen angetrieben werden.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Führung der LINKEN in einem Kontext, in dem ihre Massenverankerung in den neuen Bundesländern deutlich abnimmt, versucht, sich in der Wählerschaft zu etablieren, die den Aufstieg der Grünen unterstützt hat und nun sieht, dass sie eine Politik in Regierungsverantwortung gebracht hat, die in vielen Fällen sehr weit von der Politik entfernt ist, die sie ursprünglich vertreten hat, wenn nicht sogar das Gegenteil.
In der Partei DIE LINKE polarisieren sich zwei unterschiedliche Auffassungen von der Linken. Auf der einen Seite die Partei, die mit den neuen (oder sehr neuen) sozialen Bewegungen in Verbindung steht und sie vertritt, wobei sie oft in ihrem Charakter schwankt und sie sogar in einen Diskurs integriert, der dem liberalen Paradigma untergeordnet ist. Auf der anderen Seite steht eine Strategie, die darauf abzielt, den Konsens mit den traditionellen Arbeiterschichten wiederherzustellen, die einerseits durch die Aufrechterhaltung eines (wenn auch zunehmend brüchigen) Vertrauensverhältnisses zur Sozialdemokratie, und andererseits durch die Hinwendung zur extremen Rechten gespalten sind.
Einige der Thesen von Wagenknecht, die den in den letzten Jahrzehnten dominierenden Kräften auf der Linken vorwirft, an Teile der Wählerschaft zu appellieren, die sich von Identitätsmotiven und den Ansprüchen immer enger werdender Gruppen leiten lassen, und dabei die Orientierungen und Anliegen der Mehrheit der Bevölkerung außer Acht zu lassen, haben wir bereits kennengelernt.
Es gibt Umfragen, die einer hypothetischen Partei mit Wagenknecht als charismatischer Führungsfigur ein Unterstützungspotenzial von 15% bescheinigen. Deutlich mehr als die Herkunftspartei, die mühsam zwischen 4% und 6% pendelt. Eine Zustimmung, die aus allen Milieus käme, auch von denen, die jetzt den Erfolg der rechtsextremen AfD bejubeln.
Die Linke in Europa
Eine Zeit lang war DIE LINKE ein Bezugspunkt für große Teile der europäischen Linken. In Frankreich gründete Jean-Luc Mélenchon im Beisein von Oskar Lafontaine die Parti de Gauche, bevor er sich einer bestimmten Version des Linkspopulismus zuwandte.
Der Streit innerhalb der deutschen Partei könnte zu einem Ausscheiden der LINKEN aus dem Parlament bei den Bundestagswahlen 2025 führen, mit einem Ergebnis, das man als »italienisch« bezeichnen könnte, bei dem die Zersplitterung in gegensätzliche Projekte zu einer dauerhaften Marginalisierung aus dem politischen System führt. Oder zu einer strukturellen Veränderung der LINKEN mit der Bestätigung einer neuen politischen Formation, die sich jedoch eher in die nationale Realität zurückzieht, als zur Stärkung einer noch sehr schwachen kontinentalen Dimension der radikalen Linken beizutragen.
Die Ereignisse in Deutschland mit ihren Besonderheiten, die auch mit einer umfassenden Krise des Wirtschaftsmodells zusammenhängen, mit dem Deutschland mehrere Jahre lang relativ erfolgreich gelebt hat, müssen in den Kontext der allgemeinen Bewegung der Linken auf europäischer Ebene gestellt werden.
In Griechenland muss sich Syriza nach ihrer jüngsten doppelten Wahlniederlage auf die Zeit nach Alexis Tsipras vorbereiten und ihre Identität neu definieren, indem sie Schritte unternimmt, die sie eher im traditionellen sozialdemokratischen Lager als in der neuen radikalen Linken verorten.
Während Mélenchon in Frankreich eine unangefochtene Vormachtstellung genießt, die sich allerdings noch nicht in einer wirklichen Konsolidierung von France Insoumise niedergeschlagen hat, verfolgt die PCF unter Fabien Roussel in gewisser Weise eine ähnliche Politik wie Wagenknecht in Deutschland, indem er versucht, die traditionellen (oder als solche wahrgenommenen) Volksschichten mit einem Diskurs anzusprechen, der zum Teil eher eine Restauration der Vergangenheit als eine Erneuerung darstellt. Ein Vorhaben, das angesichts der besonderen Struktur des französischen politischen Systems, in dessen Mittelpunkt die Präsidentschaftswahlen stehen, mittelfristig sogar einen gewissen Erfolg haben könnte.
In Spanien haben wir gesehen, wie der politische Zyklus, der mit dem Aufstieg von Podemos verbunden ist, zu Ende ging und sich mit »Sumar« eine andere politische Formation durchgesetzt hat, in der das populistische Element durch einen Diskurs abgeschwächt wurde, der sich an die »arbeitenden Klassen« wandte, ohne sie notwendigerweise gegen die Bestrebungen der neuen Identität und der postmaterialistischen Bewegungen auszuspielen.
Das Dilemma der radikalen Linken
Die radikale Linke in Europa neigt dazu, sich um drei mögliche strategische Hypothesen herum zu strukturieren, die als Idealtypen zu verstehen sind, so aber nicht in Reinform in den verschiedenen Parteien zu finden sind:
- die »Regenbogenpartei«, die versucht, die verschiedenen Bewegungen zu vereinen und zu repräsentieren;
- die »populistische Linke«, die den Konflikt zwischen Volk und Eliten vereinfacht, wenn auch in einer inklusiven und nicht exklusiven und hierarchischen Logik, wie sie die ethno-nationalistische Rechte antreibt;
- die »Arbeiter-Massenpartei«, die sich als Instrument einer erneuerten Klassenpolitik in einem Kontext neu positioniert, der von der Hegemonie des neoliberalen Kapitalismus bestimmt wird.
Mit allen drei strategischen Orientierungen wird versucht, Antworten auf die Krise der antikapitalistischen Linken in Verbindung mit der Arbeiterbewegung zu formulieren, die sich seit den 1980er Jahren abzeichnet.
Die populistische Hypothese war eine Zeit lang einigermaßen erfolgreich, scheint aber heute auf dem Rückzug zu sein. Die Linke hingegen schien in der Lage zu sein, alle drei genannten strategischen Varianten mit einigem Erfolg zu kombinieren. Ab einem bestimmten Punkt schließen sie sich jedoch gegenseitig aus.
Die Hypothese der »Arbeiter-Massenpartei«, der Massenpartei, die sich auf die Arbeiterklasse stützt, wird mit einer gewissen Konsequenz von der US-amerikanischen Zeitschrift Jacobin vertreten und findet in verschiedenen politisch-ideologischen Strömungen und Parteien der Linken in Europa Anklang. Elemente dieser Strategie finden sich in einigen recht erfolgreichen Formationen unterschiedlicher Provenienz wie der belgischen PT oder der irischen Sinn Fein, auch wenn beide bisher davon profitiert haben, dass sie sich nicht in Regierungsverantwortung bewähren konnten (sieht man einmal von der Präsenz der Sinn Fein in Nordirland in einem sehr speziellen Kontext ab).
Der italienische Fall stellt sich in diesem Rahmen als besonders kompliziert dar. Die drei strategischen Hypothesen wurden teils gegensätzlich, teils eklektisch vermischt verfolgt, ohne dass eine wirklich kohärente theoretische Ausarbeitung erfolgte.
Zwei Besonderheiten müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Die erste ist, dass wir über mehrere Jahrzehnte hinweg eine antikapitalistische Massenpartei hatten, die stark verwurzelt war, wie der Partido Comunista Italiano (PCI) Togliattis. (Die Erfahrungen der Nachfolgepartei mit Enrico Morando – wenn auch weniger ausgeprägt – sollen nicht unerwähnt bleiben). Mit einigem Nachdruck wurde diese Partei auch von Ernesto Laclau, dem führenden Theoretiker des Linkspopulismus, als Bezugspunkt betrachtet. Die Krise der PCI ist eher in der Mitte der 1980er-Jahre mit dem Scheitern des Erneuerungsversuchs von Berlinguer zu verorten als in den 1960er-Jahren.
Das Konzept einer antikapitalistischen Massenpartei entsprechend der Matrix von Togliatti wurde auch von verschiedenen politisch-ideologischen Strömungen heftig bekämpft, die sowohl mit den Traditionen minoritärer Strömungen der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Bewegung (Bordighisten, Trotzkisten usw.) als auch mit der Radikalisierung von Minderheitssektoren der sozialistischen Bewegung (Panzieri) und schließlich mit der gesamten als operaistisch oder postoperaistisch definierten Strömung verbunden waren.
Mit der Krise von Rifondazione Comunista, in der sich sowohl Tendenzen, die in einer gewissen Kontinuität zur kommunistischen Mehrheitstradition Italiens standen, als auch solche, die ihr feindlich gegenüberstanden, vereinigten, kam es zu einer akzentuierten Fragmentierung in gegensätzliche politische Projekte und Identitäten, wobei jene Strömungen deutlich überwogen, die sich von Anfang an gegen das »togliattische« Parteimodell gestellt hatten (auch wenn oft nicht ganz klar war, was unter »togliattisch« zu verstehen war).
In diesen Tagen – in Koinzidenz mit dem 90. Geburtstag von Antonio Negri und dem Tod von Mario Tronti im Alter von 92 Jahren – wurde vor allem das theoretische Gewicht des operaismo betont, in dem die Opposition gegen den »togliattismo« auch bei sehr unterschiedlichen politischen Wegen immer als gemeinsames und grundlegendes Element behauptet wurde. Alle Elemente, die (nicht immer zu Recht) als charakteristisch für das Paradigma galten, um das herum der PCI aufgebaut worden war, wurden einer radikalen Kritik unterzogen: die Geschichtsbezogenheit, die Idee des Fortschritts und der Entwicklung, die Idee der Kontinuität mit den fortschrittlichen Seiten der bürgerlichen Kultur. Aber auch andere Aspekte des togliattismo, die dem Marxismus zugehören, wie die Arbeit als Quelle des Reichtums, der widersprüchliche Charakter des Kapitalismus als seine strukturelle Bedingung und Quelle seiner Krisen wurden kritisiert.
Ein weiteres charakteristisches Element des Operaismus ist die Ablehnung der Arbeiterklasse als einer »allgemeinen Klasse«, d.h. als Trägerin nicht so sehr ihrer eigenen Interessen, sondern der Möglichkeit, die Gesellschaft als Ganzes zu einer neuen Produktionsweise zu führen, die in einem höheren Maße als der Kapitalismus Freiheit und Gleichheit garantiert.
Die Sichtweise, dass die Arbeiterklasse als »Teil« nicht mehr Träger eines allgemeinen Interesses ist, ist radikal. Sie korrespondiert direkt mit der Abschaffung des Entwicklungs- und Fortschrittsgedankens und hat vehement ideologisch ihre Krise und den Sieg des Neoliberalismus vorweggenommen. Dank dessen haben die herrschenden Klassen – weit davon entfernt, die ihnen zugeschriebene Rolle als »allgemeine Klasse« aufzugeben – ihre Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung bekräftigt wie auch ihre spezifische Bündnispolitik (die sich gewiss nicht auf die Konfrontation des einen Prozents mit den übrigen 99% reduzieren lässt). Und so haben sie schließlich ihre Hegemonie befestigt.
Nachdem das Konzept der »allgemeinen Klasse« verschwunden war, blieb aus dieser Perspektive der Arbeiterklasse nichts anderes übrig, als subalterne Rebellionen zu betreiben, sich vielleicht in eher mythologische Subjekte zu verwandeln (die Multitude usw.) oder sich passiv an die bestehende Politik anzupassen (indem sie ihre »Autonomie« behauptete). Der Kommunismus ist von einer wirtschaftlich-sozialen Formation, die aus einem realen und komplexen historischen Prozess hervorgegangen ist, zum Ausdruck eines allgegenwärtigen und leicht realisierbaren Wunsches im Hier und Jetzt geworden. Und der Kapitalismus hätte uns währenddessen den Gefallen getan, bereits alle notwendigen Bedingungen für die unmittelbare Verwirklichung dieses Kommunismus zu schaffen.
Ja, in Italien ist die Krise der radikalen Linken das Ergebnis einer Reihe von besonderen Entwicklungen und Ereignissen, von sozialen Veränderungen und Entscheidungen und sogar von politischen Fehlern. Doch man könnte sich fragen, ob es nicht auch eine gewisse Grundlage in der Prävalenz politisch-ideologischer Strömungen gibt, die eben nicht in der Lage waren zu beweisen, dass sie etwas Besseres aufbauen können, nachdem sie zumindest theoretisch an der Zerstörung des praktischen Erfahrungswissens einer antikapitalistischen Massenpartei beteiligt waren – die auch ihre Grenzen hatte und sicherlich nicht unter den Bedingungen reproduziert werden konnte, unter denen sie historisch definiert wurde. Wenn schon nichts Besseres gelungen ist, so hätte doch immerhin eine weniger anspruchsvolle Alternative mit einer zumindest minimalen Massendimension in Angriff genommen werden können.
Ohne ein endgültiges Fazit aus diesen Überlegungen ziehen zu wollen, können wir nur darauf hinweisen, dass es für die Bewältigung der Krise der italienischen radikalen Linken und für die Suche nach einer Lösung vielleicht nützlich wäre, eine Debatte zu entwickeln, die weniger auf die politische Taktik und ihre – wenn auch wichtigen – Fristen fixiert ist, sondern mehr auf die Klärung ihrer Grundlagen abzielt. Dazu gehört, in dieser Auseinandersetzung eine Bestandsaufnahme der Strategien vorzunehmen, die von den politisch-ideologischen Strömungen vorgeschlagen wurden, die sich als erfolgreiche Alternativen zur überwiegend kommunistischen Tradition Italiens angeboten haben.
Franco Ferrari ist Historiker und Politikwissenschaftler sowie Redakteur bei transform! italia. Aktuelle Buchpublikation: Indagine su Picelli. Fatti, documenti, testimonianze. Seine Intervention erschien zuerst am 9.8.2023 unter dem Titel La crisi della Linke e i dilemmi della sinistra radicale auf der Website von transform! italia.