7. November 2023 John McDonnell: Ein Test der Regierungsfähigkeit
Die Labour Party und der Krieg in Gaza
Die Degeneration der Konservativen Partei unter Boris Johnson, Liz Truss und Rishi Sunak – korrupt, inkompetent und ohne Gewicht – lässt einen Wahlsieg der Labour Party als sicher erscheinen.
Die Frage ist nun, ob die Labour Party in der Lage sein wird, effektiv zu regieren – nicht nur bei der Bewältigung der alltäglichen Regierungssaufgaben, sondern auch bei der Reaktion auf potenziell weltverändernde Ereignisse, die moralische Urteile und grundlegende politische Entscheidungen erfordern. Die Ereignisse um und in Gaza waren bisher der wichtigste Test für ihre Regierungsfähigkeit.
Als die Hamas ihr schreckliches Pogrom gegen unschuldige Israelis verübte, wurde dies von der Labour-Bewegung – Partei und Gewerkschaften – einhellig verurteilt. Man war sich auch einig, dass Israel das Recht hat, sich zu verteidigen. Die Art und Weise, wie Israel sein Recht auf Selbstverteidigung ausübt, ist eine heikle moralische und politische Frage. Es gibt Stimmen, die der Labour Party in dieser Frage ein erhebliches Defizit an Urteilsvermögen vorwerfen, abgesehen von ihrer Unerfahrenheit an der politischen Front in Krisenzeiten und dem Mangel an Mitteln zur politischen Umsetzung.
Die Entscheidung der israelischen Regierung, den Gazastreifen zu blockieren und damit die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten zu unterbinden, stellt einen klaren Verstoß gegen Artikel 8 – Kriegsverbrechen – des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs dar. In diesem Artikel heißt es, dass »das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung durch das Vorenthalten der für sie lebensnotwendigen Gegenstände, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen, wie sie nach den Genfer Abkommen vorgesehen sind«, ein Kriegsverbrechen ist. Vor allem aber ist das Aushungern ethisch nicht zu rechtfertigen.
Seit 26 Jahren bin ich Abgeordneter und wurde mit Regierungserklärungen zum Kriegseintritt konfrontiert. Das Römische Statut und die Genfer Konvention sind tief in meiner politischen Entscheidungsfindung verwurzelt. Das Fehlen dieser Erfahrung mag der Grund dafür sein, dass Keir Starmer als Parteivorsitzender auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Blockade des Gazastreifens in einer Weise reagierte, die so viel Angst und Wut auslöste.
Es gibt wohl niemanden in der Politik, der oder die sich nicht schon einmal in einem Interview falsch ausgedrückt hat. Das Problem bei diesem Vorfall war, dass andere Mitglieder des Schattenkabinetts vorgeschickt wurden, um Starmers Aussage zu verteidigen, und es dann neun Tage dauerte, bis versucht wurde, die Sache richtig zu stellen. Selbst dann wurde nicht klargestellt, dass das Aushungern von Zivilist*innen ethisch nicht zu rechtfertigen ist.
Als die Bomben auf den Gazastreifen fielen, sahen wir auf unseren Fernsehschirmen die erschütternden Bilder von getöteten Kindern und ganzen Familien. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza wurden in den ersten 28 Tagen des Konflikts mehr als 3.700 palästinensische Kinder getötet.
Die wirkungslosen Appelle an Israel, sich an das Völkerrecht zu halten, während die willkürlichen Folgen seiner Bombardierungen offensichtlich sind, stellen einmal mehr die moralischen Urteile in Frage, die im Zentrum der Labour-Führung gefällt werden.
Die gleiche Frage stellt sich bei der Entscheidung, sich hinter der Forderung der USA nach einer Pause der Bombardierungen und der Invasion zu verstecken, anstatt einen Waffenstillstand zu fordern. Wie können wir angesichts von mehr als 9.000 Toten moralisch den Vorschlag erwägen, nach einer kurzen Kampfpause die Rückkehr zum unvermeidlichen Massenmord an Zivilist*innen und noch mehr Kindern zu unterstützen, der unvermeidlich ist, wenn Gaza-Stadt Straße für Straße angegriffen wird?
Wenn schon von einer Pause die Rede ist, dann – so mein Rat – sollte es eine sehr kurze Pause für die Labour Party sein, in der sie sich über die ethischen Grundlagen ihrer Entscheidungsfindung klar wird und darüber nachdenkt, ob diese noch mit dem moralischen Kompass übereinstimmen, der unsere Partei seit ihrer Gründung geleitet hat. Politische Fehler und Fehleinschätzungen können in der Opposition zu politischen Problemen führen, in Regierungsverantwortung aber katastrophale Folgen haben. Deshalb ist es besser, das moralische und politische Ruder jetzt herumzureißen.
John McDonnell ist seit 1997 Labour-Abgeordneter für Hayes & Harlington im Westen Londons und war von 2015 bis 2020 finanzpolitischer Sprecher (Shadow Chancellor) der Labour-Fraktion. Seine hier dokumentierte Intervention (Übersetzung: Hinrich Kuhls) erschien zuerst am 3.11.2023 in The Guardian unter dem Titel »Labour’s response to the crisis in Gaza is a test of whether it’s fit to govern«. In Sozialismus.de 11/2023 erschien von ihm (zusammen mit Andrew Fisher) die Analyse »Die Aufgaben einer künftigen Labour-Regierung – Bestandsaufnahme des Erbes langjähriger Austeritätspolitik.«