7. April 2018 Joachim Bischoff / Björn Radke: Perspektiven von SYRIZA

Die letzten Milliarden für Griechenland?

Spätestens im Oktober kommenden Jahres muss in Griechenland gewählt werden. Aktuellen Umfragen zufolge liegt der Premier Alexis Tsipras und das linke SYRIZA-Bündnis deutlich hinter der konservativen Nea Demokratia.

Allerdings hatte SYRIZA in den letzten Monaten den Abstand zur führenden rechtskonservativen Kraft deutlich verringern können. Zudem gibt es in Griechenland erhebliche Bewegung auf dem politischen Feld: Die Parteien der Mitte wie die PASOK und To Potami versuchen den Niedergang durch Fusionierung zu überwinden.

Eine Umfrage von Anfang April zeigt, dass bei Neuwahlen zum Parlament nicht mehr acht, sondern nur noch fünf Parteien eine Chance haben, in die Volksversammlung einzuziehen. Demnach liegt Nea Dimokratia mit 21,6% nurmehr mit 4,4 Prozentpunkten vor SYRIZA (17,2%). Der Abstand zwischen den beiden Großparteien ist damit deutlich geringer als bei vorangegangenen Meinungsumfragen.

Auf Platz drei liegen die neugegründete »Bewegung der Veränderung« (darin vertreten sind u.a. die PASOK und To Potami) und die faschistische Chrysi Avgi: beide werden mit 7,8% notiert. Für die kommunistische KKE würden 6,3% der Befragten ihre Stimme abgeben. Der rechtspopulistische Regierungspartner ANEL würde mit 2,5% der Stimmen den Sprung ins Parlament verfehlen. Das gleiche gilt für die Zentrumsunion mit 2,3%. Die ebenfalls frisch ins Leben gerufene Bewegung MeRA25 des früheren Finanzministers Janis Varoufakis bekäme lediglich 1,2%.

MeRA25 ist »untrennbarer Bestandteil« und der »griechischen Wahlflügel« der von Varoufakis und Mitstreitern Anfang 2016 gegründeten Bewegung DiEM25. In einer Grundsatzerklärung heißt es, man weigere sich, sich »den Anweisungen der Troika und der Oligarchie zu unterwerfen, weil wir die Propagandalüge ablehnen, dass es ›in diesem Europa keine Alternative gibt‹ und weil wir der Meinung sind, dass diese politische Unterwerfung zur Verödung Griechenlands und zur Auflösung Europas führt.«

Weiterhin wird festgestellt: »Acht Jahre nach der Umwandlung Griechenlands in eine Schuldkolonie und seiner Bevölkerung in Schuldsklaven, ist konstruktiver und verantwortungsbewusster Ungehorsam der einzig verantwortungsbewusste Weg, um die Deflation Griechenlands und die Dekonstruktion Europas zu beenden.« Dies sei der »einzige Weg, wie wir Rationalität, authentischen Patriotismus, radikalen Europäismus und natürlich die mit Füßen getretene Verfassung der Hellenischen Republik respektieren können«.

Zur Parteigründung hat Varoufakis einen Sieben-Punkte-Plan vorgestellt. Im Zentrum der Forderungen stehen die Entschuldung des Landes sowie Steuersenkungen. Das von SYRIZA mitgetragene Spar- und Reformprogramm sei vollständig gescheitert. Die Linkspartei habe dadurch Griechenland in den Status einer überschuldeten, peripheren Kolonie heruntergewirtschaftet. Vor allem die Politik der Niedriglöhne sei für die Zukunftslosigkeit verantwortlich. Die junge Generation des Landes fliehe ins Ausland. Varoufakis prangerte einen vierfachen Bankrott an: des Staates, der Banken, der Haushalte und der Unternehmen. Wir kommen am Schluss des Beitrags darauf zurück.


Wie weiter nach Ende des 3. Memorandum?

Seit acht Jahren hängt Griechenland am Finanztropf: Nach dem Ausscheiden des Internationalen Währungsfonds finanziert nur der europäische Schuldenfonds EMS das Hilfsprogramm. Zur Abwehr eines Staatsbankrotts haben die internationalen Gläubigerstaaten seit 2010 drei Memoranden mit den griechischen Regierungen vereinbart. Im Gegenzug zu harten Spar- und Umbauauflagen erhielt das Land drei Hilfspakete, weil eine Kreditaufnahme auf den internationalen Finanzmärkten zu tragbaren Bedingungen nicht mehr möglich war.

Das derzeitige dritte Hilfsprogramm läuft im August 2018 aus. Bis dahin wird es nochmal eine Überprüfung durch die Gläubiger geben, die zu einer abschließenden Auszahlung einer Kredittranche führen wird. Vom gesamten Kreditrahmen des dritten Programms von bis zu 86 Mrd. Euro sind laut ESM-Chef Regling bisher 40,2 Mrd. Euro ausbezahlt (und zwei Mrd. Euro zurückbezahlt) worden. Auch unter Einrechnung der jetzigen und der zu erwartenden letzten Tranche dürfte der Rahmen damit bei weitem nicht ausgeschöpft werden.

Das Direktorium des Euro-Rettungsschirms ESM hat die Auszahlung der aktuellen Tranche beschlossen. Griechenland habe sämtliche dafür erforderlichen »Spar- und Reformmaßnahmen« umgesetzt. Eine Teilzahlung in Höhe von 5,7 Mrd. Euro erfolgt im April, eine weitere Mrd. voraussichtlich im Mai. Diese Gelder sollen zur Tilgung alter Schulden sowie zum Aufbau eines Finanzpuffers eingesetzt werden. »Ich bin zuversichtlich, dass Griechenland auf dem richtigen Weg ist, um aus dem ESM-Programm im August 2018 auszuscheiden«, sagt ESM-Chef Regling. »Vorausgesetzt, die griechische Regierung setzt die verbleibenden Reformen um.«

Auch nach einem möglichen Aufbau eines Reservefonds ist das griechische Schuldendrama noch nicht zu Ende. Der griechische Regierungschef Tsipras sieht sein Land dennoch »auf der Zielgeraden«. Ab August, wenn die Hilfsprogramme auslaufen, soll Griechenland wieder auf eigenen Beinen stehen.

Tatsächlich hat sich die angeschlagene griechische Ökonomie etwas erholt: Nach sieben Jahren Rezession wurde 2017 ein leichtes Wachstum von 1,4% erreicht. Auch die Defizite in den Sozialhaushalten und den öffentlichen Finanzen sind im Griff. Aber es gebe »keinen Grund zur Selbstzufriedenheit«, mahnte der Premier. »Die letzten Meter der Wegstrecke sind die schwersten.«

Jetzt stehen mit der Fortführung des Stabilisierungskurses die Verhandlungen über Schuldenerleichterungen auf der Tagesordnung. Die Parlamentswahlen vom Januar 2015 wurden von SYRIZA auch mit dem Versprechen gewonnen, den Gläubigern einen Schuldenerlass abzuhandeln. Das konnte nicht erreicht werden, stattdessen mussten neue Milliardenkredite akzeptiert werden.

Der angehäufte Schuldenberg wird nach Berechnungen des Athener Finanzministeriums bis zum Ende dieses Jahres auf 332 Mrd. Euro anwachsen. Das entspricht 179,8% des Bruttoinlandsprodukts. 2009, vor dem Beginn der Hilfsprogramme, lag die Schuldenquote bei 126,7% des BIP. Auch wenn das Land inzwischen Dank der Rettungskredite von rund 260 Mrd. Euro wieder liquide ist, kann von einem Ende des griechischen Schuldendramas keine Rede sein. Griechenland weist innerhalb der EU mit Abstand die höchste Schuldenquote auf.

Sollte das internationale Zinsniveau weiter nach oben gehen, könnte es – auch bei positiver Wirtschaftsentwicklung – noch schlimmer kommen. Nach der jüngsten Schulden-Tragfähigkeitsanalyse der EU-Kommission könnte die Schuldenquote unter ungünstigen Bedingungen bis 2060 auf 244% des BIP explodieren.

Die Verhandlungen über Schuldenerleichterung werden Ende April beginnen. Vorrangige Maßnahme: Die Laufzeiten der Hilfskredite sollen verlängert und die Zinsen gedeckelt werden. Bei guter Konjunktur soll Griechenland mehr zurückzahlen, in wirtschaftlichen schwachen Jahren könnten die Tilgungen reduziert oder ganz ausgesetzt werden. So will man verhindern, dass die griechische Wirtschaft unter der Last des Schuldendienstes in eine neue Rezession rutscht und das Land wieder zahlungsunfähig wird.

Laut Euro-Gruppen-Chef Centeno will man insbesondere einen Mechanismus prüfen, der die Schuldenerleichterungen an die Entwicklung des griechischen Wirtschaftswachstums knüpft. Denn die Tragfähigkeit der hohen griechischen Bruttoverschuldung von zuletzt rund 180% des BIP hängt nicht zuletzt vom Wachstum ab, das Griechenland während der langen Rückzahlungsfristen zu erzielen vermag.

Es gibt reichlich Kritiker dieser Konzeption. Sowohl die linke Abspaltung von SYRZA als auch der ehemalige Finanzminister Varoufakis haben lange den Untergang der griechischen Gesellschaft befürchtet. Von rechtskonservativer Seite wurde das völlige Scheitern der »Memorandumspolitik« erwartet. Das Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg veröffentlichte dieser Tage eine Analyse, wonach Griechenland nach wie vor nicht kreditfähig sei und »über kurz oder lang ein viertes Rettungspaket« benötigen werde. Begründet wird dies vor allem damit, dass der gesellschaftliche Kapitalstock mangels Investitionen seit 2011 ununterbrochen schrumpfe.

Die Ergebnisse des Freiburger Thinktanks stehen im krassen Gegensatz zur generellen Wahrnehmung des Landes an den Finanzmärkten und in der Politik. Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen notierte aktuell bei 3,8%, das ist so niedrig wie seit 2006 nicht mehr.

Und auch die Pleitewahrscheinlichkeit für das Land liegt bei nur noch 23%. Inmitten der Schuldenkrise des Landes lag sie bei bis zu 90%. Gleich mehrere Finanzhäuser und Agenturen haben angesichts des positiven Stimmungswandels 2018 zum Wendejahr für Griechenland ausgerufen. Dank besserer Wirtschaftszahlen und einer solideren Haushaltspolitik sei Griechenland inzwischen in der Lage, sich selbst wieder über die Finanzmärkte Geld zu beschaffen, und damit nicht mehr auf die Hilfen der anderen Euro-Staaten angewiesen.

Die Europäische Kommission erwartet für dieses Jahr ein Wachstum von 2,5%, der Internationale Währungsfonds sagt 2,6% voraus.

Außerdem kann das Land sich wieder kurzlaufende Kredite auf dem Kapitalmarkt besorgen, während für längere Fristen überhöhte Zinsen geboten werden müssten. Der Haushalt, den das griechische Parlament Ende Dezember 2017 verabschiedete, sieht einen Primärüberschuss von 3,8% vor, mehr als die Vorgaben seitens der Gläubiger in Höhe von 3,5%. Auch 2017 übertraf Athen nach Regierungsangaben diese Vorgaben bereits deutlich. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass dem Land wirklich ein »sauberer Exit« aus dem Hilfsprogramm gelingen kann.

Gelingt es, das Zinsniveau für den Schuldenberg Griechenlands tief zu halten – also über die langen Tilgungsfristen hinweg unter 1,7% –, wäre eine Schuldentragfähigkeit gegeben, solange die Wirtschaft in den kommenden Jahren kräftig wächst.[1]

Zu bedenken ist, dass die Schuldenlast nicht der Grund der Krise war, auch wenn diese gemeinhin als Staatsschuldenkrise bezeichnet wird. Entscheidend war vielmehr, dass die Relation von Sozialtransfers sowie öffentlichen Ausgaben zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gestört war, und die überlieferte politische Elite keine Kraft und Konzeption zur Beseitigung dieser Ungleichgewichte hatte. Die Chance auf einen nachhaltigen Aufschwung und eine wirtschaftliche Erholung, die auch bei den Menschen ankommt, war in den vergangenen zehn Jahren aber nie so groß wie jetzt.


Politische Perspektiven

Demgegenüber zeigen aktuelle Umfragen, dass 8 von 10 Griech*innen skeptisch gegenüber der Zukunft des Landes und lediglich 19% optimistisch eingestellt sind. Die Resultate der Memoranden-Politik, die Beseitigung von Klientelwirtschaft und Korruption haben negative Folgen für einen Großteil der griechischen Bevölkerung. Noch immer ist die Verarmung ist groß, die Arbeitslosigkeit hoch, die öffentlichen Dienstleistungsangebote unzureichend. SYRIZA und Alexis Tsipras gewannen die Wahlen im Januar 2015 mit dem Versprechen, das Land aus der Schuldenknechtschaft herauszuholen und den Zustand der Misswirtschaft zu beenden. Dies ist teilweise gelungen, aber die Opfer waren beträchtlich.

Der Anteil der Geringverdiener mit einem Nettomonatslohn von weniger als 499 Euro im privaten Sektor lag im vergangenen Jahr 2017 bei 14,5%, fast 30% der Beschäftigten im privaten Sektor verdienten nur zwischen 500 und 699 Euro pro Monat, knapp 13% erhielten zwischen 700 und 799 Euro monatlich. Im öffentlichen Sektor sah die Lage etwas besser aus: Hier lag der Anteil der Beschäftigten mit Nettomonatslöhnen unter 800 Euro im vergangenen Jahr bei etwas über 10%.

In Griechenland und in acht weiteren EU-Ländern sind die Reallöhne laut dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI)im vergangenen Jahr (2017) im Vergleich zu 2010 gesunken. Die größten Einbußen mussten die Griech*innen hinnehmen: 19,1%. Es folgen Zypern (10,2 %) und Portugal (8,3 %), es folgen Italien, Großbritannien, Spanien, Belgien, Finnland und Kroatien. In sechs dieser Länder – darunter ebenfalls in Griechenland (0,4 %) – sind die Löhne auch im Vergleich zu 2016 niedriger gewesen. ETUI-Generalsekretärin Esther Lynch erklärte, dass die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank Lohnerhöhungen fordern würden.

Die Arbeitslosenquote lag im vierten Quartal 20017 lag bei 21,2%, nach 20,2% im Vorquartal, teilte das griechische Statistikamt (Elstat) mit. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat sich die Lage aber verbessert: Damals lag die Quote bei 23,6%. Am stärksten betroffen sind weiterhin junge Menschen. 42,3% von ihnen hatten keine Arbeit. Zudem arbeitet nach Angaben der staatlichen Rentenkasse und der Gewerkschaftsverbände inzwischen fast jede/r dritte Arbeitnehmer*in in der privaten Wirtschaft in Teilzeit.[2]

Diese – insgesamt rund 555 000 Beschäftigte – verdienten im Schnitt 394,13 Euro im Monat. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2009 war in Griechenland Teilzeitarbeit fast unbekannt. Die Gewerkschaften betonen zudem, dass die Lage viel schlimmer sei, als diese Zahlen zeigen: Mehr als 400 000 junge und gut ausgebildete Griech*innen seien in den vergangenen acht Jahren ausgewandert.

Die Linksregierung hat zum Ende des Haushaltsjahres den erwirtschafteten Überschuss – in Absprache mit den Gläubigern – zur Armutsbekämpfung eingesetzt. 720 Mio. Euro konnte Finanzminister Tsakalotos direkt an die Ärmsten der Armen auszahlen. 320 Mio. Euro wurden für fällige Rückzahlungen an RentnerInnen ausgegeben. Die restlichen 360 Mio. Euro gingen an den öffentlichen Stromversorger DEI, der damit billige Stromtarife für einkommensschwache Familien subventionieren kann.

Diese Armutsbekämpfungsaktion ist zwar keine tiefgreifende sozialpolitische Kehrtwende, die die Verarmung der griechischen Unterschichten dauerhaft lindern konnte,[3] für die ärmsten Griech*innen ist das verfügbare Einkommen und die Kaufkraft auch 2017 weiter gesunken. Aber immerhin konnte die Regierung das Memorandum-Programm ohne weitere gravierende Einschnitte beenden. SYRIZA und Alexis Tsipras machen die Enttäuschung eines Großteils der griechischen Bevölkerung zum Thema. Für die Zeit nach dem Auslaufen der Memorandum-Ära soll ein »umfassendes stärker sozial betontes Programm« die Politik bestimmen. Vize-Ministerpräsident Dragasakis versprach der Parlamentsfraktion, nach drei Jahren im Amt werde die Regierung ihre Maßnahmen »zugunsten der gesellschaftlichen Mehrheit« verstärken.

Für die nächsten Monate geht es vorrangig darum, den Ausstieg aus der Memorandumspolitik mit Vereinbarungen über Schuldenerleichterungen abzusichern. Dann sind die Voraussetzungen gegeben, um ein linkes Wählerpotential bis zum Herbst 2019 zurückzugewinnen. Die politische Auseinandersetzung wird dabei geprägt sein von dem Hauptgegner Nea Demokratia, der unverhohlen eine Rückkehr zu den alten Klientelstrukturen ins Auge fasst.

Auch auf der linken Seite des politischen Spektrums artikuliert sich eine anhaltende Kritik. Neben der kommunistischen KKE will der neue Akteur MeRA25 mit seinem Spitzenmann Varoufakis punkten. Deren These lautet: Griechenland sei fast neun Jahre nach Ausbruch der Krise immer noch dazu verdammt, eine Schuldnerkolonie zu sein. Und Alexis Tsipras und SYRIZA hätten nicht nur den Kampf gegen die Troika aufgegeben, sondern sich zudem den drakonischen Sparmaßnahmen Deutschlands angeschlossen – im Austausch gegen ein drittes Rettungspaket, das die Notlage des Landes nur verschärft hat. »Unser Ziel sind die eine Million Griechen, die sich nicht aufgrund von politischer Apathie der Stimme enthalten, sondern die nicht wählen, weil sie stark politisiert sind. Dies ist einzigartiges Phänomen in diesem Land.«

Für Ex-Minister Varoufakis sei die neue Bewegung weit davon entfernt, antieuropäisch zu sein oder eine Zerschlagung der europäischen Union zu propagieren: »Wir sind radikale Europäer, wir sind in der EU, aber gegen diese EU.« »Wir schlagen keinen Austritt oder Auflösung vor. Wir drängen nicht in den Schoß des Nationalstaats zurück. Wir wollen, dass Europa demokratisiert, nicht aufgelöst wird.«

Ob allerdings diese Argumentation gegen die wachsende Rechtstendenz und gegen die von der Regierung Tsipras praktizierte linke Realpolitik greift, darf bezweifelt werden.

[1] Vgl. dazu Barry Eichengreen/Emilios Avgouleas/Miguel Poiares Maduro/Ugo Panizza/Richard Portes/Beatrice Weder di Mauro/Charles Wyplosz/Jeromin Zettelmeyer: Putting the Greek debt problem to rest, 20 March 2018 VOX CEPR policy. »Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern war Griechenlands drittes Wirtschaftsprogramm relativ erfolgreich. Seit 2015 hat das Land die meisten Bedingungen für seine Darlehen erfüllt. Der primäre Finanzierungssaldo ist wieder im positiven Bereich und das Wachstum hat wieder zugenommen. Sowohl die Regierung als auch ihre offiziellen Gläubiger hoffen, dass Griechenland nach dem Ende des Programms in der zweiten Jahreshälfte wieder zu privaten Finanzierungen zurückkehren kann. Bevor dies jedoch passieren kann, wird Griechenland Schuldenerleichterungen benötigen. Die Eurogruppe (2017) bestätigte dies und schlug eine Reihe potenzieller Entschuldungsmaßnahmen vor. Diese beinhalteten die vorzeitige Rückzahlung des IWF durch billigere ESM-Finanzierung und Laufzeitverlängerungen und Zinsaufschübe in Höhe von 131 Mrd. Euro an Krediten, die Griechenland dem EFSF, seinem größten offiziellen Gläubiger, schuldet. Die Europäische Kommission (2018) und der IWF (2017) sind sich einig, dass Griechenlands Schulden nicht tragbar sind. Umstritten bleibt jedoch, wie hoch der Schuldenerlass ist und wie er zu leisten ist. Dies sind die Fragen, die wir in einem neuen Bericht behandeln … Der Bericht hat drei Hauptziele.
– Selbst die Gesamtheit der von der Eurogruppe geprüften Maßnahmen würde nicht ausreichen, um die Tragfähigkeit der griechischen Schulden wiederherzustellen.
– Gläubiger sollten mehrere Optionen zur Verbesserung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands in Betracht ziehen – einschließlich der Ausweitung zusätzlicher öffentlicher Finanzierungen für die künftige, absehbare Zukunft, die Kredite aus teuren privaten Quellen aufzunehmen, und die Anwendung von Maßnahmen der von der Eurogruppe erwogenen Art auf zusätzliche offizielle Kredite. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese Maßnahmen die Schulden Griechenlands nachhaltig tragbar machen werden, wenn sie nicht mit einer Kapitalherabsetzung (Nennwert) einhergehen.
– Solche Reduzierungen könnten über einen begrenzten Zeitraum hinweg bedingt und schrittweise auf eine Art und Weise ausgeweitet werden, die Anreize für Haushaltsdisziplin schafft und gleichzeitig mit der No-Bailout-Klausel der EU-Verträge vereinbar ist.«
[2] Die reale Arbeitslosigkeit liegt nach einer Studie des Instituts für Arbeit des Gewerkschaftsverbandes für die Privatangestellten (INE-GSEE), die sich auf das dritte Quartal 2017 bezieht, wesentlich höher als offiziell beziffert, nämlich bei 27,52 %. INE-GSEE zufolge erhalten lediglich 13% der Erwerbslosen Arbeitslosengeld. Die meisten Arbeitslosen sind Frauen und junge Menschen. 70% der Erwerbslosen sind Langzeitarbeitslose. In Zahlen ausgedrückt sind 1.355.620 Personen von Arbeitslosigkeit betroffen. Das sind sieben Prozentpunkte mehr, als die offizielle Arbeitslosenquote. Dieser Unterschied ergibt sich daraus, dass INE-GSEE in seiner Studie auch solche Arbeitslose mit einbezogen hat, die zwar offiziell nicht gemeldet haben, dass sie Arbeit suchen, die aber dennoch gerne einen Job hätten. Beschrieben wird diese Gruppe als »entmutigte Arbeitslose«. Mit einbezogen wurden auch Personen, die zwar nach einer Arbeit suchen, aber in den »kommenden zwei Wochen« für jeweilige Jobangebote nicht zur Verfügung standen. Ebenfalls mit einberechnet wurden Teilzeitbeschäftigte, die erklärt haben, gerne länger arbeiten zu wollen.
[3] »Entsprechend dem Überprüfungsbericht der europäischen Institutionen hat Griechenland in den vergangenen drei Jahren (2015-2017) die fest gelegten Fiskalziele übererfüllt. Zur Unterlegung des vereinbarten Haushaltsziels eines Primärüberschusses in Höhe von 3,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Jahre 2018-2022 hat die griechische Regierung im Juni 2017 ein Haushaltspaket mit Rentenreform und Einkommenssteuerreform verabschiedet. Sollte Griechenland im Jahr 2018 das vereinbarte Haushaltsziel übererfüllen, kann es – im Einvernehmen mit den Institutionen – in Erwägung ziehen, den gewonnenen haushaltspolitischen Spielraum zur Stärkung des Sozialsystems und/oder zur Senkung der Steuerlast zu nutzen. « (Griechenland: Dritte Überprüfung des ESM-Anpassungsprogramms)

Zurück