25. März 2021 Björn Radke: Neue Proteste gegen Pandemie-Schutzmaßnahmen

Die »Querdenker« sind wieder auf den Plätzen

Foto: dpa

Nach Polizeiangaben haben in Kassel mehr als 20.000 Menschen gegen die Pandemie-Schutzmaßnahmen demonstriert. Die Demonstranten ignorierten die Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofs, nur auf zwei zugewiesenen Plätzen zu protestierten, und zogen stundenlang durch die Innenstadt.[1]

Mund-Nasen-Bedeckungen trug fast niemand, auch Abstandsregeln wurden geradezu leidenschaftlich missachtet. Teile der Demonstrant:innen griffen außerdem Polizist:innen, Gegendemonstrant:innen und Journalist:innen an.

Vorausgegangen war ein Verbot der angemeldeten Versammlungen durch die Stadt Kassel, jedoch zunächst mit Verweis auf den Infektionsschutz. Nach dem Demo-Verbot ging die Mobilisierung zu den Protesten jedoch ungebremst weiter. Mehrere prominente Wortführer der Corona-Maßnahmen-Gegner und bekannte Verschwörungsideologen warben zeitgleich für die Aktion. Als Plattform diente vor allem der Messengerdienst »Telegram«.

Veranstalter des jüngsten Corona-Protests unter dem Motto: »Frühlingserwachen – Die Welt steht auf« sind die »Freien Bürger Kassel«, der lokale Ableger der bundesweiten Querdenker-Bewegung. Diese gingen juristisch gegen das Demo-Verbot vor. Das Verwaltungsgericht Kassel kippte das Verbot zunächst, der hessische Verwaltungsgerichtshof erlaubte in zweiter Instanz schließlich zumindest einen Teil der angemeldeten Proteste unter Auflagen.

Die Veranstalter machten bereits am Vorabend der Proteste deutlich, sich an diese Auflagen nicht halten zu wollen. Solange ein letztinstanzliches Urteil ausstehe, sollten die Demonstranten sich doch »die Innenstadt angucken«. Als die Polizei den verbotenen Demonstrationszug zu stoppen versuchte, eskalierte die ohnehin aggressive Stimmung. Schon auf der Kundgebung bekam der Anwalt Reiner Füllmich[2] Applaus für seinen Satz, in Deutschland gebe es ein faschistisch-totalitäres System. Der Rapper SchwrzVyce skandierte »Unser Land wird von Verbrechern regiert« und die Teilnehmer:innen stimmten ein. Demonstrant:innen griffen Einsatzkräfte an und versuchten, Polizeiketten zu durchbrechen. Die Szenen wiederholten sich mehrfach. Es kann daher an der Systemkritik von Rechts keine Zweifel geben.

Wie schon bei der Großdemo in Leipzig im November letzten Jahres erwies sich die Polizeitaktik gegenüber einer Bewegung als hilflos, die immer deutlicher zeigt, dass sie einer Konfrontation auch gegenüber der staatlichen Autorität gegenüber nicht zurückschreckt. Umso befremdlicher das überharte Vorgehen der Polizei gegen Gegendemonstranten.

Schon seit einem Jahr dient der »Telegram« für die Verbreitung der Verschwörungstheorien , wonach Corona nicht schlimmer sei als eine »normale Erkältung«, Impfung schädlich und nur Bill Gates der Nutznießer. Jegliche Schutzmaßnahmen ignorierend zogen Tausende durch die Stadt mit Parolen wie »Frieden, Freiheit, keine Diktatur«, tanzten Polonaisen und suchten demonstrativ den Körperkontakt trotz steigender Corona-Infektionszahlen.

Innerhalb weniger Wochen ist es der Querdenker-Bewegung gelungen, sich neu zu formieren und zu organisieren. Dabei spielt ihnen die aktuelle Stimmungslage in die Hände. Demnach ist die mehrheitliche Zustimmung für die Regierungsmaßnahmen gekippt, was sicher durch die schlecht kommunizierten und organisierten Maßnahmen verstärkt wurde. Den harten Lockdown mit Schließung vieler Geschäfte, Restaurants, Hotels, Sportstätten und Kultureinrichtungen gibt es nun schon seit mehr als drei Monaten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder hatten am 3. März eine Öffnungsstrategie beschlossen, die sich an den Infektionszahlen orientiert. Seitdem sind die Zahlen in die Höhe geschnellt. Laut YouGov ist eine Mehrheit von 52% der Befragten dafür, Hotels und anderen Beherbergungsbetrieben die Öffnung unter bestimmten Auflagen wie beispielsweise Hygiene- oder Abstandsregeln wieder zu erlauben. 14% sind sogar für eine Öffnung ohne Bedingungen. Nur 25% der Befragten meinen, die Hotels sollten auch in den Osterferien geschlossen bleiben. Sogar zwei Drittel der Befragten wünschen sich eine Öffnung von Restaurants, Biergärten, Kneipen und Cafés. 32% sagen, nur im Außenbereich sollten unter bestimmten Auflagen zu Ostern wieder Gäste bewirtet werden können. Weitere 34% sind dafür, auch den Innenbereich zu öffnen. 11% wollen den Gastwirten die Öffnung ohne Auflagen erlauben. Nur 16% sagen, Restaurants und Kneipen sollten geschlossen bleiben. Nach der nun erfolgten Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns dürfte sich die Kritik an der Pandemiepolitik weiter verstärken.


Neue Formierung?

Auf die Proteste in Kassel sollen nach Ansicht führender Köpfe der Corona-Maßnahmen-Gegner:innen in den kommenden Monaten weitere Großdemonstrationen folgen. Der Stuttgarter Querdenken-Gründer Michael Ballweg kündigte in einem Interview mit dem szenenahen Blogger und Journalisten Boris Reitschuster mehrere Protestaktionen an. Nach einem Verbot geplanter Querdenken-Demonstrationen in Berlin Ende Dezember hatte Ballweg verkündet, zunächst keine weiteren Großdemos organisieren zu wollen. In den vergangenen Wintermonaten fanden in einigen Städten deutschlandweit vor allem Autokorsos statt, vielerorts gab es außerdem kleinere Demonstrationen und Kundgebungen.

Nun kündigte Ballweg eine bundesweite Demonstration in Stuttgart am 03.04.2021 unter dem Motto an: „Das Jahr des Friedens und der Freiheit –Grundrechte sind nicht verhandelbar!“. Mit breiter Brust ruft "Querdenken 711" " ganz Deutschland auf, zu die Cannstatter Wasen zu kommen. "In Stuttgart,wo alles begann, wollen wir das Jahr des Friedens und der Freiheit feiern. Geplant ist eine Kundgebung mit anschließendem Aufzug durch Stuttgart."  Für den 1. und 29. August habe seine Stuttgarter Querdenken-Gruppe außerdem bereits erneute Demonstrationen in Berlin angemeldet – an den Jahrestagen der beiden Großdemonstrationen im vergangenen Jahr, die in weiten Teilen von Verschwörungsideologen und auch von Rechtsextremen dominiert waren. Weitere Demonstrationen würden außerdem von lokalen Querdenken-Gruppen organisiert. Schon in der Vorwoche hatten sich unter anderem in Berlin, Dresden, Kiel, Stuttgart und München mehrere tausend Menschen zu Demonstrationen versammelt. Eine weitere Ausweitung und Radikalisierung der Proteste ist nicht auszuschließen.

Unter dem Motto »Es reicht« hatten sich anlässlich des Beginns des ersten Lockdowns vor etwa einem Jahr in zahlreichen deutschen Städten tausende Gegner:innen der Corona-Maßnahmen sowie Relativierer und Leugner der Pandemie am letzten Wochenende versammelt.[3] Ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie in Deutschland hatte die aus Stuttgart stammende Initiative für Samstag bundesweit in Deutschland Demonstrationen angekündigt. In Dresden hielt die Polizei den Schutz des Impfzentrums für geboten.

Aber nicht nur auf der Straße zeigen sich die Querdenker:innen. Es gibt vielmehr auch Versuche über die Formierung im Parteiengefüge den Einfluss auf das gesellschaftliche Klima zu verstärken. Dabei ist gegenwärtig eher noch überwiegende Zersplitterung charakteristisch. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg startete die im Sommer 2020 gegründete Basisdemokratische Partei Deutschlands (»Die Basis«) ihren ersten Anlauf. Rund 48.000 Stimmen erhielt die Partei, blieb damit nur wenige Stimmen unter der Hürde von einem Prozent, ab dem der Staat Parteien bei ihrer Finanzierung unterstützt. Die Partei finanziert sich ausschließlich über Mitgliederbeiträge und »Mikrospenden«. Eine Großspende hat die Basis allerdings auch bereits erhalten: Das Unternehmen Weiland Stallbau, das mobile Hühnerhäuser herstellt, spendete Ende Dezember 60.000 Euro, wie aus einer Veröffentlichung des Bundestages hervorgeht.

Dabei ist die Verquickung mit rechtsradikalen Positionen offensichtlich. Der »Säulenbeauftragte« der Partei schrieb im Februar auf seinem Facebook-Profil, an allen Ecken und Enden wackele das »Lügengerüst der Regierung«. Nur die Basis bleibe als wählbare Partei übrig, »wenn das Lügengerüst des Corona-Wahnsinns zusammenbricht«. Nach der Verabschiedung des neuen Infektionsschutzgesetzes im November 2020 erklärte der »Säulenbeauftragte«, die Demokratie sei in Deutschland zu Ende, und es sei der »dunkelste Tag der Geschichte«. Die Basis ist aus der Kleinstpartei Widerstand 2020 hervorgegangen, die zuvor im Zuge der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gegründet worden war.

Der Arzt Bodo Schiffmann, der sich seit dem Beginn der Corona-Proteste zunehmend als Verschwörungsideologe zu erkennen gegeben und radikalisiert hat, gehörte zu den Gründern der Partei. Außerdem der Querdenken-Anwalt Ralf Ludwig. Mit zweifelhaften Behauptungen, bereits mehr als 100.000 Mitglieder zu haben, sorgte Widerstand 2020 im vergangenen Sommer schnell für Schlagzeilen. Fast ebenso schnell zerfiel die Partei kurz später nach Streitigkeiten im Führungsteam.

Anschließend gründete sich nicht nur »Die Basis« neu, sondern in Baden-Württemberg auch die Kleinstpartei »Wir2020«, die dort ebenfalls zur Landtagswahl antrat und 0,8% der Stimmen holte. In den vergangenen Monaten ging der Trend zu Parteigründungen im Lager der Verschwörungsideologen und selbst ernannten Querdenker noch weiter. In Berlin wurde im Januar eine »Gründungsveranstaltung« der Partei »Team Freiheit« abgehalten. Zu den »Parteigründern« gehörte etwa der Rechtsanwalt Reiner Füllmich, der durch die Verbreitung von Falschbehauptungen zur Corona-Pandemie einige Bekanntheit erlangt hat.

Noch deutlich radikaler zeigt sich die im Februar im Erzgebirge gegründete Partei »Freie Sachsen«. Deren Vorsitz übernahm der rechtsextreme Chemnitzer Anwalt und Kommunalpolitiker Martin Kohlmann, seine Stellvertreter sind der NPD-Politiker Stefan Hartung und der Plauener Busunternehmer Thomas Kaden, der seit dem vergangenen Jahr regelmäßig Busreisen zu Querdenker-Demonstrationen organisiert.

Der Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler warnt vor einer »Sammlung antidemokratischen Potenzials« bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Eine weitere Radikalisierung der Proteste sei zu befürchten, da sich gewaltorientierte Gruppen aus der rechten Hooliganszene und der »Reichsbürger«-Bewegung den Protesten angeschlossen hätten, sagte Häusler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich mahnte der Sozialwissenschaftler zu einer Differenzierung zwischen antidemokratischem Handeln und berechtigter Kritik an Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Es gebe auch Demonstrationen zum Beispiel von Berufsgruppen, die von Schließungen hart betroffen seien, »die absolut legitime Anliegen vortragen«. Diese stellten jedoch eine »absolute Minderheit« in der Protestszene dar, die von Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und zunehmend rechtsextremen Kräften dominiert werde. »Wo die Pandemie genutzt wird, um Hetze auf die Straße zu tragen, muss dem ein Riegel vorgeschoben werden«, forderte Häusler.

Für das gesamte Rechtsaußenspektrum seien die Corona-Proteste zu einem »Sogpunkt« geworden. Dazu habe auch die AfD beigetragen, die damit ein neues Themenfeld zu besetzen suche. Dies habe ihr aber bisher nicht zu Wahlerfolgen verholfen, sagte der an der Hochschule Düsseldorf tätige Forscher mit Blick auf die Stimmenverluste der Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Sobald die sozialen und ökonomischen Folgekosten der Pandemie stärker sichtbar würden und Unmut auslösten, könne sich für rechtspopulistische Gruppen jedoch eine neue Gelegenheit ergeben.

Die Beteiligung an den Demonstrationen am Wochenende deutete Häusler als Zeichen, dass es mit der Querdenker-Bewegung noch nicht vorbei sei. Nach einer Aktionspause im Winter deute sich ein Wiederaufleben der Proteste an. Auch die Impfkampagne könne dabei zum Thema werden und als vermeintlicher Beleg für den Verschwörungsglauben herangezogen werden, die Pandemie sei eine Erfindung internationaler Geschäftsleute, die die Bevölkerung zwangsweise impfen und mittels injizierter Mikrochips anschließend überwachen wollten. In den Niederlanden habe es bereits Übergriffe auf Impfzentren gegeben, betonte der Wissenschaftler.

Ob dieser Gärungsprozess zu einer letztlich starken Neuformierung neben der AfD kommt, hängt auch daran, wie es den Regierenden und der Mehrheitsgesellschaft gelingt, die Folgen der Pandemie und die damit verschärften Zerrüttungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Strukturen zu überwinden und Perspektiven zu weisen.

Anmerkungen

[1] Die Fakten in diesem Beitrag stützen sich Recherchen des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
[2] 2020 trat Fuellmich in Deutschland als einer der Wortführer der Proteste gegen Schutzmaßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie auf und verbreitete dabei Behauptungen, die von medizinischen Experten widerlegt wurden. Gemeinsam mit anderen Anwälten bietet er deutschen Unternehmen an, sich für 800 Euro (netto) an einer US-Sammelklage auf Schadenersatz gegen die Bundesregierung wegen der Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie zu beteiligen.
[3] Vgl. dazu: Joachim Bischoff/Björn Radke: Nach dem »Sturm auf den Reichstag«. Sammelbecken für eine neue rechte Massenbewegung?, in: Sozialismus.deAktuell 2.9.2020.

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