30. September 2024 Redaktion Sozialismus.de: Die Ergebnisse der Nationalratswahlen

Die radikale Rechte gewinnt in Österreich

Bei der Nationalratswahl in Österreich wurde die FPÖ unter der Leitung des ausgewiesenen Rechtsextremisten – mitunter auch verharmlosend als »Provokateur vom rechten Rand« bezeichnet – Herbert Kickl mit 29,2% stärkste Kraft. Sie legte gegenüber der letzten Wahl um 13 Prozentpunkte zu. Kickl erhebt natürlich den Anspruch, als Kanzler die nächste Regierung anzuführen.

Die bisherige Kanzlerpartei ÖVP wurde mit 26,5% (-11,0) der Stimmen auf den zweiten Platz verdrängt. Drittstärkste Kraft ist die sozialdemokratische SPÖ mit 21,0% (-0,1). Die Liberalen Neos legten leicht zu, bekamen 8% der Stimmen (+0,9) und liegen damit vor den Grünen, die bislang mit den Konservativen regierten, mit 7,4% und einem Verlust von 5,6 Prozentpunkten. Nicht im Parlament vertreten ist erneut die KPÖ, die mit 2,3% gegenüber 0,7% im Jahr 2019 immerhin zulegen konnte.

Die FPÖ hatte bereits lange in den Wahlumfragen geführt und nun diesen Spitzenplatz auch erreicht und stellt im Parlament künftig 58 Abgeordnete. Die bisherige Koalition aus Konservativen (zukünftig 52 Mandate) und Grünen (zukünftig 15 Abgeordnete), die in den letzten fünf Jahren die politische Landschaft in Wien geprägt hat, ist abgewählt worden, sie erreichen nicht die erforderliche Mehrheit von 92 Sitzen im Nationalrat. Eine »große« Koalition aus ÖVP und SPÖ (zukünftig 41 Mandate) wäre möglich, zusammen mit Grünen und/oder Neos (zukünftig 17 Mandate) ergäbe sich rechnerisch eine deutliche Mehrheit gegen die FPÖ.

FPÖ-Chef Kickl wollte einen so großen Abstand zum Zweitplatzierten erkämpfen, dass an einer Regierungsbeteiligung seiner Partei kein Weg vorbeiführt, dieses Ziel ist trotz der schwierigen Regierungsbildung nicht erreicht worden. Alle Parteien schließen eine Koalition mit Kickls Partei an der Spitze aus.

Eine »Brandmauer« wie die zur AfD in Deutschland gibt es in Österreich zur FPÖ nicht. Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ haben schon mit den Rechtsextremen koaliert. Der bisherige Kanzler Karl Nehammer von der ÖVP hat eine Koalition mit Kickl ausgeschlossen, zumindest falls er schnell eine andere Regierungsmehrheit verhandeln kann. Ob Nehammer sich angesichts des massiven Stimmenverlustes der ÖVP von mehr als 13 Prozentpunkten als Parteichef halten kann oder von jemandem abgelöst wird, der an einer Zusammenarbeit mit der FPÖ interessierter ist, muss abgewartet werden. Die ÖVP ist auch deshalb unter Druck, weil die FPÖ vor Kurzem ein Wirtschaftsprogramm verabschiedet hat, das alle Wunschvorstellungen der ÖVP erfüllt.

Nehammer begründet die ablehnende Haltung gegenüber Kickl so: »Weil er sich eben selbst in Verschwörungstheorien verfangen hat, weil er zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation als neue Weltregierung brandmarkt.« Die FPÖ hat sich unter Kickl radikalisiert, sie ist während der Coronapandemie ans Verschwörungsmilieu herangerückt und auch an die Identitäre Bewegung. Expert*innen zufolge sind Parteijugend und Identitäre nicht mehr zu trennen. Die Partei hat auch Forderungen der rechtsextremen Bewegung übernommen, etwa die nach einer »Remigration«.

Die FPÖ greift ähnlich wie alle rechtspopulistischen und rechtsradikalen Bewegungen und Parteien das diffuse Unbehagen und die Zukunftsängste in der Gesellschaft auf und kann sie verstärken, wenngleich Teile ihrer Wähler*innen der Partei nicht zutraut, es besser zu machen. Die FPÖ schafft es, die ängstlichen, besorgten und wütenden Menschen aufzusammeln. Und sie profitierte auch von der Schwäche der anderen Parteien – so haben etwa Österreichs Sozialdemokraten ihre erste weibliche Vorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, aus dem Amt gemobbt, obwohl die SPÖ unter ihr Umfragewerte von 30% hatte, jetzt liegt sie bei knapp über 20%.

Im Wahlkampf dominierten innenpolitische Themen, insbesondere Migration und innere Sicherheit. Das Thema Migration spielt auch in der Bedeutungswahrnehmung der Wähler*innen eine wichtige Rolle. In einer Umfrage, die Ende Mai – kurz vor der Europawahl – durchgeführt wurde, nannten 57% »Asyl/Migration« als besonders wichtiges Thema. Auf mehr Zuspruch stieß nur das Thema »soziale Sicherheit«.

Zuletzt haben die schweren Überschwemmungen und der dadurch ausgelöste Ausnahmezustand in Teilen Österreichs den Wahlkampf kurzzeitig unterbrochen. Fernsehduelle und Wahlkampfveranstaltungen wurden abgesagt. Inwieweit das Hochwasser Auswirkungen auf die Wahl hatte, muss genauer untersucht werden. Die Differenzen in der Beurteilung des Klimawandels und damit der eigentlichen Ursache für die Hochwasser-Konstellation sind offenkundig: Während vor allem die Grünen unterstreichen, dass die Klimakrise längst ausgebrochen sei und die Auswirkungen in Österreich immer stärker spürbar werden (Hitzetote, Starkregen und große Überschwemmungen), stellte dies für die FPÖ »Lügenpropaganda« dar, der Klimaschutz ist für sie ein deutlich nachgeordnetes Problem.

Die rechtspopulistische Partei konnte innerhalb weniger Jahre ihre Stimmenanteile bei Nationalratswahlen vervielfachen. Sie gewann Zustimmung auf Kosten der traditionell dominierenden Parteien der rechten und linken Mitte. Inzwischen ist die FPÖ, neben dem Front National in Frankreich und der niederländischen Freiheitspartei (PVV), zu einer der erfolgreichsten Parteien der auch als Fraktion im Europäischen Parlament organisierten äußersten Rechten Europas geworden.

Neben der Leugnung des Klimawandels stellt sie wie diese die Migration in den Vordergrund. Die auch fälschlicherweise »Freiheitliche« genannte FPÖ will die Sozialhilfe für anerkannte Flüchtlinge gleich komplett streichen, obwohl in Österreich Asylberechtigte sind Österreicher*innen per Gesetz weitgehend gleichgestellt sind. Kickl etwa vertritt das Konzept der »Remigration«, wonach Menschen mit nicht-europäischem ethnischem Hintergrund, die sich ihrer Meinung nach nicht integriert haben, ausgewiseen werden sollen. Schon 2023 hatte er gefordert, Integrationsverweigerern die Staatsbürgerschaft abzuerkennen.

Und Kickl attackiert in bewährter rechtsradikaler Manie ununterbrochen das »System«. Es besteht für ihn aus »Systemparteien«, einer »Systempresse«, »Systempolitikern« und einem »Systemkanzler«, was allesamt wegmüsse. Es geht nicht darum, Reformen oder eine bessere Politik zu machen, sondern um nicht weniger als einen Staats- und Demokratieumbau.

Was das konkret bedeutet, ist im Wahlprogramm der FPÖ nachzulesen und wurde in diversen Reden und Interviews Kickls deutlich gesagt:

  • Es sollen »Notgesetze« möglich werden, mit denen man zum Beispiel das Menschenrecht auf Asyl abschafft.
  • Zuwanderern soll die österreichische Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden, wenn sie »nachhaltig Integrationsverweigerung« betreiben.
  • Es soll verpflichtend eine Volksabstimmung geben, wenn ein Volksbegehren 250.000 Unterschriften bekommt; diese Volksabstimmungen könnten alles Mögliche entscheiden, zum Beispiel ob »das Volk« eine »unfähige« Regierung absetzen kann.
  • Der erste Artikel der Bundesverfassung soll so verändert werden, dass Österreich eine »wehrhafte, souveräne« Republik ist, was »uns vor den Übergriffen der EU, der WHO, des Weltklimarates schützt« – also ein De-facto-Austritt aus der EU.
  • Für Lehrer*innen, die nicht im Sinne der FPÖ unterrichten, soll es eine »Meldestelle gegen politisierende Lehrer« geben; eine »Ombudsstelle« für Fehler der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehsender ORF gibt es schon; Freimaurer sollen namentlich aufgelistet werden.
  • Es soll eine »neue Förderstruktur« für Medien geschaffen werden, an der sämtliche Medien »unabhängig von ideologischen Festlegungen« (auch ultrarechte) teilhaben sollen. Der »überschießende Verhetzungsparagraf«, mit dem »rechte Politik und Meinungen kriminalisiert« würden, soll abgeschafft werden.
  • Schließlich soll Österreich von einem »freiheitlichen Volkskanzler aus dem Volk und für das Volk« regiert werden, dessen Wahlmodus und Befugnisse unklar gelassen werden.

Das alles ist zum großen Teil schlicht verfassungswidrig (»Notgesetze« zur Aufhebung von Menschenrechten; willkürlicher Entzug der Staatsbürgerschaft), anderes unterstellte eine Verfassungsänderung, für die man eine Zweidrittelmehrheit im Parlament sowie eine Volksabstimmung braucht.

Zur diffusen Unzufriedenheit der Wähler*innen, den Klagen über schlechtere Zugänge zum Gesundheitssystem, die Migrationspolitik und die immer noch klingenden Fernwirkungen der Corona-Politik gesellen sich die sehr realen Folgen eines wirtschaftlichen Abstiegs, den der große Reichtum des Landes nur noch unzureichend kaschiert. Belege dafür gibt es viele. Dass sich viele Bürger*innen Sorgen um die Zukunft machen, zeigt sich auch an der steigenden Sparquote. Die Leute geben ihre wachsenden Einkommen nicht mehr aus, sondern legen das Geld zur Seite. Ökonomen reden von »Vorsichtssparen«.

Ähnlich wie in Deutschland steckt auch die österreichische Wirtschaft derzeit in einer hartnäckigen Stagnation. Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind minimal, hinzu kommt eine relativ hohe Staatsverschuldung von fast 78% am BIP. Die österreichische Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Im II. Quartal 2024 schrumpfte das BIP erneut. Vorlaufindikatoren lassen keine baldige Besserung erwarten. Trotz der kräftigen Lohnsteigerungen und des nachlassenden Preisdrucks geben die österreichischen Konsument*innen nur sehr zögerlich Geld aus. In diesem schwierigen Umfeld stieg in Österreich die Arbeitslosenquote in den vergangenen Monaten tendenziell an

Die wirtschaftliche Lage ist also prekär. Das um die Inflation bereinigte reale BIP dümpelt derzeit auf dem Niveau vom Herbst 2019, dem Datum der letzten Wahl. Legt man das Wirtschaftsprodukt um auf die seither gestiegene Zahl der Köpfe, ergibt sich sogar ein Minus: Mehr Leute erwirtschaften weniger als vor fünf Jahren. Ökonomen reden von »verlorenen Jahren«, sie prognostizieren, dass die Wirtschaftsleistung auch in diesem Jahr schrumpfen wird.

Österreich lebe so über seine Verhältnisse, wirtschafte aber unter seinen Möglichkeiten. Zu oft würden Prioritäten falsch gesetzt, verhinderten überkommene Strukturen notwendige ­Veränderungen. Mittlerweile gibt es Kritik am Steuersystem und der Finanzierung der Gesundheitskosten. Die sozialversicherungsrechtlichen Leistungen sowie universelle Leistungen gelten für die gesamte Wohnbevölkerung, unabhängig einer nachgewiesenen Bedürftigkeit. Auch das lange Zeit für vorbildlich eingestufte Pensionssystem, das Männer wie Frauen mit Anfang 60 in die Rente entlässt, soll einer radikalen Überprüfung unterzogen werden.

So attackierte der bisherigen Kanzler Nehammer von der ÖVP die sozialpolitischen Vorstellungen der SPÖ: »Das SPÖ-Modell ist ein Angriff auf alle, die täglich aufstehen und zur Arbeit gehen. Es verhöhnt jene, die mit ihren Steuern unser soziales Netz finanzieren.« Das rote Modell sei »schlicht unfair gegenüber denen, die es finanzieren […]Eine derartige Maßlosigkeit im Sozialsystem wird es mit mir als Kanzler nicht geben.« Stattdessen sei eine fünfjährige Wartefrist notwendig, bevor man Sozialhilfe bekomme. »Es sollten auch nur jene den vollen Anspruch auf Sozialleistungen haben, die zuvor auch in das österreichische Sozialsystem eingezahlt haben.« Die SPÖ hatte stattdessen im Wahlkampf zusätzliche eine neue Kindergrundsicherung gefordert, für jedes Kind sollte es 367 Euro pro Monat geben.

Insofern steht für künftige Koalitionsregierungen, wie auch immer sie aussehen werden, gewaltige Herausforderungen an: Die wirtschaftliche Stagnation muss bekämpft werden, unaufschiebbare Sozialreformen auf den Weg gebracht, und wirksame Schritte gegen den Klimawandel und die Folgen für die Bevölkerung eingeleitet werden. Wie das unter Einbezug der FPÖ gehen soll, selbst wenn diese auf einen Kanzler Kickl verzichten sollte, dürfte einer Quadratur des Kreises nahekommen und die Erosion des traditionellen Parteiensystems weiter forcieren.

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