7. Mai 2024 Redaktion Sozialismus.de: Reaktionen in den USA und in der EU

Die VR China und die ökonomische Systemkonkurrenz

Zentrales Thema bei den vielen Gesprächen von US-amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen bei ihrem kürzlichen mehrtägigen Besuch in der Volksrepublik war Chinas Praxis, die übrige Welt mit kostengünstigen Umwelttechnologieprodukten aus einer hoch subventionierten Fertigung herauszufordern.

Yellen nannte Elektroautos, Solarmodule und Lithium-Ionen-Batterien. »Überinvestitionen, verschärft durch massive Unterstützung der Regierung für bestimmte Industrien, führen zu signifikanten Risiken für Arbeiter und Unternehmen in den USA und im Rest der Welt«, monierte sie auf einer Pressekonferenz in Beijing.

Auch US-Außenminister Antony Blinken forderte China bei seinem Besuch auf, amerikanischen Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen zu bieten. Die diplomatische Offensive beider Politiker*innen zielte darauf ab, eine Reihe von strittigen Problemen zu lösen, die die gerade reparierte Beziehung zwischen beiden Ländern gefährden könnten.

Auf hoher diplomatischer Ebene, zuletzt durch Blinkens Mission, konnte zusammen mit Arbeitsgruppen zu Themen vom Welthandel bis zur militärischen Kommunikation die Verstimmung gemildert werden, die die Beziehungen noch Anfang letzten Jahres auf historischen Tiefstständen prägte. Auch Yellen war bemüht, die Sprachlosigkeit zwischen den Weltmächten auszuräumen.


Chinas Wirtschaftsförderung durch »neue qualitative Produktivkräfte«

Tatsächlich fördert Chinas Regierung Unternehmen des Umweltsektors in bisher nicht dagewesenem Ausmaß. Ein Grund ist, dass der massiv in die Krise geratene Immobiliensektor keine Wachstumsimpulse mehr liefert (siehe hierzu auch den Beitrag »Chinas Wohnungsfrage« von Wolfgang Müller in der Printausgabe von Sozialismus.de im Mai). Folglich müssen die Ressourcen in andere Industrien fließen, um das Wachstum wieder anzutreiben.

Des Weiteren will Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping unter der Formel von den »neuen qualitativen Produktivkräften« eine Modernisierung der Industrien wie in Europa und den USA schaffen. Diese sollen für langfristiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum sorgen. Da die inländische Nachfrage aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche nach wie vor schwach ist, die Firmen aber ihre Fertigungen immer weiter hochfahren, werden die Produkte von China aus in alle Welt exportiert. Viele Firmen haben inzwischen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut.

Auch bei Xi Jinpings Europareise, dem ersten Besuch des chinesischen Präsidenten in Europa seit fünf Jahren, soll die Wirtschaftspolitik besprochen und angepasst werden, so dass das Konfliktpotenzial zwischen China und Europa reduziert wird. Die Europäische Union (EU) hat eine Liste neuer Gesetze ausgearbeitet, mit dem Ziel, die Abhängigkeit von China zu verringern.

Gleichwohl gehört sowohl für die EU als auch für China die jeweils andere Seite zu den größten Handelspartnern. Doch Europa importiert deutlich mehr aus China als es nach China exportiert und aus Brüssel ist häufig der Vorwurf zu hören, China böte keinen fairen Marktzugang. Deswegen leitete die EU im vergangenen Jahr eine Untersuchung der chinesischen Subventionen für Elektrofahrzeuge ein. Die chinesische Regierung bezeichnete diesen Schritt als »nackten Protektionismus«.

Zudem verdächtigt die EU die Volksrepublik, ihre Industrie zu stark zu subventionieren. Am meisten Hilfe erhalten dabei laut der EU-Kommission ausgerechnet jene Sektoren, die auch sie als strategisch einstuft: Halbleiter, Wind- und Solarkraft, E-Autos sowie Umwelttechnik. Die Volksrepublik sieht Europa als wichtigen Absatzmarkt, da die heimische Nachfrage schwächelt, und wirbt um ausländische Investoren.

Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua schrieb in ihrer Ankündigung der Xi-Reise, China und die EU seien »zwei große Kräfte, die die Multipolarität vorantreiben« und »zwei große Märkte, die die Globalisierung unterstützen«. Das Land und insbesondere der chinesische Staatspräsident betreibt seit mehr als einem halben Jahr Offensive, mit der er internationale Konzerne zurückgewinnen will. Für die Bürger*innen vieler europäischer Länder hat China einseitig die visafreie Einreise ermöglicht.

Die chinesische Partei- und Staatsführung hat mit Blick auf die schwere Immobilienkrise deutliche Korrekturen an ihrer Wachstums- und Wirtschaftskonzeption vorgenommen. Anstatt Spekulation mit Wohnungen und ständig neue Investitionen in die Infrastruktur, die zu einem großen Teil keine Erträge abwerfen, wollen sie eine moderne Industriestruktur voranbringen. Diese soll die wirtschaftliche Leistung auf eine entwicklungsfähige Basis stellen.

Mit der Strategie unter dem Etikett »neue qualitative Produktivkräfte« sollen Unternehmen in Bereichen wie Maschinenbau, Robotik oder Automatisierung sowie Medizintechnik- und Pharmafirmen und natürlich Anbieter von grünen Technologien wie Windkraftanlagen und Solartechnik fortan den Vorrang in der Wirtschaftsförderung haben. Xi Jinpingschwebt eine Wirtschaft mit einer breiten industriellen Basis vor, ähnlich wie jene der Schweiz und Deutschlands. Natürlich möchte China so auch unabhängiger vom Ausland werden.

Die modifizierte Strategie zeigt Wirkung. In Chinas Industrie ist ein Ausbau von Kapazitäten zu verzeichnen, die zu einem Teil über den eher verhalten expandierenden Binnenmarkt hinausgehen. Das ist auch auf die lahmende chinesische Konjunktur zurückzuführen. Daher sank die Auslastung der Industrie im ersten Quartal des laufenden Jahres im Vergleich mit dem Vorquartal von 75,9% auf 73,6%.

Besonders gravierend ist die Kluft zwischen der heimischen Nachfrage und den vorhandenen Kapazitäten bei der Produktion von Batterien für Elektroautos. Die Rhodium Group aus New York hat berechnet, dass China im Jahr 2022 fast doppelt so viele Lithiumionenbatterien gefertigt hat, wie im Land installiert waren.


Zwiespältige Haltungen in der EU

Diese Schwerpunktsetzung der chinesischen Industriepolitik empfinden sowohl die USA als auch die EU als Kollisionskurs ihnen gegenüber. Die EU sei viel zu abhängig, lautet die Ansicht der Kommission. »Weniger als 3% der Solarmodule, die in der EU installiert werden, stammen aus Europa«, sagt Margrethe Vestager, die Kommissarin für Wettbewerb. China forciere eine angebotsseitige Wirtschaftspolitik, das »bedroht unsere Wettbewerbsfähigkeit und gefährdet unsere wirtschaftliche Sicherheit.«

Das größte Konfliktpotenzial lauert nach einer Untersuchung, die die EU im vergangenen Oktober in die Wege geleitet hat, in der Elektromobilität. Sie will prüfen, ob Chinas E-Auto-Hersteller so hohe Subventionen erhalten, dass der Markt dadurch verzerrt wird. Unbestritten ist, dass die Volksrepublik E-Auto-Produzenten ähnlich kräftig fördert wie auch andere Firmen aus den sogenannten Greentech-Branchen. Ähnliche Kritik gibt es übrigens auch an der Industriepolitik der USA.

Man sei für Wettbewerb, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich, wofür »wir aber nicht sind, ist, dass China den Markt mit subventionierten Autos flutet«. Gespannt wartet Europas Industrie nun darauf, ob die EU die chinesischen Autohersteller oder Zulieferer mit Strafzöllen oder Quoten belegen wird.

Das harte Vorgehen der Kommission spaltet allerdings Europas Autoindustrie. »Viele unserer Mitglieder produzieren in China«, sagt die Vertreterin eines europäischen Branchenverbandes. Sie wären von höheren Zöllen ebenfalls betroffen. Zudem besteht die Gefahr, dass China Gegenmaßnahmen ergreift.

Während die deutsche Industrie – ähnlich wie manche deutsche Politiker*innen – vor Zöllen auf Autos warnen, drängen die französische Regierung und die EU-Kommission schon seit Jahren auf einen schärferen Kurs. Die Europäer dürften nicht länger naiv sein, müssten ihre Interessen besser verteidigen und brauchten mehr Unabhängigkeit in »Schlüsselsektoren«. Die Chinesen blieben wichtige Handelspartner, sie seien aber eben auch systemische Rivalen.

Wiederholt hat Paris etwa vor einer zu starken Präsenz des Telekommunikationsausrüsters Huawei oder der Überflutung Europas mit stark subventionierten chinesischen Elektroautos, Solaranlagen und Windrädern gewarnt. Und sie hat eine »Buy European«-Quote bei öffentlichen Ausschreibungen ins Gespräch gebracht.

Im Elysée-Palast zeigte man sich im Vorfeld des aktuellen Besuchs von Xi Jinping in Frankreich überzeugt, dass die härtere Gangart Früchte trägt. So habe Präsident Emmanuel Macron seit seinen Gesprächen mit dem chinesischen Präsidenten im Vorjahr den Marktzugang für französische Unternehmen verbessert. Dadurch hätten zuletzt beispielsweise 15 Schlachthöfe und Wursthersteller die Zulassungen für den Export ihrer Produkte nach China erhalten und sei das Rindfleisch-Embargo teilweise aufgehoben worden. Ähnliches indes war auch eines der wenigen Ergebnisse des Scholz-Besuches in Beijing.

Auf der anderen Seite betont Macron die Notwendigkeit einer ausgewogenen Strategie mit der Volksrepublik: »Die Zukunft unseres Kontinents wird auch von unserer Fähigkeit abhängen, ausbalancierte Beziehungen mit China zu entwickeln.« Angesichts der geopolitischen Herausforderungen sei eine Koordination mit Peking »absolut entscheidend«. Diese eher leisen Töne können die aus den wirtschaftlichen Interessen entstehenden Spannungen nicht auflösen.

Macron scheut, anders als bis vor kurzem Washington, eine offene Konfrontation mit Peking. Er verwehrt sich einem »Blockdenken« und ließ nach einem Besuch bei Xi Jinping vor einem Jahr Zweifel aufkommen, ob er sich bei einem chinesischen Angriff für die Verteidigung Taiwans einsetzen würde. Aber eine Politik des »dritten Weges«, der Äquidistanz, wird massiv erschwert durch die chinesische Haltung zum Ukraine-Krieg.

Macron musste sich zu Beginn des Konflikts einst selbst den Vorwurf gefallen lassen, gegenüber Wladimir Putin zu nachgiebig zu sein. Mittlerweile bekundet der französische Präsident offensiv seinen Willen, der Ukraine so gut wie möglich zu helfen – selbst die Entsendung von Bodentruppen ist kein Tabu mehr für ihn.

Die Chinesen hingegen arbeiten im Hintergrund offenkundig weiter daran mit, ein baldiges Ende der »Ukraine-Krise« zu erreichen. Bei seinem Staatsbesuch in Frankreich machte der chinesische Partei- und Staatschef zugleich deutlich: »Wir lehnen es ab, diese Krise zu nutzen, um anderen die Schuld zuzuschieben, ihrem Image zu schaden und einen neuen Kalten Krieg anzuzetteln«, ohne allerdings genau zu sagen, wer damit gemeint ist. An einer Friedenskonferenz werde China erst dann teilnehmen, wenn ein solches Treffen sowohl von Russland als auch von der Ukraine akzeptiert wird.

Der chinesische Präsident hat eine klare Sicht auf den Zwiespalt und die Konflikte der europäischen Partner. In einem Gastbeitrag in der Zeitung »Le Figaro« gibt er auf charakteristische Art den Europäern eine verschlüsselte Orientierung, indem er Konfuzius zitiert: »Der Weise pflegt die Harmonie in der Vielfalt und hält sich in der Mitte, ohne sich auf die eine oder die andere Seite zu neigen. Wie mutig ist seine Standhaftigkeit!«

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