15. November 2021 Björn Radke: Nach dem Gipfel in Glasgow

Die weltweite Klimapolitik bleibt in der Offensive

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Das 26. Treffen der Uno-Klima-Konferenz COP26 mit fast 200 Staaten und über 30.000 Teilnehmer:innen war die bisher größte Klimakonferenz. Die am Ende verabschiedete Abschlusserklärung aller beteiligten Delegationen »erkennt an«, dass die Folgen des Klimawandels bei einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad wesentlich geringer sind als bei 2,0 Grad. Bekräftigt werden die »Bemühungen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad fortzusetzen«.

Das 1,5-Grad-Ziel ist realistisch betrachtet nicht mehr zu realisieren. Wer von einem entsprechenden Kipppunkt des Klimawandels ausgeht, verfällt in Pessimismus. In der Tat: Bis 2030 wäre für das Erreichen der 1,5-Grad-Grenze die Senkung der Emissionen um 45% notwendig. Gleichwohl: Das 2015 in Paris gesetzte Ziel ist erstmals weithin anerkannt und bleibt damit internationale Leitlinie.

Zu einer Beschleunigung der Klimaschutzanstrengungen könnte der Aufruf an die Staaten beitragen, ihre nationalen Klimaschutzziele (NDC) schneller auf den Prüfstand zu stellen als bislang geplant – statt bis 2025 bereits bis Ende 2022. Bisher hatten viele größere Staaten vor allem Langfristziele zur Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts vorgelegt, ohne immer nachvollziehbar auszuweisen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Die notwendige Transparenz, so haben es die Delegierten in Glasgow verabredet, soll im kommenden Jahr nachgeholt werden. Zu den positiven Ergebnissen gehört auch die Initiativen zur Bekämpfung der Methan-Belastung und zum Schutz der globalen Wälder.

Erstmals in einer COP-Entscheidung werden Kohle und andere fossile Energieträger zum Auslaufmodell erklärt. Im Paris-Abkommen von 2015 waren diese nicht als Haupttreiber des Klimawandels genannt worden. Allerdings wurde dieser Artikel noch im letzten Moment wieder abgeschwächt. Statt des Appells an die Staaten, »ihre Bemühungen in Richtung eines Ausstiegs« aus der Kohlenutzung zu beschleunigen, wurde der Aufruf beschlossen, die Staaten sollten die Nutzung von Kohlekraftwerken ohne CO2-Abscheidung »schrittweise verringern«.

Ebenfalls zum ersten Mal wurde im Abschlussdokument eines Klimagipfels die Festlegung zum längerfristigen Ausstieg aus der Kohle und dem Abbau fossiler Subventionen fixiert. Nicht einmal im Weltklimavertrag von Paris findet sich ein Hinweis darauf, dass das Verbrennen fossiler Rohstoffe beendet werden muss, das Abschlussdokument von Glasgow geht hier also entschieden weiter.

In zähen Verhandlungen wurde in Glasgow eine umfassende Vereinbarung des Regelwerks von Paris beschlossen. Ein wichtiger Fortschritt betrifft den Artikel sechs des Vertrages. Dieser soll regeln, wie Länder Klimaschutzmaßnahmen untereinander handeln können. In Glasgow einigten sich die Staaten nun auf einen Kompromiss: Es soll neue CO2-Gutschriften, sogenannte Paris Agreement Ajustment Units (PAAU), geben. Mit ihnen verpflichten sich die Verkäufer, die verkauften Zertifikate nicht doppelt zu werten. Allerdings kam es zu keiner Regelung für den sogenannten freiwilligen Markt, hier sind die Standards weiterhin ungeklärt. Vor allem China hatte darauf gedrängt diese alten Klimaschutzzertifikate weiter handeln zu dürfen. Ein Kompromiss sieht jetzt vor, dass nur noch jene Zertifikate gehandelt werden dürfen, die nach 2013 geschaffen wurden.

Vor den Verhandlungen in Glasgow war unbestritten, dass die Industrieländer ihre Zusage nicht eingehalten haben, ab 2020 jährlich 100 Mrd. US-$ (87,4 Mrd. Euro) für Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel bereitzustellen. In den Konferenzbeschlüssen wird bedauert, dass das Ziel verfehlt wurde. In der Rahmenentscheidung wird nun zwar anerkannt, dass der Klimawandel immer größere Schäden anrichtet und daher verstärkte Maßnahmen wie Finanzhilfen nötig sind. Die Industrieländer werden zur Unterstützung aufgerufen. Eine Verpflichtung oder auch nur ein Mechanismus für die Einzahlung und Verteilung solcher Gelder gibt es aber weiterhin nicht. Anerkannt wurde hingegen, dass auch die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel steigen. Die Industriestaaten wurden daher aufgefordert, ihre Anpassungshilfen für die Entwicklungsländer bis 2025 zu verdoppeln, also von aktuell etwa 20 auf rund 40 Mrd. US-CO2 (etwa 35 Mrd. Euro.) Deutlich wurden die gewaltigen Interessenkonflikte auch durch das tagelange Feilschen vieler Schwellen- und Entwicklungsländer um neue finanzielle Verpflichtungen der Industriestaaten zur Abgeltung von Klimaschäden – Zahlungen, die weder dem Klimaschutzziel noch der Nothilfe für die ärmsten Staaten zugutegekommen wären.

Die Entwicklungsländer konnten letztlich nicht festschreiben, dass die Industriestaaten die Fehlbeträge der vergangenen Jahre ausgleichen müssen. Für die Festlegung, welche höhere Summe die Industriestaaten ab 2026 bereitstellen müssen, wurde in Glasgow ein mehrjähriger Prozess in Gang gesetzt. Ab 2025 sollen die Summen für die Anpassung an den Klimawandel gegenüber 2019 nun verdoppelt werden. Auf konkrete Zusagen für solche Hilfen hatten vor allem ärmere Staaten gedrängt, die bereits stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Auf ein »globales Anpassungsziel« wollen sich die Länder in den nächsten zwei Jahren einigen.

Erstmals schenken die Industrieländer in Glasgow dem Thema Verluste und Schäden (Loss and Damage) etwa durch Wetterextreme infolge des Klimawandels größere Aufmerksamkeit. Die Staaten wollen einen Prozess für »technische Hilfe« auf den Weg bringen. Weil Stürme, Dürren oder Überflutungen zunehmen, wird die Frage der Verantwortung für den Klimawandel immer präsenter. Im Pariser Abkommen hatten die Staaten auf Druck der Industrieländer Entschädigungen für Klimawandelfolgen, die historisch vor allem durch die reicheren Staaten verursacht wurden, allerdings ausgeschlossen.

Zusammengefasst: Die Ergebnisse des Glasgow-Gipfels sind weit unter den Erwartungen der internationalen Klimaschutz-Bewegungen geblieben, bieten aber mehr als nur das von Greta Thunberg prognostizierte »Blablabla« der völligen Unverbindlichkeit und keinerlei zu verzeichnenden praktischen Schritte.

»Der Erfolg liegt in den Details, nicht in den großen Worten«, sagt Christina Voigt, Juristin und Delegationsmitglied von Norwegen in Glasgow. Die Adjektive, Tabellen und spitzen Formulierungen seien entscheidend dafür, wie gut die weltweite Klimadiplomatie in den nächsten Jahrzehnten funktioniere. »Und daran hängt am Ende auch das 1,5-Grad-Ziel«, so die Juristin. Nach Einschätzung von UN-Generalsekretär António Guterres ist damit aber die Gefahr einer Klimakrise nicht gebannt. Die in den Beschlüssen von Glasgow erzielten Fortschritte seien »nicht genug« und voller »Widersprüche.« Die Klimakatastrophe stehe »weiter vor der Tür«. Die Internationale Energieagentur bringt die Konstellation auf den Punkt: Werden die Verpflichtungen umgesetzt, kommt man im optimistischen Fall auf eine Erderwärmung von etwa 1,8 bis 2,4 Grad. Das ist ein kleiner Fortschritt gegenüber den 2,7 Grad, die die UNO kurz vor der Konferenz geschätzt hatte.

EU-Kommissar Frans Timmermans äußerte seine große Enttäuschung darüber, würdigte die Forderung zum Kohleausstieg aber dennoch als »historisch«. Zudem verpflichteten sich die Länder gemeinsam dem Ziel, die Erderwärmung bei 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu stoppen. Dazu sollen sie bis Ende 2022 ihre bislang unzureichenden Klimaschutzpläne nachschärfen. Dies bleibt aber freiwillig, es gibt keine belastbare Verpflichtung. Die Beschlüsse der zweiwöchigen Weltklimakonferenz in Glasgow gehen aus Sicht von Umweltorganisationen nicht weit genug.

Schon am Vorabend des Abschlusses verwies Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth (SPD), der in Glasgow für Deutschland verhandelte, auf die Notwendigkeit eines differenzierten Blicks auf die Ergebnisse der Konferenz: »Ohne Frage finde ich es wichtig, dass die Jugendbewegung die Politik unter Druck setzt, und das hat ja Erfolg gezeigt. Ich finde aber auch, dass Politiker nicht einfach alles nachreden und jetzt sagen müssen, was in Glasgow passiert, ist alles nur Blablabla. Das ist nämlich falsch. Ich erwarte von der Jugendbewegung, dass sie den Mut hat, etwas zu differenzieren und zu gucken: Wo gibt es Bewegung, und wo sind Leute, die sich sperren? […]

Ich glaube, dass das die Zukunft des internationalen Klimaschutzes ist: die Zusammenarbeit bei ganz konkreten Themen. Wir haben im UN-Prozess ja noch ein bisschen Gesetzgebungsarbeit zu machen, das ist wichtig, sogar absolut wichtig, aber solange wir es nicht erledigt haben, ist es eben auch Geröll, das auf den Klimakonferenzen gewissermaßen noch auf dem Boden liegt und das uns daran hindert, richtig Gas zu geben. […]

Zu Beginn der Konferenz habe ich als Messlatte genannt, dass es wirklich gelingt, die Gesetzgebungsarbeit hier abzuschließen, also das Regelwerk, das zur vollständigen Umsetzung des Pariser Abkommens nötig ist. Und zwar seriös, ohne faule Kompromisse. Solche Fragen erfahren in der Öffentlichkeit natürlich nicht so viel Aufmerksamkeit wie das 1,5-Grad-Ziel; ich glaube aber, dass beides wichtig ist. Und wenn beides am Ende gelingt, dann war das eine sehr erfolgreiche Konferenz.« (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.11.2021, Nr. 264, S. 4)

Weniger optimistisch ist Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: »Der Klimapakt von Glasgow Cop26 ist ein wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend. Das 1,5 Grad Ziel ist so nicht zu erreichen. Der wichtigste Meilenstein ist der Beginn des Ausstiegs aus der Kohle. Benötigt wird aber auch ein Ausstieg aus Öl und fossiles Gas. Es klafft noch immer eine globale Ambitions- und Umsetzungslücke. Alle Länder müssen nicht nur die nun vereinbarten Ziele umsetzen, sie müssen auch nachgeschärft werden. Fossile Subventionen werden immer noch nicht flächendeckend abgeschafft. Überfällig. Das Zeitfenster des Handelns wird immer kleiner. Offenbar müssen die Länder erst den globalen Klimanotstand ausrufen, um schneller und vor allem ambitionierter zu handeln. Wenn die Länder es nicht selbst tun: der Klimawandel selbst wird zum Notstand führen.« (Twitter, 14.11.2021)

Die nächsten Schritte zur Umsetzung müssen also von den Nationalstaaten getragen werden. Wie das im Einzelnen geschieht, wird ein wesentlicher Bestandteil der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sein. Und die unvollkommene Deklaration von Glasgow bleibt der wichtige Referenzpunkt in den zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

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