8. Dezember 2021 Otto König/Richard Detje: Auf- und Abrüstung im Koalitionsvertrag

Drohnen – nukleare Teilhabe – militärische »Modernisierung«

Die künftige rot-grün-gelbe Ampel-Koalition wird »bewaffnete Drohnen« beschaffen, an der »nuklearen Teilhabe« festhalten und die Gelder für die Umsetzung der NATO-Planziele bereitstellen.

Das geht aus Kapitel VII des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hervor. Damit wurden strittige Fragen und kritische rüstungspolitische Positionen geräuschlos abgeräumt. Die neue Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) setzt im Kern die Militärpolitik der schwarz-roten GroKo fort. Im NATO-Hauptquartier in Brüssel wird das mit Genugtuung quittiert. »Die Entscheidung der neuen Regierung, an der nuklearen Teilhabe festzuhalten, ist wichtig für alle europäischen Staaten« bekräftigte Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Zuvor hatten Äußerungen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, in denen dieser die nukleare Teilhabe Deutschlands infrage stellte, im Bündnis Irritationen über die Verlässlichkeit der Ampel-Koalition ausgelöst. Doch im Ergebnis bekennt sich die »Ampel« klar zur »Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials« mit der Begründung eines »fortbestehenden Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas«. Das zielt insbesondere in Richtung Russland.

So heißt es im Koalitionsvertrag: »Unterschiedlichen Bedrohungsperzeptionen werden wir Rechnung tragen und den Fokus auf eine gemeinsame und kohärente EU-Politik gegenüber Russland legen.« Auch damit wird Kontinuität gewahrt. Schon Annegret Kramp-Karrenbauer hatte als Oberbefehlshaberin der Bundeswehr erklärt: »Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende ... bereit sind, auch solche (nukleare, d. Verf.) Mittel einzusetzen«; das sei der »Kerngedanke der NATO«.

Neben der Orientierung auf das transatlantische Bündnis steht die Formierung der Europäischen Union zu einer militärpolitisch schlagkräftigen Macht auf dem Programm. »Unser Ziel ist eine souveräne EU als starker Akteur in einer von Unsicherheit und Systemkonkurrenz geprägten Welt«, heißt es im Koalitionsvertrag. Ferner: »Wir setzen uns für eine echte Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa ein. Die EU muss international handlungsfähiger und einiger auftreten.« Dies soll mit der Straffung von Entscheidungsstrukturen, der Verringerung äußerer Abhängigkeiten und dem weiteren militärischen Ausbau erreicht werden.

In diesem Zusammenhang kündigt die neue Bundesregierung weitere Aufrüstung und die beschleunigte »Modernisierung der Infrastruktur« der Bundeswehr an. Wurde noch Ende letzten Jahres auf Druck der SPD eine Bewaffnung der Drohne »Heron TP« auf Eis gelegt, schaltet die Ampel nun auf grün: »Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen.«

Den Weg dafür hatte im Vorfeld eine SPD-Projektgruppe mit einem Positionspapier freigeräumt: Drohnen dienten dem Schutz deutscher Soldaten. Damit war nicht nur die FDP, sondern auch Bündnis 90/Die Grünen einverstanden. Bei ihrem Einsatz sollen allerdings im Unterschied zur Praxis der US-Streitkräfte »die Regeln des Völkerrechts« gelten, »extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab«, lautet der einschränkende Passus im Koalitionsvertrag.

Hier wurde anscheinend die Position aus dem SPD-Papier übernommen, in dem gewarnt wird, der Einsatz bewaffneter Drohnen solle »nicht zu einer anhaltenden Bedrohung für die Zivilbevölkerung werden, aus der Verunsicherung, Verbitterung und Traumatisierung wie auch Antagonisierung entstehen« könnten. Am Beispiel von US-Drohnenoperationen wurde nachgewiesen, dass Angriffe mit Kampfdrohnen wie in Afghanistan und Teilen Pakistans viel mehr unbeteiligte Zivilisten das Leben kosten als die ursprünglich ins Visier genommenen Zielpersonen.

Die Bundesregierung bekennt sich ebenfalls dazu, an der Stationierung von US-Atomwaffen im rheinland-pfälzischen Büchel (Eifel) und ihren etwaigen Einsatz durch Militärjets der Bundeswehr festzuhalten. Erst jüngst wurde das wieder im Manöver »Steadfast Noon« geübt, an dem neben deutschen und italienischen Tornados auch F-15-Maschinen der US Air Force, die auf der britischen Basis Lakenheath stationiert sind, teilnahmen.

Auf Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen der nuklearen Teilhabe haben sich die Koalitionäre verbindlich verständigt. »Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten«, heißt es im  Koalitionsvertrag.

Das Verteidigungsministerium beschrieb im April 2020 den Umfang des rüstungspolitischen Auftrags wie folgt: Es sollen als »Ersatz für den Tornado 40 Eurofighter (Rolle: Luft-Boden) mit einer Option auf 15 weitere 30 F/A-18F Super Hornets (Rolle: Nukleare Teilhabe) und 15 EA-18G Growler (Rolle: Elektronischer Kampf) beschafft werden.« Die Kostenpunkt dürften sich laut Greenpeace auf 7,67 Mrd. Euro bis 8,77 Mrd. Euro belaufen.

Obgleich es in der SPD wie auch innerhalb der Grünen zahlreiche Kritiker*innen der nuklearen Teilhabe gibt, hatten SPD-Minister*innen und Parteiführung faktisch immer an ihr festgehalten. Und Annalena Baerbock von BÜNDNIS 90/Die Grünen äußerte schon im Herbst 2021, über den »Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland« wolle man »mit unseren Bündnispartnern sprechen«, schließlich könne man »nicht einfach sagen, wir schicken die US-Atomwaffen mal eben zurück in die USA«.

Gleichzeitig sollen die Kritiker*innen besänftigt werden. Das Ziel bleibe »eine atomwaffenfreie Welt« und »eine abrüstungspolitische Offensive«. Doch statt dem Atomwaffenverbotsvertrag[1] beizutreten will die künftige Bundesregierung »in enger Absprache mit unseren Alliierten« nur als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen.

Ein weiterer hoch umstrittener Punkt sind die Rüstungsausgaben, wobei vor allem die Washingtoner Administration darauf drängt, dafür 2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu reservieren. Deutschland hat seine Ausgaben von 2014 (32,5 Mrd. Euro) bis 2020 (45,1 Mrd. Euro) bereits massiv erhöht. Eine Umsetzung des 2%-Ziels würde die Ausgaben auf 67,3 Mrd. Euro hochschnellen lassen (gemessen am BIP des Jahres 2020). Seit längerem wird darauf hingewiesen, dass Deutschland weit mehr Entwicklungshilfe als die meisten anderen NATO-Länder leiste und auch auf diesem Weg zur Sicherheit in der Welt beitrage, sodass es verkürzt sei, nur die reinen Militärausgaben in die Berechnungen einfließen zu lassen.

Diese Argumentation findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder: »Wir wollen, dass Deutschland im Sinne eines vernetzten und inklusiven Ansatzes langfristig 3% seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln investiert, so seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik stärkt und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen erfüllt.« Konkret heißt das: »Rechnet man die drei Posten zusammen, so summieren sich im Jahr 2020 die Ausgaben für Verteidigung (45,1 Mrd.), Entwicklung (24,9 Mrd.) und Außen (6 Mrd.) auf 76,3 Mrd. Euro. 3% des BIP wären 101 Mrd. Euro gewesen, rund 24 Mrd. wären also noch als Spielraum vorhanden gewesen«, so Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI).[2] Wie sich die Gelder über die einzelnen Ressorts verteilen sollen, darüber schweigt sich der Koalitionsvertrag aus. Es ist zu befürchten, dass es unter dem Mantel des 3%-Ziels zu einer deutlichen Erhöhung des Rüstungshaushalts kommt.

Zivile Konfliktprävention im engeren Sinn findet sich nur in fünf Zeilen des Koalitionsvertrags, der Verteidigung und der Bundeswehr werden 73 Zeilen gewidmet. Diese ungleichgewichtige Schwerpunktsetzung spiegelt sich inhaltlich in den gesetzten Prioritäten wider. Krisenprävention und ziviles Krisenmanagement sollen grundsätzlich gestärkt werden – jedoch fehlen konkrete Ausbauziele.

Bei genauerer Betrachtung bleibt auf der friedenspolitischen Habenseite des Koalitionsvertrages nur die Ankündigung eines Rüstungsexportgesetzes: »Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein. Unser Ziel ist es, den gemeinsamen Standpunkt der EU mit seinen acht Kriterien sowie die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die Kleinwaffengrundsätze und die Ausweitung von Post-Shipment-Kontrollen in einem solchen Gesetz zu verankern. Nur im begründeten Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss, kann es Ausnahmen geben.«

Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Fazit: Die »Fortschrittskoalition« lässt in friedenspolitischer Hinsicht wenig Progress erwarten.

Anmerkungen

[1] Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag ist am 22. Januar 2021 in Kraft getreten, nachdem er von 50 der 122 Staaten, die im Juli 2017 für ihn gestimmt hatten, auch ratifiziert wurde.
[2] Jürgen Wagner: Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt, IMI-Standpunkt 2021/061.

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