10. Juni 2022 Redaktion Sozialismus.de: OECD, Weltbank und Welthungerhilfe warnen

Düstere Aussichten für die Weltwirtschaft und Ausweitung der Hungersnot

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Die OECD hat ihre Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft wegen des Krieges in der Ukraine deutlich nach unten korrigiert. Statt mit bislang 4,5% wird nun im laufenden Jahr nur noch mit einem Wachstum von 3% gerechnet. Für das Jahr 2023 wird ein Wachstum von 2,8% erwartet – statt von 3,2%, wie bislang prognostiziert.

Auch die Weltbank senkte ihre Prognose für das globale Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 4,1% auf 2,9%. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe die konjunkturellen Schäden aus der Corona-Pandemie noch verschlimmert, weshalb viele Länder mit einer Rezession rechnen müssten, teilte sie mit.


Schwächung durch Inflation

Infolge des Krieges werde zudem die Inflation höher ausfallen und länger andauern als bislang angenommen, sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann. Das ergibt zusammen mit dem zurückgehenden Wachstum einen toxischen Cocktail: Sobald die Weltwirtschaft bei hoher Inflation aufhört zu wachsen und stattdessen in eine Rezession rutscht, sprechen Ökonom*innen von einer Stagflation.

Das Problem dabei: Um die hohe Inflation zu bekämpfen, müssen die Zentralbanken in der Regel die Leitzinsen erhöhen, was wieder das Wirtschaftswachstum abschwächt oder gar abwürgt. Deshalb ist es sehr schwierig, sich aus einer Situation herauszuarbeiten. »Das Risiko einer Stagflation ist beträchtlich und hat potenziell destabilisierende Folgen für die Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen«, sagte Weltbank-Präsident David Malpass. »Für viele Länder wird es schwierig sein, eine Rezession zu vermeiden.« Schwaches Wirtschaftswachstum bei steigenden Preisen könnte gerade in zahlreichen Entwicklungsländern zu großem Leid führen.

Zum letzten Mal kam es in den 1970er Jahren zu einer Stagflation. Darauf verwies die Weltbank bereits in ihrem Januar-Bericht. Es gebe eindeutige Parallelen zwischen damals und heute, hieß es. Dazu gehören Störungen auf der Angebotsseite, die Aussichten auf eine Abschwächung des Wachstums und die Anfälligkeit der Schwellenländer im Hinblick auf die geldpolitische Straffung, die zur Eindämmung der Inflation erforderlich sein wird.

OECD-Generalsekretär Cormann unterstrich: »Die höheren Rohstoffpreise treffen Länder in aller Welt, sie verstärken den Inflationsdruck, schmälern die realen Einkommen und Ausgaben und bremsen so die Erholung.« Diese Konjunkturverlangsamung sei »direkt Russlands unprovoziertem und durch nichts zu rechtfertigendem Angriffskrieg zuzuschreiben, der weltweit die realen Einkommen, das Wachstum und die Beschäftigungsaussichten beeinträchtigt.«

Die Aussichten seien ernüchternd, sagte auch die OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone. »Russlands Angriff auf die Ukraine kommt die Welt bereits jetzt teuer zu stehen.« Wie teuer genau, und wie die Lasten verteilt werden, das hänge stark von den Entscheidungen der Politik und der Bürger*innen ab. »Hungersnöte dürfen wir um keinen Preis akzeptieren.«

Allerdings gibt es auch einige Unterschiede, wie z.B. die Stärke des US-Dollars, die allgemein niedrigeren Ölpreise und die im Großen und Ganzen soliden Bilanzen der großen Finanzinstitute, die Spielraum für Gegenmaßnahmen bieten. Um das Risiko zu verringern, dass sich rezessive Entwicklungen festsetzen, forderte die Weltbank die politischen Entscheidungsträger auf, die Hilfe für die Ukraine zu koordinieren, dem Anstieg der Öl- und Lebensmittelpreise entgegenzuwirken und einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer einzurichten.

Die Weltbank kündigte weitere 1,5 Mrd. US-Dollar (1,4 Mrd. Euro) an Hilfsgeldern für die Ukraine an. Die neuen Finanzmittel würden für die Bezahlung der Löhne von Regierungsangestellten und Arbeitern im sozialen Bereich verwendet, teilte sie mit. Die Organisation werbe bei Geberländern und nutze die »Flexibilität unserer verschiedenen Finanzierungsinstrumente, um den Ukrainern den Zugang zu Gesundheitsdiensten, Bildung und sozialem Schutz zu ermöglichen.« Insgesamt summierten sich die Hilfen der Weltbank nun auf mehr als vier Mrd. US-Dollar.


Prognose für Deutschland

Für Deutschland sagt die OECD für 2022 ein Wirtschaftswachstum von 1,9% und für 2023 von 1,7% voraus. Der Krieg und das Ölembargo gegen Russland beeinträchtigten die Erholung. Der Inflationsanstieg führe zu einer Schwächung der Kaufkraft, wodurch die Belebung des privaten Verbrauchs gedämpft werde. Die erhöhte Unsicherheit, der starke Anstieg der Energiepreise und neue Materialengpässe beeinträchtigten etliche Branchen sowie Privatinvestitionen und Exporte. Förderprogramme zur Abfederung der steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreise müssten zielgenau auf bedürftige Haushalte und Unternehmen ausgerichtet werden, riet die OECD.


Nahrungsmittelknappheit und Ausweitung der Hungerkatastrophen

Mehr als 250 Mio. Menschen sind bereits jetzt mit einer Hungersnot konfrontiert. Die Fortschritte in der Bekämpfung des Hungers in den letzten Jahren sind schlagartig kassiert worden. Die hohen Kosten für Grundnahrungsmittel haben die Zahl derer, die sich nicht sicher sein können, genug zu essen zu bekommen, bereits um 440 Mio. auf 1,6 Mrd. steigen lassen. Neben dem Krieg in der Ukraine verschärfen klimatische Bedingungen die Situation.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die weltweite Nahrungsmittelversorgung ins Wanken gebracht. Russland und die Ukraine spielen im Weizenanbau eine wichtige Rolle: Fast 30% der weltweiten Weizenexporte stammen üblicherweise aus der Schwarzmeerregion. Bislang kommen die Verhandlungen über den Abtransport der Weizenvorräte aus der Ukraine durch Sicherheitskorridore nur schleppend voran.

Erneut droht »das Gespenst einer weltweiten Nahrungsmittelknappheit«, die jahrelang andauern könnte, wie UNO-Generalsekretär António Guterres jüngst feststellte. Auch Weltbank-Präsident Malpass warnte vor einem ernsten Engpass bei der Versorgung mit Lebensmitteln.

Schon jetzt sind die Folgen des Krieges in allen Ecken der Welt angekommen. Der Krieg in der Ukraine wird zu einer humanitären Katastrophe auf allen Kontinenten. Denn er hat erhebliche Auswirkungen auf Energiepreise, Nahrungsmittelsicherheit, Lieferketten und Migration. Schon vor Beginn des Krieges stiegen die Preise für Lebensmittel weltweit massiv.

Jetzt ist die Entwicklung durch fehlende Lieferungen von Getreide aus Russland und der Ukraine dramatisch. Die unmittelbaren Folgen treffen vor allem ohnehin arme Familien im Globalen Süden mit voller Wucht. Rund 1,8 Mrd. Menschen müssen mit weniger als 3,20 US-Dollar am Tag auskommen. Für sie werden Lebensmittel unerschwinglich. Die Ernährungssicherheit steht für Millionen Menschen auf dem Spiel. Jetzt müssen Maßnahmen getroffen werden, um Hungersnöte und langfristigen Hunger zu verhindern.

»Länder wie Ägypten, Kenia, der Südsudan, der Libanon und viele andere Staaten waren bislang direkt oder indirekt stark von russischen und ukrainischen Exporten abhängig«, sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. »Diese Länder erhalten jetzt nicht die bestellten Mengen oder müssen dafür sehr viel mehr bezahlen.« Zudem seien die Lebensmittelpreise bereits vor dem Krieg durch Klimawandel, Konflikte, Corona-Pandemie und Spekulationen auf den Weltmärkten auf ein Allzeithoch gestiegen.

Auch die Lage für die Menschen in der Ukraine selbst sei »hochdramatisch« und vergleichbar mit der im Bürgerkriegsland Syrien, sagte Mogge. »Die Ukraine konnte sich bis zum Ausbruch des Krieges sehr gut selbst ernähren.« Sie sei sogar ein wichtiger Exporteur von Grundnahrungsmitteln wie Getreide und Speiseöl gewesen. »Aber der Krieg ändert jetzt alles.«

Die Welthungerhilfe verlangt von den wohlhabenden Industrienationen ein entschlossenes Handeln zur Vermeidung einer weltweiten Hungerkatastrophe. Eine Wiederholung der Hungerkrise von 2008 mit über einer Milliarde Hungernden müsse unbedingt verhindert werden, erklärte die Hilfsorganisation. Begrüßt würden kurzfristige Investitionen in die Nothilfe, mit denen Menschenleben gerettet würden. Die G7-Staaten müssten neben der Nothilfe jedes Jahr mindestens 14 Mrd. US-Dollar zusätzlich für Ernährungssicherung zur Verfügung stellen.

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