29. Juli 2022 Joachim Bischoff: Neue Prognosen des IWF

Düstere Aussichten für Ökonomie und Wohlstand

Schon seit längerem steht fest, dass die internationale Wirtschaft sich auf Talfahrt befindet. Auf eine zaghafte Erholung im Jahr 2021 folgten zunehmend negative Schocks im Jahr 2022, so lautet die Kernthese der neuen Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Entwicklung der Weltwirtschaft.

Mehrere Faktoren haben demnach die durch die Pandemie bereits geschwächte Wirtschaft weiter beeinträchtigt:

  • Da sind zunächst die anhaltenden Probleme in den globalen Lieferketten; Ausgangspunkt sind weiterhin vor allem die Corona-Lockdowns in China und der Rückstau auf den Transportwegen.
  • Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die großen europäischen Volkswirtschaften sind negativer ausgefallen als erwartet – was sich vor allem in den Energiepreisen widerspiegelt.
  • Diese Turbulenzen haben eine beschleunigte Preisdynamik ausgelöst, die auch erhebliche Konsequenzen für den Kaufkraftverlust und die gesellschaftliche Nachfrage hat. »Die Inflation bleibt hartnäckig hoch«, heißt es in dem aktuellen Bericht.
  • Der IWF warnt außerdem vor einer sich verschärfenden Nahrungsmittelkrise. Die weltweiten Lebensmittelpreise hätten sich zwar in den vergangenen Monaten stabilisiert, seien aber immer noch viel höher als im Jahr 2021. Der Krieg in der Ukraine sei der Hauptgrund für den weltweiten Preisanstieg – insbesondere bei Getreide wie Weizen. Aber auch die Klimakrise erfordere weltweit abgestimmte Maßnahmen. Außerdem müssten die Impfquoten ansteigen, da die Pandemie anhalte und neue Varianten drohten.

Fasst man diese Faktoren zusammen, so ist auch die Sommerprognose für das Wirtschaftswachstum noch mit einer erheblichen Unsicherheit verknüpft. Die Prognosen beruhten auf der Annahme, dass es zu keiner weiteren Verringerung der Erdgaslieferungen aus Russland an das übrige Europa komme. Auch geht der Fonds davon aus, dass die Inflationsentwicklung einigermaßen stabil bleibt. »Es besteht jedoch ein erhebliches Risiko, dass sich einige oder alle dieser Grundannahmen nicht bewahrheiten«, mahnt der IWF.

In seiner neuen Prognose wird in diesem Jahr nur noch mit einem globalen Wachstum von 3,2% gerechnet, das sind 0,4 Prozentpunkte weniger als noch im April angenommen. Für die Eurozone erwartet der IWF ein um 0,2 Prozentpunkte geringeres Wachstum von 2,6%. In Deutschland soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach nur noch um 1,2% wachsen – eine deutliche Herabstufung gegenüber dem Frühjahr, als der IWF noch ein Wachstum von rund 2% für 2023 und 2022 prognostiziert hatte.

Die neue Prognose spiegelt das nachlassende Wachstum in den drei größten Volkswirtschaften der Welt – USA, China und dem Euroraum – wider, was erhebliche Auswirkungen auf die globalen Aussichten hat.


Die Inflation bleibt hoch

»Die Inflation bleibt hartnäckig hoch«, heißt es weiter in der aktuellen Einschätzung. In diesem Jahr rechnet der IWF in den Industriestaaten mit einer Teuerungsrate von 6,6%, also 0,9 Prozentpunkte mehr als noch im April angenommen. In Schwellen- und Entwicklungsländern soll die Inflationsrate im Durchschnitt 9,5% betragen, ein Plus von 0,8 Prozentpunkten. Es werde allgemein erwartet, dass die Inflation bis Ende 2024 in die Nähe des Niveaus vor der Pandemie zurückkehren werde, hieß es in dem Bericht.

Mehrere Faktoren könnten jedoch dazu führen, dass sich die Dynamik nicht verändere und die Inflation hoch bleibe. Ein Faktor seien Schocks bei den Lebensmittel- und Energiepreisen infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Diese Entwicklung könnte einer Stagflation Vorschub leisten. Unter Stagflation versteht der Währungsfonds eine nicht mehr wachsende Wirtschaft bei gleichzeitigem Preisauftrieb.

Der IWF kappt alle BIP-Prognosen mit der Ausnahme einer Aufwärtsrevision für Russland, für das der erwartete Rückgang für das Jahr 2022 von -8,5% auf -6,0% nach oben revidiert wurde. Deutschland ist der größte Verlierer im internationalen Kontext und zieht mit der jetzt durch den Wirtschaftskrieg mit Russland erzwungenen beschleunigten Umstellung auf einen anderen Energiemix die Akkumulation nach unten.


Inflationsbekämpfung ist risikobehaftet

Die gegenwärtig sehr hohe Inflation gefährde die Stabilität der Wirtschaft und des Finanzsystems, warnte die in Washington ansässige Finanzorganisation. In den USA sind die Preise im Juni um 9,1% gestiegen, in der Euro-Zone um 8,6%. Es gehe nicht mehr nur um steigende Energie- und Lebensmittelpreise. Die Inflation breite sich immer mehr aus. Die Inflationsraten wieder zu senken und unter Kontrolle zu bekommen, müsse absolute Priorität haben, so IWF-Ökonom Pierre-Olivier Gourinchas. Viele Notenbanken wie die EZB streben weiterhin als optimalen Wert für die Wirtschaft eine Teuerungsrate von 2% an.

Im Kampf gegen die Teuerung hat die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) bereits im Frühjahr die Zinswende eingeläutet. Auf ihrer letzten Sitzung Mitte Juni hatten die Währungshüter mit dem größten Zinsschritt seit 1994 reagiert und den Leitzins um weitere 0,75 Prozentpunkte angehoben. Ende Juli hat die Fed einen weiteren großen Zinsschritt um noch einmal 0,75 Prozentpunkte beschlossen. Die US-Notenbank setzt also ihren aggressiven Kampf gegen die galoppierende Inflation fort und erhöhte zum zweiten Mal in Folge ihren Leitzins deutlich.

Insgesamt ist es die vierte Erhöhung des Leitzinses seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie. Der politische Druck auf die Notenbank ist groß: Die Teuerungsrate in den USA ist so hoch wie seit rund vier Jahrzehnten nicht mehr, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert. Erhöhungen des Leitzinses durch die Notenbank verteuern Kredite und bremsen die Nachfrage. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum. Für die Zentralbanker ist das ein Drahtseilakt.

Fed-Chef Jerome Powell deutete weitere Erhöhungen in dieser Größenordnung an. In der größten Volkswirtschaft der Welt wächst damit die Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung. »Ich glaube nicht, dass sich die USA derzeit in einer Rezession befinden«, beschwichtigte Powell. Doch ein etwas langsameres Wachstum sei notwendig. Auch US-Präsident Joe Biden verbreitete jüngst Optimismus: »Wir werden keine Rezession haben […] Meine Hoffnung ist, dass wir von diesem rasanten Wachstum zu einem stetigen Wachstum übergehen und dass wir einen Rückgang sehen werden. Aber ich glaube nicht, dass wir, so Gott will, eine Rezession erleben werden.« Ähnlich äußerte sich US-Finanzministerin Janet Yellen: »Wir haben einen sehr starken Arbeitsmarkt«, sagte sie im US-Fernsehen, die Wirtschaft sei gerade in einer Übergangsphase, das Wachstum gehe zurück.

Die Frage ist, ob dieser Balanceakt gelingt. Davon sind etliche Ökonomen nicht überzeugt: Die Chancen, für die von Notenbankchef gewünschte sanfte Landung der Wirtschaft seien geringer geworden und die derzeit schwache Konjunktur werde nicht rasch wieder angekurbelt werden können. Allerdings hält eine Mehrheit der Ökonomen eine scharfe Rezession angesichts der guten Kaufkraft der Privathaushalte und des stabilen Arbeitsmarktes für »nicht sehr wahrscheinlich«. Die Fed solle sich daher nicht davon abhalten lassen, das Zinsniveau in den kommenden sechs Monaten auf etwa 3,5% anzuheben.

Wenn die Zinssätze steigen, leihen sich Bürgerinnen und Bürger sowie vor allem die Unternehmen weniger Geld oder müssen für Kredite mehr ausgeben. Folglich nimmt das Wachstum ab, Unternehmen können höhere Preise nicht mehr einfach weitergeben. Ziel ist es, die Nachfrage im Laufe der Zeit zu senken, damit die Preise sinken und sich stabilisieren können. Wird das Wachstum aber zu schnell ausgebremst, könnten die USA in eine Rezession schlittern.

Eine Zinsanhebung zur Bekämpfung der hohen Inflation verläuft zumeist nicht ohne Kollateralschäden. Schließlich steigen auch die Kreditkosten und die Investitions- und Konsumfreude wird gedämpft. So besteht die Gefahr, dass die Konjunktur abgewürgt wird. In den vergangenen Jahrzehnten sind in den USA nur die wenigsten geldpolitischen Straffungen ohne wirtschaftlichen Schaden geblieben.

Die schnellen Schritte der Fed sollen nun zeigen, dass die Zentralbanker entschlossen sind, die Inflation einzudämmen, wie die New York Times schreibt. Ziel sei es, Unternehmen und Familien davon zu überzeugen, dass die derzeitige Inflation nicht von Dauer sein werde. Denn problematisch wird es, wenn sich das Verhalten der Menschen ändert, weil sie mit dauerhaft hoher Inflation rechnen. Beschäftigte würden dann höhere Löhne verlangen. Unternehmen würden im Gegenzug die Preise erhöhen, um die steigenden Lohnkosten zu decken. Die Preise würden immer weiter steigen.

Die aktuelle Preisdynamik hängt zentral an der weltweiten Umwälzung des Energiemix. Der auch aus den Folgen des Klimawandels gebotene Übergang zu regenerativen Energien wird wegen des Wirtschaftskriegs mit Russland und der Verteuerung der fossilen Energierohstoffe zusätzlich belastet. Es verdichten sich die Anzeichen, dass sich aufgrund dieser Entwicklungen die überhitzte Wirtschaft in den USA abkühlt.


Aussichten für die US-Ökonomie

Mit Spannung wurde die neue Schätzung des BIP für das zweite Quartal erwartet. Die US-Wirtschaft war im Winter überraschend geschrumpft.

Die vorläufige Schätzung deutet darauf hin, dass es erneut zu einer rückläufigen Wirtschaftsleistung gekommen ist. Schrumpft die Wirtschaft zwei Vierteljahre in Folge zum Vorquartal, sprechen Ökonomen von einer »technischen Rezession«. Das BIP ist in den USA im zweiten Quartal um 0,9% gesunken, erfüllt also dieses Kriterium. Powell mahnte, die neuen Zahlen zum Wirtschaftswachstum aber mit Vorsicht zu genießen. Eine Rezession ist seiner Auffassung nach nicht unausweichlich. Aus rein ökonometrischer Sicht befinde sich die amerikanische Wirtschaft zwar wahrscheinlich in einer Rezession, weil die errechneten Wachstumsraten im ersten und zweiten Quartal negativ ausgefallen sind.

Allerdings ist die amerikanische Arbeitslosenquote trotz in jüngster Zeit zunehmenden Entlassungen im überbewerteten Tech-Bereich immer noch vergleichsweise tief, und wegen anziehender Löhne droht die Entstehung einer Lohn-Preis-Spirale, die Powell und Kollegen wegen der schlechten Erfahrungen in den 1970er Jahren unbedingt vermeiden möchten. Dazu kommt, dass bisher viele Preissteigerungen im Preisindex oder bei den Konsumenten noch gar nicht angekommen sind: deutlich steigende Mieten zum Beispiel.

Auch im Weißen Haus ist man bemüht, die anstehende Schätzung nicht zu hoch zu hängen. Es gebe viele Faktoren, die zu berücksichtigen seien, betonte die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden und verwies ebenfalls auf den starken Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote liegt in den USA aktuell auf ähnlich niedrigem Niveau wie vor Ausbruch der Corona-Pandemie im Februar 2020. Biden brüstet sich gern mit diesen Werten – gleichzeitig leiden seine Zustimmungswerte unter den hohen Verbraucherpreisen.

Eine Intensivierung der Diskussion um Inflationsbekämpfung und Rezessionsgefahr ist unvermeidlich. Während der US-Präsident froh wäre, wenn die Inflation zügig und deutlich zurückginge, weil die schwindende Kaufkraft von gut 300 Millionen Amerikanern seinem Ansehen stärker schadet als ein paar Arbeitslose mehr, schlägt die linke Demokratin Elizabeth Warren einen anderen Ton an. Das Fed könne »viele Ursachen der heutigen Inflation nicht beseitigen« und möchte lieber eine hohe Inflationsrate und weiteres nominales Wachstum auf Kredit in Kauf nehmen. Die Gegenposition lautet: »Sollte die amerikanische Notenbank der Inflation nicht konsequent begegnen, wird sie die Kontrolle über die Zinsentwicklung verlieren, und die Renditen steigen unkontrolliert.«

Fakt ist: Die USA sind auf dem Weg in eine Rezession. Die hohen Preise schwächen die konjunkturelle Dynamik in den USA spürbar. Gleichzeitig dämpfen auch die zur Inflationsbekämpfung deutlich erhöhten Zinsen der Notenbank Fed Konsum und Investitionen und bremsen damit die Wirtschaftsleistung.

Da für die kommenden Monate mit anhaltenden Realeinkommensrückgängen und weiteren Zinserhöhungen zu rechnen ist, dürfte die konjunkturelle Dynamik schwach bleiben und zunehmend auch den Arbeitsmarkt erfassen. Dieser zeigt sich zwar bisher robust, die Arbeitslosenquote lag im Juni 2022 bei 3,6% und war somit ähnlich niedrig wie vor der Corona-Krise. Der Arbeitsmarkt reagiert jedoch zumeist relativ spät auf konjunkturelle Umschwünge, und es spricht viel dafür, dass sich die Beschäftigungssituation in den kommenden Monaten spürbar verschlechtern wird.

Ein Konjunkturabschwung und steigende Arbeitslosigkeit würden den Inflationsdruck in den USA mindern und die Notenbank schließlich in die Lage versetzen, die Geldpolitik wieder zu lockern. So gehen die Finanzmärkte inzwischen davon aus, dass der Zinsgipfel bereits im Verlauf des kommenden Jahres überschritten wird. Angesichts der anstehenden Herbstwahlen zum US-Senat wird sich in den folgenden Monaten die Debatte mehr auf den Punkt fokussieren: Müssen sich die USA auf eine flache Rezession einstellen oder hat die rezessive Tendenz angesichts des fragilen Zustandes der Globalökonomie in allen Metropolen eine gravierende Abschwächung des Akkumulationsprozesses zur Folge?

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