15. Juli 2018 Joachim Bischoff: Handelskrieg zwischen USA und China wird eskalieren

Economic cold war

Der US-Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini bezeichnet den US-Präsidenten Donald Trump als Pluto-Populisten: »Seine Steuersenkungen entlasten die Reichen extrem. Seine Deregulierungspolitik schadet den Arbeitern.« (in: »Finanz und Wirtschaft« vom 3.7.2018)

Und er fährt fort: »Wenn er Obamacare tatsächlich abschaffen könnte, würde das den Armen schaden. Um die Unterstützung seiner Wählerbasis, der weißen Arbeiter, zu sichern, macht er so viel Lärm um die Einwanderung und den Handel. Zwar schützt Protektionismus einige Jobs in Industrien wie Stahl und Aluminium, aber vor allem schadet er anderen Branchen … Und Zölle erhöhen die Preise für alle, da Konsumgüter teurer werden. Aber da Trump die Möglichkeit zur Gesetzgebung fehlt, muss er für seinen politischen Gewinn bei Handel und Migration rumpeln und Härte gegen den Rest der Welt demonstrieren. Wir wissen nicht, ob das funktionieren wird. Aber das sind die einzigen Karten, die er hält.«

Nach dem NATO-Gipfel Anfang Juli wissen wir, dass auch die internationalen Militärbündnisse der USA zum politischen Repertoire von Trump gehören. Seine Drohungen gegenüber den NATO-Partnern wiederholen ein bekanntes Muster: »Trump macht es in Europa genau so wie hier in den USA: Er bricht mit der bisherigen Ordnung.«

Die Zerstörung der bisherigen Ordnung ist auf dem Terrain des Handels am folgenreichsten. Der US-Präsident hat in den letzten Wochen Strafzölle gegen wichtige Handelspartner wie Kanada, Mexiko, China und die Europäische Union verhängt. Die betroffenen Länder haben ihrerseits Strafzölle in Kraft gesetzt und Klagen vor dem WTO gegen die USA eingereicht. Konsequenz: Der weltweite Handelsstreit entwickelt sich spiralförmig zu einem Handelskrieg.

 

Kritische Beobachter weisen auf die vorläufig geringen Summen hin, die von diesen Strafzöllen ausgelöst werden. Selbst wenn alle protektionistischen Maßnahmen, die von den Beteiligten bisher angedroht wurden, ergriffen werden sollten, würden sie das globale Bruttoinlandprodukt um deutlich weniger als ein halbes Prozent drücken. Sogar eine allgemeine (zusätzliche) Belastung aller US-Importe von 10% würde sich auf die Wirtschaftsleistung nicht verheerend auswirken. Sollten allerdings in Zukunft alle Länder mit hohen Vergeltungszöllen reagieren, drohe eine globale Rezession.

Eine erste Tranche von Strafzöllen auf chinesische Produkte ist in Kraft gesetzt worden. China verhängte umgehend Vergeltungszölle. Eine zweite Tranche von US-Zöllen soll im Laufe des Julis folgen. Damit wären demnächst Strafzölle in Höhe von 25% auf einem Handelswert von chinesischen Waren von rund 50 Mrd. US-Dollar belegt.

Chinas Partei- und Staatsführung bedauert den Ausbruch des »größten Handelskrieg der Wirtschaftsgeschichte«, den Trump entfacht hat. Die Chinesen werben für eine Verteidigung und den Ausbau der multilateralen Welthandelsordnung im Sinne der WTO. Bislang standen im Handelskonflikt zwischen China und den USA die Waren (z.B. Aluminium, Solarpanels, Stahl, Waschmaschinen und Hirse) und das große Handelsbilanzdefizit im Fokus. Mit den weiter geplanten Handelsbarrieren wird jedoch deutlich: Es geht um die künftige Vormachtstellung in den Hightech-Sektoren.

Nach Inkrafttreten der US-Strafzölle auf chinesische Warenimporte sah sich China zum »notwendigen Gegenschlag« gezwungen und kündigte als Retourkutsche Strafzölle in gleicher Höhe an. Die US-Administration nimmt diese Gegenmaßnahme zum Anlass die Strafzölle auszuweiten. Das Argument des US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer: China habe Vergeltung an den USA geübt und plane, solche zu üben, ohne eine Rechtsgrundlage oder Rechtfertigung dafür zu haben. Daher sei eine Ausweitung durch Anordnung von Präsident Trump angemessen. Weil China bis jetzt keine Anstalten erkennen lasse, seine Industriepolitik und den in den Augen Washingtons unfairen Umgang mit amerikanischem geistigem Eigentum zu ändern, wird eine Ausweitung der US-Sanktionen erwogen.

Das Büro des US-Handelsbeauftragten hat eine Liste von chinesischen Importen mit einem jährlichen Wert von etwa 200 Mrd. US-Dollar veröffentlicht, die mit einem Zusatzzoll von 10% belegt werden könnten. Die Liste umfasst über 6.000 Produktlinien und ist fast 200 Seiten lang. Diese neuen Zölle im September in Kraft treten.

Die US-Sanktionen

Das politische Ziel dieser Sanktionen: China soll zu einer Verhaltensänderung veranlasst werden. Die Trump-Administration ist davon überzeugt,

  • dass der Warenhandel mit der aufstrebenden Großmacht wegen unfairer Bedingungen so krass unausgewogen ist;
  • dass China amerikanische Firmen mit Operationen in China systematisch zum Technologietransfer zwingt;
  • dass der chinesische Staat die Übernahme von amerikanischen Firmen durch eigene Firmen fördert und subventioniert,
  • und dass China Cyber-Diebstahl betreibt.

Im Klartext: Die US-Sanktionen sollen Chinas 2025-Strategie stoppen. Chinas Führung hat der Gesellschaft einen Rahmen für eine Offensive in der Industriepolitik vorgeschlagen, der vom Parteitag und dem nationalen Volkskongress gebilligt wurde. Im Rahmen dieser Industriepolitik soll eine Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft erreicht werden. Während man in der westlichen Welt davon ausgeht, dass dies den Marktkräften überlassen werden sollte, setzt man in China auf die Steuerung und Kontrolle durch den Staat: »China Manufacturing 2025. Putting Industrial Policy Ahead of Market Forces«.

China will innovativere Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Mit dem Masterplan »Made in China 2025« soll eine durchgreifende Erneuerung durchgesetzt werden, damit das Land zu den Industrienationen aufschließt und sie im Jahr 2049, wenn die Volksrepublik ihren 100. Geburtstag feiert, abgehängt haben wird. Der Ansatz bietet für westliche Firmen große Chancen, weil die Nachfrage nach ihren hochwertigen Produkten in den kommenden Jahren weiterhin groß sein wird. Das ist aber nur ein Aspekt, denn das erklärte Ziel Pekings ist es, dank staatlich verordneter Industriepolitik selbst an die Spitze diverser Branchen zu gelangen und die Konkurrenz aus den Industrieländern zu dominieren.

Da nach Ansicht der chinesischen Führung wirtschaftlicher Fortschritt planbar ist, haben sie zehn Sektoren auserkoren, in denen Unternehmen aus dem Reich der Mitte Weltspitze werden sollen. Mit dieser Strategie wird eine neue Reformkonzeption verfolgt: Bis jetzt hat sich die chinesische Politik Ziele für den heimischen Markt gesetzt, inzwischen denkt sie jedoch global und arbeitet auch für die Weltmärkte Jahrespläne aus.

Die Trump-Administration will diese Politik blockieren. Aus einem erzwungenen Technologietransfer alleine entstünden amerikanischen Firmen jährlich Verluste von 50 Mrd. US-Dollar, weil ausländischen Unternehmen Geschäfte in China nur im Rahmen von Joint Ventures erlaubt sind, an denen chinesische Partner die Mehrheit behalten. Amerikanische Firmen entgingen damit 51% der Gewinne. Weitere Verluste entstünden, weil die Technologie den chinesischen Partnern übertragen werden müsse.

Um diesen Schaden wiedergutzumachen, werden die Import-Zölle in Höhe von jährlich 50 Mrd. US-Dollar erhoben. Dabei soll auf Bereiche abgezielt werden, wo es China am meisten und amerikanische Konsumenten am wenigsten schmerze. Ins Visier genommen werden jene zehn Sektoren, in denen die Chinesen laut »Made in China 2025«-Strategie Weltspitze werden wollen. Die amerikanischen Zölle sollen demnach u.a. den Handel mit Maschinen-, Luftfahrt-, Informations- und Kommunikationstechnologie und letztlich den staatlich gelenkten Aufstieg Chinas zur technologischen Supermacht bremsen.

US-Präsident Trump unterstellt darüber hinaus eine strukturelle Benachteiligung der USA auch im Handel mit Kanada und Europa. Daher seine These, dass die USA in einem offen ausgetragenen Konflikt nichts zu verlieren hätten und durchaus einen Handelskrieg gewinnen könnten. Zugleich schränkt er ein: Er wolle keinen Handelskrieg. China nutze die Vereinigten Staaten aber seit vielen Jahren aus, und »die Vereinigten Staaten können es nicht länger hinnehmen, ihre Technologie und ihr intellektuelles Eigentum durch unfaire Handelspraktiken zu verlieren«.

Statt sein Verhalten zu ändern, bedrohe China nun amerikanische Firmen, Arbeiter und Farmer, die keine Schuld an der Situation hätten. Zusätzliche Maßnahmen seien nötig, damit China von seinen unfairen Praktiken ablasse, seine Märkte für US-Güter öffne und eine ausgeglichenere Handelsbeziehung mit den USA akzeptiere. Sein Land werde auf eine Reaktion Chinas mit eigenen Zöllen wiederum mit neuen Zöllen reagieren. In dieser Eskalationsspirale stecken die Akteure.

Das Weiße Haus erklärt dieser Tage, China wolle offensichtlich sein unfaires Verhalten gegenüber den USA nicht ändern. Die Strafzölle sollen China auch zu einem Umdenken in Sachen unfairem Umgang mit amerikanischer Technologie und amerikanischem geistigem Eigentum ermuntern, und ein erster Schritt zu einer ausgeglichenen Handelsbeziehung zwischen China und den USA sein.

Die Trump-Administration erwartet ein Einlenken Chinas: Man werde in vielen Bereichen weiterhin zusammenarbeiten, aber die USA ließen sich nicht länger ausnutzen von China und anderen Ländern in der Welt. Man würde alle verfügbaren Instrumente einsetzen, um ein besseres und faireres Handelssystem zu schaffen.

Die politische Führung der Volksrepublik weiß, dass die nachholende Entwicklung des Landes und der Wirtschaft noch nicht in der Endphase ist. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf beträgt aktuell rund ein Viertel der Leistung in den Vereinigten Staaten. »Made in China 2025« soll dazu führen, die Wirtschaft auf ein neues Niveau zu heben. Peking wird daher nicht auf das von Washington geforderte Entgegenkommen eingehen. Trump hätte daher das Angebot zu verstärkten Warenbezügen der chinesischen Unternehmen und die einseitigen Ankündigungen von Zollsenkungen aufgreifen sollen.

Die USA haben es mit den Strafzöllen letztlich auf Produkte der Hochtechnologie abgesehen. Der von Trump eingeschlagene Weg führt zur Eskalation und zur Zerstörung von grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten. Diese Logik wird die Konjunktur der Globalökonomie sowie die internationalen Finanzmärkte zunehmend belasten. Ein transatlantischer Handelskrieg hat mit Sicherheit auch dramatische Folgen für die europäischen Länder und die EU.

Die Zollerhöhungen haben eine Protektionismusspirale eröffnet. Faktisch ist mit dieser Politik das Ende des multilateralen Handelssystems provoziert, das seit Inkrafttreten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) im Jahr 1947 den Welthandel reguliert. Der US-Präsident hat offen einen WTO-Austritt seines Landes ins Gespräch gebracht, eine Drohung, die angesichts der vollzogenen Austritte aus anderen internationalen Abkommen Wirkung zeigt.

Das Gatt/WTO-System ist ein zentraler Eckpfeiler der liberalen Nachkriegsordnung und hat große Wirkung gehabt. So sind seit 1947 die Zölle auf Industriegüter auf durchschnittlich 4% zurückgegangen, und es sind mittlerweile 164 Volkswirtschaften Mitglied der WTO. Auch echte Handelskriege blieben bisher aus, obwohl es schon früher zu ernsthaften Belastungsproben kam. So gab es zum Beispiel nach der Finanzkrise vor zehn Jahren laute Rufe nach Handelsbarrieren, die die WTO weitgehend zum Verstummen bringen konnte.

Es ist atemraubend, mit welcher Unbekümmertheit Trump in kürzester Zeit einreißt, was für die westliche Welt seit Jahrzehnten die Basis für politische Stabilität war. Bis heute versteht er nicht, dass eine multilaterale Handels- und Währungsordnung, das NATO-Militärbündnis und eine starke EU zum Fundament des amerikanischen Zeitalters gehörten.

Der Erfolg der WTO basiert auf ihrer Architektur. Das multilaterale Handelssystem unterstützt nicht nur das Verbot von Zolldiskriminierung, sondern auch viele Details wie das Festlegen von Zollobergrenzen statt Zolltarifen. Dennoch gibt es im WTO-System auch unübersehbare Probleme, die es durch Reformen zu beheben gilt. Ein ständiger Konfliktpunkt ist zum Beispiel der Schutz geistigen Eigentums, der reichen Ländern als zu schwach und armen Ländern als zu stark erscheint.

Ebenfalls problematisch sind die WTO-Subventionsregeln, die insbesondere China mit seinen Staatsbetrieben zu umgehen versucht. Das Problem der WTO ist: Sie hat wenig in der Hand, um gegen Regelbrecher vorzugehen. »Es gibt keine Flotte von schwarzen Helikoptern in Genf, die immer bereit sind, auf einen Handels-Bösewicht herunterzustürzen«, schrieb Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman.

Vor allem muss man aber zur Kenntnis nehmen, dass die WTO im internationalen Handelssystem ständig an Bedeutung verlor. Bis 1994 entwickelte sich das Gatt über mehrjährige Handelsrunden weiter. Diese hatten zum Ziel, laufend weitere Bereiche des Wirtschaftslebens dem Freihandel zugänglich zu machen. Mit der WTO hätten ebenfalls weitere Runden folgen sollen.

Allerdings kam schon die erste, die sogenannte Doha-Runde, die in der katarischen Hauptstadt 2001 startete, nicht voran. Seit 2016 gilt die Runde als gescheitert. Fortschritte sieht man eigentlich nur noch in Freihandelsabkommen, die im Gatt nur als seltene Ausnahme des Meistbegünstigtenprinzips vorgesehen waren. Die WTO ist Opfer ihres eigenen Erfolges, da weitere Zollsenkungen mit jeder Liberalisierungsrunde schwieriger werden. Aber auch Liberalisierungsmaßnahmen, die über traditionelle Zollsenkungen hinausgehen, sind schwer im Konsensverfahren mit 164 Mitgliedern zu erreichen. Um in solchen Bereichen echte Fortschritte zu erzielen, muss sich die WTO stärker plurilateralen Ansätzen öffnen. Diese erlauben Teilgruppen von WTO-Mitgliedern, weiterführende Abkommen zu schließen, untergraben den multilateralen Charakter der WTO aber weniger als herkömmliche Freihandelsabkommen.

Donald Trump hat keine erkennbare Konzeption für eine internationale Handelsordnung. Er untergräbt die WTO, hat aber auch die Entwicklung regionaler Abkommen blockiert. Er ließ das transatlantische Abkommen TTIP zwischen den USA und Europa scheitern und verließ die transpazifische Partnerschaft TTP mit Japan und anderen pazifischen Ländern.

Das drohende Ende der WTO und die Konzeptionslosigkeit der USA als Weltmacht werfen weitere Probleme auf: Bei ihrer Gründung war die Handels- und Währungsordnung Teil eines umfassenden Friedensprojekts. Angedacht wurde sie am berühmten Treffen in Bretton Woods 1944. Die USA, Großbritannien und 42 weitere Länder wollten eine stabile Wirtschaftsordnung für die Zeit nach dem Krieg schaffen.

Neue Institutionen sollten wirtschaftliche Wirren und Handelsstreitigkeiten, wie sie in den 1930er Jahren ausgebrochen waren, künftig verhindern. Sie galten als Mitauslöser des Zweiten Weltkriegs. Geschaffen wurden in Bretton Woods der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Weil eine Welthandelsorganisation als zu ehrgeiziges Projekt galt, fand man eine Zwischenlösung: das Gatt als reines Zollabkommen.

Doch selbst dieses scheiterte beinahe an der Uneinigkeit zwischen den USA und Großbritannien. Erst 1948, als sich der Kalte Krieg ankündete, gaben die Amerikaner nach. Die WTO hätte von den Erfahrungen aus dieser Zeit lernen können. Stattdessen hat sie in Außenhandelsfragen überbordet und damit ihren eigenen Niedergang eingeleitet – einen Niedergang, der nun von Donald Trump beschleunigt wird.

Wenn die USA nicht zurückstecken, wird durch die Eskalation des Handelskrieges zum einen die globale Konjunktur tangiert und die rezessiven Effekte neben den Strafzöllen auch den Großteil der anderen Länder betreffen. Die Entwicklung einer stabilen Wirtschaftsordnung unter Einschluss von China und Russland, steht zwar auf der weltpolitischen Tagesordnung, rückt mit der Politik des aktuellen US-Präsidenten aber in weite Ferne. Einmal mehr wurde aus vergangenen Katastrophen nichts gelernt.

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