16. Februar 2021 Otto König/Richard Detje: Sozialist Andrés Arauz gewinnt, muss aber in die Stichwahl

Ecuador: Die Linke ist zurück

Andrés Arauz (Foto: dpa)

Der Andenstaat Ecuador hat gewählt und eine Richtungsentscheidung getroffen: Vier Jahre, nachdem Präsident Lenin Moreno der »Bürgerrevolution« den Rücken gekehrt und sich dem Neoliberalismus verschrieben hat, zeigt der Kurs wieder nach links.

Mehr als 70% der Wähler*innen votierten bei der Präsidentschaftswahl für Kandidaten, die sich sozialdemokratisch bis sozialistisch positioniert haben – auf die Rechte entfielen kaum mehr als 20%.

Mit 32,63% der Stimmen hat der Ökonom und Sozialist Andrés Arauz (36) vom Linksbündnis »Unión por la Esperanza« (Einheitsbewegung für die Hoffnung/UNES) die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewonnen, so die ecuadorianische Wahlbehörde CNE. Der Journalist Carlos Rabascall (60) ist der Unes-Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten. Arauz muss sich jedoch der Stichwahl am 11. April stellen, denn nach der ecuadorianischen Verfassung braucht ein Kandidat entweder über 50% der Stimmen oder 40% und einen Vorsprung von über zehn Prozentpunkten auf den nächsten Konkurrenten, damit ein Wahlsieg schon in der ersten Runde erreicht wird.

Die Frage, auf wen er in der Stichwahl trifft, ist immer noch offen: Um den zweiten Platz, der über den Einzug in die Stichwahl am 11. April entscheidet, gab es bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem ultrakonservativen Bankier und Präsidentschaftskandidaten der rechtsliberalen »Allianz für den Wechsel« (CREO-PSC), Guillermo Lasso (65), der mit 19,72% fast gleichauf mit dem links-grünen Kandidaten Yako Pérez (51) von der Indigenen-Partei »Pachakutik« (Movimiento de Unidad Plurinacional) mit 19,32% liegt.[1]

Rund 13 Millionen Wahlberechtigte waren unter Pandemie-Bedingungen zum Urnengang aufgerufen, um einen neuen Präsidenten und 137 Abgeordnete der Nationalversammlung zu bestimmen. Rechnerisch gibt es nach der Wahl in der künftigen Nationalversammlung eine klare linke Mehrheit. Das linksgerichtete Bündnis Unes stellt mit Abstand die meisten Abgeordneten, »annähernd 50« lauten die vorläufigen Angaben. Mit 26 Sitzen ist die indigene Organisation Pachakutik zweitstärkste Kraft. An dritter Stelle stehen mit jeweils 17 Sitzen die Izquierda Democratica (Demokratische Linke) und die PSC (Sozial-Christliche Partei). Erst an fünfter Stelle folgt Creo, die Partei von Guillermo Lasso. Die bisherige Regierungspartei Alianza País von Lenin Moreno, die bei den letzten Wahlen 77 Sitze innehatte, wird in der Nationalversammlung nicht mehr vertreten sein. Arauz, Pérez und Xavier Hervas von der Izquierda Democratica konnten über zwei Drittel der Stimmen im Parlament auf sich vereinen, wenn es ihnen gelingen würde, ihre strittigen Punkte auszuklammern

Der Überraschungserfolg von Yaku Pérez, der sich selbst als Ökosozialist bezeichnet, ist wohl auf sein Engagement gegen Bergbau und Ölförderung im Land zurückzuführen. Pérez hat sich als Anführer des indigenen Widerstands gegen Energie- und Infrastruktur-Projekte auf indianischem Gebiet, insbesondere wasserverschmutzende und -vergeudende Bergbauprojekte, einen Namen gemacht. Beim gleichzeitigen Referendum »Ja zum Wasser« in Ecuadors drittgrößter Stadt Cuenca sprachen sich über 80% für das Verbot der Ausbeutung von Metall­erzen durch den Mega-Tagebau in den Was­ser­einzugsgebieten von fünf Flüssen in der Region aus. Pérez gelang es, seine Kandidatur mit der Protestwelle vom Oktober 2019 zu verbinden. Damals gingen, angeführt von Gewerkschaften und den Vertretern der CONAIE, dem Bündnis der indigenen Nationalitäten, Tausende auf die Straße.

Ein Duell zwischen dem Sozialisten Arauz und dem Bankier Lasso wäre voraussehbarer, da es sich um die klassische Konstellation – links gegen rechts – handelt. Mit der Forderung nach Privatisierungen, Liberalisierung und Deregulierung vertritt Lasso ein klares neoliberales Programm. Eine Stichwahl zwischen den beiden Linken würde sich schwieriger gestalten. Sowohl Arauz als auch Pérez lehnen den rabiaten Austeritätskurs ab, den Amtsinhaber Lenín Moreno durchgepeitscht hat. Der zentrale Konflikt zwischen beiden ist jedoch der »Extraktivismus«. Während Arauz wie sein Vorgänger Correa nicht auf die Einnahmen aus der Erdöl- und Erdgasförderung verzichten will, um mit ihnen die soziale Entwicklung des Landes voranzubringen, kritisiert die Bewegung um Perez die Zerstörung der Umwelt in Folge der Ausbeutung der Naturressourcen in den traditionellen Siedlungsgebieten der indigenen Völker.

Es ist davon auszugehen, dass der Ökonom Arauz als Sieger aus der Stichwahl im April hervorgehen und in den Präsidentenpalast Carondelet in Quito einzuziehen wird. Außer die Rechten stellen ihre rassistischen Vorbehalte gegenüber den Ureinwohnern zurück und unterstützen den Gegner des »Correirismus«. Der Wahlkampf war vorrangig durch wirtschaftliche Themen geprägt, denn viele Ecuadorianer*innen haben in Folge der krisenhaften Entwicklung und der Covid-19-Pandemie ihre Lebensgrundlage verloren und kämpfen um ihre Existenz. Knapp die Hälfte der etwa acht Millionen erwerbsfähigen Personen muss versuchen, im informellen Sektor über die Runden zu kommen. Aber auch wer einen Arbeitsvertrag mit Sozialleistungen hat, verdient oft nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 400 Dollar im Monat, so die staatliche Statistikbehörde INEC.

Der amtierende Staatschef Lenín Moreno hat auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet. Er ist äußerst unpopulär, seine Sympathiewerte liegen schon lange im einstelligen Prozentbereich. Moreno, der sich im April 2017 mit dem Versprechen, die Politik des Ausbaus der Sozialprogramme für ärmere Schichten fortzusetzen und sich gegen einen Rückbau des Staates positionierte, hatte sich in der Stichwahl knapp mit 51,16% gegen den rechten Guillermo Lasso durchgesetzt,[2] wandte sich nach seiner Wahl aber sehr schnell von der Politik der Armutsbekämpfung, kostenlosen Bildung und Gesundheitsversorgung seines Vorgängers ab.[3] Im März 2019 schloss der Präsident ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), mit dem ein Kredit für das Land in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar – genannt Expanded Service Agreement (SAF) – für eine Laufzeit von drei Jahren gewährt wurde, gebunden an drakonische Sparauflagen des IWF auch zu Lasten öffentlicher Investitionen. Das daraufhin beschlossene »Organische Gesetz für produktive Entwicklung, Investitionsförderung, von Arbeitsplatzbeschaffung sowie Haushaltsstabilität und -gleichgewicht« stürzte breite Bevölkerungsgruppen in Armut und Elend und griff gleichzeitig transnationalen Unternehmen, Banken und großen Wirtschaftsgruppen unter die Arme.

Zu den Bedingungen des neoliberalen »Paquetazos« (Sparpakets) gehörte auch die Streichung von Kraftstoff-Subventionen, was das Fass zum Überlaufen brachte. Arbeiter*innen, Student*innen und Indigene gingen gegen das von der Regierung am 1. Oktober verhängte »Wirtschaftspaket« mit Kürzungsmaßnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar auf die Straße. Moreno verhängte den Ausnahmezustand, schickte Militär sowie Polizei und flüchtete mit seiner Regierung von Quito nach Guayaquil. Nach zwölf Tagen des Protestes musste er sein Dekret zurückziehen. Außenpolitisch suchte er die Aussöhnung mit der Trump-Administration, als Morgengabe lieferte er den Whistleblower Julian Assange aus, der in der Londoner Botschaft Ecuadors Unterschlupf gefunden hatte.

Morenos katastrophales Pandemiemanagement stürzte das Land noch tiefer in die Rezession. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte im vergangenen Jahr um 9,5%. Die Auslandsverschuldung beläuft sich auf 60% des Bruttoinlandsproduktes. Laut Unicef sind mehr als 700.000 ecuadorianische Haushalte in die Armut abgerutscht. Mittlerweile gelten 38% der Ecuadorianer als arm. Die Arbeitslosigkeit ist nach Angaben des Instituts für Statistik und Volkszählungen (INEC) von 3,8% im Dezember 2019 auf über 13% zwischen Mai und Juni 2020 angestiegen, und die Quote der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist auf 67,4% hochgeschnellt.

Während im vergangenen Herbst in anderen lateinamerikanischen Ländern Milliardenhilfsprogramme diskutiert wurden, kündigte Präsident Moreno mit Verweis auf den abstürzenden Ölpreis Haushaltseinsparungen in Höhe von vier Milliarden US-Dollar an. Die Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich, die kurz vor Pandemiebeginn durchgezogen wurden, hatten drastische Auswirkungen: In Guayaquil, der zweitgrößten Stadt des Landes, lagen im April 2020 Leichen auf den Straßen, weil die Bestatter nicht mehr nachkamen. Tote wurden in Kartonsärgen bestattet. Im Januar verzeichnete der Andenstaat mit 38.316 positiven Fällen fast doppelt so viele Infizierte wie im Dezember. 246.000 Infizierte und knapp 15.000 Tote wiesen die Statistiken Ende Januar aus.

Sollte sich Andrés Arauz im April in der Stichwahl durchsetzen, steht er als Präsident mit seiner Regierung vor schwierigen Aufgaben. Sein antizyklischer Wirtschaftsplan sieht umfangreiche öffentliche Ausgaben und Maßnahmen zur Entwicklungsförderung und dem Zugang zu produktiven Ressourcen vor. Außerdem soll der grassierende unlautere Wettbewerb eingeschränkt und Veränderungen beim Verbraucherschutz, dem öffentlichen Bankwesen sowie der Volks- und Solidaritätsfinanzierung eingeleitet werden. Gleichzeitig soll die Senkung der Zinssätze durchgesetzt, eine progressive Steuerreform durchgesetzt und Großvermögen zur Kasse gebeten werden. Auch die Rückführung von Kapital soll gefördert und damit die Flucht in Fremdwährungen umgekehrt werden.

Als Direktmaßnahmen soll es finanzielle Hilfen für die ärmsten Bevölkerungsschichten geben. »Wir wissen, dass wir sofortige Hilfe anbieten müssen, bis die Bevölkerung in Ecuador geimpft ist, bis Arbeitsplätze geschaffen wurden und der Staat seine Stärke zurückerlangt, um wieder die öffentliche Arbeit aufzunehmen. Deshalb schlagen wir ein Programm vor, das die Auszahlung von 1000 Dollar an 1 Million ecuadorianische Familien in der ersten Woche unserer Regierung vorsieht«, sagte Arauz in einem Interview mit Denis Rogalyuk im Magazin Jacobin (08.02.2021). Die Ankurbelung der Familienwirtschaft (»la economía familiar«) könne einige Schulden decken und den Familien ermöglichen, sich Medikamente, Lebensmittel und Kleidung zu kaufen.

Die von der noch amtierenden Regierung »angestrebte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes«, die es Arbeitgebern erleichtern soll, Mitarbeiter ohne Abfindungszahlungen entlassen zu können, will Arauz rückgängig machen. Mit dem IWF soll über bessere Bedingungen der Refinanzierung verhandelt werden. Wenn der IWF bei dem unabhängigen Wirtschaftsplan, der Wirtschaftswachstum anstrebt, menschenwürdige Bedingungen implementieren will, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen und Arbeitsplätze und eine solide neue öffentliche Infrastruktur zu schaffen, »helfen will, dann begrüßen wir das – aber an das derzeitige Abkommen mit dem IWF werden wir uns nicht halten«, verkündete der Sozialist Arauz. »Wir werden die Krise nicht nutzen, um den Reichsten mehr Macht zu geben und nach unten zu treten. Im Gegenteil: Wir werden zeigen, dass es eine Regierung geben kann, die im Sinne der Bevölkerung handelt.«

Anmerkungen

[1] Nach Unstimmigkeiten bei zahlreichen Wahlakten findet eine Überprüfung beim Wahlrat CNE statt, die öffentlich, live übertragen und unter Anwesenheit von Vertretern der Parteien der drei führenden Präsidentschaftsanwärter und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) abgehalten wird. In der bevölkerungsreichsten Provinz Guayas an der Pazifikküste werden alle Wahlurnen überprüft und in weiteren 16 der insgesamt 24 Provinzen des südamerikanischen Landes werden jeweils die Hälfte der Urnen neu ausgezählt (dpa 13.02.2021).
[2] Otto König/Richard Detje: Linke gewinnt die Stichwahl in Ecuador. »Lenin Presidente«, Sozialismus.deAktuell 6.4.2017.
[3] Lenin Moreno hat nach seinem überraschenden Rechtsruck eine Kampagne gegen die Führungspersonen von Correas »Bürgerrevolution« gefahren – allen voran gegen Rafael Correa selbst und den ehemaligen Vizepräsidenten Jorge Glas. Der Ex-Präsident wanderte 2017 von Quito nach Brüssel in das Heimatland seiner Frau aus. In Ecuador verurteilte ihn ein Gericht wegen vermeintlicher Annahme von Schmiergeldern für die Vergabe von Staatsaufträgen, die in die Kasse seiner Regierungspartei geflossen sein sollen, in Abwesenheit zu acht Jahren Haft. Interpol verweigerte den Vollzug eines internationalen Haftbefehls gegen Correa, da das Verfahren politisch motiviert sei. Seitdem wurden unzählige Versuche unternommen, um ihn und andere politische Akteure von den Wahlen auszuschließen. So wurde verhindert, dass sich die »Bürgerrevolution« als politische Partei registrieren konnte. Correa wurde untersagt, für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren. Die Situation ist vergleichbar mit den politisch motivierten Prozessen gegen Lula da Silva in Brasilien.

Zurück