4. April 2022 Jane McAlevey: Eine Mehrheit für die Amazon Labor Union

Ein bahnbrechender Sieg der Amazon-Beschäftigten

Die Entscheidung der Amazon-Beschäftigten in Staten Island, einem Bezirk in New York, ist ein wichtiger Sieg über die Macht und Arroganz des Konzerns. Und es ist ein entscheidender Schritt im Kampf für die gewerkschaftliche Organisierung des Unternehmens.

Das Beste an arroganten Chefs ist, dass sie die Intelligenz ihrer Belegschaft unterschätzen. So enthüllen es die Dokumente aus dem Unternehmen, die durchgesickert waren und zuerst vom Nachrichtenblog VICE News veröffentlicht worden sind. Amazon hatte den Aktivisten Chris Smalls gefeuert, nachdem er anfangs der Covid-19-Pandemie einen Streik mit organisiert hatte, mit dem ein besserer Gesundheits- und Arbeitsschutz erzwungen werden sollte. Über ihn äußerte sich auf einer Sitzung, an der auch Konzernboss Jeff Bezos teilnahm, Amazons Chefsyndikus David Zapolsky herablassend:

»Er ist weder klug noch redegewandt, und wenn sich die Medien auf unsere Auseinandersetzung mit ihm fokussieren, dann haben wir  eine weitaus bessere Position gegenüber den Medien, als wenn wir zum x-ten Mal erklären, wie wir unsere Beschäftigten zu schützen versuchen«, erklärte der Chefsyndikus laut Protokollnotizen von der Sitzung, die im Unternehmen weit verbreitet wurden.

Smalls hat hingegen nie aufgegeben. Bei seiner Entlassung war er in Amazons Distributionszentrum in Staten Island (Amazon-Kennung: JFK8) beschäftigt. Jetzt hat die von ihm gegründete unabhängige Gewerkschaft, die Amazon Labor Union (ALU), einen entscheidenden Sieg errungen. Von jenen Beschäftigten, die sich an der Abstimmung beteiligten, votierten 2.654 Beschäftigte für eine gewerkschaftliche Organisierung, während 2.131 mit Nein stimmten. In diesem knallharten Kampf um die gewerkschaftliche Organisierung ist eine Stimmenmehrheit von 523 sehr beeindruckend. Und das, obwohl Amazon 4,3 Mio. Dollar allein im Jahr 2021 dafür ausgegeben hat, die gewerkschaftliche Organisierung seiner Beschäftigten zu verhindern.

Der historische Sieg fand in einem sogenannten Fulfillment Center (Wareneingang, Bestellbearbeitung, Kommissionierung, Versand) von Amazon statt. Demnächst werden auch die Beschäftigten in einem nahe gelegenen Betrieb auf Staten Island die Gelegenheit haben, sich ihren nun gewerkschaftlich organisierten Kollegen der Amazon Labor Union anzuschließen. Es handelt sich um ein Sortierzentrum (Kennung: LDJ5), in dem Pakete nach Verteilungsgebieten sortiert werden.

Nichts motiviert Beschäftigte mehr, sich für ihre gewerkschaftliche Organisierung im Betrieb zu entscheiden, als zu sehen, dass ihre Kolleg*innen einen Sieg davon getragen haben – und das ist nur einer von vielen Gründen, warum dieser Sieg so wichtig ist. Anders als bei vorangegangenen Anläufen war es dieses Mal die Belegschaft, die gewonnen hat.

Das Unternehmen hat jetzt eine Woche Zeit, um gegen die Abstimmung juristisch vorzugehen. Seine Standardmethode zur Zerschlagung von Gewerkschaften lautet »verzögern, verzögern und nochmals verzögern«. Daher ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Amazon Einspruch einlegen wird, obwohl das Unternehmen weiß, dass es später unterliegen wird.

Da im LDJ5-Sortierzentrum die Abstimmung für den 25. April angesetzt ist, wird die Unternehmerseite hart daran arbeiten, das Ganze als ein »aussichtslosen Unterfangen« – wie es im Jargon der Gewerkschaftsfeinde heißt – aussehen zu lassen. Amazon will den Beschäftigten im Sortierzentrum unbedingt die folgende Botschaft rüberbringen: »Wir haben Einspruch eingelegt, und wir sind zuversichtlich, dass das Votum für die gewerkschaftliche Organisierung im Fulfillment Center gekippt wird; daher wird es trotz all eurer bisherigen, jetzigen und zukünftigen Anstrengungen keine Gewerkschaft bei Amazon geben.«

Das Unternehmen wird die auf Grund der Antigewerkschaftsgesetze obligatorischen unfreiwilligen Betriebsversammlungen ausweiten, bei denen die Beschäftigten während ihrer bezahlten Arbeitszeit gezwungen sind, sich die Lügen des Managements über die Nachteile eine Gewerkschaftsgründung anzuhören.

Diese Versammlungen können sehr effektiv sein, vor allem dann, wenn sie ohne jegliche gewerkschaftliche Vertretung stattfinden. Wäre ein Gewerkschaftskomitee anwesend, dann könnte es eine spannungsgeladene in eine humorvolle Atmosphäre verwandeln, indem es etwa knisternde Popcorntüten in die Versammlungen mitbringt und laut knuspert, viele Fragen stellt, die die Lügen der Unternehmerseite entlarven, sich Partyhüte aufsetzt oder auf andere Weise den Chefs zeigt, dass sie nicht beeindruckt sind.

Der erste Sieg zur gewerkschaftlichen Organisierung bei Amazon ist in der Tat ein historischer Erfolg. Wir sollten uns aber davor hüten, ihn überzubewerten. Vielmehr haben wir doch einiges zu analysieren. Dazu gehört unter anderem: In den letzten Wochen wurde der erfahrene Gewerkschaftsaktivist Gene Bruskin als Berater für die neue Amazon-Gewerkschaft gewonnen. Er hatte die erfolgreiche Smithfield-Foods-Kampagne in Tar Heel (North Carolina) geleitet. Das war 2018 der größte Arbeitskampf im privaten Sektor.

Wir wissen auch, dass viele Gewerkschaften einige ihrer besten und erfahrensten hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen zur Unterstützung zur Verfügung gestellt haben, einschließlich der Organizer von UNITE HERE. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, was in einer umfassenden Analyse untersucht werden müsste.

Heute wollen wir die Kolleginnen und Kollegen der Amazon Labor Union feiern. Ihr Kampf hat viel dazu beigetragen, dass die Erwartungen jetzt viel höher sind, als wir zu hoffen gewagt hatten. Besucht ihre Social-Media-Seiten und unterstützt sie mit Spenden. Denn es werden enorme Gerichtskosten anfallen, um die Entscheidung im Fulfillment Center in Staten Islands zu verteidigen. Und wir müssen uns weiterhin darauf konzentrieren, dass auch im benachbarten Sortierzentrum der Sieg errungen wird.

Der heutige Tag markiert einen entscheidenden Sieg für die Beschäftigten im brutalen Klassenkampf in den Vereinigten Staaten. Ja, wir können gewinnen - und ja, wir müssen gewinnen.

Jane McAlevey ist Senior Policy Fellow am Institute for Research on Labor and Employment der University of California. Von 1995 bis 2010 arbeitete sie als Gewerkschafts-Organizerin in führender Position in diversen Kampagnen der AFL-CIO und im Gesundheitsbereich der Gewerkschaft SEIU. Ihr Kommentar erschien zuerst unter dem Titel Amazon Workers Score a Decisive Win in Staten Island! am 1.4.2022 in: The Nation (Übersetzung: Hinrich Kuhls).

Ihr aktuelles Buch Macht. Gemeinsame Sache. Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie ist – herausgegeben von Stefanie Holtz (IG Metall Jugend) und Florian Wilde (Rosa-Luxemburg-Stiftung) – im Herbst 2021 im VSA: Verlag erschienen (zuerst New York 2020: HarperCollins). Bereits 2019 erschien – ebenfalls im VSA: Verlag – ihr vorheriges Buch Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing.

Umfassend zu Arbeitsbedingungen und Streiks bei europäischen Amazon-Distributionszentren informiert Sabrina Apicella in ihrer Studie Das Prinzip Amazon. Über den Wandel der Verkaufsarbeit und Streiks im transnationalen Versandhandel. (VSA: Verlag Hamburg 2021).

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