14. Januar 2024 Redaktion Sozialismus.de: »Remigration« und »Bevölkerungsaustausch« sollen in die »Mitte der Gesellschaft«
Ein Masterplan der extremen Rechten
AfD-Politiker und der rechtsextreme österreichische Aktivist Martin Sellner haben auf einem gemeinsamen Treffen über einen Masterplan Remigration diskutiert. Es geht um die massive Rückführung oder Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland. Auch zwei CDU-Mitglieder, die der Werteunion angehören sollen, seien nach Recherchen des Investigativ-Portals »Correctiv« zugegen gewesen.
Der rechtsextreme Masterplan Remigration ist eine verharmlosende Bezeichnung einer rassistischen Zielvorstellung zur Abschiebung von Asylsuchenden: Die Konzeption zielt darauf, dass die staatlichen Institutionen sowohl Asylsuchende als auch Ausländer mit dauerhaftem Bleiberecht, also Staatsbürger, die – warum auch immer – nicht nach Deutschland passen sollen, vertreiben oder auch deportieren.
Diese politische Beratung der AfD durch Vertreter der extremen Rechten hat große Empörung ausgelöst. Viele Politiker, darunter auch der Bundeskanzler Olaf Scholz, fordern den Eingriff des Verfassungsschutzes: Wer fordere, dass Menschen mit einer Migrationsgeschichte das Land verlassen müssten, sei ein Fall für die staatlichen Organe. Deutschland habe gute Möglichkeiten, sich gegen solche »Masterpläne« zu wehren, denn die Republik verstehe sich als wehrhafte Demokratie.
Die extreme Rechte hat die Kampfformel »Remigration« seit längerem konzeptionell zu einer Beseitigung eines von ihr ausgemachten »Bevölkerungstausches« ausgebaut. Es geht um einen Umbau des Staatsbürgerrechts, der keineswegs nur Flüchtlinge betreffen würde. Sie knüpft dabei an seit längerem geführte Debatten in der politischen Arena angesichts der verstärkten Flüchtlings- und Migrationsbewegung an, bei der auch andere politische Kräfte von »Rückführungen« sprechen.
Wer keine Asylbestätigung erhält, solle in das Herkunftsland – freiwillig oder nach Ausweisung – abgeschoben werden. In der »neurechten« Aufwertung dieser Vorschläge zum Masterplan geht es nicht mehr um die Individuell-biografische Überprüfung und gegeben falls Ablehnung des Asylantrages, sondern um Massenabschiebungen. Mit dieser staatlichen Intervention soll der unterstellte »großen Bevölkerungsaustausch« durch die Eliten rückgängig gemacht werden.
Das nunmehr öffentlich gemachte Treffen von Rechtsextremen mit AfD-Vertretern und der Werteunion in einem Potsdamer Hotel sorgt für Aufregung, obwohl es bereits im November stattgefunden hat. Die extreme Rechte sieht in allen europäischen Ländern die Ausweitung der Migrations- und Fluchtbewegung als entscheidendes politisches Feld zur Attacke auf etablierten politischen Parteien und Kräfte und damit zur Stärkung der rechten Alternative.
Bei dem »Masterplan« geht es um »Maßnahmen zur Umkehrung von Flüchtlingsströmen und die Rückführung von Migranten in deren Heimatländer«. Was im Einzelfall damit gemeint ist, variiert in den Parteien und Zirkeln der extremen Rechten. Martin Sellner hat in einem Beitrag für das neurechte Magazin »Sezession«, das sich unter seinem Chefredakteur Götz Kubitschek selbst als »rechtsintellektuell« bezeichnet, im Dezember ausgeführt, was er darunter versteht. Seine Version hatte er auch schon bei dem Treffen in Potsdam präsentiert. Der 35-jährige Österreicher ist der Kopf der »Identitären Bewegung«, die in Deutschland und Österreich vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Sellner stellt darin dar, wie die »Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln« sei. Neben Asylbewerbern und Ausländern geht es ihm auch um »nicht assimilierte« Staatsbürger, die für ihn das größte Problem sind. Grundlage für den sogenannten Masterplan ist die verschwörungstheoretische Fiktion eines »Bevölkerungsaustauschs«, die bereits in der Neonazi-Szene populär war. Sie bezeichnet die rassistische Vorstellung, nach der Migranten von den Eliten gezielt in Europa angesiedelt werden, um die einheimische Bevölkerung zu ersetzen.
In dem Aufsatz schreibt Sellner, dass mit »Remigration« die massenhafte Abschiebung gemeint sei. Den Umstand, dass auch Rechte vor diesem Begriff zurückschreckten, erklärt er mit erfolgreicher Gehirnwäsche. Massenrückführungen seien in der Geschichte immer wieder vorgekommen, und es gebe keine Belege dafür, dass sie menschenrechts- oder verfassungswidrig seien. Nun gelte es, einen konkreten Entwurf auszuarbeiten.
Die Analyse historischer Remigrationsbewegungen ist laut Sellner ein Bestandteil ihrer metapolitischen Vorarbeit, die phasenweise und »Schicht für Schicht« erfolge. In einer zweiten Phase müsse die Idee »Fahrt aufnehmen«, also Überzeugungskraft, wissenschaftliche Substanz und Reichweite aufbauen. Mit dieser symbolischen und theoretischen Schwungmasse könne die Vision der Remigration »den Graben überspringen«, denn im »idealistischen Kernbereich des rechten Lagers wurde das Begriffspaar ›Bevölkerungsaustausch‹ und ›Remigration‹ im Jahr 2023 großteils hegemonial.« Jetzt müssten beide »in der Mitte der Gesellschaft […] landen»
Politiker der AfD verwenden das Begriffspaar inzwischen ebenso selbstverständlich wie die »Freiheitlichen« der FPÖ in Österreich. Letztere haben auf ihrer Webseite vorgerechnet, dass es bei der derzeitigen Entwicklung noch knapp 29 Jahre dauere, bis die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund in Österreich in der Minderheit sei.
Sellner war die Verwicklung mit der gewalttätigen rechten Szene nachgewiesen worden. Nach dem Attentat auf zwei Moscheen in Neuseeland im März 2019, das über 50 Tote gefordert hatte, wurde bekannt, dass der Terrorist 1.500 Euro an diesen gespendet hatte. Im E-Mails-Verkehr unter ihnen war auch von einem geplanten Treffen in Wien die Rede. Die FPÖ war damals Koalitionspartnerin von Bundeskanzler Sebastian Kurz, der daraufhin die Distanzierung verlangte. Die Partei erklärte Aktivitäten bei den Identitären für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der FPÖ – eine entsprechende Regelung kennt auch die AfD. Tech-Firmen sperrten Sellners Social-Media-Konten, auch Mietverträge für Vereinsräume wurden gekündigt.
Von dieser Krise hat sich Sellner inzwischen wieder erholt. Auf »Telegram« teilt er seine Ansichten mit 57.000 Followern, stets im Stil eines Influencers mit adrettem Seitenscheitel und in gepflegter Sprache – ein moderner Rechtsextremer fern der Optik der alten Neonazi-Szene, der er als Jugendlicher angehörte. Mit der Wahl von Herbert Kickl zum neuen FPÖ-Chef, der die rechtspopulistische Partei insgesamt wieder radikaler ausrichtete, kam es zu einem erneuten Kontakt. Das österreichische Nachrichtenmagazin »Profil« bezeichnet das Verhältnis sogar als »so nah wie noch nie«. In einem ORF-Interview nach Bekanntwerden des rechten Treffens in Potsdam distanzierte sich Kickl weder von den Identitären noch von der Idee der »Remigration«.
Wenn man sich die Aufregung und breite Berichterstattung in Deutschland über das vermeintliche Geheimtreffen klar macht, dann erhält die These von der kulturell-politischen Hegemonie einen bitteren Realitätsgeschmack. Denn der Masterplan ist nichts Neues und Überraschendes. Die Aufregung zeigt nur, wie wenig die politischen Kräfte und die Medien sich um den gesellschaftlichen und theoretischen Hintergrund der massiven Rechtswende in Europa kümmern.
Bei Sellners »Masterplan« geht es nicht nur um die Abschiebung von Flüchtlingen, nicht nur um »Messermänner« und »Kopftuchmädchen« (Alice Weidel), sondern generell um Ausländer – und wohl auch um deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Zwar distanziert sich die AfD wachsweich und erklärt, Weidels Referent habe gar nicht gewusst, dass Sellner zu dem Treffen in Potsdam geladen sei. Tatsächlich aber fordern Vertreter der Partei immer wieder eine »wirkliche Remigration« (Gottfried Curio) oder »millionenfache Remigration« (Irmhild Boßdorf).
Angesichts der Debatten über Islamisierung, Hamas-Demos, Asyl‑, Sozialmissbrauch und Überfremdung sei – so Sellner – der Begriff »Remigration« längst in der Öffentlichkeit angekommen. Zwar werde die auch von anderen politischen Kräften geforderte verschärfte Abschiebungspraxis nicht überall so genannt, aber gemeint sei stets dasselbe. Das sieht Patrick Bahners in seinem Beitrag »Das Geheimnis des Geheimtreffens im Hotel« in der FAZ vom 13.1. ähnlich: »In der Sache gehen die Punkte in Sellners Konzept […] an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus.«
Damit wird eine Brücke zwischen verschiedenen Problemfeldern geschlagen. Das der »Export« einer vermeintlich importierten Kriminalität eine naheliegende Lösung ist, sieht inzwischen auch der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes: So hat Hans-Georg Maaßen vorgeschlagen, dass man die »millionenfache Ansiedlung von Ausländern aus kulturfremden Regionen […] rückabwickeln« müsse und forderte Maßnahmen von der Schärfe einer »Chemotherapie«, wie ihn Sellner in seinem »Sezessions«-Beitrag zustimmend zitiert.
Zu hoffen bleibt, dass die Aufregung um das Geheimtreffen in Potsdam dauerhaft ein stärkeres Interesse an den gefährlichen politischen Fantasien und Fiktionen der extremen Rechten bewirkt hat.