4. Dezember 2017 Joachim Bischoff

»Eine historische Steuerentlastung für das amerikanische Volk«?

Foto: whitehouse.gov

Der US-Senat hat einem Gesetzesentwurf zur umstrittenen Steuerreform zugestimmt. Der Entscheid fiel mit 51 zu 49 Stimmen. Es sieht danach aus, dass die »Tax Cuts and Jobs Act« und damit eine Reihe von Steuersenkungen Realität werden.

Die von Kongress und Senat beschlossenen Vorlagen müssen jetzt noch vereinheitlicht werden. Die zwei republikanischen Entwürfe der amerikanischen Steuerreform müssen zu einer einzigen Vorlage verschmolzen werden. Anschließend müssen sowohl der Senat wie auch das Abgeordnetenhaus nochmals darüber abstimmen. Und dann kann Präsident Trump unterschreiben.

Für Präsident Donald Trump lautet das politische Argument für Steuersenkungen, dass sie unverzichtbar seien, um »Amerika wieder groß zu machen«. Amerika werde steuerlich zu hoch belastet und durch schlechte Handelsabkommen betrogen, und es brauche Steuersenkungen, um seine Konkurrenzfähigkeit wiederherzustellen. Der Präsident verspricht außerdem den Lohnabhängigen eine deutliche Entlastung. Es werde eine historische Steuerentlastung für das amerikanische Volk. »Diese Steuerkürzungen werden deutlich sein«, kündigte Trump an. »Es sind die richtigen Entlastungen zur richtigen Zeit.« D.h. auch, die Steuerreform werde, wenn überhaupt, Leuten wie ihm finanziell weh tun. Die Ankündigungen von den »größten je gesehenen Steuersenkungen« haben einen politischen Haken. Umsetzen lassen sich solche Ankündigungen nicht per Dekret. Vielmehr gilt es, in den Niederungen des politischen Tauschgeschäfts mühsam um Mehrheiten zu ringen.

So lehnten die 48 demokratischen SenatorInnen die Steuerreform in ihrer Gesamtheit ab. Sie stören sich daran, dass der Großteil der Steuererleichterungen Großkonzernen und vermögens- und einkommensstarken Haushalten zugutekäme. Zwar werden auch die individuellen Einkommenssteuersätze gesenkt, aber nur temporär. Die Senkung der Körperschaftssteuer wird dagegen permanent sein. Vollends auf die Barrikaden bringt die Demokraten, dass die Senatsvorlage auch das Obamacare-Krankenversicherungsobligatorium abschaffen und Teile des arktischen Naturschutzgebiets der Erdölförderung öffnen will. Damit die Einnahmeausfälle für den Staat nicht jedes Maß sprengen, sollen die Steuersenkungen für die einfachen BürgerInnen zeitlich befristet und durch Kürzungen an anderer Stelle ausgeglichen werden. Der Wachstumseffekt wird weitgehend verpuffen, die soziale Schieflage im Steuerrecht wird noch weiter zementiert.

Die wichtigste Maßnahme sieht die Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 35% auf 20% vor – vom höchsten Niveau unter den OECD-Ländern auf eines der niedrigsten – und ermöglicht es US-Unternehmen, die Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften zurückzuführen, ohne zusätzlich US-Steuern entrichten zu müssen. Und das, obwohl der effektive Steuersatz der US-Unternehmen derzeit im Vergleich zur Erfahrung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit nur 22% überraschend niedrig ist. Die bisher im Ausland wegen der Globalbesteuerung parkierten Gewinne werden einmalig zu 7% (illiquide Aktiven) und 14% (flüssige Mittel) besteuert und repatriiert. Gegner des Gesetzes verweisen auf das wachsende Haushaltsdefizit, das die Staatsschulden in den nächsten zehn Jahren um 1,5 Bio. US-Dollar in die Höhe treiben würde.

Die Fans dieser großen Steuerreform stören sich nicht an dem parlamentarisch-publizistischen Erfolg des Präsidenten. Sie setzen auf eine Beschleunigung der Kapitalakkumulation durch diese Stärkung der Kaufkraft. Ihre Argumente: Amerikanische Firmen werden mehr in den USA investieren, da die Steuersätze im Ausland nicht mehr attraktiver sein werden, und sie werden Gewinne zurückführen, die ihre ausländischen Tochtergesellschaften erwirtschaftet haben, anstatt sie dort zu belassen. Sie werden auch einen Teil der in der Vergangenheit im Ausland erzielten und dort belassenen Gewinne repatriieren, die sich Schätzungen des US-Finanzministeriums zufolge auf 2,5 Bio. US-Dollar belaufen.

Dieser vermehrte Kapitalfluss in den Unternehmenssektor werde die Produktivität und die Reallöhne steigen lassen. Die Hypothese: Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird 2027 um rund 500 Mrd. US-Dollar höher sein, und damit 1,7% des gesamten BIP 2027 ausmachen, was pro Haushalt ein Einkommensplus von 4.000 US-Dollar bedeuten würde.

Eine Analyse und kontroverse Debatte der Verteilungswirkungen der vorgeschlagenen steuergesetzlichen Anpassungen war nicht möglich, weil das große Gesetzespaket im Eiltempo durch die Kammern durchgepeitscht wurde und viele Änderungen zwar die Mehrheit für die Republikaner sicherten, aber die jeweiligen Auswirkungen noch ermittelt werden müssen. Es gibt weiterhin Hunderte von Steuerausnahmen und Schlupflöchern.

Die neueste Ausgabe einer Fed-Studie zur Einkommensverteilung zeigt, dass die am besten gestellten Familien seit der erstmaligen Durchführung 1989 noch nie einen so hohen Anteil der Einkommen auf sich vereinigten wie 2016. Das Top-Prozent der Familien erzielte 23,8% aller Einkommen, fast so viel wie die nächsten 9%. Der Anteil der restlichen 90% sank dagegen erstmals auf unter 50%. Die Befürchtung der Kritiker – nicht nur von der demokratischen Partei – ist, dass die soziale Spaltung der US-Gesellschaft vertieft wird und eine relevanter Teil der Impulse durch die Absenkung der Steuern verpufft. Schon frühere Präsidenten hofften auf diesen Effekt der »Selbstfinanzierung« von Steuersenkungen. Das Haushaltswunder, dass die Befürworter der angebotsorientierten Politik versprechen, trat dagegen nie ein. Das Haushaltsdefizit des Bundes verschwand in den USA durchaus nicht, sondern stieg in den 1980er Jahren vielmehr steil auf 3,8% vom BIP, was zu einem Anstieg der Staatsverschuldung von 25% vom BIP im Jahr 1980 auf 41% im Jahr 1990 führte.

Die Steuerreform in den USA zwingt außerdem die Finanzminister anderer Länder, den Steuersenkungswettbewerb mitzumachen. Der Wettlauf um niedrigere Unternehmenssteuern geht somit in die nächste Runde. Auch die Verbände der deutschen Wirtschaft sind alarmiert: Durch die Reform wird die US-Konkurrenz massiv entlastet und wettbewerbsfähiger. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, wendet sich an Berlin: »Die nächste Bundesregierung wird darauf reagieren müssen und eine Senkung der hierzulande jetzt relativ hohen Steuerlast von etwa 30 Prozent angehen müssen.«

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