5. Februar 2025 Bernhard Sander: Frankreichs Regierung wieder vor einem Misstrauensantrag
Eine neue »Woche der Wahrheit«
Nachdem Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mit seinem Versuch einer erzkonservativen und bürgerlichen Regierung am geschlossenen Widerstand der linken Neuen Volksfront (NFP) und den Absprachen der nationalistisch-identitären Sammlungsbewegung (RN) mit Teilen der liberalen Modernisten gescheitert war, machte er mit der Benennung eines katholischen Ministerpräsidenten aus dem Lager der liberalen Funktionsparteien (Modem) ein neues Angebot.
Es zielte darauf ab, entweder eine neuerliche Spaltung der Sozialdemokratie voranzutreiben oder die Spannungen zwischen den Fraktionen der NFP (Grüne, Sozialdemokraten, Kommunisten und Linkspopulisten) anzufachen.
Die ökonomische Lage hat sich eher verschlimmert: »Die Wirtschafts-Aktivität verlangsamt sich, weil die Wirtschaftsakteure nicht wissen, was sie tun sollen. (Es fehlen die Signale aus dem Staatshalshalt für Investitionsschwerpunkte – BS). Währenddessen inszeniert der neue amerikanische Präsident Donald Trump, umgeben von den Milliardären des Silicon Valley, Bewegung und einen Willen zur Übermacht, der ausschließlich seinen Wählern dient. In einer gefährlichen Welt ist es besser, keinen allzu tiefen Schlaf zu haben«, kommentiert Le Monde die Lage des Landes.
Der Streitgegenstand ist derselbe geblieben: Würde es dem neuen Ministerpräsidenten François Bayrou gelingen, mit einem regulären Haushalt politische Akzente zu setzen, die galoppierende Staatsverschuldung (evtl. 7,2% in 2025) einzufangen, die soziale Spaltung des Landes weniger spürbar zu machen, aber gleichzeitig die Sozialsysteme weiter umzukrempeln und den vermögenden Schichten Zugeständnisse in Form befristet höherer Steuern abzuringen?
Dahinter droht der bisherige »Fahrplan«, dass nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum des Parlaments gegen den »Neuen« die verfassungsmäßige Sperre von einem Jahr für Neuwahlen nur noch kurze Zeit (Juni) währt und Macron anschließend politisch neuerlich gegen eine Parlamentsmehrheit stände. In diesem Falle ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Macron politisch gezwungen wäre, entweder das Spiel auf diese Weise bis zum regulären Ende seiner Amtszeit 2027 fortzusetzen oder aber vorzeitig zurückzutreten. Selber noch mal anzutreten, verbietet die Verfassung. Je schneller es aber zur Neuwahl des Staatspräsidenten kommt, desto mehr steigen die Chancen der RN-Führerin Marine Le Pen, der wegen Scheinbeschäftigungsverhältnissen auf Kosten der Staatskasse eine Bestrafung und ein politisches Funktionsverbot droht.
Die konservative Vorgängerregierung von Michel Barnier war vor zwei Monaten mit Ihren Haushaltsvorstellungen zu den Sozialsystemen gescheitert. Die Rücknahme der systemischen Rentenverschlechterungen ist eine Kernforderung der Linken, aber auch von RN. Und es geht mit Bayrou erstmal weiter wie bisher: »Unser Land kann nicht ohne Haushalt bleiben«, verkündet der Ministerpräsident und greift für seine ersten beiden Gesetzespakete zum verhassten, aber bewährten Notstandsparagrafen 49.3, um den Entwurf des Haushaltsgesetzes und den Entwurf des Gesetzes zur Finanzierung der Sozialversicherung für 2025 ohne Abstimmung verabschieden zu lassen. Damit löst er, wie die Verfassung das Prozedere vorschreibt, unverzüglich ein Misstrauensvotum der linken Parlamentarier*innen vom »Unbeugsamen Frankreich« (LFI) aus. »Für uns kommt es nicht in Frage, solche Gewaltstreiche durchgehen zu lassen«, begründete Mathilde Panot, die Anführerin der LFI-Abgeordneten, das Misstrauen.
»Ist dieser Haushalt perfekt? Nein«, räumte der Premierminister vom Rednerpult der Nationalversammlung ein, »aber es ist ein Gleichgewicht«. Er erinnerte daran, dass es das erste Mal in der Geschichte der Fünften Republik sei, dass Frankreich »im Februar keinen Haushalt hat«.
Die Sozialistische Partei (PS) will sich nicht an Misstrauensanträgen beteiligen. »Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir versucht haben, mit der Regierung zu verhandeln«, schrieb die Partei in einer Erklärung, um »allein aus Verantwortungsgefühl« das Schlimmste für die am meisten gefährdeten Mitbürger*innen zu verhindern. Der heimliche Vorsitzende der LFI, Jean-Luc Mélenchon, kritisierte, dass das Votum der PS der Bayrou-Regierung ihr endgültiges Einverständnis gebe.
Der PS steht unter dem Kuratell des ehemaligen Staatsadels: Ex-Staatspräsident Hollande und sechs weitere Granden hatten bereits dem Votum gegen Barnier ihre Zustimmung verweigert. Lionel Jospin (Chef der pluralen Linken zu Beginn des Jahrhunderts) mahnte, »man könne doch Frankreich nicht für eine Äußerung seiner Regierung berauben«. Bayrou hatte noch kurz vor der Abstimmung den RN-Begriff »Migrantenschwemme« benutzt und die Führungskräfte aller NFP-Fraktionen zu öffentlichen Protest-Statements veranlasst.
In Anspielung auf die Äußerungen von Bayrou über eine angebliche Migrations-»Überflutung« wies der LFI-Abgeordnete Eric Cocquerel zudem auf ein »Überschwemmungsrisiko« hin, das von der »Raffgier und dem Egoismus [der] Ultrareichen« ausgeht. Die 500 reichsten Menschen des Landes, die 2017 »etwas mehr als 20% des Gesamtvermögens des Landes« besaßen, besäßen heute 42%, argumentierte er und verwies auch auf die »Explosion« der Dividenden. Die Stellungnahme des Premierministers zur »Überschwemmung« mit Migrant*innen ist seiner Meinung nach ein Zeichen dafür, »dass diejenigen, die den Neoliberalismus verteidigen, die von einer klassischen Rechten oder sogar von einer Mitte kommen, in der Welt derzeit rechtsextrem werden«.
Angesichts der strukturellen Dimensionen der Probleme (systemische Renten-Verschlechterung, Überschuldung, mehrjährige Stagnation der Wirtschaft, soziale Spaltung) sind die vom PS erzielten Verhandlungs-»Erfolge« und »Siege« kümmerlich: Rücknahme der geplanten Kürzungen von 4.000 Planstellen im Bildungswesen, Notfallfonds für die chronisch schlecht ausgestatteten Altenheime in Höhe von 300 Mio. Euro statt der ursprünglichen 100 Mio. Euro, globale Minderausgaben in Höhe von 50 Mrd. Euro in 2025 (Barnier hatte noch mit 60 Mrd. Euro kalkuliert).
Coquerel, LFI-Abgeordneter aus Seine-Saint-Denis und Vorsitzender des Finanzausschusses in der Nationalversammlung, meinte, die Linke habe »keine Zugeständnisse« erhalten, obwohl der von der neuen Regierung vorgeschlagene Haushalt die öffentlichen Ausgaben stärker senke als der von Michel Barnier, nämlich um »6,5 Mrd. Euro«, wie er sagte.
Lediglich die Rücknahme der von Barnier mit den Stimmen der RN und der bürgerlichen Parteien durchgesetzten Streichung der medizinischen Versorgung von Migrant*innen mit unklarem Rechtsstatus (1,2 Mrd. Euro) dürfte auf der Linken auf größere Gegenliebe stoßen.
Der SP beschloss im Parteivorstand einstimmig, der Regierung weder beim Entwurf des Haushaltsgesetzes noch beim Entwurf des Gesetzes zur Finanzierung der Sozialversicherung (PLFSS) 2025 das Misstrauen auszusprechen, obwohl Bayrou den 49.3 aktiviert hatte, um die beiden Texte ohne Abstimmung durchzubringen. »Die Linksunion ist diejenige, die positive Elemente zurückbringt. Ich möchte lieber jeden Morgen das Leben der Menschen verändern, als auf den großen Abend zu warten« (also den Untergang des Kapitalismus – BS), rechtfertigte der PS-Fraktionsvorsitzende die Entscheidung.
»Es gibt kein Wohlwollen gegenüber dieser Regierung, aber es gibt eine Bindung an das allgemeine Interesse, das Interesse des Landes, um Frankreich mit einem Budget auszustatten, damit es weiterarbeiten kann«, sagte Olivier Faure, der erste Sekretär des PS. Er wolle »die Politik des Schlimmsten vermeiden, denn die Politik des Schlimmsten kann zur schlimmsten aller Politiken führen, der Politik der extremen Rechten«.
Und diese Positionierung hat ihre Implikationen für den kommenden Präsidentschaftswahlkampf, wo es neben Mélenchon noch eine/n weitere/n Kandidatin/en der Linken geben sollte, wie die PS meint.
Die Vorsitzende der größten französischen Gewerkschafts-Föderation CFDT, Marylise Léon, schaltete sich unterstützend ein: »Das ist ein notwendiges Übel«, sagte die Generalsekretärin, um »aus diesem Stillstand herauszukommen« der »sehr viel Unruhe erzeugt und wirtschaftliche Auswirkungen hat«.
Aber, so die Gewerkschaftsführerin weiter, »sozial ist es ein ungerechter Haushalt, der keinerlei ökologische Ambitionen hat«, da er »in erster Linie auf politische Absprachen reagiert, aber nicht wirklich Gegenstand eines Austauschs von Visionen der politischen Kräfte sein konnte«.
Auf die Frage, welche Zugeständnisse der Premierminister den Sozialisten gemacht habe, antwortete Léon: »Ich sage nicht, dass die Diskussionen nicht eine Reihe von Fortschritten ermöglicht haben, wie die 4.000 Lehrerstellen, die beibehalten wurden.« Was den Gesetzentwurf zur Finanzierung der Sozialversicherung betrifft, so gebe es »Fortschritte, weil die politischen Organisationen den Mut hatten, in die Diskussion einzutreten«, aber »es bleibt ein extrem harter Haushalt«, so die Nummer eins der CFDT. Es »gibt harte Maßnahmen, wie die Senkung der Entschädigung für Krankenstände, die die Welt der Arbeit belasten werden«. In ihren Augen hätte es für beide Haushaltsgesetze angesichts der »außergewöhnlichen Situation« eine »ausgewogenere Verteilung der Anstrengungen« geben können, indem die großen Unternehmen stärker zur Kasse gebeten werden, die insbesondere während der Krise »massive Beihilfen« erhalten haben.
Die CGT bleibt unterkomplex. Die Generalsekretärin, Sophie Binet, kritisierte, dass die Großunternehmer, die angesichts der erhöhten Körperschaftssteuer mit Standortverlagerungen drohen, wie »Ratten« seien, die »das Schiff verlassen«, deren »einziges Ziel die Profitgier ist«. Die Nummer eins der CGT reagierte: »Diese Erpressung mit Arbeitsplätzen können wir nicht mehr ertragen.«
»Um bei Bernard Arnault zu bleiben: Nur 20% seiner Angestellten sind heute in Frankreich«, sagte sie und fügte hinzu, dass das »Made in France« seiner Marken »sehr relativ« sei. »Seine Äußerungen und sein Verhalten spiegeln das Verhalten der großen Chefs wider, die das Land versenken«, sagte Binet. »Sie interessieren sich nicht mehr für Frankreich. Das Allgemeininteresse ist ihnen egal. (...) Die Ratten verlassen das Schiff«, fügte sie hinzu.
Der Chef des LVMH-Konzerns, Bernard Arnault, verantwortlich für eine ganze Reihe globaler Luxusmarken (Handtaschen, Champagner usw.) hatte zuvor gesagt, dass der geplante befristete Steuerzuschlag, der dem Fiskus in diesem Jahr acht Mrd. Euro einbringen soll, »zur Standortverlagerung drängt«. Der Präsident des französischen Arbeitgeberverbands Medef, Patrick Martin, gab ihm »Recht« und fügte hinzu, dass »das Unverständnis in Wut umschlägt« bei den Mitgliedern des Arbeitgeberverbands, mit der Folge, dass »diejenigen, die gehen können, gehen«.
Die Konservativen ihrerseits monieren zwar Immobilismus und den »Mangel an Zielen, Überzeugungen und Mut« für die Anliegen ihrer Klassen (Xavier Bertrand, Republikaner, Präsident der Region Oberfrankreich und Aspirant für 2027), stimmen aber gegen den Misstrauensantrag von LFI.
RN wird sich dem Misstrauensantrag von LFI gegen die Regierung Bayrou und ihre Haushaltskonsolidierung ebenfalls verweigern, da das angekündigte Stimmverhalten der Sozialdemokraten ihnen Luft verschafft hat. Obwohl der Fraktions-Pressesprecher meinte, dass es nicht nur ein schlechter, sondern ein sehr schlechter Entwurf sei: »Die Franzosen erwarten nicht ein Budget, sie erwarten einen Bruch, Verbesserungen.«
RN wird sich enthalten und nicht für das Misstrauensvotum gegen den Haushalt stimmen, um die »Instabilität« nicht zu verschärfen, sagte der Vorsitzende der Partei, Jordan Bardella, da »die Franzosen nicht von einer neuen Form der Instabilität profitieren würden«. Er sei »entschieden gegen« diesen »schlechten« Haushalt, der »immer von denselben Leuten Anstrengungen verlangt und nicht die richtigen Einsparungen vornimmt«. »Wir müssen Unsicherheit vermeiden, denn es gibt viele unserer Landsleute, die angesichts des Jahres 2025 äußerst besorgt über eine Instabilität sind, die sich auf Dauer etablieren könnte«, sagte Bardella.
Aus dem Regierungslager verlautete das Gegenteil: »Die Frage, die den Parlamentariern gestellt wird, lautet nicht: ›Sind sie für oder gegen diesen Kompromissvorschlag?‹, sondern vielmehr: ›Sind Sie dafür oder dagegen, dass Frankreich vorankommt? Bleiben wir auf diesem Niveau der Blockade oder gehen wir wieder los?‹«. Für die zuständige Budget-Ministerin »darf man das Land nicht blockieren«, denn »ohne Haushalt steht unser Land still«, widerholte sie das Scheinargument Barniers, der nach seinem Scheitern noch eine Fortschreibung des Haushalts 2024 durch das Parlament brachte.
Wie lange die Wählerschaft dieses Gewurstel vor allem auf der Linken noch duldend hinnimmt, bleibt allerdings offen. Die Linke ihrerseits steht vor der Herausforderung, angesichts real knapper Kassen bei den Kräften der Mitte um Unterstützung für eine bei den breiten Schichten spürbare Politik des Bruchs zu werben, um den Durchbruch des nationalistisch-sozialen RN noch aufzuhalten. Man wartet auf die Wundertüte eines für Donnerstag angekündigten dritten Misstrauensantrags der Sozialdemokraten.