16. Mai 2024 Bernhard Sander: In der EU ist eine weitere Brandmauer eingestürzt

Eine weit rechts agierende Regierung für die Niederlande

Geert Wilders (PVV), Dilan Yeşilgöz (VVD), Caroline van der Plas (BBB), Pieter Omtzigt (NSC)

Zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes zum EU-Parlament haben sich die vier rechten Wahlsieger der Parlamentswahl vom letzten November in den Niederlanden auf ein Regierungsprogramm verständigt.

In Umfragen hatten die Wähler*innen insbesondere der eigentlich abgewählten rechtsliberalen VVD des bisherigen Ministerpräsidenten Mark Rutte, des Neuen Gesellschaftsvertrages (NSC), der Bürger-Bauern-Bewegung (BBB) und der rechtspopulistischen Wilders-Partei für die Freiheit (PVV) auf diese Regierungsbildung gedrängt.

Zuletzt aber sank das Vertrauen in das Gelingen dieses Projekts. Geert Wilders hat gleichzeitig immer bedrohlichere Rekordmarken in den Umfragen erreicht (Ende April 45 Sitze statt der faktischen 37), in geringerem Maße die BBB. Dies ging auf Kosten der Koalitionspartner (NSC halbiert, VVD von 24 auf 20 Sitze abgerutscht).[1]

Ein »Expertenkabinett« kaschiert, das nun auch in den Niederlanden nichts mehr ohne die Rechtspopulisten geht. Als Regierungschef ist mit dem früheren Innenminister Ronald Plasterk ein ehemaliger Sozialdemokrat im Gespräch, der wegen des Fusionsprojekts mit den Grünen ausgetreten ist, und der als »Informateur« des Königs die Koalitionsverhandlungen moderiert hat.

Das von den Rechtskoalitionären vorgestellte Programm steht unter dem Motto »Hoffnung, Mut und Stolz«. Die Niederländer sollen sich in der Zukunft sicher fühlen, ein gutes Gesundheitswesen, mehr Geld in ihrer Tasche und ausreichend Wohnraum haben. Das will die Koalition durch Remigration, geschlossene Grenzen und Einschränkung sozialer Rechte für Migrant*innen, aber auch durch ein breit angelegtes Sozialprogramm erreichen.

Die Rechte demontiert einige staatliche Stützen der Transformation (E-Mobilität, Wärmepumpen, Rücknahme der Begrenzung der Stickstoff-Ausbringung) und forciert zugleich die CO2-Neutralität (AKW-Neubau), behindert den Zuzug von Arbeitskräften und schwächt damit zugleich die Binnennachfrage (was durch die sozialen Wohltaten nur teilweise kompensiert wird).

Das politisch-kulturelle Klima wird rauer und repressiver, auch wenn Wilders großzügig auf seine islam- und verfassungsfeindlichen Forderungen verzichtet hat. Im Folgenden sind einige der wichtigsten Punkte des Programms notiert:[2]

Asyl und Migration in den Griff bekommen

  • Die Gesetzgebung, die sicherstellt, dass alle lokalen Behörden ihren gerechten Anteil an Flüchtlingen aufnehmen, wird abgeschafft.
  • Flüchtlinge erhalten keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis mehr.
  • Flüchtlinge, die ihre Anträge nicht erfüllen, werden so weit wie möglich »deportiert«, einschließlich »Zwangsabschiebungen«.
  • Flüchtlinge, denen das Aufenthaltsrecht eingeräumt wird, haben keine Priorität mehr, Sozialwohnungen zu erhalten.
  • Das automatische Recht, Familienmitglieder nachzuholen, wird abgeschafft.
  • Die Koalition wird die Europäische Kommission um ein Opt-out für die europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik bitten und mehr Grenzkontrollen einführen.
  • Es werden zusätzliche Regeln für ausländische Arbeitnehmer*innen eingeführt, und die Arbeitsaufsichtsbehörde wird mehr Befugnisse haben, um den Einsatz von Nicht-EU-Arbeitnehmer*innen zu überprüfen.
  • Die Zahl der ausländischen Student*innen wird stärker begrenzt, indem die Anzahl der Kurse in Niederländischer Sprache und die Universitätsgebühren für Nicht-EU-Student*innen erhöht werden.
  • Das Wissen über den Holocaust wird ein obligatorischer Bestandteil des Integrationsprozesses.
  • Es wird erst nach 10 Jahren möglich sein, Niederländer*in zu werden, und wenn dies rechtlich möglich ist, müssen die Menschen ihre ausländische Staatsangehörigkeit aufgeben, um dies zu tun.
  • Es soll ein obligatorischer Nachweis von Sprachkenntnissen als Voraussetzung für Einbürgerung eingeführt werden.

Kaufkraft und soziale Sicherheit

  • Die Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen wird von 2027 auf 165 Euro gesenkt.
  • Die Einkommenssteuer wird gesenkt, »indem beispielsweise eine neue Einkommensteuerklasse« eingeführt wird.
  • Es gibt weitere Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes von unbefristeten Arbeitsverträgen.
  • Es soll Hilfe beim Umgang mit Schulden geben.
  • Die organisierte Kinderbetreuung wird »praktisch gebührenfrei«.

Wohnen, Infrastruktur und öffentlicher Verkehr

  • Die Niederlande müssen jährlich 100.000 neue Häuser bauen. Dies wird erreicht, indem mehr Land zur Verfügung gestellt wird, einschließlich des Konzepts der »zusätzlichen Straße« für alle Städte und Dörfer (Bebauung in der zweiten Reihe)
  • Die Erhöhung der Sozialwohnungsmiete ist auf die durchschnittliche Lohnerhöhung begrenzt, und 30% aller Neubauten müssen mietkontrolliert sein.
  • Es sind keine Änderungen bei den Steuererleichterungen für Hypotheken geplant, und die lokalen Steuererhöhungen für Hausbesitzer sind begrenzt.
  • Nach Möglichkeit werden 130 km / h zur Standardgeschwindigkeit auf den Straßen.
  • Der öffentliche Verkehr wird insbesondere in ländlichen Gebieten gestärkt, und die Zugverbindung zwischen Groningen und Lelystad wird fortgesetzt.

 Landwirtschaft, Fischerei, Ernährungssicherheit und Natur

  • Die Koalition wird »alles tun, um die europäischen Landwirtschaftsvorschriften in Bezug auf die Verschmutzung auf Stickstoffbasis und die Anreicherung in Natura 2000-Schutzgebieten anzupassen«.
  • Die Niederlande werden keine ehrgeizigere Strategie zur Verbesserung der Natur mehr verfolgen als der Rest Europas.
  • Es gibt keine obligatorischen Maßnahmen zur Reduzierung der Tiermenge.
  • Billiger »roter Diesel«, der 2013 abgeschafft wurde, wird für Landwirte wieder angeboten.

Energie und Klima

  • Die Koalition wird sich an die aktuellen Ziele halten und »nur alternative Strategien entwickeln, wenn wir diese Ziele nicht erreichen«.
  • Der Klimafonds, der zur Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung des Klimas eingerichtet wurde, bleibt bestehen.
  • Die Niederlande werden vier, statt zwei neue Kernkraftwerke entwickeln.
  • Wärmepumpen sind nicht obligatorisch und Subventionen für Elektroautos werden 2025 abgeschafft.

Öffentliche Dienstleistungen, Gesundheitswesen und Bildung

  • Es sollen Anstrengungen unternommen werden, um die Arbeit im Pflegesektor attraktiver zu gestalten, indem den Arbeitnehmer*innen mehr Autonomie und Karrierechancen eingeräumt und Bürokratie abgebaut wird.
  • In der Bildung müssen Lehrmethoden »als wirksam und politisch neutral« ausgewiesen werden.
  • Die Verwendung von Englisch soll an Universitäten und Hochschulen reduziert werden.
  • Keine Änderungen soll es in medizinischen ethischen Fragen wie Abtreibung und Sterbehilfe geben.

Gute Regierungsführung und eine starke Verfassung

  • Die Koalition wird mit der Arbeit an einem neuen Wahlsystem für das Unterhaus des Parlaments beginnen, das die Verbindung zwischen den Regionen und ihren gewählten Vertretern stärken spll.
  • Das neue System sollte für die nächsten Parlamentswahlen bereit sein.
  • Die Arbeiten zur Einrichtung eines Verfassungsgerichts, von dem rechtliche Änderungen bewertet werden, sollen beginnen. Dies ist eine der Hauptforderungen von Pieter Omtzigt des NSC.
  • Eine »Recht, einen Fehler zu machen-Gesetzgebung« wird ausgearbeitet, um sicherzustellen, dass »ein einziger Fehler die Menschen nicht tief in Probleme« treiben kann. Die Gebühren für das Inkasso der Regierung will man senken.
  • Die Zentralregierung soll weniger Beamte und Berater beschäftigen.
  • Die Ausgaben für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem werden um 100 Mio. Euro gesenkt.
  • Die Mehrwertsteuer auf Hotelaufenthalte beträgt 21%, jedoch nicht auf Campingplätzen.
  • Die Mehrwertsteuer soll für den Kultursektor wie Theater und Museen steigen, nicht jedoch für Kinos und Vergnügungsparks.

Nationale Sicherheit

  • Umgesetzt werden soll ein härterer Ansatz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, einschließlich größerer Rechte zur Beschlagnahme krimineller Vermögenswerte.
  • Einen härteren Ansatz will man auch bei der Geldwäsche realisieren.
  • Es soll härtere Strafen für Terrorismus und schwere Gewalt- und Sexualverbrechen geben.
  • Die Höchststrafen für Jugendkriminalität will die Rechtskoalition erhöhen.

Internationale Sicherheit

  • »Die Niederlande werden die Ukraine weiterhin politisch, militärisch, finanziell und moralisch gegen russische Aggressionen unterstützen.«
  • Die Norm für Verteidigungsausgaben der Nato von 2% des BIP wird gesetzlich verankert.
  • Die Planungen für die Verlegung der niederländischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem sollen beginnen.

Staatsfinanzen, Wirtschaft und Geschäftsklima

  • Das Geschäftsklima soll verbessert werden und einige der jüngsten Steuererhöhungen rückgängig gemacht werden. Dazu gehören die Erhöhung der Energiesteuern und die Steuer auf Aktienrückkäufe.
  • Insgesamt haben die vier Parteien Ausgabenkürzungen von 14,7 Mrd. Euro pro Jahr und »Ausgaben« bei Steuersenkungen und Investitionen vereinbart.

Anmerkungen

[1] https://www.ipsos.com/nl-nl/politieke-barometer-week-18-1
[2] https://www.dutchnews.nl/2024/05/hope-guts-and-pride-the-new-right-wing-dutch-coalition-plans/

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