5. Dezember 2017 Otto König/Richard Detje: Honduras – Opposition beklagt »Wahlfälschung« bei den Präsidentschaftswahlen

»El pueblo no lo permitirá!«

Foto: Juan Orlando Hernández, flickr.com/Presidencia El Salvador

Auf drei Szenarien greifen die rechten Eliten in Lateinamerika zurück, um an die Macht zu kommen bzw. diese abzusichern: Militärputsch, »kalter« Staatsstreich wie in Brasilien oder Wahlbetrug. Mit letzterem scheint der amtierende Präsident Juan Orlando Hernández von der rechtskonservativen Partido Nacional (PNH) in Honduras seine Wiederwahl durchsetzen zu wollen.

Nach Auszählung von fast 60% der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl durch das dem amtierenden Präsidenten nahestehende Wahlgericht (TSE) lag der Kandidat Salvador Nasralla des Mitte-Links-Bündnis Alianza opositora contra la Dictadura (Bündnis der Opposition gegen die Diktatur) [1] mit 45,17% der Stimmen vor Juan Orlando Hernández von der PNH mit 40,21%. Nach diesem Zwischenbericht erklärte der TSE-Richter Ramiro Lobo das Ergebnis als »irreversiblen« Trend für Nasralla. Doch nach einem fünfstündigen Ausfall des gesamten Computersystems des TSE am dritten Tag der Auszählung war das Wunder geschehen. Plötzlich wechselte die »Tendenz der Stimmen«. Hernández lag nun in Führung. Nach Auszählung von 94,3% der Stimmen kam Hernández auf einen Anteil von 42,92%, während auf seinen Herausforderer Nasralla 41,42% entfielen.

Gerardo Torres, Direktor der Oppositionsallianz, beschuldigt den Präsidenten der TSE, David Matamoros, früher Generalsekretär der PNH, der Wahlmanipulation. [2] Salvador Nasralla erklärte, dass er das Ergebnis nicht anerkenne und fordert eine komplette Neuauszählung. Auch der drittplatzierte Kandidat bei den Wahlen, Luis Zelaya von der rechten Liberalen Partei, kündigte an, dass er die Wiederwahl von Hernández nicht akzeptieren werde. Für einen möglichen »Wahlcoup der PNH« spricht auch der Fakt, dass sich der Frontmann der Oligarchen Hernández schon in der Wahlnacht, als noch keine Ergebnisse vorlagen, zum Wahlsieger erklärt hatte.
Der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Fälschung des Wählerwillens wird seitens des Militärs und der Polizei unterdrückt. Zwischen 18 Uhr abends und 6 Uhr morgens wurde eine Ausgangssperre verhängt. »Das ist der Weg in die Diktatur«, sagt der Schriftsteller Giovanni Rodríguez.

Der seit 2013 amtierende Hernández hatte erneut kandidiert, obwohl Artikel 239 der honduranischen Verfassung eine zweite Amtszeit verbietet. Der Oberste Gerichtshof des zentralamerikanischen Landes, dessen Mitglieder der amtierende Präsident in den letzten Jahren ausgetauscht hat, ermöglichte mit einer umstrittenen Entscheidung eine neuerliche Kandidatur. Schon vor der Wahl hatte der honduranische Soziologe Hermilo Soto darauf hingewiesen, dass die erneute Kandidatur des amtierenden Präsidenten illegal ist, da nur eine von der Bevölkerung gewählte verfassunggebende Versammlung diesen Artikel ändern dürfe.

Das Durchpeitschen der zweiten Kandidatur und die wahrscheinlichen Wahlmanipulationen durch eine dem Präsidenten ergebene Wahlbehörde dient der Sicherung der Machtkonzentration der Eliten im Land, die sie mithilfe eines neoliberalen Wirtschaftsmodells nach dem Putsch 2009 errungen [3] haben. Die Nationale Partei steht für die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit und außenpolitisch für den Schutz der Interessen der USA.

Honduras ist heute das zweitärmste Land in Zentralamerika. Das sind Folgen des Putsches und der wirtschaftsliberalen Politik der Staatspräsidenten Porfirio Lobo Sosa und Juan Orlando von der PNH. Laut Nationalem Statistikinstitut leben 60,9% der Bevölkerung in Armut, 38,4% sogar in extremer Armut. Die medizinische Versorgung auf dem Land ist miserabel; durch die Landflucht explodieren die Elendsviertel der Städte. Das Bildungsniveau ist das niedrigste in Mittelamerika; zwar wurde der Anteil der Analphabeten in den Städten auf unter 20% gedrückt, auf dem Land liegt er noch immer bei über 50%.

Die soziale Ungleichheit, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Straflosigkeit und Unterwanderung der staatlichen Behörden durch die organisierte Kriminalität sind die drängendsten Probleme in Honduras. Während der letzten beiden Amtszeiten der PNH waren ranghohe Regierungsvertreter in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt. Laut gerichtlichen Aussagen des führenden Kopfes des Drogenkartells Los Cachiros in den USA hat der vormalige Präsident Porfirio Lobo Bestechungsgelder erhalten. Der amtierende Präsident Hernández war im Wahlkampf mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei der Architekt eines Korruptionsskandals um die staatliche Sozialversicherung und habe seinen Wahlkampf vor vier Jahren mit Korruptionsgeldern finanziert.

Das Land hat mit eine der höchsten Mordraten weltweit. Allein zwischen Januar und April 2017 wurden 1.446 Morde registriert, zwischen 2015 und 2016 waren es 59 pro 100.000 Einwohner, so die Beobachtungsstelle für Gewalt der Nationalen Autonomen Universität Honduras. Es ist die Armut und Hoffnungslosigkeit, die Jugendbanden – wie die so genannten Maras – entstehen lässt, die in Drogenhandel und Schutzgelderpressung verwickelt sind und ganze Stadtteile der beiden großen Städte beherrschen. Viele Menschen fliehen vor dieser Gewalt in Richtung Mexiko und versuchen, illegal in die USA einzureisen.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) hat im August dieses Jahres Honduras als »eines der gefährlichsten Länder für Menschenrechtsverteidiger« bezeichnet. Die Organisation Global Witness Watch weist darauf hin, dass es besonders gefährlich ist, sich für Landrechte einsetzen. Die Politik von Hernández, das extraktivistische Wirtschaftsmodell rigoros über den Umweltschutz zu stellen und Honduras durch die Vergabe zahlloser Konzessionen für Bergbau-, Infrastruktur- und Energieprojekte in einen neoliberalen Vorzeigestaat zu verwandeln, stößt zunehmend auf Proteste der lokalen Bevölkerung, die von den Militärs und der Militärpolizei gewaltsam unterdrückt werden.

Seit 2010 wurden 131 Menschenrechtsaktivisten ermordet. Die meisten dieser Verbrechen blieben straflos. So auch der Mord an Berta Cáceres, Leiterin des Zivilen Rates der popularen und indigenen und Organisationen von Honduras (COPINH), am 3.März 2016 in ihrer Heimatstadt La Esperanza. Die Aktivistin führte eine Bewegung von indigenen Gemeinden an, die sich dem Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca, das von dem Unternehmen Desarollo Energetica (DESA) im Westen des Landes gebaut wird, wegen der Auswirkungen auf Umwelt und indigene Kultur in den von ihnen traditionell bewohnten Gebieten widersetzt.

Für dieses Kraftwerk liefert Voith Hydro Turbinen mit den dazu gehörigen Generatoren und der Automatisierungstechnik – ein Auftragsvolumen von acht Millionen Euro. An Voith Hydro ist Siemens mit 35% beteiligt. Die Entwicklungsorganisation OXFAM wirft Voith und Siemens einen Bruch internationalen Rechts vor: »Laut UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation hätte die Zustimmung der indigenen Bevölkerung zum Staudammprojekt eingeholt werden müssen.«

Mord ist in Honduras offenbar ein probates Mittel zur Durchsetzung privatwirtschaftlicher Interessen. So kommt die Studie [4] einer Internationalen Expertengruppe – eine unabhängige Instanz, die durch die Familie von Cáceres ins Leben gerufen und durch nationale und internationale Organisationen unterstützt wurde ‒ zu dem Schluss, dass ein kriminelles Netzwerk aus »staatlichen Kräften – Polizei, Militär und Funktionäre – als auch die Leitung und Angestellte der DESA an der Planung, Ausführung und Vertuschung des Mordes beteiligt waren.«

Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2017 in Honduras« wird die autoritär-neoliberale Politik im Land vertiefen. Während Salvador Nasralla vom »Bündnis der Opposition gegen die Diktatur« im Wahlkampf Themen wie die Durchführung einer Agrarreform, Rücknahme von Gesetzen zur Prekarisierung der Arbeit, kostenlose Bildung und Gesundheit sowie den Kampf gegen Korruption in den Mittelpunkt stellte, warb Hernández von der PHN für die Umsetzung des libertären Projekts Zona de Empleo y de Desarrollo Económico (ZEDE, Zone der Beschäftigung und der wirtschaftlichen Entwicklung). Das ZEDE-Projekt orientiert sich am Konzept der Charter Cities, [5] eine moderne Version der »Bananen-Enklaven«, welche die amerikanischen Unternehmen United Fruit and Standard Fruit in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Honduras und anderen Ländern Zentralamerikas in Absprache mit den dortigen Regierungen gründeten.

Die lokale Regierungsgewalt in der Sonderwirtschaftszone ZEDE ist privatisiert und wird von den Investoren selbst ausgeübt, ebenfalls die Erhebung von Steuern. Unternehmer, die in diesen Zonen investieren, müssen unter anderem ihre eigene Polizei und eigene Organe zur Untersuchung von Delikten aufstellen sowie die Strafverfolgung als auch das Gefängniswesen selbst regeln. Präsident Hernández und sein Vorgänger Porfirio Lobo rechtfertigten den Verzicht auf die nationale Souveränität in diesen Gebieten damit, dass so ausländische Investoren angelockt und zehntausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden könnten.

Der von der Opposition beklagte Wahlbetrug zugunsten der Nationalen Partei soll das Herrschaftsmodell der honduranischen Oligarchen sichern. Die Kriminalisierung und die Gewalt gegen Verteidiger_innen von Menschenrechten und Umweltschützer_innen werden sich weiter verschärfen. Die PNH steht innenpolitisch für die Konsolidierung der Militarisierung der öffentlichen Sicherheit und außenpolitisch für den Schutz der Interessen der USA.

Nach Demonstrationen der Anhänger des Mitte-Links-Bündnisses in der Hauptstadt Tegucigalpa gegen den Wahlbetrug, setzte der honduranische Ministerrat den Verfassungsartikel 81 außer Kraft und verhängte per Dekret für zehn Tage den Ausnahmezustand. Nasralla erklärte gegenüber seinen Unterstützer_innen: »Es geht um die echten Wahlzettel. Nur den echten Wahlzetteln glaube ich, nicht den gefälschten ohne Unterschrift, die das Wahlamt zählt, das die Stimme des Volkes nicht hören will. El pueblo no lo permitirá! (Das Volk wird es nicht erlauben).«


[1] Das Mitte-Links-Bündnis besteht aus der Antikorruptionspartei (PAC), der Partei Libertad y Refundación (Libre) des 2009 durch einen Militärputsch gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya und der sozialdemokratischen Partido Innovación y Unidad (Pinu).
[2] Beobachter der Organisation Amerikanischer Staaten OEA berichteten beispielsweise, dass Sicherheitsumschläge der Wahlzettel geöffnet waren. Die Wahlbehörde wertete 28% der Stimmzettel des Departements Cortés nicht aus, in dem Nasrallah haushoch gewonnen hat. Estrella TV berichtete, dass 5.174 Stimmzettel in das Computersystem eingegeben wurden, ohne dass sie vorher am Empfangstisch eingescannt worden wären (Quelle: Noti Bomba, https://twitter.com/notibomba).
[3] Am 28. Juni 2009 wurde Honduras-Präsident Manuel Zelaya Rosales von einer Allianz aus Militär und Unternehmern aus dem Amt geputscht und nach Costa Rica verbracht worden. Zelaya Rosales wollte ebenfalls die Amtszeitbeschränkung verändern, doch im Gegensatz zu Hernández dafür per Referendum eine Verfassunggebende Versammlung einberufen. Der Beitritt zur PETROCARIBE und zur ALBA wurde als Zeichen einer Annäherung an Venezuela gesehen, was die Wirtschaftseliten des Landes und die US-Administration gegen ihn aufbrachte. Die »Smart power«-Strategie – eine Kombination diplomatischer, wirtschaftlicher und militärischer Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vormachtstellung der USA auf dem lateinamerikanischen Kontinent – des State Departments und des Pentagons legitimierte das Putschregime und führte dazu, dass Zelaya erst zwei Jahre später wieder endgültig nach Honduras zurückkehren konnte.
[4] Dam Violence – THE PLAN THAT KILLED BERTA CÁCERES, GAIPE November 2017.
[5] Charter Cities heißt: In speziellen Zonen sollen Unternehmen den Platz von Regierungen einnehmen und ihre eigenen Regeln schaffen. Den Anstoß dazu gab eine TED-Konferenz 2009 in Oxford. Der US-amerikanische Ökonom Paul Romer plädierte für dieses neoliberale Modell, damit Entwicklungsländer der Armut entkommen. Dieses Konzept eines weitgehenden Souveränitätsverzichts in einem bestimmen Gebiet geht weit über die bisher global existierenden Freihandels- oder Sonderwirtschaftszonen hinaus. Denn es will den Charter Cities nicht nur Steuererleichterungen verschaffen, sondern sie mit einem selbst geschaffenen Regelwerk ausstatten: einen Staat im Staat. Vgl. »Honduras als Experimentierfeld neoliberaler Utopien«, Amerika 21, 27.4.2016.

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