28. November 2022 Otto König/Richard Detje: Wie die USA ihre »Werte«-Partner schwächen

Entgegengesetzte Sanktionsregime

Wirtschaftssanktionen werden verstärkt zum bevorzugten außenpolitischen Instrument. Dabei ist der Blick gegenwärtig vor allem gen Osten gerichtet. Acht Sanktionspakete hat die EU seit dem Angriff auf die Ukraine gegen Russland verabschiedet.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verkündete Anfang des Jahres martialisch, die westlichen Sanktionen würden »Russland ruinieren«. (Merkur, 26.2.2022) Und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellte klar: »Wir sind quasi Kriegspartei als Wirtschaftskriegspartei.« Und was die Folgen anbelangt: »Das muss man so klar sagen, wir werden dadurch ärmer werden. (…) Die Frage wird beantwortet werden müssen, wie wir das gerecht verteilen, wie viel wir über Schulden strecken und dann späteren Generationen zur Tilgung der Schulden übertragen. (…) Aber ich glaube und ich bin mir eigentlich sicher, dass wir bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Er ist ja gegenüber dem Leiden in der Ukraine klein genug.« (ZDF heute 19.3.2022)

Nun muss man nicht der Politik von Sahra Wagenknecht folgen, um zu der Feststellung zu gelangen, dass die Wirkung der wirtschaftlichen Kampfinstrumente des Westens bisher »ganz anders (sei), als von den Sanktionsbefürwortern erwartet«, schreibt Heribert Dieter von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe des Fachblattes Internationale Politik (IP).[1] Zwar wird für das russische BIP ein Minus von 4% erwartet, doch Lieferketten mit China und Indien werden ausgebaut und bringen zumindest Teilkompensation. Maßgeblich kommt hinzu, dass der Preis für Gas und Öl aufgrund der Sanktionen dramatisch angestiegen ist, sodass trotz geringerer Ausfuhrmengen zusätzliche Finanzmittel in den Kassen der Russischen Föderation gespült werden.

Darüber hinaus hat die westliche Sanktionsallianz den Unmut in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas unterschätzt. Die Sanktionen träfen »alle mit Russland Handel treibenden Staaten« – »aber nichtwestliche Länder wurden vor Verhängung der Sanktionen nicht konsultiert oder gar um Zustimmung gebeten«, stellt Dieter fest, »dies sorge für eine anhaltende Verstimmung.« Schon im März habe die vormalige Chefökonomin der Weltbank, Pinelopi Goldberg, gewarnt, die westlichen Russland-Sanktionen seien »der letzte Sargnagel für die regelbasierte internationale Handelsordnung«. Der britische Guardian sekundiert, die Sanktionen gründeten »auf der neoimperialistischen Annahme, dass westliche Staaten berechtigt seien, die Welt zu ordnen, wie sie wollen.«[2]

Nach Meinung vieler Fachleute schädigen die Sanktionen die deutsche und europäische Wirtschaft, ohne die russische Kriegspolitik zu ändern. Im Monatsbericht des Statistischen Bundesamtes heißt es dazu: »Die Importe aus Russland stiegen wertmäßig um 10,2% auf 2,9 Milliarden Euro. Mengenmäßig sanken die Importe aus Russland jedoch um 45,8% gegenüber Juli 2021. Die Steigerungen bei den Importen sind hauptsächlich auf die gestiegenen Preise im Energiebereich zurückzuführen.« Im selben Zeitraum ist die Ausfuhr der BRD nach Russland um 56,8% gesunken. Dadurch vergrößerte sich das deutsche Handelsdefizit gegenüber Russland von 0,2 Milliarden Euro im Juli 2021 auf 1,9 Milliarden Euro im Juli des laufenden Jahres, heißt es im Bericht des Bundesamtes. (Junge Welt, 14.9.2022)

Soweit der Blick nach Osten. Weniger im Blickfeld der Öffentlichkeit ist das Sanktions- und Subventionsregime der USA. Die Großhandelspreise für Gas sind in Europa fünf bis sieben Mal höher als in Asien und den USA. Da das Kapital dorthin wandert, wo es günstigere Verwertungsbedingungen findet, berichtet eine stattliche Reihe deutscher Unternehmen davon, wieder stärker in den USA investieren zu wollen. Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) ergab: Von den 3.100 befragten deutschen Unternehmen bewerteten rund 62% die aktuelle Geschäftslage in Nordamerika positiv. Knapp 39% von ihnen gaben an, in den nächsten Monaten höhere Investitionen in den USA tätigen zu wollen. Lediglich 17% wollen sie verringern.

In der Eurozone will dagegen mit abnehmender Tendenz etwa ein Drittel der Unternehmen investieren. Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser wird mit der Aussage zitiert, »in gewissem Maße« stehe die EU nicht nur mit China, sondern auch mit den USA in einem »Systemwettbewerb«: Blicke man auf die US-Investitionsprogramme und auf die Unstimmigkeiten innerhalb der EU, dann zeichne sich »eine Standort- und Kapitalflucht aus Europa« in die USA ab. (Spiegel.de 18.11.2022)

Der Handelsstreit zwischen der EU und den USA weitet sich aus. Nicht nur die niedrigen Energiepreise spielen dabei eine Rolle; auch der »Inflation Reduction Act« (IRA) und das »extraterritoriale Sanktionsregime« schwächen die Konkurrenz in Europa und insbesondere die deutsche Exportwirtschaft. Das deutsche Exportüberschuss-Modell ist den USA wegen der bedeutenden Rolle Chinas für den deutschen Handel seit langem ein Dorn im Auge. Auch die Zusammenarbeit mit Russland war den USA stets ein Ärgernis, die Pipeline Nordstream2 der Gipfel allen Ärgernisses.

Mit dem IRA stellt die US-Regierung Unternehmen, die in den USA klimafreundliche Technologien produzieren, Subventionen und Steuererleichterungen im Umfang von 369 Milliarden US-Dollar für die Dekarbonisierung in Aussicht, speziell für grüne Energien. So wird etwa der Kauf von Elektroautos mit 7.500 US-Dollar pro Stück subventioniert. So weit, so gut im Sinne ökologischer Transformation.

Gefördert wird jedoch ausschließlich der Kauf von Fahrzeugen, die in den USA produziert wurden. Das gilt auch für Einzelteile oder Batterien; sogar deren Rohstoffe müssen zunächst zu 40%, auf lange Sicht zu 80% in den Vereinigten Staaten, ersatzweise in einem per Freihandelsvertrag mit ihnen verbundenen Land gefördert und verarbeitet worden sein. Damit nötigt Washington europäische Konzerne, sich in den Vereinigten Staaten anzusiedeln, um den Subventionsschub nutzen zu können.

SPD-Chef Lars Klingbeil, sonst ganz auf transatlantischem Kurs, beklagte in einem Interview mit Die Welt die unverhohlene Strategie des »Buy American« und »Made in America«. Worum es geht, brachte der Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission, Josef Braml, gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten auf den Punkt: »Wir verkennen, dass die USA ihre eigenen Interessen rücksichtslos durchsetzen, und zwar gegen Feind und Freund. Mittlerweile sollte deutlich geworden sein, dass die Interessen der EU und der USA schon längst nicht mehr deckungsgleich sind.«

Anzahl der derzeit aktiven Sanktionen der USA nach Zielland vor und nach der russischen Invasion in die Ukraine:

Schon mit der Präsidentschaft Donald Trumps schossen die Sanktionen durch die Decke. Und Joe Biden setzt diese Politik fort. Dabei geht es neben Russland und der EU verstärkt gegen die Volksrepublik China. Die darauf zielenden Sanktionen werden u.a. als »Schutz für Taiwan« verkauft. Dem hat sich die EU weitgehend angeschlossen (siehe die erste Abbildung). Es geht um die beiden Seiten der Sanktionspolitik: Die kalkulierte – und im Fall Russlands fehlkalkulierte – Schwächung des »Gegners« und die Stärkung der eigenen Machtpotenziale. Sanktionen sind Teil des Kampfes um globale und regionale Hegemonie. Nicht »wertegeleitete« Außen- und Wirtschaftspolitik, sondern machtpolitische und ökonomische Interessen geben den Takt vor.

Auch Wirtschaftssanktionen sind verstärkt zum bevorzugten außenpolitischen Instrument der USA geworden. Die Washingtoner Administration nutzt das Geschäftsmodell »The business of America is business« als gezielte Interventionsmethode, um nicht nur missliebige Staaten wie Kuba und Venezuela an Geschäften zu hindern. So ist es US-Firmen verboten, mit europäischen Firmen Handel zu treiben, wenn diese sich nicht den US-Sanktionen anschließen.

Anmerkungen

[1] Heribert Dieter: Die Irrtümer der Sanktionsbefürworter. In: Internationale Politik 6/2022.
[2] Simon Jenkins: The rouble is soaring and Putin is stronger than ever – our sanctions have backfired. theguardian.com 29.07.2022.

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