24. August 2024 Joachim Bischoff: Die Botschaften von Kamala Harris in Chicago
Erfolgreiche Erneuerung der Demokraten
Der Parteitag der Demokraten in den USA ging mit einer programmatischen Rede der Kandidatin Kamala Harris zu Ende. Zukunft statt Vergangenheit, Optimismus statt Hass und Bitterkeit sowie Zusammenhalt trotz gesellschaftlicher Vielfalt sind die Leitlinien der Kampagne einer in kurzer Zeit erneuerten Partei.
Die rund hundert Redebeiträge der vorhergehenden vier Tage hat Harris’ in ihrer Rede zusammengezogen. In einer halben Stunde bot sie eine Quintessenz des gegenwärtigen demokratischen Programms. Es ist ihr und den Parteistrategen in den wenigen Wochen seit dem Rückzug von Joe Biden aus dem Kandidatenrennen gelungen, die Wahlkampfstrategie neu auszurichten und die Botschaften der Demokraten zuzuspitzen und neu zu verpacken.
Die Partei steht geschlossen hinter ihr, der es gelungen st, beide Flügel – die Moderaten und die Progressiven – aktuell miteinander zu versöhnen. Der Rückzug des amtierenden Präsidenten und möglicher anderer Spitzenkandidaten verlief geräuschlos. Da Biden sie vorschlug, wird sie gewissermaßen zu seinem Vermächtnis.
Eine glückliche Hand bewies Harris auch bei der Auswahl eines möglichst kontrastierenden, aber politisch kongenialen Vizepräsidentschaftskandidaten. Tim Walz’ Auftritt fand ebenfalls großen Rückhalt bei den Delegierten, aber auch in den Medien. Sowohl ihr Agieren als auch der Parteiprominenz führte dazu, dass Donald Trump mangels Aufmerksamkeit schmollte, denn der Medienhype hätte nicht besser ausfallen können.
Inzwischen hat Harris in den Umfragen aufgeholt und Trump in einigen Schlüsselstaaten sogar überholt. Ihre Imagewerte sind ebenfalls besser als jene von Biden und Trump. Die Art und Weise, wie Trump in der Wahlauseinandersetzung gezeichnet wird, hat sich geändert. Während Biden noch vor allem davor warnte, dass diese die Demokratie gefährde und ihn dadurch zum Super-Bösewicht emporstilisierte, besteht die aktuelle Strategie des Wahlkampfteams der Demokraten eher darin, ihn klein zu machen – Stichwort »weird« (siehe dazu auch meine Bewertung im letzten Beitrag »Politische Signale aus Chicago«) und ihr vor allem als geldgierigen Egomanen darzustellen, der sich für Interessen seiner Clique von Milliardären einsetze.
Die Präsidentschaftskandidatin schlägt einen Bogen zwischen Weltoffenheit und Patriotismus – und bringt damit die politische Botschaft auf den Punkt. An den Inhalten hat sich wenig geändert, aber die Zielrichtung ist deutlicher. Der Schwerpunkt liegt nun auf dem Blick nach vorne, dem jugendlichen Elan, dem Optimismus, mit dem man sich von Trumps geradezu apokalyptischem Pessimismus absetzen will. Die MAGA -Rhetorik wird als rückwärtsgewandt und gestrig beiseitegeschoben.
Donald Trump sei zwar kein ernsthafter Mann, sagte Harris in ihrer Rede, aber die Konsequenzen, falls er erneut ins Weiße Haus einziehen würde, wären »extrem ernst«. Das Land habe mit ihrer Wahl die Chance, die Bitterkeit, den Zynismus und die Zwietracht der Vergangenheit zu überwinden. Sie warf Trump vor, seine Politik diene nur einer reichen Elite, obwohl er sich dauernd als Mann des Volkes ausgebe. In Bezug auf das brisante Thema Migration versprach Harris, sich für die geplante Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen einzusetzen, die wegen Trumps Sabotage gescheitert sei.
Harris verspricht, für ein nationales Abtreibungsrecht zu kämpfen, das Wahlrecht zu reformieren und das Asylrecht im Sinne eines überparteilichen Kompromissvorschlags zu verschärfen. All dies hatte auch Biden versucht, war aber bei sämtlichen Vorhaben an den Republikanern im Kongress gescheitert.
Der biografische Hintergrund der demokratischen Kandidatin für die nächste US-Präsidentschaft spricht wichtige, aber unterschiedlich agierende Wählergruppen an. Dazu gehören berufstätige Frauen aus der Mittelschicht, die in Harris eine der ihren sehen, aber auch junge Leute, progressive und rassische Minderheiten, die Biden skeptisch gegenüberstanden und auch bei Harris zunächst zögerten.
Rassistischen Angriffe von rechts bewirken eine Solidarisierung mit ihr und ihrer Identität als Frau und Minderheit. Sie profitiert auch von Trumps begrenztem Wählerreservoir und der Tatsache, dass er Wahlen nur gewinnen kann, wenn er seine Gegner*innen und die politische Mitte demobilisiert. Auch das Thema Abtreibung und Frauenrechte, das sich in republikanisch geprägten Gegenden als wichtiger Mobilisierungsfaktor erwiesen hat, kann sie besser vertreten als Biden.
Die Demokraten betonen stärker als zuvor, den Mittelstand zu vertreten. Nicht nur Harris, sondern auch viele andere berichteten in ihren Reden von ihrer einfachen Herkunft, ihren hart arbeitenden Eltern oder alleinerziehenden Müttern sowie ihren Studentenjobs bei McDonald’s oder in der Fabrik. Deutlich wurde so die Bedrohung der gesellschaftlichen Mitte, deren sozialer Aufstieg trotz großer Anstrengungen immer schwieriger werde.
Und Harris will die Spaltung in der Gesellschaft überwinden: »Ich weiß, dass heute Abend Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zuschauen. Und ich möchte, dass Ihr wisst: Ich verspreche, Präsidentin aller Amerikaner zu sein.« Sie wolle im Unterschied zu Trump zusammen mit den Bürger*innen einen »neuen Weg voran« einschlagen, »Bitterkeit, Zynismus und die spaltenden Auseinandersetzungen der Vergangenheit« überwinden – nicht als Mitglieder einer Partei oder Gruppe, sondern als Amerikaner. Sie setze sich für die Mittelschicht und den Zusammenhalt der Gesellschaft ein und wolle Steuersenkungen durchsetzen, von denen mehr als 100 Millionen US-Amerikaner profitierten. Sie wolle eine Präsidentin sein, die sowohl führt als auch zuhört.
Eines der wichtigsten Stichwörter der demokratischen Wahlkampagne ist zudem »Freiheit«. Damit wird offenkundig versucht, diesen »uramerikanischen Wert«, den sich bisher eher die Republikaner auf die Fahne schrieben, für sich zu beanspruchen. Dabei wollen sie den Gegnern nachweisen, dass diese, entgegen ihren Lippenbekenntnissen, die Freiheit beschneiden – mit dem Verbot des Rechts auf Abtreibung, mit Bücherverboten, mit der Diskriminierung von sexuellen und ethnischen Minderheiten. Was vom konservativen Freiheitsbegriff übrig bleibe, sei nur noch das Recht, eine Waffe zu tragen. Die Demokraten hingegen stünden sich für eine moderne Freiheit, für Diversität und Inklusion
Harris, Walz und ihr gesamtes Team setzen auf Optimismus und Positives und sich so von Bidens eher düsterem Wahlkampf und der abstrakten Thematik der bedrohten Demokratie absetzen. »Amerika, lass uns einander und der Welt zeigen, wer wir sind und wofür wir stehen: Freiheit, Chancen, Mitgefühl, Würde, Fairness und unendliche Möglichkeiten«.
Die Grundzüge der Passagen zur Außenpolitik in Harris Rede klingen ähnlich wie die der gegenwärtigen Regierung: »Als Präsidentin werde ich entschlossen an der Seite der Ukraine und unserer Verbündeten stehen«. Sie nahm auch Stellung zur Nahostpolitik, einem innerhalb der Partei besonders umstrittenen Thema. Am ehesten könnte es eine Akzentverschiebung in der Haltung zu Israel geben:
Zwar betont auch Harris entschieden das Recht Israels auf Selbstverteidigung, doch ihr Hinweis, dass der Krieg in Gaza »verheerend« sei, bekommt besonders starken Beifall. Die Parteitagsregie hatte aus Palästina stammenden Delegierten noch einen eigenen Auftritt verwehrt, jedoch wächst bei den Demokraten spürbar die Kritik am israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der bislang alle Vorstöße für einen Waffenstillstand torpediert hat und den amtierenden US-Präsidenten zunehmend machtlos aussehen lässt.
Etliche RednerInnen hatten während des Parteitags vor zu viel zu früher Siegeszuversicht gewarnt, so wie Michelle Obama: »Egal, wie gut wir uns heute, morgen oder übermorgen fühlen, es wird ein harter Kampf werden.« Und Ex-Präsident Bill Clinton erinnerte an die knappe und unerwartete Niederlage seiner Frau Hillary gegen Trump 2016: »Wir haben mehr als einen Wahlsieg durch die Finger rutschen lassen, obwohl wir siegessicher waren, weil wir uns haben ablenken lassen.« Das sollte nicht noch einmal passieren.
Um das im Wahlkampf zu vermeiden, ist die Rolle der demokratischen Spitzenkandidatin diesmal eine andere: Kamala Harris hat mit ihrer Rede Zuversicht verbreitet, Aufbruch und den Glauben an eine bessere Zukunft vermittelt. Daher ihre breite Akzeptanz auf dem Parteitag und die des neuen demokratischen Schlachtrufs: »Wir gehen nicht zurück!«
Auch wenn die Delegierten den Optimismus in ihre Kommunen mitnehmen, wird es ein enges Rennen bleiben. Die vorgetragenen Warnungen werden durch Umfragen gestützt. Zwar zeigen sie, dass sich seit dem Rückzug von Boden und dem Nachrücken von Harris die Dynamik des Wahlkampfs verändert hat, ihre landesweiten Werte besser geworden sind. Allerdings ist dieser Vorsprung gering – und vor allem wird die Wahl nicht durch die landesweiten Ergebnisse entschieden, sondern durch die Ergebnisse in den einzelnen Bundesstaaten.
Hinzu kommt, dass Bill Clintons Wahlkampf-Slogan von 1992 »It’s the Economy, stupid!« noch immer gilt – Stichworte: Sorge vor der Eintrübung der US-Konjunktur, Inflation, Staatsverschuldung (darauf werde ich ausführlicher in meinem Beitrag »Konservative Revolution oder Zukunft der liberalen Demokratie?« in der gedruckten September-Ausgabe von Sozialismus.de eingehen).