24. September 2024 Joachim Bischoff/Gerd Siebecke/Friedrich Steinfeld: Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Brandenburg

Erfolgreicher Kampf gegen die AfD?

Nach Thüringen und Sachsen ist Brandenburg das dritte ostdeutsche Bundesland, in dem in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt wurde. Die SPD erreichte laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 30,9% Wähleranteil, die AfD 29,2%. Dahinter folgen das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit 13,5% und die CDU, die mit 12,1% das schlechteste Ergebnis in Ostdeutschland seit 1990 einfährt.

Grüne, Linke, FDP und BVB/Freie Wähler scheitern an der 5%-Hürde und sind nicht im Landtag vertreten. Die Wahlbeteiligung ist mit 72,9% so hoch wie nie seit 1990., ähnlich wie zuvor in Sachsen, wo rund 74,4% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben und in Thüringen mit 73,6%.

Die sogenannte Grundmandatsklausel in Brandenburg, wonach Parteien in Fraktionsstärke in den Landtag einziehen, wenn sie an der 5%-Hürde scheitern, aber mindestens ein Direktmandat erzielen, kam nicht zum Zuge. Den Grünen gelang es in Potsdam nicht wie erhofft, erneut ein Direktmandat zu gewinnen, auch der Kandidat der BVB/Freie Wähler konnte sein Direktmandat nicht verteidigen, und auch die Partei Die Linke erzielte kein Direktmandat trotz großer Unterstützung auch aus der Bundespartei für Kerstin Kaiser in Märkisch-Oderland II. Im brandenburgischen Landtag sind daher zukünftig nur noch vier Parteien vertreten.

Die SPD schnitt am stärksten bei älteren Wähler*innen mit einem Stimmanteil von 49% ab. Bei den jungen Wähler*innen liegt die AfD deutlich vorne (32%). Bei der letzten Landtagswahl konnten die Grünen noch den höchsten Anteil in dieser Gruppe erreichen.

Über viele Monate führte die AfD die Umfragen mit weitem Abstand an. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) entschied sich deshalb zu einer außergewöhnlichen Mobilisierungskampagne und erklärte bereits vor gut zwei Monaten: »Entweder ihr wählt mich auf Platz 1, oder ich bin weg.« Diese Zuspitzung hatte Erfolg, die SPD hat mit einem Leihwählerwahlkampf eine historische Aufholjagd geschafft; noch bei seiner Ankündigung betrug der Abstand zwischen SPD und AfD vier bis fünf Prozentpunkte zugunsten letzterer. Aber auch der engagierte Wahlkampf von Sozialdemokraten, Grünen und Linken gegen die rechten Demokratiefeinde sollte nicht geringgeschätzt werden.[1]

Woidke und die SPD sahen sich insbesondere durch den AfD-Spitzenmann Hans-Christoph Berndt herausgefordert, dessen Partei der Landesverfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall führt. Dieser hatte verkündet, dies sei keine gewöhnliche Landtagswahl, sondern eine Wahl, in der die Brandenburger*innen entscheiden würden, ob sie Politikern wie ihm und seiner Haltung folgen, Asylbewerber*innen, Asylberechtigte und Geflüchtete von öffentlichen Veranstaltungen pauschal auszuschließen. Wenn die Gefahr von islamistischen Anschlägen bestehe, müsse so etwas getan werden. »Wir machen Zugangsbeschränkungen, und dann lassen wir diejenigen, die Staatsbürger sind, dazu – die anderen lassen wir nicht dazu«, sagte Berndt. Er betonte auch, dass seine Partei einen »Regenbogenkult« ablehne. »Dass jeder Fetisch, jede Perversität hier öffentlich ausgelebt wird auf Straßen und Plätzen, dass sich Männer als Hunde verkleiden und entblößen, das wollen wir nicht.«

Woher rührt die gesellschaftliche Akzeptanz für solche Haltungen und das Stellen der Machtfrage durch die AfD? Die rechtsextreme Partei verstärkt das politische Unbehagen und die vorhandenen Zukunftsängste mit dem Ziel, die Probleme im Bundesland mit den Vorbehalten gegenüber der Politik der Ampel im Bund zu vermischen. Woidke setzte seinen persönlichen Vertrauensbonus bei den Wähler*innen in Brandenburg dagegen und erzwang über die Zuspitzung eine Aufwertung der Landespolitik.

Dabei konnte sich der Ministerpräsident darauf stützen, dass die Brandenburger*innen mit seiner Arbeit als Ministerpräsident zu 61% im Vergleich zu seinen Konkurrenten am zufriedensten sind, wie eine Vorwahlbefragung von Infratest Dimap im Auftrag der ARD zeigte. Deutlich hinter Woidke schnitt dabei der CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann mit 21% ab, AfD-Spitzenkandidat Berndt kam mit 12% auf Platz 3.

Hintergrund für diesen Vertrauensbonus des Ministerpräsidenten sind die positiven Ergebnisse der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Brandenburg, dem flächenmäßig größten Bundesland in Ostdeutschland. Brandenburg hat sich in den letzten Jahren zu einem international gefragten Standort entwickelt. Im Jahr 2022 verzeichneten das Bundesland mit 2,6% das viertstärkste Wachstum, 2023 lag es mit 2,1% auf Platz 2 aller Bundesländer (Bundesdurchschnitt: -0,3%).[2]

Seit elf Jahren führt Woidke dort die Regierungsgeschäfte, bisher in einer Koalition mit CDU und Grünen. Woidke fürchtete zurecht, dass die Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition im Bund auf Brandenburg abfärben könnte, und verzichtete auf gemeinsame Auftritte mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf.

Die Fortschritte in Brandenburg sind unübersehbar. Gleichwohl existieren noch immer große wirtschaftliche und soziale Unterschiede innerhalb des Landes. Die Löhne sind im ersten Halbjahr 2023 in Brandenburg zwar, ähnlich wie bundesweit, um 6,5% gestiegen. Mit 3.100 Euro/brutto liegt der mittlere Lohn aber nur auf dem viertletzten Platz im Bundesländervergleich. Vor allem die Unternehmen zahlen mehr, die einen Tarifvertrag haben. In Brandenburg sind das vergleichsweise wenige, weniger als die Hälfte der brandenburgischen Arbeitnehmer*innen wird laut DGB nach Tarif bezahlt. Die nicht tarifgebundenen Löhne liegen um ca. 15% darunter, was vor allem für die Beschäftigten in der Landwirtschaft und im Gastgewerbe zutrifft. Hinzu kommt ein Niedriglohnsektor, in dem mehr als ein Viertel der Beschäftigten arbeitet. Der Eindruck vieler Menschen im Osten, immer noch »Bürger zweiter Klasse« zu sein, hat auch mit diesen sozialen Unterschieden zu tun.

Es gibt in Brandenburg also reichlich Probleme, zu denen auch die Integration der Flüchtlinge und Migranten. gehört Die Situation der Unterbringung von Geflüchteten wurde durch die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in vielen Kommunen verschärft. Als weiterer aktueller Themenkomplex ist der Bereich Bildung, Schule und Ausbildung zu nennen, deren Lösung Bürger*innen in Brandenburg von der Landespolitik erwarten. Zur diffusen Unzufriedenheit einer größeren Anzahl der Wähler*innen trägt außerdem die mangelhafte Situation des öffentlichen Personennahverkehrs bei. Weiter gibt es Klagen über schlechte Zugänge und Versorgung im Gesundheitssystem. Diese Defizite führen dazu, dass sich viele Bürger*innen Sorgen um die Zukunft machen. Denn die wirtschaftliche Lage insgesamt, weniger die persönliche, wird oft als prekär empfunden.

Die genannten Themen sind den Menschen im Osten besonders wichtig. Noch stärker als vor den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen dominierten bei den knapp 2,11 Mio. Wahlberechtigten in Brandenburg die Sorgen wegen irregulärer Zuwanderung, auf Platz zwei folgt die »Bildung« – in Deutschland ist diese vor allem Ländersache. 7% der Befragten nannten auch den »Rechtsruck« als wichtiges Problem – und damit 5 Prozentpunkte mehr als vor der vergangenen Landtagswahl. Das »Klima« war im Gegensatz zu 2019 nur noch für wenige Umfrageteilnehmer ein »wichtiges Problem«.

»Flucht und Zuwanderung« rangierten also im Wahlkampf ganz vorne auf der Problemliste. Es dürfte auch diesem Stimmungsbild geschuldet sein, dass selbst Woidke kürzlich forderte, Asylmigrant*innen an den deutschen Landesgrenzen zurückzuweisen. Das ist eigentlich eine Forderung der Mitte-rechts-Parteien. SPD und CDU sahen sich durch die extreme Rechte genötigt, ihre Position in Sachen Asyl und Migration zu verschärfen. CDU-Spitzenkandidat Redmann, dessen Partei den brandenburgischen Innenminister stellte, plädierte dafür, Zuwanderung »wirksam begrenzen», da sie »in so großem Ausmaß uns in Deutschland überfordert«. Dies sei »ein Befund der letzten neun Jahre«. Er distanzierte sich damit klar von Angela Merkels Willkommenskultur. Es könne nicht sein, dass «auf einen, der in Deutschland abgeschoben wird, 21 Neue nach Deutschland kommen«.

Auch die Bundespolitik spielte bei den Landtagswahlen im Osten eine Rolle. Laut Umfragen traut der rot-grün-gelben Bundesregierung derzeit kaum noch jemand zu, das Land nennenswert voranzubringen. Die Zuversicht ist angesichts der schwächelnden Konjunktur gering, die Regierung so unbeliebt wie nie: Nur 16% zeigen sich in Umfragen zufrieden mit der Arbeit des Kabinetts von Bundeskanzler Scholz.

Die weit verbreitete diffuse Unzufriedenheit wurde von der AfD, aber auch dem Bündnis Sahra Wagenknecht, aufgegriffen und skandalisiert. Woidke brachte den rechten Angriff auf die zutreffende Kurzformel: »Eine Rolle rückwärts gefährdet alles. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit schaden diesem Land. Punkt.« Vieles, was die SPD erreicht habe, stehe auf dem Spiel, Brandenburg habe einen Spitzenplatz beim Wirtschaftswachstum, auch wenn das Land nach dem Verlust vieler Industriearbeitsplätze in den 1990er-Jahren noch am Anfang eines Aufholprozesses stehe. »Brandenburg hat gezeigt, dass Klimaneutralität und Wirtschaft zusammenpassen«, unterstrich der Ministerpräsident immer wieder. Aber für wirtschaftliches Wachstum brauche es auch Weltoffenheit, Freiheit und Demokratie, daher seine Zuspitzung auf die Machtfrage. Er wollte, dass sich die Wähler*innen über ihre Prioritäten klar werden.

Trotz des Stimmergebnis für die SPD ist auch Brandenburg nach rechts gerückt. Die AfD wurde zweitstärksten Kraft im Land – mit einem gesichert rechtsextremen Spitzenkandidaten Berndt, der im Wahlkampf bekräftigte, die »grenzenlose Asylmigration« sei zu beenden, Deutschland müsse wieder »den Deutschen« gehören. Im Übrigen solle die Politik sich mehr um die »1,2 Millionen Menschen in Deutschland kümmern, die nichts machen« – ein klarer Hieb auf die Bürgergeld-Empfänger*innen.

Aus dem Stand auf ein zweistelliges Ergebnis kommt das nach der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht benannte Bündnis (BSW). Die CDU, die zusammen mit SPD und Grünen in Brandenburg regiert, hat dagegen nicht von der wachsenden Unzufriedenheit mit der rot-grün-gelben Bundesregierung profitiert. Die Haltung des möglichen Koalitionspartners BSW zum Krieg in der Ukraine hat Konfliktpotenzial bei möglichen Koalitionsgesprächen. Das Bündnis lehnt weitere Waffenlieferungen ab und spricht sich für sofortige Verhandlungen der Ukraine mit Russland aus. Wenn er im Land unterwegs sei, werde er immer wieder auf den Krieg angesprochen, sagte BSW-Spitzenkandidat Robert Crumbach. Die Menschen wollten ein schnelles Ende des Konflikts, laut Umfragen sei dies für zwei Drittel der Brandenburger ein wichtiges Thema. Deshalb müsse dies Thema von Verhandlungen zwischen Parteien sein.

Auch wenn es Woidke noch mal gelungen ist, sich als Wahlsieger zu behaupten, muss ihm und der Brandenburgischen SPD klar sein, dass sie politisch nicht einfach mehr so weiter machen können wie bisher. Schon die Tatsache, dass die Jungwähler*innen zu einem Drittel AfD gewählt haben, sollte für die Zukunft zu denken geben. Ein Menetekel auch: Der amtierende SPD-Ministerpräsident hat sein Direktmandat im Wahlkreis Spree-Neisse um sieben Stimmen an den AfD-Direktkandidaten Steffen Kubitzki verloren. Und: Trotz der Zuspitzung im Wahlkampf gegen die AfD hat diese bei der Wahl stärker zugelegt als die SPD.

Nach Thüringen und Sachsen kam mit der Landtagswahl in Brandenburg der ostdeutsche Wahlzyklus in diesem Jahr zum Abschluss. Auch wenn es der AfD nur in Thüringen gelang, stärkste Partei zu werden, so ist sie durch ihre durchgängig hohen Wahlergebnisse von knapp 30 % und mehr der eigentliche Wahlsieger in diesem Zyklus. In Thüringen und Brandenburg erreichte sie gar eine Sperrminorität und kann bestimmte Entscheidungen blockieren. Sie ist die stärkste Kraft im Osten, wie die Co-Parteivorsitzende Weidel betont. Die AfD ist dabei, die wachsende Unzufriedenheit in den ostdeutschen Ländern in eine Zukunftserzählung umzumünzen: »Der Osten macht’s«, so Björn Höcke auf einem Wahlplakat. Die AfD versucht damit den sich noch immer als Bürger*innen zweiter Klasse fühlenden Ostdeutschen eine neue Identität zu verschaffen. Ein politisch äußerst gefährlicher Trend.

Das Gesamtergebnis ist ein politischer Erdrutsch, der nicht nur massive Auswirkungen auf die Regierungsbildung in den Bundesländern, die jetzt gewählt haben, sondern auch für das gesamte Parteiensystem in der BRD hat.

Anmerkungen

[1] Es ist u.E. wenig überzeugend von einem politischen Trick mit dem Effekt eines Pyrrhussieges zu sprechen. Die aggressive Ankündigung einer Machtübernahme durch die AfD mussten die Leistungen der bisherigen Koalition für Brandenburg entgegengestellt und eine Konzentration auf die Landesprobleme erzwungen werden.
[2] Der Aspekt der relativ positiven wirtschaftlichen Entwicklung in Brandenburg wird in dem Beitrag in der Printfassung in Heft 10-2024 von Sozialismus.de ausführlich behandelt.

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