15. Februar 2022 Redaktion Sozialismus.de

Erinnerungen an Gerhard Riege (1930–1992)

Gerhard Riege (rechts) zusammen mit seinem damaligen MdB-Fraktionskollegen Uwe-Jens Heuer (1927–2011) auf einer Pressekonferenz im März 1991.

Heute jährt sich zum 30. Mal der Todestag von Gerhard Riege, der am 15. Februar 1992 den Freitod wählte, weil er den Hass, der ihm als Mitglied der PDS-Fraktion im Deutschen Bundestag entgegenschlug, nicht länger ertragen konnte.

Auf diese skandalösen politischen Umstände machte zuletzt Heribert Prantl in seiner Kolumne in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Februar 2022 aufmerksam: Der am 23. Mai 1930 im thüringischen Gräfenroda als Sohn eines Glasbläsers und einer Heimarbeiterin geborene Gerhard Riege »war ein zurückhaltender, sensibler und angesehener DDR-Rechtswissenschaftler, ein marxistischer Gelehrter; er war der letzte Dekan der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät in Jena vor der Wende, Verfasser eines Standardwerks über die DDR-Staatsbürgerschaft; er gehörte Anfang 1990 zu den Autoren eines Verfassungsentwurfes für das neue Bundesland Thüringen.

Er war Abgeordneter in der frei gewählten, letzten Volkskammer der DDR. Und zuletzt, als Sechzigjähriger, war er ein unauffälliger Parlamentarier der PDS im Deutschen Bundestag zu Bonn. Aber dort wurde er, das kann man in den Parlamentsprotokollen nachlesen, behandelt wie der letzte Dreck.«

Kurz vor seinem Freitod war bekannt geworden, so Prantl weiter, dass er »als junger Mann, von 1954 bis 1960, vor 32 Jahren also, Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit gehabt hatte; von der Gauck-Behörde waren diese Kontakte zwar als unerheblich eingestuft worden.« Schon zuvor musste Riege anlässlich einer Rede in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag pöbelnde Zwischenrufe insbesondere von CDU/CSU- und FPD-Abgeordneten über sich ergehen lassen.

Zu diesem Umgang »wie mit einem menschlichen Spucknapf« (Prantl) schrieb seinerzeit der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar (FDP) in einem Nachruf auf Riege in der Süddeutschen Zeitung beschämt: »Ein Einzelfall? Ich fürchte nein. Die Jagd, die viele Westdeutsche derzeit auf Ostdeutsche veranstalteten, ist gnadenlos.« Eines ihrer Opfer war Gerhard Riege.

Auf diesen Aspekt, der das politische Klima in Deutschland zu jener Zeit prägte, hat die Redaktion dieser Zeitschrift in einem Nachruf in ihrer April-Ausgabe von 1992 aufmerksam gemacht, in dem Mario Keßler zugleich den Werdegang des bedeutenden Wissenschaftlers und Rechtspolitikers nachzeichnete. In Erinnerung an Gerhard Riege machen wir den Nachruf an dieser Stelle erneut zugänglich.

Auch Manfred Weißbecker, der als Professor für Deutsche Geschichte bis 1992 ebenfalls an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrte, hat in einem Beitrag unter dem Titel »Für das Recht Partei ergreifen« im Jahr 2006 in dem von ihm mit herausgegebenen Buch »Gelebte Ideen« an ihn erinnert.

Der ausführlichen Schilderung seines wissenschaftlichen und politischen Wirkens stellte er ein ihn charakterisierendes Zitat von Gerhard Riege voran: »Ich schäme mich nicht meines Lebens, nicht für das, was ich in der Gesellschaft gewollt und getan habe. Richtiges und Fehlerhaftes, Konsequenz und Inkonsequenz lagen dicht beeinander.« Und er verweist zu Beginn auf das Gemälde des Künstlers Günther Dührkop aus dem thüringischen Lauscha von 1984, das seit 1996 als Leihgabe der Friedrich-Schiller-Universität Jena im großen Sitzungsraum der LINKEN im Thüringer Landtag hängt (Foto vom 24.9.2016: Gerd Siebecke). Auf diese Würdigung, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen auf ihrer Internetseite dokumentiert, wollen wir ebenfalls ausdrücklich hinweisen.

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