15. Januar 2019 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Zur Aufstellung der AfD

Europa der Vaterländer – Deutschland zuerst

vfutscher/flickr.com (CC BY-NC 2.0)

Die AfD hat auf ihrem Parteitag in Riesa das Programm für die Europawahl im Mai und eine umfangreiche Kandidat*innenliste beschlossen. Schon in der laufenden Wahlperiode ist sie im europäischen Parlament vertreten.

Von ehemals sieben AfD-Abgeordneten ist Jörg Meuthen derzeit der einzige verbliebene. Nach der Wahl Ende Mai könnte die AfD aber mit 14, 15 oder 16 Mandaten im EU-Parlament vertreten sein.

Meuthen, Gauland, von Storch u.a. agierten auf dem Parteitag gegen rechte Flügeloptionen als Zentristen. Auch sie sind Europa-Kritiker. Aber sie haben die Mehrheit auf dem Parteitag davon überzeugen können, dass die Europa-Kritik nicht überzogen werden sollte. Deutschland solle in angemessener Zeit aus der EU austreten, falls diese nicht nach den Vorstellungen der AfD reformiert werden kann. Ein ursprünglich geplantes Fünf-Jahres-Ultimatum hatte die AfD nach einer Kritik von Gauland gekippt. Sein Argument: Die Wirkung eines möglichen ungeordneten Brexits könnte möglicherweise noch vor der Europawahl so verheerend sein, dass kein potenzieller Wähler auch nur im Gedanken dieser Idee folgen würde. »Begeben wir uns nicht auf einen Weg der Ungewissheiten, davor würde ich gern warnen.«

Einig war sich die versammelte Rechte darin, dass das EU-Parlament so schnell wie möglich aufgelöst und allein durch das Zusammenspiel der Nationalstaaten ersetzt werden soll. Das Europäische Parlament gilt als undemokratisch und soll ersatzlos weg. Außerdem soll Deutschland wieder eine nationale Währung einführen, notfalls auch parallel zum Euro. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik soll es nach dem Willen der AfD nicht geben, dafür aber bessere Beziehungen zu Russland und ein Ende der Sanktionen.

Auch die strategische Option der AfD mit Blick auf die Bildung einer rechten Fraktion im Europaparlament wurde erörtert. Dabei gibt es für die deutschen Rechtspopulisten »natürliche Verbündete« – die italienische Lega Nord, die FPÖ aus Österreich oder den ungarischen Regierungschef Viktor Orban. Doch ob diese nationalistischen Allianzen gelingen, ist ungewiss. Meuthen plädiert auch hier für Flexibilität: »Ich gehe … davon aus, dass wir hier eine Zeitenwende erleben werden mit der Europawahl im Mai, weil da ist ja nicht nur die AfD. Da sind andere europäische Parteien wie in Österreich die FPÖ, in Italien die Lega und viele andere mehr. Wir gehen davon aus, dass diese Parteien einen großen Wahlerfolg erzielen werden, und dann wird auch eine andere Stimme, nämlich hin zu einem Europa der Vaterländer, das in friedlicher Kooperation zusammenarbeitet, diese Stimme wird dann stärker werden, und dann kann diese Zeitenwende eingeleitet werden. Das ist eine Frage der Wahlergebnisse.«

Der Partei-Austritt des AfD-Spitzenpolitikers André Poggenburg hat wohl keine gravierenden Folgen für die Partei. Der Bundesvorstand unterstreicht seine Position: »Wir sind eine Partei, die sich mit Fug und Recht als rechts bezeichnet, aber wir sind eine bürgerlich-konservativ-freiheitliche Partei, der Rechtsradikalismus völlig fern ist.« Ob damit das Problem eines wachsenden Gewichtes der »rechten Flügels« erledigt ist, darf bezweifelt werden. Poggenburg gehörte mit dem Thüringer AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke zu den bekanntesten Figuren am rechten Rand der Partei, die sich im »Flügel« organisiert haben. Poggenburg hat sich schon im Jahr 2018 zum Außenseiter am rechten Rand entwickelt. Im März überwarf er sich mit seiner Landespartei und seiner Fraktion, gab beide Ämter ab.

Der Grund lag nicht so sehr im programmatischen Agieren als vielmehr in seinem autoritären Politik- und Führungsstil. Höcke, seit Herbst AfD-Spitzenkandidat in Thüringen für die Landtagswahl in diesem Jahr, ist deutlich geschmeidiger im Auftreten und kämpft in Verbindung mit organisierten Strömungen für eine stärkere nationalistisch-völkische Ausrichtung der Partei. Er rechnet sich in Thüringen Chancen aus, die nächste Landesregierung entscheidend zu beeinflussen. Sein Kontakt zu Poggenburg ist seit Monaten zurückgegangen, weil Poggenburg zu einer Team-Arbeit nicht bereit war. Im August 2018 machte Poggenburg den Bruch öffentlich. Seine Erklärung lautet: dass »die Doppelspitze Höcke-Poggenburg so leider nicht mehr fortbesteht«.



Die AfD will im kommenden Jahr eine siebenstellige Summe in die Ost-Wahlkämpfe in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stecken und die vorherrschende programmatische Position bestimmt hier »Der Flügel«. Gauland, Meuthen u.a. führende AfD-Politiker*innen stellen sich hinter Höcke, obwohl der Thüringer Verfassungsschutzchef jüngst warnte, vor allem die Person Höcke werde über eine Beobachtung des Landesverbandes entscheiden. Umfragen zufolge könnte die große Koalition von Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen nach der Wahl im kommenden September ihre Mehrheit verlieren. Auch in Thüringen rechnet die AfD mit einem weiteren Aufstieg. Entsprechend intensiv wollen die Rechtspopulisten in Sachsen, Thüringen und Brandenburg in den Wahlkampf investieren.

Die »Alternative für Deutschland« ist seit Monaten im Fokus des Verfassungsschutzes. Nach Presseinformationen stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Gesamtpartei in einem rund 450 Seiten umfassenden Gutachten als »Prüffall« ein. Die Behörde wird nun anhand öffentlicher Äußerungen von AfD-Mitgliedern und offen zutage tretender Verbindungen zu den rechtsextremen Identitären untersuchen, in welchem Ausmaß rechtsextremistische Bestrebungen in der Partei festzustellen sind. Eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, wie das Anwerben von V-Leuten, gibt es bei einem Prüffall nicht. Es werden auch keine Daten von Personen gespeichert. Der Thüringer Verfassungsschutz hatte bereits im September 2018 den Landesverband der AfD zum Prüffall erklärt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft zudem in seinem Gutachten die AfD-Nachwuchsorganisation »Junge Alternative (JA)« und die Vereinigung »Der Flügel« als Verdachtsfall ein. Das ist eine höhere Stufe als der Prüffall. Bei einem Verdachtsfall sind auch nachrichtendienstliche Mittel wie eine Observation und die Kooperation mit V-Leuten möglich sowie eine Speicherung der Daten von Personen. Das BfV geht auch dem Verdacht nach, die JA stehe in Teilen mit der Identitären Bewegung in Verbindung. Die Identitären werden vom Bundesamt bereits seit 2016 als Verdachtsfall geführt und entsprechend beobachtet. Die Behörde nennt die Identitären auch in ihrem Jahresbericht. Bei der Vereinigung »Der Flügel« hält das BfV unter anderem die Reden ihres Wortführers Björn Höcke für bedenklich.

Wird mit dieser Prüfung und verstärkten Beobachtung die Radikalisierung der Rechten unterbunden? Gauland sieht die Sache nüchtern: »Unsere Anhänger wissen, dass der Verfassungsschutz immer mehr zu einem politischen Kampfinstrument gerät.« Eine Beobachtung könne »uns deshalb sowohl nutzen als auch schaden«.

Die AfD wird trotz des Austritts von Poggenburg, trotz des Agierens des völkisch-nationalistischen Flügels um Höcke und trotz der Prüfung durch den Verfassungsschutz seine bisherige Expansion in den Parlamenten fortsetzen und auch bei den Europawahlen deutlich punkten. Auch die damit verbundene Abwahl der bisherigen »großen Koalition« aus Konservativen und Sozialdemokraten in Brüssel und das höhere politische Gewicht der radikalen Rechten wird für politische Aufmerksamkeit sorgen. Strategisch wichtig wird die Bildung einer Fraktion im Europaparlament.

Die deutschen Rechtspopulisten werden sich mit den »natürlichen Verbündeten« arrangieren – der italienischen Lega, der FPÖ aus Österreich und den Rechtspopulisten um den ungarischen Regierungschef Viktor Orban.[1] Die rechtskonservativen und nationalistisch-völkischen Parteien sind auf der europäischen Ebene in der Vergangenheit an ihren nationalen Egoismen und Besonderheiten an einem gemeinsamen Agieren gescheitert. Mit dem Niedergang der europäischen Sozialdemokratie und den linken Kräften jenseits dieser Parteienfamilie eröffnen sich neue Perspektiven der destruktiven Kooperation.

[1] Vgl. EU-Spitzenkandidat Weber (EVP, CSU) offen für die radikale Rechte, SozialismusAktuell vom 11. Januar.

Zurück