14. September 2023 Redaktion Sozialismus.de
EZB erhöht Leitzinsen und vertieft zugleich die Konjunkturflaute
Angesichts der noch immer sehr hohen Teuerung hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine weitere Leitzinserhöhung beschlossen. Sie hebt den Leitzins um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 4,5% an.
Der EZB-Rat beschloss damit die zehnte Zinserhöhung in Folge seit Juli 2022. »Die Inflation geht weiter zurück. Es wird jedoch nach wie vor erwartet, dass sie zu lange zu hoch bleiben wird«, begründete die EZB ihre Entscheidungen zur Geld- und Kreditpolitik.
Im vergangenen Jahr war die Inflationsrate infolge des Ukraine-Kriegs zeitweise in zweistellige Höhn gestiegen. Höhere Inflationsraten zehren an der Kaufkraft von Verbraucher*innen, die Menschen können sich für ihr Geld weniger leisten. Das bremst den privaten Konsum, der eine wichtige Stütze der Konjunktur ist.
Mittelfristig strebt die EZB für den Euro-Raum eine Inflationsrate von 2% an. Bei diesem Niveau sehen die Währungshüter Preisstabilität gewahrt. Doch von dieser Zielmarke ist die Teuerung nach wie vor weit entfernt. Im August schwächte sich der Anstieg der Verbraucherpreise im Währungsraum der 20 Länder nicht weiter ab. Die jährliche Inflationsrate verharrte einer ersten Schätzung des Statistikamtes Eurostat zufolge bei 5,3%.
Immerhin gab es bei den jüngsten Inflationsdaten einen Hoffnungsschimmer: Die Kernteuerung im Euroraum – die Rate für Güter wie Energie und Lebensmittel – ging von 5,5% im Juli auf 5,3% im August zurück.
Mit den höheren Zinsen versucht die Notenbank, die hartnäckig hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Höhere Zinsen verteuern Kredite. Das kann die Nachfrage bremsen und hohen Teuerungsraten entgegenwirken. Weil teurere Kredite zugleich eine Last für die Wirtschaft sind, waren zuletzt Forderungen nach einer Zinspause lauter geworden.
Faktisch nimmt die EZB die Tendenz zu einer schwächelnden Konjunktur in Kauf. Die Wirtschaft im Euroraum kommt laut ihrer Präsidentin Christine Lagarde vorerst nicht aus der Flaute heraus. Die wirtschaftliche Aktivität habe im ersten halben Jahr weitgehend stagniert, räumt sie nach der Zinssitzung ein. Jüngste Indikatoren wiesen darauf hin, dass auch das dritte Quartal schwach ausfallen dürfte. »Die Wirtschaft wird wahrscheinlich in den kommenden Monaten gedämpft bleiben.« Und die Erhöhung der Zinsen trägt zu dieser Tendenz bei.
Es gibt Kritik an dieser Verlängerung der Zinserhöhungspolitik. Vertreter*innen, die eher zur Lockerung der Geldpolitik neigen, halten dem Argument, die Preissteigerungsdynamik sei gefährlich, unter anderem entgegen, dass die Inflation tendenziell sinke und die bisherigen Zinserhöhungen ihre Wirkung noch nicht voll entfaltet hätten. Sie plädieren deshalb für eine Zinspause.
Diese Ökonom*innen verwiesen vor allem auf die schwache Konjunktur. Laut einer am Montag veröffentlichten Prognose der EU-Kommission dürfte die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone im laufenden Jahr gemessen am realen Bruttoinlandprodukt (BIP) lediglich um 0,8% wachsen. Für Deutschland, die größte Volkswirtschaft des Euro-Raums, erwarten die Brüsseler Auguren sogar eine BIP-Schrumpfung und korrigieren damit ihre Prognose aus dem Frühjahr nach unten. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni spricht mit Blick auf die Folgen des Ukraine-Krieges, steigender Zinsen und hoher Inflation von »mehrfachem Gegenwind«.
Der kommt vor allem aus Deutschland, denn hier rechnet Brüssel mit einer um 0,4% schrumpfenden Wirtschaft. Das deckt sich mit den Prognosen der wichtigsten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. Die hiesige exportorientierte Wirtschaft leidet vor allem unter den hohen Energiekosten und dem allgemeinen schwachen weltwirtschaftlichen Umfeld.
Höhere Leitzinsen führen tendenziell nicht nur zu höheren Zinsen für Spareinlagen, sondern auch zu höheren Kreditzinsen. Auch wenn das ein erwünschter Effekt ist, weil es der Teuerung entgegenwirkt, können diese die Nachfrage dämpfen. Und belastet damit zugleich die Wirtschaft, darunter auch den etwa in Deutschland darniederliegenden Wohnungsbau.
Vor allem in der Industrie stehen die Zeichen auf Rezession. In den vergangenen Monaten haben viele Unternehmen noch von ihren hohen Auftragsbeständen aus der Zeit der Corona-Pandemie gezehrt. Diese hielten die Produktion auf hohem Niveau. Mittlerweile aber haben die Betriebe ihre Aufträge weitgehend abgearbeitet. In Deutschland beurteilen die vom Ifo-Institut befragten Unternehmen diese aktuell daher mehrheitlich als »zu klein«.
Während die Auftragsbestände dahinschmelzen, bleiben neue Aufträge aus. Der Bremskurs der westlichen Notenbanken hat die Weltwirtschaft gedämpft und die Nachfrage nach Investitionsgütern »Made in Germany« verringert. In China belasten die Immobilienkrise sowie der schwache Konsum die Konjunktur und damit die Absatzperspektiven für die deutschen Hersteller. Der Idee der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den starken Anstieg von in der Volksrepublik produzierten Elektrofahrzeugen auf dem EU-Markt ggf. mit zusätzlichen Importzöllen zu begegnen, begegnen auch deshalb deutsche Hersteller und der Verband der deutschen Automobilindustrie eher mit Zurückhaltung.
Im Dienstleistungssektor laufen die Nachholeffekte aus der Zeit der Corona-Pandemie aus. Die Menschen halten ihr Geld angesichts der hohen Preise zusammen, gekauft wird nur, was dringend benötigt wird. Viele Dienstleistungen gehören nicht dazu. In der Bauwirtschaft hat nach dem langen Boom das große Zähneklappern eingesetzt. Die gestiegenen Finanzierungskosten schrecken potenzielle Bauherren ab, zumal die Immobilienpreise (noch) nicht so stark gesunken sind, dass sie den Kostenschub bei den Zinsen ausgleichen.