19. September 2024 Joachim Bischoff: US-Notenbank reagiert auf die Abschwächung der Kapital-Akkumulation
Fed senkt erstmals seit 2020 US-Leitzins
Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat auf die abgeschwächte Preissteigerungsrate reagiert und erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie ihren Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf einen Korridor von 4,75 bis 5,00% gesenkt. Die erste Zinssenkung seit vier Jahren wird große Auswirkungen auf den weiteren Gang des Wirtschaftswachstums haben – und dürfte den Wahlkampf in den USA beeinflussen.
Zuletzt war die Inflation in den USA weiter zurückgegangen und hatte im Juni den niedrigsten Stand seit mehr als drei Jahren erreicht. Im Juli blieb der PCE-Index, der die Preissteigerung für einen Korb von Konsumgütern und Dienstleistungen anzeigt, wie im Juni stabil bei 2,5%. Die Arbeitslosenquote lag im August bei 4,2%, allerdings war die Zahl der neu geschaffenen Stellen in den zurückliegenden Monaten weniger hoch als erwartet. Was bedeutet dies?
Das Vorgehen der Fed deutet darauf hin, dass sie den Druck auf die Wirtschaft mindern möchte und gleichzeitig zuversichtlich ist, im Kampf gegen die hohen Verbraucherpreise einen nachhaltigen Erfolg erzielt zu haben. Die jüngsten Wirtschaftsprognosen der Notenbank zeichnen ein optimistisches Bild der Inflationsrate.
Mit dem Leitzinsband von 4,75 bis 5,00% ist die Geldpolitik in den USA damit zwar noch immer restriktiv, aber deutlich lockerer als bisher. Man habe größere Zuversicht gewonnen, dass sich die Teuerungsrate nachhaltig in Richtung des 2%-Ziels entwickle, schreibt das Fed in seiner Mitteilung zum Zinsentscheid. In den vergangenen Monaten hatte sich die Notenbank in diesem Punkt noch deutlich vorsichtiger geäußert. Erstmals seit langem ist das Fed zudem der Ansicht, dass die Risiken, die sich aus beiden Seiten seines Mandats ergeben, die Waage halten: das Risiko einer höheren Arbeitslosigkeit einerseits und eines erneuten Inflationsschubs andererseits.
Die ungewöhnlich deutliche Absenkung der Zinsen um einen halben Prozentpunkt wird vom Fed-Chef Jerome Powell mit der ruhigeren Akkumulationsdynamik begründet: »Der Arbeitsmarkt hat sich abgekühlt. Die Inflation ist beträchtlich gesunken – von 7% auf geschätzte 2,2% im August.«
Die Steuerung von Akkumulation und Wirtschaftswachstum war in den USA der Kern der politischen Auseinandersetzung zwischen den Republikanern mit dem 2021 abgewählten Präsidenten Donald Trump und den Demokraten mit dessen Nachfolger Joe Biden. Die Administration Biden hatte in der schweren Pandemie-Krise den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess durch staatliche Interventionen stabilisiert und auch durch soziale Maßnahmen die Lebensverhältnisse vieler lohnabhängiger Bürger*innen gestützt.
Nach der Abwehr der Auswirkungen der Covid-Pandemie wurde mit umfangreichen Konjunkturstützungsprogrammen vor allem die angeschlagene Infrastruktur modernisiert. Infolge dieser Politik eines Green New Deals fiel die Arbeitslosigkeit auf einen Tiefststand und die Preise explodierten, auch wegen der Umschichtungen im Energiesektor. Diese hohen Preissteigerungsraten wurden dann zum zentralen Punkt der politischen Auseinandersetzungen.
Die Inflation ist auch in der Präsidentschaftswahl 2024 ein Top-Thema – in einer Umfrage von CBS News Mitte August gaben 76% registrierten Wähler*innen an, dass die Inflation für sie ein Faktor bei der Wahl sei. Laut der Fed lag die Inflation von 2017 bis 2021 – Trump war Präsident – bei 1,9% pro Jahr. Während der Biden-Regierung lag sie dann durchschnittlich bei 5% pro Jahr. Trump macht die Biden-Regierung für die hohe Inflation verantwortlich.
In der Fernseh-Debatte mit Kamala Harris argumentierte Trump, sie sei für die schlimmste Inflation in der Geschichte des Landes mitverantwortlich. Harris verwies zum einen auf den Zusammenhang mit der damaligen Gefahr einer Rezession und der Notwendigkeit eines umfangreichen Konjunkturpakets. Andererseits räumte sie ein, dass die Preistreiberei der großen Lebensmittelkonzerne hätte kontrolliert werden müssen. Sie wolle die Unternehmen ins Visier nehmen, die sich nicht an die Regeln hielten, vor allem in den Branchen mit geringen Wettbewerbsstrukturen. Seit Mai 2023 seien die Lohnzuwächse stärker gestiegen als die Inflation und viele Wähler*innen seien daher nicht der Wucht der hohen Preise ausgesetzt worden.
Trump kritisierte zum anderen die amerikanische Notenbank Fed für die hohen Zinsen, mit denen diese die Inflation bekämpfte. Ob seine wirtschaftspolitische Agenda, die er in einer etwaigen zweiten Amtszeit verfolgen würde, geeignet wäre, nachhaltig niedrige Inflationsraten zu befördern, darf bezweifelt werden. Eher das Gegenteil könnte wegen seiner Absicht der Erhöhung der Außenhandelszölle der Fall sein, denn er will deutlich höhere Zölle durchsetzen – etwa generell 10% auf sämtliche Einfuhren in die USA oder 60% auf Importe aus China.
Zwar lässt sich kaum exakt vorhersagen, wie stark neue Zölle am Ende auf die Preise durchschlagen, weil ein Teil der Kosten auch von den ausländischen Lieferanten getragen werden könnte oder Wechselkurseffekte gegebenenfalls dämpfend einwirken. Ein Gutteil der Zölle dürfte aber in die Endkundenpreise überwälzt werden. Dies würde die Inflation dann direkt in die Höhe treiben.
In seiner Amtsperiode hatte Trump 2017 eine Steuerreform durchgesetzt. Im Kern handelte es sich dabei um durch Schulden finanzierte Steuersenkungen. Man kann wahrscheinlich davon ausgehen, dass er die Steuerkürzungen, die in weiten Teilen Ende 2025 auslaufen, im Falle eines Wiedereinzugs ins Weiße Haus – wiederum auf Pump – verlängern wird. Diese letztlich expansive fiskalpolitische Maßnahme dürfte die Konsum- und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen und so preissteigernd wirken, zumal die amerikanische Volkswirtschaft seit mehr als zwei Jahren eine sehr geringe Arbeitslosenquote von um die 4% hat und somit mehr oder weniger vollbeschäftigt ist.
Auch geplante Maßnahmen, die die Angebotsseite betreffen, dürften eher auf mehr statt weniger Inflation hinauslaufen – wie etwa die beabsichtigte starke Beschränkung der Migration in die USA. Sie würde das Potenzial an Erwerbspersonen verringern. Diese fehlten dann am Arbeitsmarkt, wo heute schon Arbeitskräftemangel und somit Lohndruck herrscht.
Im Sommer 2022 war die US-amerikanische Inflationsrate in der Spitze über 9% hoch. Seitdem ist sie auf unter 3% gefallen. Zwar könnte sich der Weg bis zum Erreichen der eigentlichen Zielmarke von 2% noch als holprig erweisen. Dass man unter einer erneuten Präsidentschaft Trumps (schneller) dahin käme, ist indessen fraglich – zumal ihm die Unabhängigkeit der Fed nicht besonders am Herzen liegt.
Die Fed will mit ihrer Entscheidung den weiteren Gang der Wirtschaft stabilisieren. Niedrigere Leitzinsen machen Kredite billiger und kurbeln damit die Konjunktur an. Denn günstigere Kredite fördern Konsum und Investitionen und schaffen somit Arbeitsplätze. Zuletzt erreichte die Arbeitslosenrate in den USA mit 4,2% den höchsten Stand seit drei Jahren. Dennoch fungiert entgegen der politischen Rhetorik Trumps die US-Wirtschaft wieder als Lokomotive des westlichen Lagers. »Die US-Wirtschaft ist in einem guten Zustand. Sie wächst in einem soliden Tempo. Die Inflation sinkt, der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Das wollen wir beibehalten«, betonte FED-Chef Powell.
Nach Einschätzung des Analysten der Landesbank Baden-Württemberg Elmar Völker gingen die US-Notenbanker »bei der wohlvorbereiteten Zinswende direkt in die Vollen. Die fortschreitende Abkühlung am Arbeitsmarkt, die inzwischen mindestens so stark gewichtet wird wie die noch immer erhöhte Inflation, dürfte hierfür den Ausschlag gegeben haben.« Auch Powell entgegnete auf die Frage, ob die Fed nun die hohe Inflation für besiegt erklären könne: »Nein, das tun wir nicht. [...] Wir sagen nicht ›Mission erfüllt‹ oder so etwas.«
Wirtschaft als zentrales Wahlkampfthema
Für viele US-Wähler*innen dürfte das ein gute Botschaft sein. Auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Harris erklärte, die Fed-Entscheidung sei »eine willkommene Nachricht für die Amerikaner, die die Hauptlast der hohen Preise zu tragen haben«.
Tatsächlich sind die Wirtschaft und die hohen Wohnraum- und Lebensmittelpreise die wichtigsten Themen im derzeitigen Wahlkampf, weshalb Trump immer wieder mit Nachdruck gefordert hat, die Zinsen nicht vor der Wahl zu senken. Er sagte gestern am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in New York, dass die Wirtschaft entweder sehr schlecht sein müsse oder die Notenbank »politische Spielchen« treibe.
Die Mehrzahl der Finanzmarktexperten sind sich hingegen einig: Die Zinsentscheidung sei unvermeidbar gewesen. So heißt es in einem Kommentar: »Was auch immer die Fed tut, ihr wird immer vorgeworfen, dass sie versucht, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Wenn sie zu wenig getan hätte, hätten die Demokraten gesagt, ihr haltet euch wegen der Wahl zurück.«
Angesprochen auf Trump, der schon während seiner Amtszeit immer wieder öffentlich Druck auf die Fed ausgeübt hatte, wies Fed-Chef Powell die Vorwürfe zurück und betonte, die US-Notenbank sei politisch unabhängig. Außerdem würden Länder mit unabhängigen Zentralbanken wie die USA oftmals eine niedrige Inflationsrate aufweisen. »Wir dienen keinem Politiker, keiner politische Figur oder Sache, gar nichts. Es geht nur um maximale Beschäftigung und Preisstabilität im Namen aller Amerikaner.«
Fed strebt Inflationsrate von 2% an
Die Prognose der Fed für die Teuerungsrate ist weiterhin an dem Ziel einer stabilen Wirtschaftsentwicklung orientiert: Sie soll im kommenden Jahr bei durchschnittlich 2,1% liegen. Und sie strebt auf mittlere Sicht eine Inflationsrate von 2% an. Recht hoffnungsvoll geben sich die Notenbanker*innen auch bei der Kerninflation – sie berücksichtigt Lebensmittel- und Energiepreise nicht und gibt den allgemeinen Preistrend nach Meinung von Fachleuten besser wieder als die Gesamtrate. Hier rechnet die Fed im kommenden Jahr mit durchschnittlich 2,2% (Juni: 2,3%).
Zugleich machte Powell in seinem Statement deutlich: »Die Notenbank wird die Inflation genau im Auge behalten, die zuletzt aufgrund der Energiepreisentwicklung deutlich gesunken ist, im großen Dienstleistungssektor der US-Wirtschaft aber keinesfalls auf dem Zielniveau der Notenbank liegt.« Denn der Bank sei bewusst, dass der der Kampf gegen die hohen Verbraucherpreise ein Balanceakt ist: Bei zu hohen Zinsen besteht die Gefahr einer Rezession. Werden die Zinsen zu früh gesenkt, könnte die Inflationsrate wieder ansteigen.
Der aktuelle US-Präsident Biden feierte wie Harris die Entscheidung der Notenbank, denn: »Wir haben gerade einen wichtigen Moment erreicht: Die Inflation und die Zinssätze sinken, während die Wirtschaft stark bleibt.« Die hohe Inflation hatte dessen Präsidentschaft überschattet – und die wirtschaftliche Lage ist für die Menschen im Land das Topthema bei der anstehenden Wahl.