6. Juli 2023 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung

Finanzpolitik der Zeitenwende

Mit dem beschlossenen Haushaltsentwurf reagiert die Bundesregierung entschlossen auf die Zeitenwende. Der Entwurf und die Finanzplanung stehen wie schon der Bundeshauhalt 2023 im Zeichen einer Rückkehr zur Schuldenbremse.

Mitten in der anhaltenden Polykrise – Sinkflug der Wirtschaftskonjunktur, Bedrohungen durch den Klimawandel, russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine und Transformation des deutschen Akkumulationstypus – vollzieht die Ampelkoalition einen rigorosen Bremskurs.

Mit dieser Kurswende soll der Wohlstand in der Berliner Republik nachhaltig gesichert werden. Nach drei Krisenjahren mit expansiver Finanzpolitik wegen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg kehrt die Ampelregierung auf den »haushaltspolitischen Normalpfad« zurück. Konkret bedeutet das: Finanzminister Lindner will die Vorgaben der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse wieder einhalten. Diese erlaubt dem Staat zwar die Aufnahme neuer Schulden, beschränkt sie aber auf maximal 0,35% der Wirtschaftskraft (BIP).

Für Bundesfinanzminister Christian Lindner wird damit der Krisenmodus expansiver Staatsfinanzen beendet. »Das ist nicht nur Vorgabe der Verfassung, sondern ein Gebot ökonomischer Klugheit, Ausdruck des Verantwortungsgefühls gegenüber kommenden Generationen und ein Signal über die deutschen Grenzen hinaus. Gleichzeitig stellt dieser Entwurf Weichen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wir investieren auf Rekordniveau und setzen klare Prioritäten – für die Stärkung von Wachstum und Wohlstand, mehr Sicherheit, bessere Bildung, nachhaltigen Klimaschutz und die Beschleunigung der Digitalisierung … Der Haushaltsentwurf 2024 ist in diesem Sinne für mich kein Abschluss, sondern Auftakt für weitere Anstrengungen. Neue strukturelle Ausgaben können nur noch realisiert werden, wenn es strukturell wirksame Gegenfinanzierungen gibt.«

Um die Vorgaben auch in den kommenden Jahren bis 2027 einhalten zu können, sieht der FDP-Politiker aber noch weiteres Sparpotenzial bei der Bundesregierung. Konkret beziffert sein Ministerium dieses auf 14,4 Mrd. Euro für die folgenden drei Jahre. Konkrete Sparvorhaben hat Lindner in seinem Haushaltsentwurf gleich mitgeliefert:

  • So soll der Zuschuss des Bundes an die Pflegeversicherung in Höhe von einer Mrd. Euro gestrichen werden.
  • Auch der Bundeszuschuss an die Rentenversicherung, der im laufenden Jahr bei 84,6 Mrd. Euro liegt, soll zusammengestrichen werden. Die Rentenversicherung hat ihrerseits bereits angekündigt, dass dieser Schritt zu steigenden Beitragssätzen führen könnte.
  • Einschnitte wird es auch beim Elterngeld geben, das künftig nur noch bis zu einem Jahreseinkommen von 150.000 Euro ausgezahlt werden soll (bislang: 300.000 Euro).
  • Auch die gesetzliche Krankenversicherung muss sparen: Der Zuschuss soll auf dem Niveau des laufenden Jahres eingefroren werden.

Priorität habe in den kommenden Jahren hingegen die Finanzierung der Aufgabenfelder Verteidigung, Digitalisierung und Klimaschutz, heißt es in Lindners Bericht. Und tatsächlich ist Verteidigungsminister Boris Pistorius auch das einzige Kabinettsmitglied, das im kommenden Jahr keine Einsparung vornehmen muss.

 

Abwälzung der Krisenlasten auf die unteren sozialen Schichten

Die größte Kürzung im Jahresvergleich gibt es im Gesundheitsetat mit minus 33,7% auf nur noch 16,2 Mrd. Euro. Sonderzuschüsse an die Krankenkassen fallen hier weg. Ab dem kommenden Jahr soll der Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung komplett entfallen. Der Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung soll auf dem bisherigen Niveau eingefroren werden. Den Zuschuss für die gesetzliche Rentenversicherung will Lindner absenken.

Auch beim Bafög soll gekürzt werden. Verglichen mit dem laufenden Jahr schrumpft der Etatposten für Studierende um 440 Mio. Euro auf 1,37 Mrd. Euro. Beim Schüler-BAföG ergeben sich Einbußen in Höhe von 212 Mio. Euro, womit nur noch 551 Mio. Euro übrig bleiben. Leistungskürzungen seien demnach nicht vorgesehen, Erhöhungen allerdings auch nicht drin.

 

Schuldenbremse als Zukunftsbremse

Die Schuldenbremse wird als Zukunftsbremse instrumentalisiert – so zu Recht der Tenor der Kommentare von DGB, IG-Metall und Sozialverbänden. Sie kritisieren die geplanten Einsparungen im Haushalt 2024 vor allem im Sozialbereich scharf. Für DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell ist ein Kürzungskurs grundsätzlich unnötig, tendenziell unsozial und wirtschaftspolitisch schädlich.

Die Regierung setze mit dem Haushalt ein falsches Signal. Kürzungen drückten direkt die Binnennachfrage und die Wirtschaftsleistung. »Das ist angesichts der aktuellen, prekären konjunkturellen Lage wirtschaftspolitisch kontraproduktiv. Die Ampel befördert den wirtschaftlichen Abwärtskurs. Statt Sanierung der öffentlichen Finanzen wären Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur und soziale Gerechtigkeit gefordert. Statt Instrumentalisierung der Schuldenbremse wäre ein Kurs zur Zurückdrängung der sozialen Ungleichheit angesagt, vor alle mit einer wirksamen Erbschafts- und Vermögenssteuer.«

Die VdK-Präsidentin Verena Bentele verweist auf die Gefahr der Vertiefung der sozialen Spaltung: »Ein starker Sozialstaat ist das Fundament unserer Gesellschaft, wir dürfen nicht zulassen, dass es zu bröckeln beginnt und zerbricht.« Sie forderte Nachbesserungen vor allem in den Bereichen der geplanten Kindergrundsicherung sowie bei den Zuschüssen für die Kranken- und Pflegeversicherung. »In Deutschland wachsen drei Millionen Kinder in Armut auf.«

Dass ausgerechnet auch bei Pflege oder Elterngeld gespart werden soll, sei »weder sinnvoll noch überlegt«, sagte der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. »Die Ampel hat sich selbst in diese Lage gebracht, weil sie Steuererhöhungen ausschließt und in einem von Krieg und Inflation geprägten Jahr die Schuldenbremse schon für 2023 wieder scharfgestellt hat – das hat die nach der Krise nötigen Spielräume genommen.«

 

Angebotspolitische Zeitenwende

Finanzminister Lindner vollzieht mit dem Haushaltsentwurf für 2024 die Rückkehr zur angebotspolitischen Zeitenwende. Der Bund muss in der nächsten Legislaturperiode – also nach dieser Ampelkoalition – beginnen, die in den Corona-Jahren angehäuften Sonderschulden abzustottern. Außerdem dürften die 100 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr bis 2027 vollständig ausgegeben sein. Anschließend wird es doppelt diffizil für den künftigen Bundesfinanzminister: Dann muss er – oder sie – pro Jahr gut 20 Mrd. Euro zusätzlich aus dem regulären Bundeshaushalt für den Wehretat herauswirtschaften, um das Zwei-Prozent-Nato-Ziel zu erreichen, und spätestens ab 2031 zusätzlich auch noch den 100-Mrd.-Euro-Kredit des Sondervermögens tilgen.

Das Bundesverteidigungsministerium betonte deshalb auch, dass die Mittel für die Landesverteidigung auf Dauer weiter steigen müssten. »Es ist klar, dass wir hier nicht stehen bleiben können«, sagte Minister Boris Pistorius zur Etaterhöhung um 1,7 Mrd. Euro für das Jahr 2024 auf dann 51,8 Mrd. Euro: »Die Bundeswehr muss weiterhin modernisiert und vernünftig ausgestattet werden.«

Getilgt sollen dann auch die über 100 Mrd. Euro Schulden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF. »Bereits die schon heute absehbaren Belastungen sind enorm«, warnt Bundesfinanzminister Lindner im Begleitschreiben für den Haushalt 2024 und die mittelfristige Finanzplanung.

Die konjunkturelle Ermattung und die strukturellen Wachstumsblockaden lassen die Hoffnungen auf ein schnelles Ende der Rezession schwinden. Deutschland könnte zur No-Growth-Area werden. Lindner verteidigt gleichwohl die massiven Ausgabenkürzungen: »Wir haben heute einen Haushaltsentwurf beschlossen, der die finanzpolitischen Realitäten anerkennt«, sagte der FDP-Politiker. Anders als in der Vergangenheit ließen sich unterschiedliche politische Vorstellungen nicht durch den Einsatz von immer mehr Geld überdecken. Lindner betonte, der Konsolidierungskurs müsse in den kommenden Jahren entschieden fortgesetzt und Freiheitsräume im Haushalt erst wieder geschaffen werden.

Die geplanten Änderungen und andere Sparvorhaben sind Teil eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes, das die Regierung bis Mitte August auf den Weg bringen will. Veränderungen sind also möglich. Über den gesamten Bundeshaushalt entscheidet der Bundestag erst zum Abschluss der Haushaltswoche am 1. Dezember. Bis dahin sind zahlreiche Änderungen im Etatentwurf zu erwarten, die auch die im Herbst anstehende neue Steuerschätzung und eine Anpassung der wirtschaftlichen Erwartungen berücksichtigen.

 

Ökonom*innen: »Mogelpackung« und »verpasste Chancen«

Zahlreiche führende Ökonom*innen sehen den Haushaltsentwurf der Bundesregierung sehr kritisch. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sprach von einer »verpassten Chance« und einer »Mogelpackung«. Die Schuldenbremse werde formal eingehalten, aber durch die Schattenhaushalte werde trotzdem mehr ausgegeben. Gleichzeitig fehlten die Investitionen und die soziale Ausgewogenheit.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm bemängelte unzureichende Ausgaben für Verteidigung, klimafreundliche Energien und vor allem im Bildungsbereich. »Gerade nach der Corona-Pandemie und angesichts des Fachkräftemangels, der auf Deutschland zukommt, passiert da bei weitem nicht genug.« Außerdem gehörten direkte und indirekte Subventionen für Kohle, Öl und Gas zugunsten von Investitionen in grüne Energien abgeschafft.

Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, kritisierte Kürzungen bei wachstumssteigernden Investitionen, etwa bei den Mitteln für die Digitalisierung. »Das ist am falschen Ende gespart.« Grundproblem sei der alleinige Fokus auf die Schuldenbremse. »Deshalb kommen Investitionsausgaben regelmäßig zu kurz. Eine Reform, die eine Schuldenfinanzierung von Nettoinvestitionen ermöglichen würde, könnte das beheben.«

Die vorgesehenen Schulden in Höhe von 16,6 Mrd. Euro hält Schnitzer für akzeptabel. Die Staatsverschuldung im vergangenen Jahr von unter 30.000 Euro pro Einwohner*in scheine beherrschbar. Andere Euro-Länder wie Italien, Frankreich und Griechenland hätten viel höhere Schuldenstandquoten.

Die Ampelkoalition hat mit diesem Kurswechsel ihren Anspruch auf eine Vernunftorientierung im 21. Jahrhundert aufgegeben. Die von Bundeskanzler Scholz versprochene Gesellschaft des Respekts droht auf der Strecke zu bleiben. Sozialdemokratie und Grüne haben sich der freidemokratischen Ideologie unterworfen. Finanzminister Lindner triumphiert im Augenblick: »Wir beenden nun den Krisenmodus expansiver Staatsfinanzen. Das ist nicht nur Vorgabe der Verfassung, sondern ein Gebot ökonomischer Klugheit, Ausdruck des Verantwortungsgefühls gegenüber kommenden Generationen und ein Signal über die deutschen Grenzen hinaus.« Die wirkliche Entwicklung wird diese fatale neoliberale Selbstgewissheit entlarven.

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