17. April 2019 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Finnland: Knapper Sieg der Sozialdemokraten, starke Rechtspopulisten

Antti Rinne von den Sozialdemokraten. Foto: Demarit/flickr.com (CC BY-ND 2.0)

Die Sozialdemokraten haben die Parlamentswahl in Finnland mit hauchdünnem Vorsprung gewonnen. Die Partei kam auf 40 der 200 Sitze im finnischen Parlament. Parteichef Rinne erklärte, seine Partei sei erstmals seit 1999 wieder die stärkste Kraft in Finnland geworden.

Bis Ende Mai wolle er eine Regierung bilden. Die Wahlbeteiligung lag bei 72%. 2015 hatte sie 70,1% betragen. Im Mittelpunkt des Wahlkampfs stand vor allem die gescheiterte Gesundheitspflege- und Sozialreform, der Klimawandel sowie der Umgang mit dem Nachbarn Russland.



Auf Platz zwei und drei landeten die rechtspopulistische Partei »Die Finnen« und die konservative Nationale Sammlungspartei mit 39 und 38 Mandaten. Der bisherige Ministerpräsident Juha Sipilä und seine liberale Zentrumspartei kamen mit kräftigen Verlusten und 31 Sitzen nur auf Rang vier. Sipilä räumte die politische Niederlag ein: »Das Zentrum ist der größte Verlierer dieser Wahl.

Dieses Ergebnis ist eine große Enttäuschung für uns«, sagte er bereits früh am Abend. Der Liberale wollte aber nicht sagen, ob seine Partei in die Opposition wechseln werde. Nach dem Scheitern der Gesundheitspflege- und Sozialreform Sote war das Kabinett von Sipilä Anfang März zurückgetreten. Der Wahltermin hatte zu dem Zeitpunkt aber schon lange festgestanden. Bei der Wahl vor vier Jahren waren Sipiläs Liberale mit 21,1% noch stärkste Kraft geworden, woraufhin sie eine Mitte-Rechts-Koalition mit den Konservativen und den Rechtspopulisten eingegangen waren.

Die vorläufigen 17,7% sind für die Sozialdemokraten dennoch ein Plus von 1,2 Prozentpunkten im Vergleich zur Parlamentswahl 2015. Sie haben zuletzt 1999 eine Parlamentswahl gewonnen und bis zum Jahr 2003 zum bislang letzten Mal den Ministerpräsidenten gestellt. Trotz der Zugewinne der Sozialdemokraten sowie der Grünen und Linken hätte ein linkes Regierungsbündnis keine Mehrheit. Rinne dürfte also auch auf eine der anderen großen Parteien zugehen, wahrscheinlich auf Sipiläs Zentrum. Ein Bündnis mit den Rechtspopulisten ist nicht ausgeschlossen, gilt aber als unwahrscheinlich. Denn die Sozialdemokraten hatten im Wahlkampf davon gesprochen, den Familiennachzug für Flüchtlinge erleichtern zu wollen.



Die Finnen-Partei hatte mit einem scharfen Kurs gegen Einwanderung Wahlkampf gemacht und erklärt, die Flüchtlingsaufnahme auf »beinahe null« reduzieren zu wollen. Ihr Vorsitzender, Halla-aho, sagte weiter, mit ihren 39 Parlamentssitzen könne die Partei künftig großen Einfluss auf die Einwanderungsdebatte ausüben – unabhängig davon, ob die Partei an der Regierung beteiligt sei oder nicht.

Ein weiteres Thema, mit dem die rechtspopulistische Partei offensichtlich punkten konnte, war die Klimapolitik. »Wir wollen nicht, dass die Köpfe unserer Schulkinder mit Klimahysterie und Geschlechtsverkehr verwirrt werden«, sagte Halla-aho im Wahlkampf, der die Klimadiskussion für eine Ursache des finnischen Geburtenrückgangs und für übertrieben hält. Eine Spitze gegen die anderen Parteien, vor allem gegen die Sozialdemokratie unter Antti Rinne, der fossile Brennstoffe abschaffen und rotes Fleisch hoch besteuern wolle. Aber auch gegen die Grünen, die aus Klimaschutzgründen die Holzindustrie mit strengen Auflagen für das Bäumefällen reglementieren wollten. Die Finnen hätten ein Recht auf Dinge wie Fleisch essen, Milch trinken und ein Auto fahren. Es würde den Planeten ohnehin nicht retten, würde man damit aufhören.

Das starke Abschneiden der Rechtspopulisten mit ihren 17,5% ist überraschend. Denn 2017 spalteten sich die Populisten auf: Die Partei »Blaue Zukunft« von Außenminister Timo Soini blieb in der Regierung, die Finnen-Partei um ihren neuen Vorsitzenden Jussi Halla-aho ging in die Opposition. Das erfolgreiche Abschneiden von »Die Finnen« (PS) ist auch mit Blick auf die Europawahl Ende Mai von Bedeutung, denn »Die Finnen« haben neben der deutschen AfD und der italienischen Lega zu den Parteien gehört, die im EU-Parlament eine neue Allianz der Rechtspopulisten[1] bilden wollen.


Neoliberale Sanierung

Der liberale-konservative Sipilä hat die politische Quittung für ein neoliberales Sanierungsprogramm der finnischen Wirtschaft erhalten. Auch künftig bleiben die Herausforderungen für die finnische Wirtschaftspolitik beträchtlich. Das Finanzministerium passte zwar Anfang April die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr von 1,5 auf 1,7% und für 2020 von 1,3 auf 1,4% an, aufgrund der Konsumnachfrage vor dem Hintergrund der verbesserten Beschäftigungsquote. Aber die neoliberal agierende Koalition unter Sipilä platzte kurz vor den Neuwahlen – politisch wegen der Spaltung der rechtspopulistischen Partei, sozialpolitisch wegen einer geplanten anspruchsvollen Strukturreform des Sozial- und Gesundheitswesens.


In einem Schlagabtausch im Wahlkampf warnte Sipilä den sozialdemokratischen Parteichef Antti Rinne, seinen möglichen Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, davor, der Versuchung höherer Besteuerung von Arbeit und Unternehmensgewinnen zu erliegen. Das würde Finnland zurück in eine Abwärtsspirale bringen. Wenn das Ziel sein solle, die Beschäftigungsquote auf 75% zu steigern, brauche es im Gegenteil weitere Deregulierungen. Eine Fortführung der neoliberalen Strukturmaßnahmen ist mit der deutlichen Niederlage der liberalen Zentrumspartei außerhalb der politischen Reichweite. Den Umbau des Sozial- und Gesundheitssystem wird eine neue Regierung anpacken müssen. Die Experten des Finanzministeriums verweisen auf eine »Nachhaltigkeits-Lücke« bei der Finanzierung des Wohlfahrtsstaats. Wegen der fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft müssten entweder Budgetkürzungen oder Steuererhöhungen vorgenommen werden, um das sich vergrößernde Loch zu stopfen. Der Handlungsspielraum der nächsten Regierung, wird kleiner sein, als es den Wahlsiegern lieb sein kann.

Nach den Wahlen von 2015 hatte also eine dezidiert wirtschaftsfreundliche Konstellation das politische Kommando übernommen. Eine Beschäftigungsquote von 72%, das war das Ziel, das Finnlands Ministerpräsident Juha Sipilä bei seinem Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren formulierte.

Als er in den Regierungspalast einzog, befand sich das nordische Land in einer anhaltenden Stagnation. Man laborierte an drei Problemen gleichzeitig: Erstens hatte Nokia, Finnlands wichtigstes wirtschaftliches Zugpferd der 2000er Jahre, die Smartphone-Revolution verschlafen, stürzte vom Thron des weltgrößten Handyherstellers und stieg bald ganz aus der Mobiltelefonfabrikation aus. Zweitens litt die Papier- und Zellstoffindustrie unter der Digitalisierung der Medienlandschaft und musste neue Geschäftsmodelle suchen – die sie beispielsweise schon bald bei Kartonprodukten, etwa für den E-Commerce, fand. Und drittens trafen die westlichen Sanktionen gegen Russland sowie russische Gegensanktionen den stark auf den Osteuropa-Export ausgerichteten finnischen Landwirtschaftssektor schwer. Alle drei Faktoren waren verantwortlich dafür, dass sich die Arbeitslosigkeit hartnäckig auf dem Niveau von rund 10% hielt.

Entsprechend umstritten waren die Reformvorhaben der neoliberalen Koalition in der breiteren Gesellschaft. Sipilä hatte mit seiner rechtskonservativen Regierung das Ziel gesetzt, bis zum Ende der Legislaturperiode die Beschäftigungsquote von unter 70% bei seinem Amtsantritt auf mindestens 72% anzuheben. Dazu rang er den Sozialpartnern einen »Effizienzpakt« ab, der von beiden Seiten Zugeständnisse erforderte – aus der Sicht der Gewerkschaften, aber unverhältnismäßig mehr von den Arbeitnehmer*innen. Arbeitslose müssen ferner ab dem Jahr 2018 aktive Stellensuche oder Teilnahme an Umschulungsprogrammen nachweisen können, wenn sie ihre Sozialleistungen nicht verlieren wollen.

International am meisten beachtet wurde der Pilotversuch zur Ausrichtung eines bedingungslosen Grundeinkommens an Arbeitslose. Übersehen wurde dabei von vielen ausländischen Kommentatoren, dass es sich nicht um ein sozialutopisches Projekt handelte, sondern um einen Versuch, die Administration des Sozialstaates zu vereinfachen und damit zu verbilligen. Im Inland wurde der Regierung vorgeworfen, das Projekt bloß auf Symbolpolitik ausgerichtet und bewusst schmal angelegt zu haben, damit bis zum Ende der Legislaturperiode ein erstes Resultat präsentiert werden könne. Nur sei dieses Resultat aber nicht aussagekräftig genug und habe es auch gar nicht sein können. Das Projekt wird denn auch eingestellt.

Das Beschäftigungsziel hat die Regierung Sipilä erreicht. Rechtzeitig zu Weihnachten 2018 vermeldete das Statistische Amt, dass die 72%-Grenze bei der Beschäftigungsquote überschritten worden sei. Geholfen hat dabei die weltwirtschaftliche Erholung. Nach der Ansicht von Kommentatoren ist die Schaffung von 140.000 neuen Arbeitsstellen in Finnland in den letzten vier Jahren zur einen Hälfte der globalen Konjunkturentwicklung zu verdanken, zur anderen den Arbeitsmarkt-Maßnahmen der Regierung. In jedem Fall wuchs die finnische Wirtschaft in den Jahren 2016 bis 2018 ansprechend, wenn auch nicht rasant mit Zuwachsraten zwischen 2% und 3%.


Wählerwanderung

Ein Teil der Wähler*innen sind 2019 zur Sozialdemokraten (SDP) zurückgekehrt, weil sie von der Regierungspolitik der PS (»Die Finnen«) (2015-2017) enttäuscht sind, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsmarkt und die Gewerkschaften. Die SDP steht wie keine andere Partei dafür, genau die Rechte der Arbeitnehmer*innen zu schützen. Auf der anderen Seite scheinen auch Lohnabhängige nachhaltig das rot-grüne Image der Sozialdemokraten satt zu haben – Klima, Umwelt, Ernährung, Verkehr usw. –, weshalb sie sich für die Partei »DIE Finnen« entscheiden.

2017 haben sich »Die Finnen« gespalten, was zu einem politischen Ende der neoliberalen Koalitionsregierung geführt hat. Flügelkämpfe innerhalb der eigenen Fraktion machten es der Partei für lange Zeit sehr schwer: Ein Teil wollte vor allem die Traditionen der Vorgängerpartei, der »Finnischen Bauernpartei« (SMP), hochhalten – mit ihrem antielitären Erbe und ihrer Haltung, den »kleinen Mann« zu beschützen. Ein anderer Teil hingegen konzentrierte sich auf Fragen der Migration und nahm scharfe Positionen gegen Zuwanderer ein. Am Ende wurde dieser zweite Flügel zu stark für den langjährigen Parteivorsitzenden Timo Soini (1995-2017) und er trat zurück. Ihm folgte im Juni 2017 Jussi Halla-aho, der Teil der Anti-Zuwanderer-Fraktion ist, als neuer Parteivorsitzender. Daran zerbrach die Partei. Diejenigen, die Soini – und oft auch dem SMP-Erbe – gegenüber loyal waren, gründeten eine neue Partei namens die »Blaue Zukunft«. Sie schafften es, in der Regierung zu bleiben und »Die Finnen« auf die Oppositionsbank zu verweisen. Die Partei »Blaue Zukunft« hat schlecht abgeschnitten und keinen Sitz mehr im neuen Parlament.


[1] Vgl. dazu: Redaktion Sozialismus, Salvini und rechte »Europäische Allianz der Völker und Nationen«, Sozialismus.deAktuell 15.4.2019.

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