30. Juni 2019 Joachim Bischoff: Der G20-Gipfel in Osaka

Fortschritte zu sicherer und fairer Weltordnung?

Die USA haben China in einen erbitterten Wirtschaftskonflikt hineingezogen, Verhandlungen über eine Vereinbarung platzten. Ob trotzdem ein tragbarer Kompromiss gefunden werden kann, sollte nun auf dem G 20-Gipfel in Osaka ermittelt werden. Die Staats- und Regierungschefs der Top-Wirtschaftsmächte trafen sich am 28. und 29. Juni in der japanischen Hafenstadt.

Sie wollten neben der Lage der Weltwirtschaft und den Handelskonflikten zudem über den Klimawandel, Vermeidung von Plastikmüll, Digitalisierungsstrategien beraten. Auch wenn der Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China (daneben wirft US-Präsident Donald Trump u.a. der EU, Indien und Mexiko vor, sie würden die Vereinigten Staaten seit Jahren ausnutzen) der folgenreichste Verhandlungspunkt war, sollten vier große Themenblöcke behandelt werden: die Regelung der digitalen Wirtschaft und der künstlichen Intelligenz, Frauenerwerbstätigkeit und alternde Gesellschaft, Umwelt- und Klimafragen, in denen die USA allein gegen alle anderen stehen.

Wichtiger als die Treffen im großen Kreis waren die zahlreichen Einzelgespräche, deren Agenda der US-Präsident Trump geprägt hat. EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisierte diesen Hang zu nationalen Alleingängen scharf: »Die globale Bühne darf keine Arena werden, in der die Stärkeren den Schwächeren ihre Bedingungen diktieren, in der Egoismus über Solidarität und nationalistische Gefühle über gesunden Menschenverstand dominieren.« Alle Gipfelteilnehmer müssten verstehen, dass sie nicht nur die Verantwortung für die eigenen Interessen, sondern auch für Frieden sowie für eine sichere und faire Weltordnung trügen.

Der russische Präsident Wladimir Putin steht mit seinen Angriffen auf die multilaterale, liberale Weltordnung dem US-Präsidenten in nichts nach. Für ihn sind die liberalen Werte der westlichen Demokratien überholt und er kritisierte die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. »Die liberale Idee setzt voraus, dass nichts getan werden muss. Die Migranten können ungestraft töten, plündern, vergewaltigen, weil ja ihre Rechte als Flüchtlinge zu schützen sind. Welche Rechte sind das? Jedes Verbrechen muss bestraft werden«, äußerte Putin in einem Interview mit der »Financial Times«.

Seit der Präsidentschaft von Donald Trump befindet sich die Nachkriegsweltordnung in offener Auflösung. In Osaka sorgte Trumps Andeutung für Wirbel , er könne den Verteidigungspakt mit dem Verbündeten Japan lockern oder aufkündigen, sollte das Land nicht einen höheren Beitrag für die Stationierungskosten der USA leisten oder die Zölle für amerikanische Waren senken. Neben China, Indien, Mexiko und der EU nimmt er nun auch Japan ins Visier. Trump hat den japanischen Premier Abe mit der Drohung an den Verhandlungstisch gezwungen, auf Autoimporte aus Japan 25% Einfuhrzoll zu erheben.

In seiner bereits vom Wahlkampf geprägten Handelspolitik – das Thema »Ende der Ausnutzung der USA« bildete den roten Faden seiner Interventionen auf dem gesamten G20-Treffen – hat er jetzt den wichtigsten Verbündeten der USA in Asien auf die Liste der handelspolitischen Schurkenstaaten gesetzt, die die USA vermeintlich mit hohen Handelsbilanzüberschüssen ausnehmen und mit Währungsmanipulationen attackieren. Trump greift das Land an, weil der Überschuss von fast 70 Mrd. $ im Handel endlich aufgelöst werden soll.

Als erstes Zeichen seiner Ungeduld hatte er bereits im vergangenen Jahr aus Japan importierten Stahl und Aluminium mit einem Strafzoll belegt. Inzwischen sei die Schonzeit allerdings vorbei. »Der Präsident hätte es bevorzugt, wenn die Sache schon voriges Jahr erledigt worden wäre«, sagte der US-Botschafter in Tokio, William Hagerty, der »Japan Times«. In Trumps Augen liege man schon weit hinter dem Plan zurück.

Die japanischen Auto-Unternehmen sind empört über die Einstufung ihrer Exporte als Sicherheitsrisiko. Immerhin haben sie seit dem Handelskrieg in den 1980er Jahren fast 50 Mrd. $ in US-Fabriken investiert und 2017 rund 3,8 Mio. Fahrzeuge in den USA hergestellt. Nach einer diese Woche veröffentlichten Analyse des amerikanischen Online-Fachdienstes Cars.com produzieren Honda und Toyota sogar neun der fünfzehn »amerikanischsten« Autos. Allein Honda stellt sieben Modelle in den USA her, so sehr hat der Konzern seine gesamte Lieferkette amerikanisiert.

Trump will höhere Zahlungen der Japaner erzwingen. Seine Angriffe werden auch als Versuch interpretiert, die Japaner gefügiger im Handelsstreit zu machen. Premier Shinzo Abe erklärte demgegenüber, welch großen Beitrag die Japan AG für den Arbeitsmarkt und Exporte aus den USA leisten würden. Seit Trumps Amtsantritt hätten die japanischen Unternehmen 24 Mrd. $ investiert und 47 000 neue Jobs geschaffen.


»Keep America great!« und der Konflikt mit China

US-Präsident Trump hat mit seinen protektionistischen Maßnahmen eine Spirale ausgelöst. Selbst prinzipiell freihändlerisch eingestellte Länder sind größeren politischen Risiken ausgesetzt und suchen aus defensiven Gründen Zuflucht zu höheren Zollschranken. Die konfrontative Haltung gegenüber China basiert auf einer weit verbreiteten Stimmung, das Land würde den USA mit hohen Handelsdefiziten, mangelndem Marktzugang für US-Unternehmen und Diebstahl geistigen Eigentums oder zwangsweisen Technologietransfer schaden. Daher haben die USA schon die Hälfte aller Importe aus China mit Sonderzöllen belegt, worauf Peking mit Gegenzöllen reagiert hat.

Trump droht bei Nichteinigung auf dem Gipfel damit, die Strafmaßnahmen auf alle China-Einfuhren im Wert von 500 Milliarden US-Dollar auszuweiten. Er hatte zuvor den Streit verschärft, indem er im Mai den chinesischen Telekomriesen Huawei auf eine schwarze Liste von Unternehmen gesetzt wurde, deren Geschäftsbeziehungen zu US-Partnern strengen Kontrollen unterliegen. Danach haben viele internationale Unternehmen ihre Kooperation vorerst unterbrechen oder auf den Prüfstand stellen müssen.

Faktisch ist diese Kampfansage mit einer Zerstörung von globalen Wertschöpfungsketten verbunden. Der US-Präsident hat einen solchen Bann auch gegen fünf andere chinesische Hightech-Unternehmen und Institute sowie deren Töchter ausgeweitet, die an Supercomputern arbeiten. Damit soll der Zugang zu US-Spitzentechnologie verhindert werden.

Die Effekte der Strafzollpolitik der USA sind umstritten: Das Washingtoner Peterson-Institut für Internationale Wirtschaft argumentiert in einer Studie, dass die USA keineswegs die angestrebte Zielsetzung erreicht. Der Untersuchung zufolge haben sich die chinesischen Zölle auf Importe aus den USA seit Anfang 2018 von durchschnittlich 8% auf jetzt 20,7% erhöht. Zudem sank der Durchschnittssatz für Lieferungen aus anderen Ländern auf 6,7%. China hat damit begonnen, die zugesagte Reduktion ihrer Zollbarrieren umzusetzen. Während amerikanische Unternehmen unter dem von Trump ausgelösten Handelskonflikt benachteiligt sind, habe sich »für alle anderen der Zugang zu Chinas 1,4 Milliarden Verbrauchern verbessert«.

Letztlich zielt die Regierung von Präsident Trump darauf ab, die Vereinigten Staaten als Produktionsstandort aufzuwerten. Unter anderem mithilfe von Zöllen sollen Unternehmen dazu gezwungen werden, wieder in den USA zu produzieren. Durch die Zölle und weitere Handelsbarrieren werden internationale Wertschöpfungsketten massiv gestört, die auf möglichst offene Grenzen angewiesen sind. So kann das Design eines Smartphones in den Vereinigten Staaten erfolgen, einige Komponenten dafür stammen aus Südkorea, und zusammengebaut wird es in China.

In der Regel werden diese Wertschöpfungsketten durch multinationale Unternehmen (Multinational Enterprises – MNEs) gesteuert. Diese kontrollieren die Produktions- und Handelsstruktur, bestimmen die Arbeitsteilung und die Zielmärkte und setzen die Prozess- und Produktstandards, die Teilnehmer erfüllen müssen. Hauptmotive für den Aufbau von globalen Wertschöpfungsketten sind dabei die Senkung von Kosten und Risiken, wobei sich MNEs zunehmend auf Kernaktivitäten wie etwa Forschung & Entwicklung, Design und Marketing konzentrieren.

Die Fertigung bzw. der Zusammenbau der Produkte wird vorrangig in Länder mit kostengünstigen Produktionsbedingungen (z.B. niedrigen Arbeitskosten) ausgelagert, anfangs durch direkte Beteiligung an ausländischen Unternehmen oder eigene Auslandsniederlassungen; mittlerweile geschieht dies zunehmend durch Outsourcing. So werden MNEs immer mehr von Produzenten zu Koordinatoren und Entscheidungsträgern in weltweiten Wertschöpfungsketten.

Schon vor den Attacken der Trump-Administration lässt sich eine Zunahme von Maßnahmen feststellen, die ausländische Investitionen einschränken sollen. Manche Industrieländer sind gegenüber Übernahmen aus dem Ausland kritischer eingestellt als früher. Häufig wird das Argument der nationalen Sicherheit angeführt, vor allem gegenüber chinesischen Firmen; auch sind vermehrt Bemühungen auszumachen, ausländischen Besitz von Land oder Rohstoffvorkommen einzuschränken.

Die Regierung in China macht sich keine Illusionen über den grundsätzlichen Charakter der Auseinandersetzung. So fordert der Vize-Ministerpräsident Liu He, der auch Chef-Unterhändler bei den Handelsgesprächen zwischen China und den USA ist, die Regulierungsbehörden zur Unterstützung der Wirtschaft auf, das Land sei dazu imstande, mit verschiedenen Herausforderungen fertig zu werden. »Derzeit gibt es einigen Druck von außen. Aber dieser externe Druck wird uns helfen, mehr Unabhängigkeit bei Innovationen zu erlangen und das Tempo unserer Hochgeschwindigkeits-Entwicklung zu beschleunigen.«

Die Pekinger Führung peilt für 2019 ein Wirtschaftswachstum von 6-6,5% an. Damit bliebe die Volksrepublik unter der Rate von 6,6% von 2018 zurück, der niedrigsten seit fast 30 Jahren. Trotz einer Reihe von Konjunkturmaßnahmen kommt die erfolgsverwöhnte Wirtschaft nur mühsam wieder in den gewohnten Tritt. Einige Experten sehen zudem die Chancen auf eine Einigung im Handelsstreit mit den USA schwinden. Das chinesische Handelsministerium erklärt, China werde sich einer US-Politik des maximalen Drucks nicht beugen.

Die von Präsident Donald Trump in den USA durchgesetzte Steuerreform soll Investitionen im Inland befördern. Zugleich haben die Strafzölle und die schwarzen Listen für chinesische Unternehmen das Ziel, andere Länder für US-Exporte »zu öffnen«. Die Verhandlungen waren vor zwei Monaten festgefahren, weil die USA beklagten, dass China hinter vorher gemachte Zusagen zu geplanten Wirtschaftsreformen zurückgefallen sei.

Auf dem G20-Gipfel haben sich die Regierungen der USA und China auf einen Burgfrieden in ihrem Handelskrieg und die Wiederaufnahme von Verhandlung geeinigt. Die USA haben zugesagt, keine neuen Strafzölle auf Importe aus China zu erheben, das chinesische Außenministerium teilte mit, dass die Details nun diskutiert werden sollen und es auf eine faire Behandlung chinesischer Firmen hofft.

Schon im Vorgriff auf ein Verhandlungsergebnis erhält China eine Liste mit Agrarprodukten, die die Agrarexporte der USA ausweiten sollen. China sei bereit, fast sofort für viele Milliarden Dollar zusätzliche US-Landwirtschaftsprodukte zu kaufen. Dafür will Trump dem chinesischen Smartphone-Hersteller Huawei entgegenkommen, was zwar erst am Ende der Handelsgespräche diskutiert werden solle, aber »Wir werden weiter Produkte an Huawei verkaufen.« Der chinesische Präsident Xi Jinping hatte warnte vor den Folgen einer Eskalation gewarnt: »China und die USA profitieren beide von Kooperation und verlieren bei einer Konfrontation… Kooperation und Dialog sind besser als Spannungen und Konfrontation.« Einen neuen Zeitrahmen für die Gespräche nannten die beiden Präsidenten nicht.

Die Wiederaufnahme der Verhandlungen wird Investoren und Märkte weltweit vorerst beruhigen. Das Treffen in Osaka erinnert zugleich an die Begegnung der beiden Präsidenten vor sieben Monaten ebenfalls am Rande eines G20-Gipfels. Auch in Buenos Aires hatten sie sich auf einen »Waffenstillstand« über drei Monate geeinigt und die Handelsgespräche wieder auf den Weg gebracht. Die Frist wurde später verlängert.

Insofern gehen Experten von weiterhin zähen Verhandlungen aus, so dass eine Beilegung des Handelskrieges noch in weiter Ferne liegen könnte. Denn die Aussichten auf einen Kompromiss sind nicht überzeugend, weil sich die Auseinandersetzung letztlich um die Hegemonialrolle auf dem Weltmarkt dreht. Der US-Handelsminister Wilbur Ross hatte schon vor Osaka klargestellt: Der G20-Gipfel in Japan Osaka könne die Verhandlungen beider Seiten vorantreiben, eine finale Einigung sei aber nicht zu erwarten.

Die Hoffnung, den US-Präsidenten Trump komplett von seinen Handelskriegen abzubringen, war von Beginn an illusionär, denn dieser befindet sich bereits im Wahlkampfmodus um ein »Keep America great!« Auch bei den erwähnten Konflikten mit anderen Ländern will er wesentliche Änderungen erreichen. Gegenüber G20-Gastgeber Abe betonte er erneut, dass die Japaner für zig Milliarden Dollar Autos in die USA exportierten, »während wir nur Weizen verkaufen«.

Die anderen Kontrahenten hätten mit einem Bekenntnis zu großen Freihandelsabkommen unterstreichen können, dass es eine Alternative zur Zerstörung der Nachkriegsordnung gibt. Eine solche Operation ist die in Osaka präsentierte Einigung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Südamerika. Die EU und der Mercosur-Bund setzten mit der Grundsatzeinigung ein Signal für multilaterale Handelsverträge, deren Wert von den Vereinigten Staaten unter Trump angezweifelt werden. Auch in turbulenten Zeiten sei offener, fairer und nachhaltiger Handel möglich, bewertete der scheidende Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker das Abkommen.

Ansonsten geben sich alle G20-Teilnehmer mit dem Burgfrieden zufrieden und setzen auf das Prinzip Vernunft und Hoffnung.

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