29. Juni 2023 Bernhard Sander: Zu Thesen einer »Dinglichkeit des Klimaschutzes«

Französische Transformationspläne

Jean Pisani-Ferry und Selma Mafouz

Staatspräsident Macron sieht sich immer noch als Schöpfer eines neuen Landes, auch wenn der Pöbel (»La Foule«) ihm sich immer wieder in den Weg stellt. Das hat vorwiegend damit zu tun, dass er sich von Beginn an hauptsächlich auf die Reform der Sozialverfassung, den Spielraum der Gewerkschaften und Verteilungsfragen konzentriert hat.

Doch nach der Bewältigung der Großen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008-2010 stehen alle entwickelten Metropolen durch Pandemie, Krieg und Inflation (in Frankreich unter dem europäischen Durchschnitt) und vor allem durch die Klimakatastrophe vor enormen Herausforderungen.

Mit einem gewaltigen Volumen an staatlicher Förderung, administrativen Handelshemmnissen usw. versuchen die USA, den seit vielen Jahren sich entwickelnden Produktivitätsrückstand, die teure Verschwendung von Ressourcen (vor allem im Primärenergieverbrauch) und schwindende Weltmarktanteile zu kompensieren. Gleichzeitig unternimmt die VR China Anstrengungen, sich nicht nur als Werkbank der Welt (insbesondere US-amerikanischer IT-Hardware), sondern mit eigenen Technologie-Lösungen (E-Auto, Solaranlagen) in den Weltmärkten durchzusetzen. Macron möchte demgegenüber Europa und die EU als dritten Player etablieren. In diesem Kontext ordnet sich das Programm zur Erneuerung der französischen Streitkräfte mit einem Volumen von 413 Mrd. Euro ein.

Doch eine Erneuerung der produktiven Basis Frankreichs bedeutet Macrons Umverteilungskrieg in keiner Weise, auch werden damit nicht die notwendigen Ressourcen für eine Transformation freigesetzt, die auch die Bildungssysteme, das Transportwesen und andere Infrastrukturen einschließen müsste.

Zwar hatte Macron mit einem Investitionsprogramm die durch die Pandemie bedingte Konjunktur-Vollbremsung abgefedert und die Wirtschaft wieder beschleunigen können. Das Wachstum des BIP dümpelt aber seit Jahren knapp über der 0%-Linie, auch wenn die offizielle Arbeitslosenquote seit Hollandes Zeiten 2015 sinkt, und die Inflation lange nicht so hoch ist wie in Deutschland. Die zur Wiederbelebung eingesetzten Mittel sollten eine technologische und umwelttechnologische Erneuerung einleiten, doch reichen sie dafür weder im Volumen aus, noch entsprechen sie den Herausforderungen der heraufziehenden Klimakatastrophe.

Macrons Initiative, mit einem mehrere Punkte umfassenden Programm den Anschein zu erwecken, die Rentenreform sei Teil eines weiterreichenden und mit den von ihm nach den Gelbwestenprotesten neugeschaffenen Beiräten und Konsultationsgremien abgestimmten Erneuerungsprogramms, wurde im politischen Raum nicht weiter ernst genommen. Das galt auch schon für sein Wiederaufbau-Programm nach dem durch die Corona-Pandemie bedingten Wirtschaftseinbruch.[1]

Wesentlich ernster zu nehmen ist die bereits vor den Rentenprotesten angestoßene Initiative der Premierministerin, »die makroökonomischen Auswirkungen des ökologischen Wandels« zu bewerten, damit die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, »so fundiert wie möglich« sind.[2]

In der Kurzfassung sind alle Maßnahmen um die Kapitel »Dringlichkeit, Handlungsnotwendigkeiten der nächsten zehn Jahre, soziale Fairness und Finanzierungsmöglichkeiten« zentriert. Wir dokumentieren im Folgenden die Thesen und Forderungen von Jean Pisani-Ferry und Selma Mafouz.

»Dringlichkeit des Klimaschutzes

1. Klimaneutralität ist erreichbar. Um sie zu erreichen, bedarf es einer umfassenden Transformation, die mit den industriellen Revolutionen der Vergangenheit vergleichbar ist. Vor diesem Hintergrund wird dieser Wandel jedoch global und schneller vonstattengehen und in erster Linie von der öffentlichen Politik und nicht von technologischen Innovationen und Märkten vorangetrieben werden.

2. Diese Transformation beruht auf drei ökonomischen Mechanismen:
a. Neuausrichtung des technischen Fortschritts hin zu grünen Technologien,
b. Verzicht bzw. sparsamer Umgang (definiert als die Verringerung des Energieverbrauchs, die sich nicht aus Energieeffizienzsteigerungen ergibt) und
c. Kapitalsubstitution für fossile Brennstoffe.

3. Wir sind nicht dauerhaft dazu verdammt, uns zwischen Wachstum und Klima zu entscheiden. Langfristig kann die Neuausrichtung des technologischen Fortschritts zu einem stärkeren grünen Wachstum führen, als es braunes Wachstum war oder gewesen wäre. Die sinkenden Kosten für erneuerbare Energien sind ein Indiz dafür, dass weiteres Wachstum möglich ist.

Das Jahrzehnt aller Schwierigkeiten

4. Um unsere Ziele für 2030 zu erreichen und damit die Klimaneutralität im Jahr 2050 anzustreben, müssen wir in zehn Jahren das tun, wofür wir in dreißig Jahren gekämpft haben. Die Beschleunigung ist brutal, alle Sektoren werden ihren Teil dazu beitragen müssen. Um sich selbst zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu zwingen, sollten sich die Europäische Union und Frankreich die Einhaltung von Sparten-Kohlenstoffbudgets anordnen, nicht nur die Global-Ziele für 2030 und 2050.

5. Bis 2030 wird die Transformation hauptsächlich auf der Substitution fossiler Brennstoffe durch Kapital basieren: Sparsamer Umgang wird zur Verringerung der Emissionen beitragen, um etwa 15% bis 20%. Sparsamer Umgang ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit De-Growth und kann auch eine Quelle des Wohlbefindens sein.

6. In den nächsten zehn Jahren wird die Dekarbonisierung zusätzliche Großinvestitionen erfordern (mehr als zwei Prozentpunkte des BIP im Jahr 2030 im Vergleich zu einem Szenario ohne Klimaschutz). Trotz jüngster Fortschritte sind wir noch nicht auf dem Weg zur Klimaneutralität. (BIP 2022 etwa 2,784 Milliarden Euro)[3]

7. Bis 2030 dürfte die Finanzierung dieser Investitionen, die das Wachstumspotenzial nicht erhöhen, wirtschaftliche und soziale Kosten verursachen. Da die Investitionen auf die Einsparung fossiler Brennstoffe und nicht auf die Effizienz oder den Ausbau der Produktionskapazitäten ausgerichtet sind, wird der Übergang vorübergehend eine Produktivitätsverlangsamung von etwa einem Viertelprozentpunkt pro Jahr ausgleichen und mit Umschichtungen auf dem Arbeitsmarkt verbunden sein.

8. Im weiteren Sinne wird der Übergang mit Kosten für den Wohlstand und das Wohlergehen verbunden sein, die von den üblichen Indikatoren (BIP) nur unzureichend gemessen werden. Regulierungen sind nicht schmerzloser als die Bepreisung von Kohlenstoff.

9. Um die Auswirkungen des Übergangs zu verstehen, müssen verschiedene Analyseebenen formuliert werden: technische, mikroökonomische auf der Ebene der betroffenen Teilsektoren, manchmal lokale, oder makroökonomische, um die Gesamtabläufe zu verstehen, und internationale angesichts der Herausforderungen der Wettbewerbsfähigkeit und der Koordinierung. Es sind weitere Investitionen erforderlich, um die Instrumente zur Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen in all diesen Dimensionen zu verbessern.

Ein Gebot der Fairness

10. Der Übergang ist spontan ungleich. Selbst für die Mittelschicht erfordern die Renovierung der Wohnung und der Wechsel des Heizsystems einerseits sowie die Anschaffung eines Elektrofahrzeugs anstelle eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor andererseits eine Investition in der Größenordnung eines Jahreseinkommens. Selbst wenn die Investition rentabel ist, ist sie nicht unbedingt ohne öffentliche Unterstützung finanzierbar. Die wirtschaftlichen Kosten des Übergangs werden nur dann politisch und gesellschaftlich akzeptiert, wenn sie gerecht verteilt werden.

11. Um die Haushalte und Unternehmen zu unterstützen, werden die öffentlichen Finanzen einen erheblichen Beitrag leisten müssen. Unter Berücksichtigung der neuen Ausgaben und des vorübergehenden Rückgangs der Einnahmen aufgrund der Wachstumsabschwächung liegt das Risiko für die Staatsverschuldung bei 10 Prozentpunkten des BIP im Jahr 2030, 15 Prozentpunkten im Jahr 2035 und 25 Prozentpunkten im Jahr 2040, wobei davon ausgegangen wird, dass der Rückgang der Energieeinnahmen ausgeglichen wird.

Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen

12. Es hat keinen Sinn, die Anstrengungen im Namen der Deckelung der Staatsverschuldung zu verzögern. Sofern man nicht auf die Technologie setzt, würde dies die Kosten für die öffentlichen Finanzen und die Anstrengungen, die in den Folgejahren zur Erreichung unserer Klimaziele erforderlich sind, nur erhöhen. Die Staatsverschuldung ist nicht das erste Instrument zur Finanzierung des Übergangs. Die Möglichkeit, sie zu nutzen, übermäßig einzuschränken, könnte die Aufgabe der öffentlichen Entscheidungsträger jedoch noch schwieriger machen.

13. Um den Übergang zu finanzieren, ist neben der notwendigen Umschichtung von Ausgaben, insbesondere von Haushalts- oder braunen Steuerausgaben, und zusätzlich zur Verschuldung wahrscheinlich eine Erhöhung der obligatorischen Abgaben erforderlich. Diese könnte insbesondere die Form einer außerordentlichen, explizit zeitlich begrenzten und ex ante nach den erwarteten Kosten des Übergangs für die öffentlichen Finanzen kalibrierten Abgabe annehmen, die auf das Finanzvermögen der wohlhabendsten Haushalte erhoben werden könnte.[4]

14. Für die nächsten zehn Jahre schafft der Übergang das Risiko einer inflationären Konfiguration. In einem Umfeld, in dem die Messung der Inflation unklar ist, müssen die Zentralbanken ihre Doktrin präzisieren und ihre Reaktion auf den Preisdruck, den der Übergang mit sich bringen wird, erläutern. Sie müssen die Geldpolitik zumindest mit Fingerspitzengefühl betreiben und wahrscheinlich sogar ihr Inflationsziel vorübergehend anheben.
Europa verfügt über Instrumente, um sein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit anzugehen, aber diese sind möglicherweise nicht ausreichend.

15. Der Inflation Reduction Act der USA ist ein Beispiel dafür, dass die Konvergenz der Klimaschutzziele nicht mit der Konvergenz der Strategien einhergeht. Die Heterogenität der Klimapolitik wird auch in Zukunft bestehen bleiben.

16. Die Europäische Union steht vor einem ernsten Problem der Wettbewerbsfähigkeit. Sie leidet unter einem hohen Energiepreis, der Carbon Border Adjustment Mechanism (MACF) ist ein unvollkommenes Instrument, das die Verlagerung von Kohlenstoffemissionen begrenzt aber das Problem der Wettbewerbsfähigkeit nicht grundlegend angeht, …. Die Europäische Union kann nicht gleichzeitig Verfechterin des Klimas, Verfechterin des Multilateralismus und Verfechterin der Haushaltstugend sein.

17. Das Verhältnis zwischen der europäischen und der nationalen Politik muss überdacht werden. Heute legt die Union die Ziele fest, überlässt aber die entsprechenden politischen und finanziellen Kosten den Mitgliedstaaten und verlässt sich auf eine indikative Koordinierung, deren Wirksamkeit ungewiss ist. Europa kann es sich nicht leisten, eine große Klimastrategie vorzulegen und gleichzeitig unklar über ihre effektive Umsetzung zu bleiben. Es ist wichtig, dass sie eine neue Klima-Governance definiert und umsetzt, die ihren Ambitionen entspricht.

18. Der richtige Weg, den Übergang zu steuern, muss auf einem Gleichgewicht zwischen Subventionen, Regulierung und Kohlenstoffbepreisung beruhen. Besser als die USA oder China kombinieren Europa und Frankreich die drei Instrumente. Trotz der politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten dürfen wir das Preissignal nicht aufgeben, das es ermöglicht, Entscheidungen dezentral zu steuern.«

Der Bericht fand kein positives Echo. Aus Kreisen der Macron nahestehenden Parlamentsfraktionen und den Republikanern sind ablehnende Stimmen zu hören: Eine Erhöhung der Staatsverschuldung sei nicht zu machen und die zeitlich befristete Sondersteuer für die Höchstverdiener*innen wird entschieden abgelehnt.

Bei ihrer Ablehnung des Vorschlags behauptete Regierungschefin Elisabeth Borne, sie wolle »unsere Ressourcen, unsere Finanzierung, zugunsten des ökologischen Übergangs neu ausrichten«. Sie behauptet, sie habe »jeden Minister gebeten, in seinen Haushalt zu schauen, um 5% herauszufiltern, die genau zugunsten des ökologischen Übergangs umgeschichtet werden können«. In Wirklichkeit sind die Einschränkungen wohl Teil des an Brüssel übermittelten Plans zur Senkung der öffentlichen Ausgaben und kein Beitrag zur ökologischen Wende.

Aber auch der Staatspräsident schweigt, nachdem er vier führende Ökonom*innen zum Mittagessen empfangen hat, darunter die beiden Autor*innen der Studie, Jean Pisani-Ferry und Selma Mahfouz von der französischen Finanzaufsichtsbehörde (Inspection Générale des Finances). Er beteuert unentwegt, dass Borne Regierungschefin bleibe.


Reaktion von Links – bisher Fehlanzeige

Von der Linken sind bisher solche umfassenden Ansätze, außer in Forderungskatalogen zum Stopp des Klimawandels, nicht geliefert worden. In einer ersten Reaktion hat Bernard Marx, der Ökonomie-Kolumnist der links-unabhängigen Zeitschrift »Regards« folgende Kritikpunkte veröffentlicht.[5]

Er kritisiert dabei zuerst einmal die »Potemkinsche Politik« der Macronie. Fast zur gleichen Zeit wie der Übergabe des Pisani-Berichts habe es unter dem Stichwort ökologischer Umbau eine Reihe von Regierungsaktivitäten gegeben:

  • die Operation »ökologische Planung«. Am 22. Mai stellte die Premierministerin die quantifizierten Ziele für den Dekarbonisierungspfad Frankreichs bis 2030 vor, jedoch ohne konkrete Maßnahmen und vor allem ohne Finanzierung, um diese Ziele zu erreichen.
  • die Operation »Anpassung an +4«. Am 23. Mai kündigte Minister Béchu die Einleitung von Beratungen an, die eine neue Strategie zur Anpassung Frankreichs an die Herausforderungen der globalen Erwärmung festlegen soll, die in einer »pessimistischen Annahme« bis zum Jahr 2100 bis zu 4°C betragen könnte.
  • die Operation »Verbot von kurzen Inlandsflügen in Frankreich«. Das wurde am 21. August 2021 per Gesetz verabschiedet und dann am 22. Mai 2023 per Durchführungsdekret ausgehöhlt.
  • die Operation »Rettet den Schienengüterverkehr«. Am 14. Juli 2020 verkündete Emmanuel Macron: »Wir werden den Schienengüterverkehr neu entwickeln«. Und das Ziel, das im Klimagesetz von 2021 bis 2030 festgelegt wurde, ist eine Verdoppelung des Anteils der per Bahn transportierten Güter. Damit würde übrigens nur der Stand von 2006 wieder erreicht. Nicht nur, dass bislang keine Wende zu erkennen ist, am 23. Mai kündigte Minister Clément Beaune die Entflechtung des SNCF-Güterverkehrsgeschäfts zugunsten der Konkurrenten an, um die Rückzahlung von 5,3 Mrd. Euro SNCF-Schulden zu vermeiden, die 2019 abgeschrieben wurden und als wettbewerbswidrig gelten.

Im Vergleich zu dem Bericht sei dies nur regierungsseitige Flickschusterei und Etikettenschwindel. Der Pisani-Ferry-Bericht habe zweifellos etwas Besseres verdient, als durch ein macroneskes »Njet« zu seinem zentralen Vorschlag einer grünen Vermögenssteuer begraben zu werden.

Diese Bewertung ist bemerkenswert. Denn die politische Linke (soweit es von dem parlamentarischen Oppositionsbündnis NUPES repräsentiert wird), hegt mehr oder weniger starke Zweifel an der Notwendigkeit von De-Karbonisierung und Digitalisierung, u.a. da dies wegen des französischen AKW-Parks unnötig sei und es wieder auf eine Subventionierung der Unternehmen hinauslaufe. Die in dem Bericht avisierten Produktivitäts- und Wohlstandsverluste bis hinein in die Mittelschicht werden diese Zweifel bestärken, ebenso die ungleiche Verteilung der Lasten. Daher bereitet man sich auch nicht auf eine Auseinandersetzung um die Vermögensabgabe zum Klimawandel vor.

Ein öffentliches Investitionsprogramm, Sonderabgaben für die Reichsten und Staatsverschuldung zugunsten eines ökologischen Umbaus, das größer dimensioniert und mit klaren Auflagen zur Umsteuerung kombiniert wird, gehört nicht zum Kernbestand von NUPES. Allerdings müsste schnell ein Kompromiss gesucht werden, weil sonst die Differenzen mit jeder Gesetzesvorlage wieder sichtbar werden und genutzt werden könnten, um Teile des Oppositionsbündnisses zu vereinnahmen. Der Bericht könnte dabei sogar zu einer Peitsche werden, um Macron bis zu den Wahlen vor sich herzutreiben.

Bernard Marx skizziert die mögliche alternative Schwerpunktsetzung einer solchen linken Variante des Pisani-Ferry-Berichts: In dem Bericht werde die Bedeutung nationaler und internationaler Ungleichheiten für die globale Erwärmung erheblich heruntergespielt. Das Klima ist nicht die einzige ökologische Verwüstung des Wachstumswettlaufs. Der Bericht bleibe blind für die physischen Grenzen des Planeten und damit des Wachstums. Über diesen Aspekt (der Wohlstand der Metropolen beruhe auf der Überausbeutung des globalen Südens) dürfte allerdings nur schwer Einigkeit zu erzielen sein.

Der Bericht sage wenig bis gar nichts über die unerlässlichen Veränderungen in den Beziehungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Man könne nicht mehr so weitermachen wie bisher mit den impliziten neoliberalen Dogmen, wonach Verluste oder Unrentables öffentlich und Gewinne privat sind. Es besteht nicht nur Bedarf an öffentlichen Investitionen. Es ist unerlässlich, dass sich die Zwecke und die Steuerung privater Investitionen ändern.

Es gehe also nicht nur darum, dass durch Investitionen und öffentliche Förderung Alternativen zur Mobilität und zur maßlosen Nutzung von Öl und Gas entwickelt werden. Dabei müsse man bei den Investitionsentscheidungen der großen multinationalen Konzerne ansetzen. Die meisten von ihnen seien Europäer, so dass es eine Möglichkeit gibt, einzugreifen, aber man müsse sich dazu auch die Mittel geben.

Der Pisani-Ferry-Bericht erwähne zwar die Frage der Zentralbanken. Aber nur, um sie angesichts der Inflationsrisiken zur Vorsicht zu mahnen. Damit bleibe die große Frage nach der positiven Rolle, die die Geldpolitik und darüber hinaus das Finanzierungssystem beim ökologischen Wandel spielen sollten, völlig unter dem Teppich.

Marx hält daran fest, dass öffentliche Investitionen, die Besteuerung der Reichsten und die Staatsverschuldung für den ökologischen Wandel unerlässlich sind. Aber nicht nur das. Der Bericht zeigt seiner Meinung nach die Notwendigkeit zur Umgestaltung der Europäischen Union, der man auf Seiten der NUPES einen – wenn möglich gemeinsamen – Inhalt geben sollte. Im Hinblick auf die sich intensivierende Streiterei über eine gemeinsame Liste zur Europawahl sind Zweifel angebracht.

Anmerkungen

[1] Steinwehr, Uta: Frankreich wird ein bisschen grüner, in: www.dw.com, 11.2.2021, darin auch der Link auf den Gesetzestext, unter: www.dw.com/de/frankreich-neue-wege-f%C3%BCr-den-klimaschutz/a-56529043 (zuletzt 28.6.2023).
[2] Der Einfachheit halber wird hier die Zusammenfassung des über 150 Seiten umfassenden Berichts komplett zitiert, wie sie auf der regierungsamtlichen Internetseite dokumentiert ist: Les incidences économiques de l’action pour le climat | France Stratégie, in: www.strategie.gouv.fr), 22.5.2023, unter: www.strategie.gouv.fr/publications/incidences-economiques-de-laction-climat (zuletzt 28.6.2023).
[3] Urmersbach, Bruno: Frankreich - Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2028, in: de.statista.com, 2.5.2023, unter: de.statista.com/statistik/daten/studie/14396/umfrage/bruttoinlandsprodukt-in-frankreich/ (zuletzt 28.6.2023).
[4] In einer Fußnote führt der Bericht aus: »Das Nettofinanzvermögen der Haushalte betrug im Jahr 2021 4.700 Milliarden Euro, wovon 3.000 Milliarden auf die 10% mit dem höchsten Vermögen entfielen (sic). Eine außergewöhnliche Pauschalsteuer von 5% in einem Zeitfenster von 30 Jahren würde also 150 Milliarden einbringen, was insgesamt etwas mehr als 5 BIP-Punkten entspricht.« Im Klartext: Eine außerordentliche Steuer von 5% auf das Finanzvermögen der reichsten 10% der Haushalte, die in einem Jahr nach Wahl des Steuerzahlers zu entrichten ist, würde in den nächsten 10 Jahren jährlich 5 Milliarden einbringen.
[5] Rapport Pisani-Ferry sur le climat : direct aux poubelles de l'Élysée - regards.fr.

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