8. April 2022 Ulrich Bochum: Wahlen in Serbien

»Friede, Stabilität, Vučić«

Am 3. April gab es in Serbien gleich drei Wahlentscheidungen: die Präsidentschaftswahl, eine Neuwahl des Parlaments und schließlich wurde auch in der Hauptstadt Belgrad gewählt. Der amtierende autokratische Präsident Aleksandar Vučić hatte die Wahlen vorziehen und zusammenlegen lassen, um seine Vorherrschaft abzusichern.

Mehrere Tage nach den Wahlen gab es immer noch keine offiziellen Ergebnisse. Die serbische Wahlkommission gab am Wahlabend keine Stellungnahme ab. Ebenso wie in Ungarn Viktor Orbán, konnte der Autokrat Vučić die Präsidentschaftswahl mit 59% für sich entscheiden. Das war weniger als er erwartet hatte. Alles, was unter 60% liegt, betrachtet er als persönliche Beleidigung. Der Gegenkandidat Zdravko Ponoš, ein Ex-General, kam auf 17%.


Quelle: https://crta.rs/en/results-of-the-presidential-parliamentary-and-belgrade-elections-2022/

Der serbische Präsident ist mit einem deutlichen Resultat wiedergewählt worden. Auch bei den Parlamentswahlen und der Lokalwahl in Belgrad ist seine Partei klarer Sieger. Bei der Parlamentswahl erreichte die Vučić-Partei SNS knapp 43%, das ist deutlich weniger als 2020, die SNS verlor mehrere hunderttausend Stimmen.

Allerdings boykottierten 2020 die Oppositionsparteien die Wahl. Das oppositionelle Parteienbündnis »Vereint für den Sieg Serbiens« erreichte knapp 13% und blieb damit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das Grün-Links-Bündnis »Wir müssen« erhielt 4,3%. Drei rechtsextreme Parteien, Nada (Hoffnung für Serbien), Dveri (serbische Bewegung) und Zavetnici (die Eidbewahrer, russophil)) – zogen mit 5,4%, 4,0% und 3,9% ins Parlament ein. Die Hürde für den Einzug ins Parlament liegt bei 3%.

Der Kriegsverbrecher Vojislav Šešelj konnte mit seiner Serbischen Radikalen Partei diese Hürde nicht nehmen. Das Stimmenpotenzial für rechtsextreme Parteien beziffert der Politikwissenschaftler Florian Bieber auf ca. 20%. Vučić sprach am Wahlabend von einem Rechtsruck, obwohl es keine signifikante Erhöhung des Anteils der rechtsradikalen Parteien gegeben hat. Die Rede vom Rechtsruck dient eher dazu, sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft dafür zu rechtfertigen, dass Serbien keine Sanktionen gegen Russland verhängen will.

Unter Vučić hat sich im größten Land des Westbalkans ein Regierungssystem entwickelt, das Politologen als »kompetitiven Autoritarismus« bezeichnen. Die Regierung dominiert die öffentliche Debatte und setzt zum Machterhalt skrupellos staatliche Ressourcen ein. Der Raum für Dissens ist klein.

Die Sozialistische Partei (SPS), die Teil der Koalitionsregierung ist, und damit Vučić unterstützt, konnte sich leicht auf etwas über 11% verbessern. Trotz des geringen Stimmenanteils spielt die sozialistische Partei als Königsmacher im Hintergrund nach wie vor eine wichtige Rolle im politischen Raum. Ihr Vorsitzender Ivica Dačić hat schon angekündigt, die Koalition fortsetzen zu wollen.

Insgesamt hat sich an den Kräfteverhältnissen nicht viel verändert, obwohl es im Vorfeld zu heftigen Protesten gegen die Regierungspolitik im Zusammenhang mit der Erschließung und Ausbeutung eines großen Lithium-Vorkommens in Serbien gekommen ist. Die Wahlen zeigten nach Ansicht von Beobachter*innen den übermächtigen Einfluss der gut geölten Maschine der Vučić-Partei. Sie beherrscht die Institutionen des Staates und ist wichtig bei der Vergabe von Posten, die Medienlandschaft steht weitgehend unter der Kontrolle der herrschenden Parteien.

Alles in allem ein weiteres Beispiel des »crony capitalism«. »Die Korruption hat alle Teile der Gesellschaft erfasst. Der Wahlprozess bildet keine Ausnahme«, so beschreibt ein Parlamentskandidat der Demokratischen Partei den Zustand der serbischen Gesellschaft vor den Wahlen.

Vučić, der ehemalige Informationsminister von Slobodan Milošević, ist ein gewiefter Populist, der einen Stimmungswandel in der Bevölkerung aufzugreifen weiß, bevor er ihm gefährlich werden kann. Ende letzten Jahres kam es in Serbien zu großen Umweltprotesten, die sich an den Plänen des Konzerns Rio Tinto für eine Lithium-Mine im Westen des Landes entzündeten. Die Proteste waren so heftig, dass die Regierung das bereits eingeleitete Abkommen mit dem australischen Konzern absagen musste, trotzdem wird Serbien nach den Wahlen eher noch autoritärer regiert werden. Das Projekt hätte enorme ökologische Konsequenzen für die Region.

Die Proteste wurden aber auch zu einem Ventil für die allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung und ihrem Entwicklungsmodell für Serbien. Die chinesischen Großprojekte im Land etwa sind äußerst kontrovers. Im Januar reagierte die Regierung auf die Proteste und zog der Lithium-Mine den Stecker.

Der Ukraine-Krieg hat Vučić in die Hände gespielt. Er konnte seine Schaukelpolitik zwischen EU-Annäherung und traditionell guten Verbindungen zu Russland so darstellen, dass diese unklare politische Position, den Serb*innen am besten nutze und die meisten Vorteile gebracht habe. Er hat sich also nicht als pro-russisch dargestellt, sondern als Interessenvertreter des serbischen Volkes. Der Einfluss Russlands ist dennoch groß, nicht zuletzt wegen der von Russland praktizierten Nicht-Anerkennung des Kosovo.

Dies stützt auch die sezessionistischen Bestrebungen des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina. Die serbischen Politiker dort betreiben die Abspaltung der Republika Srpska aus dem fragilen Zusammenschluss Bosniens und verfolgen eine Art »Heim ins Reich«-Politik. Mit der Abspaltung wäre jedoch das Daytoner Friedensabkommen hinfällig und der Westbalkan ein weiterer Krisenherd innerhalb Europas.

Die Politik der EU ist auf dem Westbalkan durch ihre Hinhaltetaktik bezüglich der Beitrittsoptionen verschiedener Länder schon länger unglaubwürdig. So hat Bulgarien ein Veto gegenüber Beitrittsgesprächen mit Nord-Mazedonien eingelegt mit der Begründung, die mazedonische Landessprache sei nur ein bulgarischer Dialekt.

Von den EU-Anwärterstaaten auf dem Westbalkan werden erhebliche Vorleistungen erwartet, um sich den Normen und Werten der EU anzupassen, nur um dann festzustellen, dass sie diese Reformprozesse dem Beitritt keinen Schritt naher gebracht haben. Dies befördert diejenigen Kräfte, die im Zugehen auf die EU einen Verrat nationaler Interessen wittern. Gleichzeitig werden Autokraten wie Vučić von EU-Politiker*innen aus Deutschland und Frankreich hofiert.

René Schlee, Leiter des Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nordmazedonien und im Kosovo, drückt das so aus: »Durch diese Politik werden progressive Kräfte in den Hintergrund gedrängt und autokratische Nationalisten übernehmen das Ruder. Stillstand und Perspektivlosigkeit verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung und bieten demagogischen Politikern die Möglichkeit, die Bevölkerungen über das Bespielen von religiösen und ethnischen Konfliktlinien zu mobilisieren.«

Deutsche Unternehmen stört im Übrigen die autokratische Umgebung in Serbien wenig. Es ist ein Teil von Vučićs Erfolg, dass deutsche multinationale Unternehmen den Standort Serbien als Investitionsstandort nutzen und Produktionen dorthin verlagern. Besonders aktiv sind in diesem Zusammenhang Automobilzulieferunternehmen, aber nicht nur.

Laut Aussagen der Auslandshandelskammer in Serbien repräsentieren deutsche Unternehmen mittlerweile mehr als 70.000 Beschäftigte. Darunter sind sowohl große multinationale Unternehmen wie Bosch, ZF etc. aber auch kleinere und mittelständische Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Attraktiv sind für die Unternehmen vor allem deutlich niedrigere Lohnkosten, gut ausgebildete Fachkräfte, mannigfaltige Anreize der serbischen Regierung in Form von Subventionen und kostenlos zur Verfügung gestellte Grundstücke sowie eine geografische Nähe zum EU-Binnenmarkt.

Die investierenden Unternehmen residieren zudem häufig in Freihandelszonen, die es ihnen ermöglichen, ihre Produkte als »Made in EU« abzusetzen. Bei jeder Eröffnungszeremonie ist Vučić persönlich anwesend.

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