21. Januar 2023 Richard Detje/Otto König: Zu einer Studie über die Ukraine-Krieg-Medienberichterstattung
Für Waffenlieferungen und gegen Verhandlungen
Zum wiederholten Male sehen sich Leitmedien dem Vorwurf einseitiger Berichterstattung ausgesetzt. Der Mangel an Qualitätsjournalismus während der Flüchtlingskrise 2015 und der Corona-Pandemie 2020 habe sich seit dem Krieg in der Ukraine noch verschärft.
Ist an den Vorwürfen etwas dran? Dieser Frage sind Marcus Maurer, Jörg Haßler und Pablo Jost von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in der Studie »Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg« im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung qua Inhaltsanalyse der Berichterstattung von acht deutschen Leitmedien nachgegangen.
»Krieg ist Frieden«, heißt es in George Orwells Roman »1984«. Diese radikale Verdrehung ist in Teilen der bundesdeutschen Medienlandschaft salonfähig – so lassen sich Teile der Studie zusammenfassen. Die meisten Leitmedien haben bereits in den ersten Monaten des Krieges überwiegend für die Lieferung schwerer Waffen plädiert und diplomatische Verhandlungen als deutlich weniger sinnvoll charakterisiert. Allein das Nachrichtenmagazin Der Spiegel beurteilte diplomatische Schritte eindeutig positiver.
In den Beiträgen der anderen sieben Medien klang das genau andersherum. Das hat eine Auswertung von 4.300 Beiträgen aus den acht Leitmedien FAZ, Süddeutsche Zeitung, Bild, Spiegel, Zeit, ARD Tagesschau (20 Uhr), ZDF Heute (19 Uhr), RTL Aktuell (18:45) zwischen dem 24. Februar und dem 31. Mai 2022 ergeben. Es fällt auf, dass unter diesen Medien einige sind, die als »rechts orientiert« gelesen werden (können), aber kein Medium, dass sich ernsthaft »links« einordnen lässt.
Untersucht wurden Berichte und Kommentare, die sich explizit mit dem Ukraine-Krieg, seinem Verlauf, den Ursachen, Folgen oder Maßnahmen beschäftigen. »Auch wenn die Berichterstattung nicht vollkommen einseitig war, überrascht die insgesamt starke Zustimmung zu Waffenlieferungen doch – vor allem vor dem Hintergrund vergleichbarer früherer Kriege, in denen deutsche Waffenlieferungen gar nicht zur Debatte standen«, kommentiert der Studienleiter Marcus Maurer.
Der Krieg sei »überwiegend aus der Perspektive Deutschlands« dargestellt worden (42%), gefolgt von der Darstellung der Sicht der Ukraine (28%) und anderer Länder (20%). Deutlich seltener wurde die Perspektive Russlands (10%) eingenommen. In der Berichterstattung wurden die Konfliktakteure nicht nur genannt, sondern darüber hinaus auch positiv oder negativ bewertet.
Überdurchschnittlich viele positive Bewertungen entfielen auf die Ukraine (+64%) und ihren Präsidenten Selenskyj (+67%). Fast ausschließlich negativ bewertet wurden hingegen Russland (-88%) und Präsident Putin (-96%). Auch die Bundesregierung kommt in der Berichterstattung der acht Leitmedien eher schlecht weg (-26%). Noch schlechter allerdings schnitten Bundeskanzler Scholz (-31%) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (-35%) ab, beide SPD. Vor allem Bild und Spiegel kritisierten Bundesregierung und Bundeskanzler stark.
Demgegenüber schneiden Grünen-Politiker*innen deutlich positiver ab: Außenministerin Annalena Baerbock wird unter allen Akteuren am besten bewertet (+68%), auch Wirtschaftsminister Robert Habeck kommt vergleichsweise gut weg (+19%). Die Medienberichterstattung scheint damit zwar nicht regierungs-, jedoch auffallend »oliv«-grünenfreundlich zu sein.
Das folgende Schaubild zeigt den Saldo aus positiven und negativen Bewertungen der analysierten Medien für elf besonders häufig bewertete Akteure.
»Die Analysen zeigen, dass sich die Berichterstattung mit Abstand am häufigsten Wirtschaftssanktionen gegen Russland widmete (1.168 Nennungen), wobei die Medien diese Maßnahme in zwei Dritteln der Fälle (66%) wertend einordneten. Militärische Unterstützung für die Ukraine wurde in 748 Fällen thematisiert und in 72% dieser Fälle bewertet. Deutlich seltener thematisierten die Medien diplomatische Maßnahmen (393; in 66% bewertet). Humanitäre Maßnahmen waren noch seltener Gegenstand medialer Berichterstattung (284) und wurden zudem am seltensten bewertet (56%).« Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die Bellizisten in den Redaktionsstuben eine militärische Unterstützung der Ukraine (74%) und die explizite Lieferung schwerer Waffen (66%) außerordentlich positiv bewertet haben.
Dies gilt auch für die weitere Berichterstattung im Jahr 2022. So begrüßten die Leitmedien in den zurückliegenden Tagen euphorisch die Entscheidung der rot-gelb-grünen Ampel, der Ukraine 40 Schützenpanzer vom Typ Marder zu liefern. Gleichzeitig hatte Washington der Ukraine US-Schützenpanzer vom Typ Bradley versprochen, Paris einen Tag zuvor französische Spähpanzer vom Typ AMX-10 RC. Bis dahin hatte die Bundesregierung die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern mit dem Verweis abgelehnt, man wolle keine »Alleingänge« unternehmen.
Bei der jüngsten Erklärung von US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz handelt es sich um einen Wendepunkt in der Positionierung des Westens. »Diese Waffenlieferungen folgen der immens gefährlichen Militärlogik beider Seiten, dass dieser Krieg militärisch zu gewinnen sei. Doch statt Öl ins Feuer zu gießen, sollte Deutschland endlich Friedensmacht werden«, fordert der DFG-VK- Bundessprecher Jürgen Grässlin.
Es verstärkt sich der Eindruck, dass die Bundesregierung zusammen mit anderen westlichen Staaten auf ein riskantes Spiel der Eskalation setzt. Weil Russland bislang nicht reagiert hat, werden Schritt für Schritt mehr und schwere Waffen geliefert. Was im Gegensatz zur Stimmung in der deutschen Bevölkerung steht: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich Ende vergangenen Jahres 45% der Befragten gegen eine Lieferung deutscher Kampfpanzer des Typs Leopard 2 in die Ukraine aus. Nur 33% waren dafür, 22% machten keine Angaben. Die Ablehnung überwiegt bei den Anhängern aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien – mit einer einzigen Ausnahme: Gut 50% der Wählerschaft von Bündnis 90/Die Grünen plädieren für die Lieferung westlicher Kampfpanzer; lediglich 25% lehnen sie ab (rnd.de 28.12.2022).
Wer davon ausging, dass mit der Entscheidung, Marder-Schützenpanzer an die Ukraine zu liefern, sei die Angelegenheit vom Tisch, hatte sich getäuscht – das Gegenteil ist der Fall. Vor der »Waffenstellerkonferenz« Mitte Januar auf der rheinlandpfälzischen U.S. Air Base Ramstein nimmt im In- und Ausland der Druck auf die Bundesregierung zu, der Ukraine Kampfpanzer des Modells Leopard 2 zu liefern. Inzwischen hat ein regelrechter Überbietungswettbewerb eingesetzt, wer mit waghalsigeren Waffenforderungen noch mehr Aufmerksamkeit erheischen kann.
Während große Teile der SPD derzeit den zurückhaltenden Part innerhalb der Regierungskoalition einnehmen und sich dafür in den Medien rechtfertigen müssen, wird die Eskalationsstrategie vor allem von den Grünen befeuert. Anton Hofreiter: »Ich würde mir wünschen, dass wir als Hauptherstellungsland für den Leopard 2 eine europäische Initiative starten für die Lieferung von Leopard 2«. Assistiert wird er von der Waffenlobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): »Wir lassen nicht locker. Nach dem Marder kommt der Leopard. Ich bleibe dran.«
Hofreiters Idee vom »Euro-Leopard« für die Ukraine stammt vom einflussreichen European Council on Foreign Relations, der bereits Anfang September den »Leopard-Plan« veröffentlichte. Bei 13 europäischen Staaten seien rund 2.000 Leopard-2-Panzer (zumeist in den Versionen 2A4 und 2A5) vorhanden, deshalb sei es möglich, eine Art Pool zu bilden, in den die einzelnen Länder ihre Panzer »spenden« könnten, heißt es in dem Papier. Die ECFR-Autor*innen schlagen vor, den Ländern ihre »gespendeten« Panzer durch die neueste Leopard-Version zu ersetzen und dies über die Europäische Friedensfazilität finanzieren zu lassen: »Die Ukraine muss in eine neue Phase des Krieges eintreten, will sie das von Russland besetzte Territorium zurückerobern. Ein europäischer Plan zur Unterstützung mit Leopard-Panzern sollte im Zentrum dieser Bemühungen stehen.«[1]
»Mit deutschen Waffenlieferungen bedeutende Erfolge auf dem Schlachtfeld erzielen«, schreibt Bild. Das Springerblatt merkt jedoch an, dass die Lieferung der Marder nur im Verbund mit Leopard-Panzern sinnvoll sei. Ähnlich argumentiert die Welt: »Ohne Leopard bringt der Marder der Ukraine wenig.« Und die Welt am Sonntag verbindet unrealistische Kriegsziele mit der Forderung nach mehr deutschen Waffen: »Man kann nicht immer wieder betonen, alles tun zu wollen für einen ukrainischen Sieg, und dann wichtige Waffen zurückhalten. Deshalb kann die Wende dieser Woche nur ein Anfang sein. Denn die nun zugesagten Panzer werden allein nicht ausreichen zur Befreiung aller besetzten ukrainischen Gebiete.« Längst wird schon über eine etwaige übernächste Maßnahme diskutiert: Man müsse sich »auf eine Debatte über Kampfhubschrauber einstellen«, prognostizierte Claudia Major, eine Militärexpertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Großbritannien ist inzwischen vorgeprescht und hat die Lieferung von rund einem Dutzend Kampfpanzern des Typs Challenger 2 in Aussicht gestellt. Polen und Finnland wollen kleinere Kontingente ihrer Leopard 2-Bestände an die Ukraine abgeben, sind dazu freilich auf die Zustimmung der Bundesrepublik angewiesen. Die Taktik ist eindeutig: Es wird »internationaler Druck« erzeugt, dem sich die Bundesregierung nicht länger verschließen könne. Deutschland solle Großbritanniens Beispiel folgen, finden die Grünen und die Unionsparteien.
Das EU-Parlament soll Bundeskanzler Scholz auffordern, ein europäisches Konsortium aus Ländern zu formieren, die über Leopard-Panzer verfügen und solche Panzer an die Ukraine liefern wollen, meint der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. »Finnland und Polen haben erfreulicherweise einen starken Anschub gegeben; jetzt kommt es darauf an, dass Berlin das Thema aktiv aufgreift und ein starkes Ergebnis zustande bringt.«[2]
Verantwortungsvolle Politiker*innen und Journalist*innen würden sich den Bestrebungen entgegenstellen, Deutschland durch die Lieferung von Kampfpanzern noch weiter zur Kriegspartei zu machen. Sie würden alle diplomatische Kanäle ausschöpfen, um Friedensverhandlungen anzustoßen. Es gilt nach wie vor die Aussage des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky: »Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte.«
Anmerkungen
[1] Jürgen Wagner »Der Leopard-Plan« Nach den Schützenpanzern die Kampfpanzer?, IMI-Analyse 2023/03
[2] https://lostineu.eu/eu-parlament-will-deutschland-zu-panzer-lieferung-draengen