1. April 2025 Bernhard Sander: Ein Gericht verurteilt Marine le Pen wegen Betrugs

Fußfesseln und Ausschluss von Wahlen

Das Urteil wegen Betrugs für Marine Le Pen ist eindeutig: Die derzeitige Vorsitzende der Parlamentsfraktion der »Nationalen Sammlung« (RN) wurde zu zwei Jahren Fußfessel, zwei weiteren Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe wegen Betruges des Europaparlaments verurteilt.

Von dort bezahlte Beschäftigte wirkten in der Pariser Zentrale am Parteiaufbau mit. RN wird außerdem den Schaden von 4,4 Mio. Euro zurückerstatten müssen. Acht Abgeordnete des Europaparlaments sowie 14 weitere, teils hochrangige Funktionäre (u.a. der Bürgermeister von Perpignan, der ehemalige Generalsekretär Nicolas Bay und heute der starke Mann hinter dem rassistischen TV-Agitator Eric Zemmour, Marines Schwester Marie-Caroline usw.) wurden ebenfalls verurteilt und mit einem befristeten Wählbarkeits-Ausschluss bestraft.

Am wichtigsten ist der Ausschluss vom passiven Wahlrecht, d.h. eine Kandidatur zur nächsten Präsidentschaftswahl ist für Marine Le Pen ausgeschlossen. Dagegen gibt es keine Rechtsmittel. Und ihre Aussichten waren gut: Schon den ersten Wahlgang im Frühjahr 2027 hätte sie laut einer aktuellen Umfrage mit 37% der Stimmen klar für sich entschieden.

Die Begründung der Gerichtspräsidentin Bénédicte de Perthuis ist in einer »erheblichen Störung der öffentlichen Ordnung zu sehen, in diesem Fall die Tatsache, dass eine bereits in erster Instanz verurteilte Person für die Präsidentschaftswahl kandidiert.« Gegen dieses Urteil konnten die Worte von RN-Politikern gar nicht hart genug sein: »Nicht nur Marine Le Pen ist heute auf ungerechte Weise verurteilt worden. Die französische Demokratie ist hingerichtet worden«, äußerte der Parteivorsitzende Jordan Bardella auf der Plattform X. Jetzt lasten alle Erwartungen auf dem 29 Jahre alten Kronprinzen Le Pens, seine Präsidentschaftsambitionen zu erklären.

Die Sammlung (RN) von Völkisch-identitären, Nationalisten und katholischen Ultrakonservativen hatte die ehemals gaullistischen Republikaner fast an den Rand der Existenz gebracht. Neue Missionsgebiete taten sich bereits bei den libertären Milieus der Tech- und Medien-Neureichen auf. Sie eint die Ablehnung des Wokismus (vor allem in seiner strafbewehrten und regulatorischen Variante der positiven Diskriminierung). Sie führen einen intellektuellen und kulturellen Krieg. Nicht als ein Konflikt zwischen Nationen, sondern einen, der im Herzen der Kulturen ausgetragen wird.

Dazu bedurfte es schon in der Vergangenheit einer Unterfütterung mit sozialer und volkswirtschaftlicher Programmatik, die unter dem Schlagwort der »Nationalen Präferenz« das Mistrauen gegen die europäische Einheitswährung und Institutionen bündelte (wenig erfolgreich) und Vorurteile gegen die angebliche Hängematte für migrantische Sozialbetrüger*innen (von Dreiviertel der französischen Bevölkerung geteilt) aktivieren konnte. Die RN-Strömungen sind nicht nur konvergierend, sondern durchaus in vielem divergierend und damit schwer zu bündeln (was sie auch im Hinblick auf ihre internationalen Beziehungen und Fraktionsbildungen im Europäischen Parlament schwerer steuerbar macht). Vor dieser reaktionären Internationalen hatte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in seiner zweiten Sorbonne-Rede gewarnt.

»Wenn die radikale Linke in einer demokratischen Abstimmung nicht gewinnt, missbraucht sie das Justizsystem, um ihre Gegner ins Gefängnis zu stecken. Das ist ihr Modus Operandi auf der ganzen Welt«, schrieb Elon Musk auf seinem Kanal X.

Macron und sein Regierungs-Chef François Bayrou scheinen auf den ersten Blick die Nutznießer der Schwächung eines bestimmenden Faktors in der reaktionären Internationale Europas zu sein. Zweifellos entkrampft sich die Lage in der französischen Nationalversammlung nicht, in der das progressive bürgerliche Lager nach der missglückten Neuwahl über keine eigene Mehrheit verfügt. Im Herbst wird sich also erneut die Frage stellen, wie Bayrou eine eigene Haushaltsmehrheit zusammenzimmert (Teile der zerfallenen Sozialdemokratie stehen dafür bereit) und im Frühjahr 2026 schließen die Kommunalwahlen noch einen Stimmungstest an.

Le Pen bemühte sich in den vergangenen Jahren um ein gemäßigteres Auftreten des früheren rechtsextremen Front National ihres kürzlich verstorbenen Vaters Jean-Marie Le Pen, den sie erst zum Ehrenvorsitzenden machte und dann ausschloss. Unter dem neuen Namen steigerte der RN seine Wahlergebnisse und kann insbesondere in den ländlichen Regionen Frankreichs fast schon als Volkspartei gelten. Le Pen unterlag bei der Präsidentschaftswahl 2022 Emmanuel Macron, holte in der Stichwahl aber fast 42%. Dieses Erbe einer Strategie der Ent-Diabolisierung des RN könnte nun trotz der unbestreitbaren Erfolge in die parteiinterne Kritik geraten. Das Ende des Familien-Unternehmens Le Pen vernebelt diese politische Dimension.

Für den Kronprinzen des RN Bardella reichen Worte nicht. Er ruft zur »Volksmobilisierung und friedlicher Mobilisierung« auf, aber noch gibt es keinen Aufruf zu einem Marsch oder einer Kundgebung, sondern eine kurze Anklage gegen die Justiz, die sich als »Diktatur der Richter, die das französische Volk daran hindern will, sich zu äußern« entpuppt, begleitet von einem Link zu einer Petition zur Unterstützung von Marine Le Pen. Das muss aber nicht das Ende sein, denn Bardella hat erfolgreich die Identitären in die Partei integriert, die nun ebenso wie die finanziell angeschlagene Bewegung Zemmours aufbegehren könnten.

Es gibt daher Stimmen außerhalb des Rechtsaußenlagers, die vor einem Schaden für die Demokratie warnen und die Gefahr sehen, dass der RN sich noch mehr als Opfer des Establishments inszenieren könnte. Vor allem wird befürchtet, dass Macrons harte Sanierung der Staatsfinanzen nun keine Mehrheiten bei Gesetzes-Vorhaben mehr finden und auf Zugeständnisse mit der Linken angewiesen sein könnte.

Der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton (von Macron für die EU-Kommission von der Leyen II vorgeschlagen, dort aber nicht gelitten) hatte in einem Radiointerview gesagt: »Ich sehe, dass es eine sehr bedeutende Zahl an Mitbürgern gibt, die sich in den Äußerungen und im politischen Kampf von Marine Le Pen wiederfinden.« Er selbst wäre im Falle einer Verurteilung »sehr verstimmt«. Der Rechts-Katholik und ehemalige Präsidentschaftskandidat Philippe de Villiers klagt einen »politisch-juristischen Staatsstreich« an. Der Vorsitzende der LR-Abgeordneten, Laurent Wauquiez, beklagte, dass »es in einer Demokratie nicht gesund ist, dass eine gewählte Frau daran gehindert wird, sich zur Wahl zu stellen«.

Le Pens parlamentarischer Bündnispartner Eric Ciotti, der die Republikaner gespalten hatte, insinuierte, der lange Arm Macrons verhindere jede Kandidatur rechts (denn auch der in diesen Kreisen beliebte ehemalige Ministerpräsident François Fillon war wegen Korruption verurteilt worden): »Ist Frankreich noch eine Demokratie?«, fragte er auf X. Le Pens »einzige Schuld« sei, dass sie »unser Lager auf den Weg zum Sieg geführt hat«, klagt ihre Nichte Marion Maréchal. »Richter, die denken, dass sie über dem souveränen Volk stehen, haben beschlossen, vor einem Gericht das hinzurichten, was sie nie an der Wahlurne zurücknehmen konnten«, schrieb die Europaabgeordnete.

Wie erwähnt, standen die Chancen Le Pens auf eine erfolgreiche Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen 2027 gut, da die Linksparteien sich erneut in alte Grabenkämpfe verstricken. Auch deren geblähten Backen können nicht verbergen, dass es an einer Strategie gegen Macron mangelt. Vertreter*innen der linkspopulistischen Bewegung LFI (Unbeugsames Frankreich) sagen, LFI werde die RN »morgen an der Wahlurne schlagen, wer auch immer ihr Kandidat ist«.

Aber der politische Koordinator der Unbeugsamen-Bewegung Manuel Bompard sucht die Nähe zu Le Pens Anhängerschaft und kritisiert das Prinzip der Unwählbarkeit als vorläufige Hinrichtung. »Wir lehnen grundsätzlich ab, dass die Berufung für irgendeine Prozesspartei unmöglich ist«, schreibt die Partei von Jean-Luc Mélenchon, der selbst im Verdacht steht, die europaparlamentarischen Assistenten der Linkspartei für seine politische Tätigkeit in Frankreich angestellt zu haben.

Anderswo auf der Linken sind sie legalistischer, angefangen bei dem Sprecher der rechts-sozialdemokratischen Abgeordneten Jérôme Guedj: »Es ist Teil des demokratischen Vertrags, wenn man ein gewählter Beamter ist, vorbildlich zu sein.« François Ruffin (Ex-LFI, dem Ambitionen auf eine Linkskandidatur nachgesagt werden) zitierte Marin Le Pen: »Die Franzosen haben die Nase voll von gewählten Beamten, die Geld veruntreuen!« »Das hat sie gesagt und das gilt auch für sie. Das gilt auch für Sarkozy.« Dieser läuft ebenfalls mit einer Fußfessel wegen Betrugs mit staatlicher Wahlkampfhilfe herum.

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