25. Mai 2018 Otto König/Richard Detje: Venezuela – Maduro als Staatspräsident wiedergewählt

Geschwächte Regierung – gespaltene Opposition

Nicolás Maduro (Foto: Joka Madruga / flickr.com (CC BY 2.0))

Trotz der schweren sozialen und wirtschaftlichen Krise wählte die venezolanische Bevölkerung Nicolas Maduro erneut für eine sechsjährige Amtszeit von 2019 bis 2025 zum Präsidenten.

Maduro[1] hat nach dem vorläufigen Endergebnis 67,7% der Stimmen (insgesamt 5.823.728 Stimmen) erhalten; bei der Wahl im Jahr 2013 waren es 6,5 Millionen gewesen, sodass Maduro rund zehn Prozent der Stimmen verloren hat. Hinzu kommt, dass die Wahlbeteiligung mit 46,1% auf einem historischen Tiefstand angelangt ist. Der Wahlsieger hat damit nur noch einen aktiven Rückhalt bei rund 28% der gesamten Wahlbevölkerung – 20,5 Millionen Wahlberechtigte waren zur Abgabe ihrer Stimme aufgerufen. Gegenüber der Hochzeit der »Bolivarischen Revolution« von Hugo Chavez signalisiert dies einen massiven Erosionsprozess.

Die Opposition ist gespalten – und das ist einer der Gründe für die elektorale Behauptung der »Chavistas«. Ein Teil hatte zum Wahlboykott aufgerufen, nachdem mehrere ihrer Repräsentanten von der Wahl ausgeschlossen worden waren, während andere dies für eine Strategie ohne Perspektive hielten. Maduros Wahl-Konkurrent, der sozialdemokratische Oppositionskandidat Henri Falcón,[2] ehemaliger Chavist und Gouverneur des Bundesstaates Lara, kam auf 21,2%. Der Evangelikale Javier Bertucci, Chef der »Maranatha-Kirche« und Geschäftsmann, dessen Name in den Panama Papers zu finden ist, und Kandidat der Partei »Hoffnung auf den Wandel« (EEC) erreichte 10,8%, der vierte Kandidat, Reinaldo Quijada, 0,4%.

Falcon erklärte umgehend, »der Wahl fehlt es unzweifelhaft an Legitimität und deshalb erkennen wir sie nicht an«. Dafür bekam er die Unterstützung der Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der Lima-Gruppe in Lateinamerika, der US-Regierung und der Europäische Union, die schon im Vorfeld verkündet hatten, die Wahlergebnisse nicht anzuerkennen. Dass es dabei auch nach dem Prinzip geht, »wir erkennen nur Regierungen an, die uns passen«, zeigen nicht zuletzt Auseinandersetzungen um die Wahlen in Honduras Ende vergangenen Jahres.[3] Internationalen Beobachter aus 40 Ländern, die auf Einladung des Wahlrats CNE als Wahlbeobachter in Venezuela waren, testierten hingegen die Transparenz des venezolanischen Wahlsystems.

Zweifellos war es eine Präsidentschaftswahl im Ausnahmezustand: Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für das laufende Jahr mit einem erneuten Einbruch der Wirtschaftskraft um 15% und einer geradezu unvorstellbaren Inflationsrate von mehr als 13.000%. Der offizielle Dollarkurs liegt bei 70.000 Bolívar; auf dem Schwarzmarkt werden mehr als 800.000 Bolívares für einen Greenback fällig. Wegen Devisenmangel hat Venezuela massive Probleme, Lebensmittel und Medikamente einzuführen.

Angesichts der galoppierenden Inflation wurde bereits zum 1. Januar eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 40% sowie ein Zuschlag von 30% auf Lebensmittelgutschriften vollzogen. Auch die Renten wurden angehoben. Die lokalen Versorgungs- und Produktionskomitees, ein zentralisiertes Modell direkter Verteilung im gesamten Land, sollen weiterentwickelt werden, um die Bevölkerung vor Unterversorgung zu schützen. Das Gesundheitsprogramm Barrio Adentro und alle weiteren Sozialprogramme werden trotz der wirtschaftlichen Probleme aufrechterhalten.

Die rechte Opposition begründet die Wirtschaftskrise mit Inkompetenz, Korruption und Vetternwirtschaft der Regierung, die Chavisten beklagen stattdessen einen »Wirtschaftskrieg« mit dem Ziel, durch wirtschaftliche Destabilisierung, Gewalt, Sabotage, internationalen Kampagnen und finanzielle Blockaden einen Regimewechsel herbeizuführen. Als Kronzeuge dafür zitiert der spanische Schriftsteller Ignacio Ramonet den Ex-Außenminister von Präsident George W. Bush, Lawrence Eagleburger, der in einem Interview mit Fox News bekundete: »Wir müssen die ökonomischen Werkzeuge anwenden, um dafür zu sorgen, dass die venezolanische Wirtschaft sich auf eine Weise verschlechtert, dass der Einfluss des Chavismus im Land und in der Region sinkt (…). Alles, was wir tun können, damit die venezolanische Wirtschaft in einer schwierigen Situation versinkt, ist gut.«[4] Der aktuelle Finanzminister, Steven Mnuchin, bestätigt, dass die neuen US-amerikanischen Sanktionen das Ziel verfolgen, »Venezuela zu strangulieren«.

Doch es ist einseitig, die wirtschaftliche und soziale Misere Venezuelas allein darauf zurückzuführen. Bereits unter Chavez wurden schwerwiegende Fehler begangen. Statt den wirtschaftlichen Aufbau und die Diversifizierung des Landes konsequent zu steuern, verließ man sich auf die extraktive Industrie. Der Erdölreichtum schien eine hinreichende Basis für eine auf Armutsbekämpfung und Sozialentwicklung orientierte Politik zu sein – bis der Rohölpreis auf dem Weltmarkt für längere Zeit fiel und damit die Ausgabenprogramme des Staates gleichsam auf Sand gebaut waren. Hinzu kam eine Devisenbewirtschaftung, die es über Jahre hinweg erlaubt hat, zu einem staatlich subventionierten Kurs an Devisen zu gelangen, um sie für ein Vielfaches des Wertes auf dem Schwarzmarkt zurückzutauschen. Auf diese Weis sind Milliarden US-Dollar Staatsgelder in private Taschen geflossen.

Gleichwohl hatte sich der Sieg Maduros schon im Laufe des Jahres 2017 abgezeichnet, als das Regierungslager drei nationale Wahlgänge haushoch gewann: Die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung im Juni (die von den MUD-Parteien boykottiert wurde), die Regionalwahlen im Oktober mit der Eroberung von 19 der 23 möglichen Gouverneursämtern und die Gemeindewahlen im Dezember, bei denen 308 von 335 Rathäuser gewonnen werden konnten.

Im Wesentlichen sind es drei Gründe, die den Wahlerfolg Maduros und der chavistischen Bewegung in Venezuela beeinflussten: Die rechte Opposition hat in Venezuela lange und z.T. auch gewaltsam gegen die verfassungsmäßige Ordnung gearbeitet. Allein in den ersten vier Monaten 2017 kam es bei den »Guarimbas«, den gewalttätigen Straßenblockaden, zu rund 150 Todesopfern und Schäden in Milliardenhöhe. Nach dem Scheitern dieser Proteste büßte die Opposition nicht nur ihre Mobilisierungsfähigkeit ein, sondern es zerbrach auch die mühsam gewahrte Einheit, da es der erfolglosen Maximalforderung »Rücktritt von Maduro« an inhaltlicher Ausgestaltung und personellem Rückhalt fehlte, um letztlich auch bei dem Teil der Bevölkerung akzeptiert zu werden, der viel Zeit für die mühselige Organisation von Lebensmitteln oder Medizin aufbringen muss.

Die Schwäche der Opposition nutzend, hatte die Regierung die Präsidentschaftswahl von Dezember auf Mai 2018 vorgezogen. Das zerstrittene Oppositionsbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) rief zum Boykott der Wahl auf, und wandte sich vehement gegen den oppositionellen Kandidaten Falcón, da er mit seiner Kandidatur »eine illegitime Wahl legitimieren« würde. Die Partei Progressive Vorhut (Avanzada Progresista, AP) des Kandidaten Falcón hat dies bedauert. »Unser einziger Ausweg aus dem Problemen des Landes kann nur ein demokratischer Weg sein, der Weg der Wahlen«, sagte der Vertreter Luis Romero. Die radikale Opposition wolle Venezuela offenbar zugrunde richten, um dann auf den Ruinen des Landes eine neue Regierung zu errichten. Zumindest hat sie dem oppositionellen Kandidaten bei der Wahl trefflich geschadet.

Die von rechten Oppositionskräften geforderte »militärische Intervention« fand in Washington offene Ohren. Trump drohte im August 2017: »Wir haben viele Möglichkeiten in Bezug auf Venezuela, einschließlich einer militärischen Option, wenn es nötig ist.« Im Rahmen des bereits von Barack Obama am 8. März 2015 unterzeichneten Dekrets, mit dem Venezuela zur »ungewöhnlichen und außerordentlichen Bedrohung für die Sicherheit der USA« erklärt wurde, erließ Trump zudem eine Vielzahl von Sanktionen. »Die Unfähigkeit der USA, den Chavismus zu untergraben, hat zu einer Rückkehr zu Strategien geführt, wie die USA sie in Mittelamerika, auch in Panama, während des Kalten Krieges verfolgt haben«, sagt Ociel Alí López, Soziologe, politischer Analyst und Dozent an der Universidad Central de Venezuela.

Die Ignoranz der Tatsache, dass die Lösung der Krise in Venezuela von den Venezolanern selbst ohne Einmischung von außen ausgehandelt werden muss, hat die Wahlen stark beeinflusst. Die Chavistas, die durchaus von inneren Widersprüchen gekennzeichnet sind, dürfte das eher zusammengeschweißt haben.

Der unterlegene Falcon machte ein »wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm zur Bewältigung des Problems der hohen Lebenshaltungskosten« zu einem zentralen Thema seiner Kampagne. »¡Dolarización Ya!« (Dollarisierung jetzt!) lautete die Parole. Um die Inflation zu stoppen, sollte der US-Dollar als offizielle Währung des Landes eingeführt werden. Die weitere Entwertung der Landeswährung, die zum Angriffsziel spekulativer Tätigkeit geworden ist, würde mit einer Bindung an den US-Dollar für die Profiteure der Spekulation unmittelbar ihren Sinn verlieren, so die Hypothese. Allerdings würde dies um den Preis der Aufgabe von Souveränität künftiger Regierungen bei der Gestaltung der Wirtschaftsentwicklung geschehen. Letztlich liefen seine Vorschläge darauf hinaus, die sozialen Errungenschaften der »Bolivarischen Revolution« rückgängig zu machen. In seinem Hundert-Tage-Programm stellte er in Aussicht, enteignete Ländereien und Unternehmen ihren »rechtmäßigen« Eigentümern zurückzugeben.

Die negativen Folgen einer solchen neoliberalen Wirtschaftspolitik für die arbeitende Bevölkerung und die Rentner*innen sind nach den Machtwechseln in Argentinien und Brasilien beispielhaft zu beobachten. Ob die von Maduro verkündete »ökonomische Revolution« erfolgreich sein wird, um dem Wirtschaftskrieg ein Ende setzen, wird sich – bei aller Skepsis hinsichtlich der ökonomischen Kompetenz der venezolanischen Regierung – noch erweisen müssen. Dabei sind auf jeden Fall entscheidende Schläge gegen Finanzspekulanten und Schwarzhändler dringend notwendig – doch müsste dies in ein überzeugendes ökonomisches Rekonstruktionsprogramm eingebettet sein, damit nicht der repressive Charakter der Maßnahmen dominiert. Wie schwierig es wiederum ist, der Finanzblockade durch die USA wirksam etwas entgegen zu setzen, hat die bis heute andauernde Wirtschaftsblockade gegen Kuba gezeigt.

Obwohl gerade jetzt ein Prozess des Dialogs zwischen Regierung und Opposition dringend notwendig wäre, wird die direkte Unterstützung aus dem Ausland vermutlich die Spaltung der gemäßigten und rechten Opposition in Venezuela noch weiter vertiefen und eine gemeinsame Lösung der politischen und wirtschaftlichen Probleme behindern. Die von den Oppositionsführern begrüßten neuen Sanktionen treffen vor allem die nicht vermögende Mehrheit der Venezolaner. Das bedeutet: mehr Armut und noch mehr Abwanderung in die Nachbarstaaten.



[1] Zur Wahl Maduros hatten u.a. aufgerufen: Die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), die Kommunistische Partei (PCV) und die linkssozialdemokratisch orientierten Parteien PPT (Heimatland für alle), Podemos (Für die soziale Demokratie), MEP (Wahlbewegung des Volkes) und MPAPC (Allianz für den Wandel) sowie die linksradikale Revolutionäre Bewegung Tupamaro.
[2] Henri Falcon wurde von der vom ihm gegründeten »Progressive Vorhut« (AP) sowie von der christsozialen COPEI (Unabhängiges Politisches Wahlorganisationskomitee), der sozialdemokratischen MAS (Bewegung zum Sozialismus) und der grünen Movev (Ökologische Bewegung Venezuelas) unterstützt. Die radikale Rechte boykottierte seine Wahl.
[3] Vgl. Otto König/Richard Detje: Honduras – Opposition beklagt »Wahlfälschung« bei den Präsidentschaftswahlen »El pueblo no lo permitirá!«, Sozialismus aktuell.de v. 5.12.2017.
[4] Vgl. Ignacio Ramonet: Die zwölf Siege von Präsident Maduro im Jahr 2017, Amerika 21 v. 31.1.2018.

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