15. Januar 2021 Joachim Bischoff

Gewaltsamer Sturm auf das Kapitol: Schlussstrich unter den Trumpismus?

Foto: Blink O'fanaye/flickr.com (CC BY-NC 2.0)

Die gewaltsamen Proteste und der »Sturm« auf das Kapitol haben die gesellschaftliche Öffentlichkeit der USA erschüttert. Der abgewählte Präsident Donald Trump wird wegen seiner Rhetorik von der gestohlenen Wahl für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht.

Nach dem Sturm auf das Kapitol durch Trump-Anhänger*innen wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt und ca. 100 Verdächtige festgenommen.

Die Demokraten im Repräsentantenhaus haben ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen den abgewählten Präsidenten eingeleitet. Auch bei Trumps zweitem Impeachment ist eine Verurteilung unwahrscheinlich und der politische Sinn dieses parlamentarischen Manövers strittig. Trump trifft eine Mitschuld an der gewalttätigen Emeute im US-Parlament, aber – so fragen etliche Vertreter*innen nicht nur in der demokratischen Partei – wird ein symbolisches Impeachment-Verfahren nicht vor allem die Polarisierung in der US-Gesellschaft verstärken, statt das gespaltene Volk zu einigen?

Der wohl wichtigste Aspekt: Es ist eine illusionäre Vorstellung, den Trumpismus und seine Affinität zu einem gewaltaffinen Mob als einen Betriebsunfall zu werten. Bei Trump war in den letzten vier Jahren die Verletzung demokratische Normen mit dem politischen Alltagsgeschäft verwoben. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten hat die Legitimität der politischen Ordnung untergraben.

Mehr als 80 Millionen Bürger*innen haben bei der Wahl für den Personalvorschlag der Demokraten votiert: Zugleich sind 74 Mio. für eine zweite Amtsperiode des Präsidenten eingetreten und viele von ihnen halten die Amtsübernahme von Biden für illegitim, weil bei den Wahlen Stimmen vermeintlich »gestohlen« wurden. Daher wäre die Erwartung naiv, das Team Biden/Harris könnte mit einer Rückkehr zur Normalität diese Verletzungen gleichsam heilen und die tiefgreifende Spaltungen in der Gesellschaft und den politischen Überbau mit wenigen Gesten überbrücken.

Trump hat die Grundlagen der demokratischen Kultur unterminiert – vor allem durch die Zerstörung der Grand Old Party, der Partei der Republikaner. Er hat – wie bei seiner Inauguration angekündigt – die amerikanische Politik und den politischen Sumpf umgepflügt. Jede Rückkehr zu den gewohnten demokratischen Verfahren und Institutionen unterstellt eine Befreiung der republikanischen Partei vom Trumpismus. Um ihre Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit wiederherzustellen, muss sich die Partei aus der Umklammerung Trumps lösen. Dieser hatte seit den Vorwahlen 2016 mit klaren Siegen alle Gegenspieler aus dem Rennen geworfen und nach seiner Nominierung und Wahl zum Präsidenten die republikanische Partei programmatisch und personell gekapert.

 

Trump und die Republikaner

Trump hat als Außenseiter und Quereinsteiger seine Nominierung zum Teil gegen den Willen des Parteiestablishments durchgesetzt. Nach seiner Wahl dominierte er die Partei umso stärker und schob das bestehende Parteiestablishment zur Seite, sofern dessen Vertreter*innen nicht ihre Loyalität zu ihm erklärten. Früher geltende geheiligte Prinzipien in der Außen- und Wirtschaftspolitik waren mit einem Mal nicht mehr gültig.

Die Frage in der Nach-Trump-Zeit wird deshalb sein, ob und wie stark sich die Republikaner von Trump distanzieren. Die Ereignisse vom 6. Januar führten dazu, dass sich führende und bis zum Ende eigentlich Trump treu ergebene führende Repräsentanten der Partei vom Präsidenten abwandten. Allerdings sind Vorstellungen, wonach sich das Land und die republikanische Partei weitgehend von dem skrupellosen Volkstribun abwenden werden, vorläufig reines Wunschdenken. Rechtsextreme, Neonazis und Anhänger*innen weiterer obskurer Randgruppen haben gestützt auf extreme und obskure Anschauungen in den Sozialen Medien ihren Einfluss in die Republikanische Partei hinein ausgebaut.

Meinungsumfragen nach dem »Sturm« auf das Kapital belegen, dass die Annahme einer zügigen »Normalisierung« der republikanischen Partei wenig begründet ist. Unter Demokraten sind 94% der Befragten für eine Amtsenthebung, unter Republikanern ganze 13%. Dazu passt: In der ersten Januarwoche wurden die beiden Führungsfiguren der Parteizentrale (Republican National Committee, RNC) für zwei Jahre wiedergewählt. Beide sind Trump-Anhänger*innen. Ronna McDaniel wurde ohne Gegenkandidatin im Amt als RNC-Chefin bestätigt, ihr Vize Tommy Hicks setzte sich mit der Unterstützung von Donald Trump Junior gegen mehrere Trump-kritische Rivalen durch.

Trumps Sohn Donald hatte zwei Tage zuvor verkündet, wer sich Trumps Forderung nach einem Umstoßen des Wahlergebnisses widersetze, werde die Konsequenzen zu tragen haben: »Das ist nicht mehr ihre Republikanische Partei, das ist Donald Trumps Republikanische Partei.« Es gibt andere Kräfte in der Partei, die sich von Trump und dessen Lügenkampagne über die angeblich gefälschte Wahl distanzieren, aber die Wiedergewinnung der politischen Handlungsfähigkeit der Grand Old Party wird einiger Anstrengungen bedürfen.

 

Das Erbe des Trumpismus und die nächsten Aufgaben

Der Präsident elect, Biden, hat den Senat gemahnt, wegen des Impeachment-Prozesses nicht seine anderen dringenden Aufgaben zu vernachlässigen. Der Senat muss Bidens Kandidat*innen für wichtige Regierungsämter zügig bestätigen. Auch Teile seines geplanten Impfprogramms und von Programmen zur Ankurbelung der Wirtschaft brauchen die Zustimmung einer Mehrheit des Senats. Biden hat sich bisher aus dem Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump herausgehalten, um sein Verhältnis zu den republikanischen Senator*innen nicht zu belasten. Im Senat verfügen die Demokraten in Zukunft über eine hauchdünne Mehrheit.

In dem Schock über die gewaltsamen Attacken gegen die angesagte Bestätigung der Ergebnisse der Wahlleute ist der folgenreiche Ausgang des Kopf-an-Kopf-Rennens bei den Stichwahlen in Georgia aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Die Demokraten haben einen Doppelsieg errungen und damit in dem Bundestaat die bisherigen politischen Kräfteverhältnisse umgedreht. Die Partei von Joe Biden kann damit nach dessen Amtsantritt auch im Senat den Ton angeben. Nach dem Repräsentantenhaus verliert Trumps Partei nun auch die Mehrheit im Senat.

Die Fraktion der Demokraten wächst dank dem Doppelsieg auf 50 Senator*innen. Da im Zweifelsfall die zukünftige Vizepräsidentin Pamela Harris den Stichentscheid im Senat fällt, stellen die Demokraten nun eine knappe Mehrheit in der kleinen Kongresskammer. Der künftige Präsident wird damit deutlich mehr Spielraum haben, um seine politischen Ziele durchzusetzen. Der bisherige Mehrheitsführer Mitch McConnell, ein Republikaner aus Kentucky, wird durch den Demokraten Chuck Schumer aus New York ersetzt.

Den Demokraten ist es gelungen ist, im konservativen Süden einen knappen, aber deutlichen Sieg zu erkämpfen, was eine strukturelle Niederlage der Republikaner in Georgia anzeigt. Dafür sind in erster Linie die Stimmanteile der Afro-amerikaner*innen verantwortlich. Sie haben die Senatswahlen dort entschieden. Der Sieg der Demokraten ist ein Erfolg des neuen, politisch linken Südens. Es sind viele schwarze Amerikaner*innen zur Stimmabgabe motiviert worden und die bisherigen Diskriminierungen bei der Einschreibung in die Wahllisten wurden durchbrochen.

Die höhere Mobilisierung für die Demokraten ist offenkundig: Die Wahlbeteiligung in Georgia war mit 4,4 Mio. Stimmen für eine Nachwahl relativ hoch – im November gingen rund 4,9 Mio. Einwohner*innen von Georgia wählen. Während der letzten Jahre haben sich verschiedene Organisationen bemüht, schwarze Wähler*innen an die Urne zu bringen – allen voran die ehemalige Vorsitzende des Repräsentantenhauses von Georgia, Stacey Abrams. Sie initiierte mehrere Organisationen, die die Praxis des »voter suppression« bekämpften, also dem Versuch, bestimmte Bevölkerungsgruppen – meist ethnische Minderheiten – vom Wählen abzuhalten.

In den vergangenen sechs Wochen nutzte Abrams die sozialen Netzwerke und Auftritte im Fernsehen, um gemeinsam mit anderen schwarzen Frauen die Afroamerikaner*innen zum Wählen aufzufordern. Laut Expert*innen erreichten die Wahlhelfer*innen mehr als 100.000 Wähler*innen, die bei der Präsidentschaftswahl nicht gewählt hatten.

Erstmals seit einem Jahrzehnt werden die Demokraten damit in einem Staat des »tiefen Südens« wieder beide Senatoren stellen; überall sonst verfügen die Republikaner in diesem konservativen Landesteil nahezu über ein politisches Monopol. Der demokratische Überraschungserfolg zeigt, dass Joe Bidens hauchdünner Sieg bei der Präsidentschaftswahl in diesem Staat auch ein Sieg über tiefsitzende rassistische Strukturen war, und dass dies eine deutliche Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse anzeigt.

 

Folgen der knappen Mehrheit im Senat

Die Demokraten können die Tagesordnung bestimmen und die Macht in sämtlichen Ausschüssen übernehmen. Die Republikaner verlieren die Möglichkeit, Untersuchungen gegen die künftige Administration Biden anzustrengen. Zugleich können Personalentscheidungen des künftigen Präsidenten z.B. für die Bundesgerichte letztlich nicht behindert werden. Dies bedeutet eine markante Vereinfachung für die Administration Biden.

Trotz der Machtübernahme im Weißen Haus und Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses werden die Demokraten nicht »durchregieren« können. Die Kräfteverhältnisse im Senat – und je nach Frage auch jene im Repräsentantenhaus – bleiben fragil. Die Programmatik der Demokraten – Ausbau zu einer allgemeinen Krankenversicherung oder anderer sozialstaatlicher Regulierungen –werden ebenso wie die einzelnen Projekte eines Green New Deals häufig in zähen Verhandlungen mit den Kongressmitgliedern feststecken. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass für die meisten Sachentscheidungen im Senat eine Sondermehrheit von 60% notwendig ist.

Präsident Biden wird bei der künftigen Regierungspraxis auf die knappen Machtverhältnisse Rücksicht nehmen müssen. Auch hier wäre eine politische Erneuerung der republikanischen Partei sicherlich hilfreich. Der neue Präsident wird sich notgedungen bei der Gesetzgebung, etwa bei seinem Ziel einer staatlichen Krankenkasse oder beim Klimaschutz, zwangsläufig auf kleine Schritte statt auf große Würfe konzentrieren müssen. Schon dies wird der Politik in den USA eine deutlich andere Richtung geben und könnte eine Wiederbegründung der republikanischen Partei befördern.

Sicherlich wird mit der knappen Mehrheit der Demokraten ein neuer politischer Diskurs und politischer Stil etabliert werden, aber die zuletzt sichtbar gewordenen, mit Gewalt aufgeladenen Gegensätze werden sich nur durch ein mittel- und langfristig angelegtes Reformprogramm verändern lassen.

Der Trumpismus hat den Mainstream der Konservativen als auch die Verhältnisse der amerikanischen Politik umgepflügt. Mit der Politik des »America first« sind innenpolitisch Deregulierungen, Steuersenkungen und verstärkte Abgrenzung gegenüber Migration und Einwanderung zur prägenden Linie geworden. Trump hat sich weitgehend von den bis dahin hochgehaltenen Programmessentials der republikanischen Partei gelöst. Damit hat er das konservative Lager und dessen Bewegungen in Amerika verändert.

Einige Bausteine haben wohl auch weiterhin Gültigkeit: Steuersenkungen, eine schlanke Regierung, starkes Militär, die bereitwillige Akzeptanz wachsender Ungleichheit, die Ablehnung oder zumindest Gleichgültigkeit gegenüber Umweltfragen und riesigen Haushaltsdefiziten. Diese Bausteine wurden eingebettet in eine politische Agenda der Frauenfeindlichkeit, rassistischer Vorurteile, Xenophobie und einer hassvolle Abgrenzung gegenüber der demokratischen Medienkultur.

Anmerkungen:

[1] Auf die Herausforderungen der neuen Administration unter Biden wird ausführlicher im Februar-Heft von Sozialismus eingegangen.

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