25. Januar 2019 Redaktion Sozialismus: Rot-grüne Minderheitsregierung in Schweden

Gratwanderung der schwedischen Politik

Stefan Löfven. Foto: Socialdemokraterna/flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Schwedens Premier, Stefan Löfven, geht mit einer weitgehend unveränderten Regierungsmannschaft in eine zweite Amtszeit. Die wichtigsten Positionen bleiben gleich: Margot Wallström ist weiterhin Außenministerin, Magdalena Andersson bleibt Finanzministerin, Morgan Johansson leitet wieder das Justizressort.

Löfven ist seit 2014 Regierungschef in Schweden. Seit seiner Wahlniederlage am 9. September hat er das Amt nur noch geschäftsführend inne. Seine rot-grüne Minderheitenkoalition bekam nur knapp 33% der Stimmen.[1] Am 25. September war er bei einer Vertrauensabstimmung im Parlament von den bürgerlichen Parteien und den Rechtspopulisten abgewählt worden.

Die Minderheitsregierung war möglich geworden, nachdem die Zentrumspartei und die Christdemokraten partiell aus der bürgerlichen Allianz ausgeschieden waren. Nach monatelangen Diskussionen hatten sie Löfvén ihre Unterstützung zugesagt, um den politischen Stillstand in Stockholm zu beenden. Die Sozialdemokraten und die Grünen hatten mit dem Zentrum und den Christdemokraten eine Vereinbarung mit über siebzig Punkten ausgehandelt, die Steuersenkungen, Lockerungen des bisherigen Arbeitsrechts, leichtere Familienzusammenführungen sowie niedrigere Arbeitgeberabgaben als Bedingung für die Tolerierung festschreibt. Die Grünen setzten durch, dass eine Steuer auf Flüge beibehalten wird.

In einem Punkt gibt es einen mit Ausnahme der Linkspartei parteiübergreifenden Konsens. Schweden wird aufrüsten, weil eine stärkere Bedrohung durch Russland unterstellt wird, die geopolitischen Veränderungen auch Schweden betreffen und Teile der Bevölkerung einen Ausbau des Militärapparates wünscht.

Die schwedischen Streitkräfte sind nach der Jahrtausendwende mit Blick auf das Ende der Systemkonfrontation und eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik immer stärker reduziert und vor allem auf begrenzte Auslandseinsätze ausgerichtet worden . Mittlerweile hat sich in der politischen Klasse die Auffassung ausgeweitet, dass im 21. Jahrhundert mit Neutralität und Bündnisfreiheit keine ausreichende Sicherheit zu gewährleisten sei.

Die Wehrpflicht wurde wieder eingeführt, die Bevölkerung im vergangenen Mai mit einer Broschüre auf aktuelle Gefahren hingewiesen und darauf, was dann zu tun sei. Das hat weltweit Schlagzeilen gemacht, weil es so gar nicht zum gängigen Schwedenbild passt. Der Titel dieser Broschüre lautet: »Om Krisen eller Kriget kommer« (»Wenn es eine Krise oder einen Krieg gibt«).

Aktuelle Kriegsgefahr? Seit mehr als 200 Jahren leben die Schweden in Frieden. Gleichwohl wird in Skandinavien die russische Politik unter Putin nicht als nachbarschaftlich eingeschätzt. »Eigentlich nicht mehr wirklich friedlich«, so die schwedische Militärführung: »Denn wir werden digital angegriffen und ausspioniert.« Schweden sei »bereits kontinuierlich Versuchen ausgesetzt, in unsere Systeme einzudringen«.

Also will die Armee jetzt in einem ersten Schritt 30 Cybersoldaten ausbilden, hochspezialisierte Fachleute in der Abwehr elektronischer Attacken, man könnte auch sagen »Hacker im Kampfanzug«. »Sie sollen sowohl unsere eigene Cyberkompetenz als auch die anderer Behörden vergrößern. Wir müssen uns ja vor sehr cleveren Gegnern schützen, die das schwedische Verteidigungssystem und andere Gesellschaftsfunktionen manipulieren wollen.« Soweit der Hightech-Aspekt der stetigen schwedischen Aufrüstung.

Weiter ist geplant, die Zahl der Wehrpflichtigen, die tatsächlich gezogen werden, im kommenden Jahr von 4.000 auf 5.000 zu erhöhen und bessere, vor allem finanzielle Bedingungen zu schaffen, um mehr Frauen und Männer als Offiziere anwerben zu können. Da herrscht im Moment besonderer Personalmangel. Außerdem sollen mehr Kampfjets, moderne Luftabwehrsysteme und neue Kriegsschiffe für die Marine angeschafft werden. Das alles wird teuer, sehr teuer: Die Rede ist von umgerechnet etwa einer Mrd. Euro – bis 2021.

Die Vorsitzende der Zentrumspartei, Annie Lööf, betonte, dass ihre Partei kein Regierungsmitglied wird. Stattdessen wolle sie Lövféns Bündnis in Sachfragen unterstützen. Lööf sieht das vereinbarte Regierungsprogramm als ihren Erfolg: Zentral seien nun u.a. Steuersenkungen, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Liberalisierung des Wohnungsmarktes – für Linke und Grüne sowie Sozialdemokraten eine bittere Medizin.

Auch die Liberalen werden nicht der Regierung angehören. Insgesamt gibt es sechs neue Kabinettsmitglieder. Die Sozialdemokraten stellen 17 Minister in der rot-grünen Minderheitsregierung, die Grünen fünf. Löfven, der bereits seit 2014 Regierungschef war, war vom Reichstag erneut zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Das Abstimmungsergebnis für Löfven war wenig überzeugend. Nur 115 der 349 Reichstags-Abgeordnete haben mit »Ja« für ihn als Regierungschef gestimmt, 153 mit »Nein« votiert, 77 haben den gelben Knopf gedrückt, um sich zu enthalten; vier fehlten. Für eine Ablehnung Löfvéns hätten 175 Abgeordnete mit »Nein« stimmen müssen.

Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Löfvén steht also wie bisher einer rot-grünen Minderheitsregierung vor. Ob diese Konstruktion stabil bleibt, ist fraglich. Der Chef der Moderaten, UIf Kristersson, sagte in der Presse, dass er sich von jeder Verantwortung für die neue Regierung frei spreche. Es sei nicht das Versagen seiner Partei, dass es jetzt in Schweden noch schlimmer werde als zuvor. Zentrum und Liberale seien trotz besseren Wissens eingeknickt. Auch die Christdemokraten sind mehr als nur skeptisch hinsichtlich dieses Regierungsprojektes. Die Sprecherin Ebba Busch Thor geht davon aus, dass das jetzt geformte Bündnis mit Sicherheit nicht die gesamte Legislaturperiode überstehen werde.

Jimmi Åkesson, Chef der Schwedendemokraten, setzt den Konfrontationskurs der Rechtspopulisten fort. Das, was das Land jetzt erlebe, sei einfach nur absurd. Er habe »noch nie eine seltsamere, absurdere und bizarrere Regierungsform gesehen«. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten hätte gerne eine bürgerliche Regierung toleriert – freilich gegen inhaltliche Zugeständnisse. Ziel einer solchen politischen Konstruktion wäre die Durchbrechung der Ächtung der SD als nationalistische Rassistenpartei. Wie in Dänemark hatten die Rechtspopulisten für sich die Rolle als Mehrheitsbeschafferin gefordert: Ihre immer maximal harte und aggressiv ausgerichtete Ausländerpolitik müsste bei den bürgerlichen Parteien berücksichtigt werden.

Bei den zähen und für die Öffentlichkeit nur noch schwer nachvollziehbaren Geheimverhandlungen haben die Sozialdemokraten im zweiten Anlauf jetzt weitgehende Zugeständnisse gemacht. So sind sie bereit, wie von den Bürgerparteien gefordert den Kündigungsschutz aufzuweichen. Das allerdings lehnt die als Mehrheitsbeschafferin ebenfalls benötigte Linkspartei strikt ab.

Unterstützung benötigte die alte und neue Regierung auch von der Linkspartei. Erst nach Verhandlungen in letzter Minute gab Linksparteichef Jonas Sjöstedt nach und kündigte an, seine Partei werde der Regierungsbildung nicht mehr im Weg stehen. Er sei aber zu einem Misstrauensantrag bereit, sollte die Regierung den Arbeitsmarkt deregulieren wollen oder ins Mietrecht eingreifen – beides sind Kernanliegen der beiden liberalen Parteien, die nun Löfvens Lager stützen. Löfvens Regierungsbasis steht also auf wackliger Grundlage.

Löfvens Partei, die in Schweden im 20. Jahrhundert fast immer im Alleingang regieren konnte, hatte im September mit 28,3% das schlechteste Ergebnis seit 1911 eingefahren. Sie muss nach Umfragen vorzeitige Neuwahlen bei einem Scheitern der Regierungsbildung genauso fürchten wie alle anderen Parteien mit Ausnahme der Rechtspopulisten. Diese sind von 17,5% an den Urnen auf jetzt über 20% geklettert und haben die Konservativen als zweitstärkste Kraft überholt. Die Liberalen, die bei der Wahl 5,5% erreichten, hat das Hickhack um die Regierungsbildung bis an die Vier-Prozent-Sperrklausel gedrückt. Das Regierungsprojekt von Rot-Grün, toleriert von Linkspartei sowie den bürgerlichen Kleinparteien Zentrum und Liberalen, soll letztlich das Kunststück fertig bringen, durch eine moderne Sozialstaatspolitik die Klassenspaltung zu mäßigen und dadurch die von den Rechtspopulisten ausgehende Gefahr der weiteren Zerstörung der bürgerlichen Zivilgesellschaft zurückzudrängen.


[1] Vgl. zum Wahlkampf: Redaktion Sozialismus, Schweden driftet nach Rechts, in: Sozialismus.deAktuell 26.8.2018 – und zum Ausgang der Wahlen: Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Schweden: Politisches Patt – Rechtspopulisten als Zünglein an der Waage, in: Sozialismus.deAktuell 10.9.2018.

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