7. Mai 2018 Otto König/Richard Detje: Rüstungskooperation Berlin-Paris wird vorangetrieben

Größtes Rüstungsprojekt Europas

Eurofighter (Foto: sagesolar / flickr.com)

Die Luft- und Raumfahrtmesse ILA 2018 in Berlin bot Militärs, Politiker*innen und Rüstungsschmieden die Plattform, die Rüstungskooperation Berlin-Paris voranzutreiben. Die Verteidigungsministerinnen beider Länder, Ursula von der Leyen und Florence Parly, unterzeichneten Konzepte und Absichtserklärungen, die gemeinsame Vorhaben bei Aufklärungs- und Transportflugzeugen sowie und ein neues Kampfflugzeug-System betreffen.

Der demonstrative Schulterschluss soll nicht nur die vor zwei Jahren eingeleiteten deutsch-französischen Rüstungsinitiativen weiterführen, sondern zugleich die rüstungsindustrielle Formierung der EU forcieren.

Schon zuvor hatten die Flugzeughersteller Airbus Defence and Space aus Ottobrunn bei München und Dassault Aviation in Paris ein Grundsatzabkommen [1] über die Entwicklung eines deutsch-französischen Kampfflugzeugs vereinbart, das um das Jahr 2040 herum in Produktion gehen und längerfristig den Eurofighter der Bundeswehr und die Rafale-Maschinen der französischen Luftwaffe ersetzen soll. Angesichts eines geschätzten Gesamtvolumens von mindestens 80 Milliarden Euro jubelt Airbus-Chef Dirk Hoke, es handele sich um »das größte Rüstungsprojekt Europas«. Der Modernisierungsbedarf insbesondere der deutschen Luftwaffe – bis zum Jahr 2025 sollen 90 Kampfjets vom Typ Tornado ersetzt werden – und das damit verbundene Neugeschäft hat zwischenzeitlich mehrere europäische und amerikanische Hersteller wie Lockheed Martin und Boeing auf den Plan gerufen.

Für die Politik dient das Projekt als Lackmustest, ob es die europäischen Staaten mit ihrem in der »EU-Globalstrategie« vom Juni 2016 [2] formulierten Anspruch ernst meinen, die »europäische Souveränität« und die »strategische Autonomie« zu stärken und sich »autonome« – sprich US-unabhängige – »militärische Spitzenfähigkeiten« zuzulegen. Ein Jahr später verkündeten Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron, dass sich der deutsch-französische Ministerrat auf den Bau eines gemeinsamen Kampfjets der sechsten Generation verständigt habe. Damit haben Merkel und Macron die Partnerschaft der beiden Länder im Militär- und Rüstungsbereich auf eine neue Stufe gehoben. Gleichzeitig unterstrichen sie damit den deutsch-französischen Führungsanspruch innerhalb der EU.

Für Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) setzt diese Entscheidung »den Maßstab für die Zukunft der gesamten europäischen Verteidigungsindustrie.« Die militärische Luftfahrt sei die Schlüsselindustrie hinsichtlich Umsatz und Innovationsleistung. Mit diesem Projekt würden Berlin und Paris Europa die Möglichkeit bewahren, »eine eigenständige Rüstungsindustrie« zu erhalten, nicht von Black-Box-Produkten »Made in USA« abhängig zu sein, sondern selbst einen gehörigen Anteil vom Rüstungskuchen abbekommen.

Die Erarbeitung einer gemeinsamen, interventionsfähigen Militärdoktrin, gesichert durch eine auf für ambitionierte Pläne hinreichende Finanzierung – dies ist Teil jenes »neu gegründeten« Europas, das Emmanuel Macron in seiner Rede an der Universität Sorbonne am 26. September 2017 umrissen hat. In diesen Zusammenhang gehört auch der vier Wochen später vorgelegte »Strategische Überblick« von Verteidigungsministerin Parly, in dem Europas Sicherheit an erster Stelle der französischen Vorschläge für ein »souveränes, einiges und demokratisches Europa« steht. Schließlich solle der Aufbau einer »Gemeinsamen Interventionsmacht« dazu beitragen, dass Europa künftig über eine »autonome Aktionsfähigkeit« verfügen könne.

Im Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik aus dem Jahr 2016 hieß es noch bewusst umständlich, nur wenn es gelinge, »interne Bruchlinien zu überwinden, zentrifugalen Kräften erfolgreich entgegenzuwirken, den Modernisierungs- und Innovationspfad beharrlich weiter zu beschreiten«, werde es möglich sein, »in Zukunft eine stabilisierende Wirkung auf unsere Nachbarschaft (zu) entfalten«. Klartext dagegen von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), einem Think-Tank der Bundesregierung, der die vorbereitende Aufgabe darin sieht, »die deutsche Kultur der militärischen Zurückhaltung«, die eine Mehrheit der Deutschen für richtig halte, und »die französische Kultur autonomer militärischer Aktionsfähigkeit« einander anzunähern. Nur so könne es gelingen, eine »gemeinsame strategische Kultur« in der EU zu schaffen, wie sie Macron als zentrale Grundlage für künftige Militäreinsätze einer »gemeinsamen Interventionsmacht« gefordert habe. Auf der Grundlage der »Sicherheitsstrategie« solle dann eine »Militärdoktrin« entwickelt werden, die als Rahmen für die »gemeinsame Interventionsmacht« der EU dienen könne. [3]

Durch die Unterzeichnung des Memorandums haben die Verteidigungsministerinnen beider Länder am Rande der Berliner ILA den Startschuss für den Aufbau schlagkräftiger europäischer Militärkapazitäten abgegeben, was das Handelsblatt zu der Feststellung veranlasste, »Deutsche und Franzosen (könnten) in diesem Jahr Geschichte schreiben« (24.4.2018). Die beiden wichtigsten kontinentalen Alliierten Washingtons könnten zu Treibern einer bis dato unvorstellbaren Kooperation im EU-Rüstungsbereich werden.

Der deutsch-französische Kampfjet von Airbus und Dassault rangiert unter dem Arbeitstitel »Future Combat Air System« (FCAS). Er soll optional von Kampfdrohnen begleitet werden, die zusätzliche Waffensysteme tragen. Zudem ist vorgesehen, dass er über Schwärme kleiner Drohnen verfügt; diese sollen laut den Szenarien der Militärs unter anderem in der Lage sein, punktuell Aufklärung zu leisten, die feindliche Luftabwehr auszumanövrieren oder sich als »Kamikazedrohnen« auf feindliche Ziele zu stürzen. Das FCAS, das in der Zeit zwischen 2035 und 2040 zur Einsatzreife gelangen soll, wird vor allem gegen die vermutlich auf ähnliche Einsatzszenarien ausgerichtete US-amerikanische F-35 [4] konkurrieren müssen, die bereits jetzt Kunden wie Großbritannien, Italien, die Niederlande und Dänemark gewonnen hat.

Im Übrigen kooperieren Airbus Defence and Space und Dassault Aviation gemeinsam seit geraumer Zeit mit der italienischen Firma Leonardo bei einem weiteren zentralen deutsch-französischen Rüstungsprojekt: [5] der Entwicklung und dem Bau der »Eurodrohne«. Die deutsche Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann und ihr französischer Konkurrent Nexter, zwischenzeitlich zum Panzerbauer KNDS zusammengeschlossen, sollen einen Nachfolger für den deutschen Kampfpanzer Leopard 2 bzw. den französischen Leclerc entwickeln. Dieses neue Main Ground Combat System (MGCS) und ein Artilleriegeschütz mit einer Reichweite von 40 bis 60 Kilometern (Common Indirect Fire System, CIFS) sollen laut Plan zwischen 2030 und 2035 in Dienst gestellt werden. Darüber hinaus haben sich Ursula von der Leyen und Florence Parly auf der ILA Berlin auf eine Absichtserklärung geeinigt, die die gemeinsame Entwicklung und den Bau eines neuen Seefernaufklärers vorsieht.

Da der deutsche und französische Markt trotz Steigerung der nationalen Rüstungsausgaben nicht ausreicht, um die geplanten Waffensysteme »kostengünstig« produzieren zu können, setzt man künftig verstärkt auf den Waffenexport auch in globale Konfliktregionen. Diese Geschäfte werden aus Sicht der Industrie durch die – vergleichsweisen – restriktiven deutschen Exportrichtlinien gefährdet. So wird gerade mit Blick auf den künftigen deutsch-französischen Kampfjet von der Rüstungslobby massiv dafür geworben, die Exportrichtlinien »nach unten« zu harmonisieren. Dassault-Chef Eric Trappier wirbt vehement für ein Abkommen aus dem Jahr 1972, in dem die damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Michel Debré vereinbarten, dass keine der beiden Regierungen die andere daran hindern wird, »Rüstungsgüter aus gemeinsamer Entwicklung oder Fertigung auszuführen.« [6]

Der Entwurf des Bundeshaushalts, den Finanzminister Olaf Scholz vorgestellt hat, sieht in diesem Jahr eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 38,5 Milliarden Euro vor, das sind rund 1,5 Milliarden Euro mehr als 2017. Bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 soll der Wehretat auf 43,7 Milliarden Euro, also um insgesamt 6,94 Milliarden ansteigen.

Verteidigungsministerin von der Leyen gab im Kabinett sowie öffentlich zu Protokoll, sie halte die Erhöhung wegen der geplanten internationalen Rüstungsprojekte und »gemessen am gewaltigen Nachhol- und Modernisierungsbedarf insbesondere in der Mittelfrist für unzureichend«. Die Oberbefehlshaberin hat einen Mehrbedarf von zwölf Milliarden Euro angemeldet.
Allein die Entwicklungskosten für das FCAS werden auf 80 Milliarden Euro geschätzt. Sie und die anderen Vorhaben sind in Scholz’ mittelfristigen Finanzplanung noch gar nicht anteilig aufgenommen. Rechnet man sie hinein, dürfte die GroKo die deutschen Verteidigungsausgaben von derzeit 1,24 schrittweise auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Damit würde Deutschland zur stärksten Militärmacht in Westeuropa werden.

Der US-amerikanische Verteidigungsminister Mike Pompeo hatte es jüngst beim NATO-Treffen in Brüssel als »inakzeptabel« bezeichnet, wenn NATO-Mitgliedsländer ihre »finanziellen Verpflichtungen« nicht erfüllen. Die, die das bislang nicht machen würden, müssten bis zum Juli einen »glaubwürdigen Plan« vorlegen, wie sie das Ziel bis 2024 erreichen wollen. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges wird Aufrüstung wieder als vordringliche politische Agenda gesehen, die als »alternativlos« durchgedrückt werden soll.


[1] Airbus and Dassault Aviation join forces on Future Combat Air System. airbus.com, 25.4.2018.
[2] Die damaligen Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, gaben schon vor Annahme der EU-Globalstrategie mit ihrem gemeinsamen Papier »Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt« am 27. Juni 2016 die Richtung vor. Sie forderten, Deutschland und Frankreich müssten, indem sie ihre »Anstrengungen auf dem Gebiet der Verteidigung verstärken«, vorangehen, um »die EU Schritt für Schritt zu einem unabhängigen und globalen Akteur zu entwickeln.«
[3] Detlef Puhl: Strategische Autonomie für Europa. Kommen Berlin und Paris zusammen? Arbeitspapier Sicherheitspolitik Nr. 8/2018. Detlef Puhl war Pressesprecher im Bundesministerium der Verteidigung und diente danach als Berater im französischen Verteidigungsministerium und in der NATO.
[4] Aktuell produzieren nur die USA mit dem F-35 einen Kampfjet der sogenannten fünften Generation. Länder wie Russland und China haben solche Flugzeuge ebenfalls in Entwicklung, es ist jedoch nicht absehbar, wann diese die Serienreife erreichen. Die von Deutschland (Eurofighter) und Frankreich (Rafale) genutzten Kampfjets gehören noch der vierten Generation an und verfügen nicht über die begehrte Tarnkappenfähigkeit.
[5] Die Bundeswehr nutzt bislang geleaste israelische Heron-Drohnen für ihre Einsätze in Afghanistan und in Mali. Eigene Beschaffungsversuche wie den Euro-Hawk sind gescheitert. Airbus, Dassault und Leonardo haben Anfang 2018 eine Vorstudie zur Entwicklung der Eurodrohne abgeschlossen und auf der ILA Berlin einen ersten Prototyp präsentiert. Das Modell zählt zu den MALE-Drohnen (Medium Altitude, Long Endurance), die eine Einsatzhöhe von 5.000 bis 15.000 Metern und eine Flugdauer von mehr als 24 Stunden haben. Die Eurodrohne wird bewaffnet werden können und spätestens im Jahr 2025 einsatzbereit sein
[6] Wirtschaftswoche vom 7.7.2015.

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